Герман Гессе. Сиддхартха (На немецком языке) Hermann Hesse. Siddhartha --------------------------------------------------------------- Герман Гессе. Сиддхартха. На немецком языке. 1922 Печатный источник: Hermann Hesse. Siddhartha, Frankfurt am Main, 1976 OCR, Spellcheck: Илья Франк, http://frank.deutschesprache.ru ? http://frank.deutschesprache.ru --------------------------------------------------------------- Тексты в оригинале на английском, немецком и других языках смотрите в библиотеке на сайте http://frank.deutschesprache.ru/ Текст подготовил и сверил Илья Франк SIDDHARTHA Eine indische Dichtung von Hermann Hesse ERSTER TEIL Romain Rolland dem verehrten Freunde gewidmet DER SOHN DES BRAHMANEN Im Schatten des Hauses, in der Sonne des Flussufers bei den Booten, im Schatten des Salwaldes, im Schatten des Feigenbaumes wuchs Siddhartha auf, der schXne Sohn des Brahmanen, der junge Falke, zusammen mit seinem Freunde, dem Brahmanensohn. Sonne brXunte seine lichten Schultern am Flussufer, beim Bade, bei den heiligen Waschungen, bei den heiligen Opfern. Schatten floss in seine schwarzen Augen im Mangohain, bei den Knabenspielen, beim Gesang der Mutter, bei den heiligen Opfern, bei den Lehren seines Vaters, des Gelehrten, beim GesprXch der Weisen. Lange schon nahm Siddhartha am GesprXch der Weisen teil, Xbte sich mit Govinda im Redekampf, Xbte sich mit Govinda in der Kunst der Betrachtung, im Dienst der Versenkung. Schon verstand er, lautlos das Om zu sprechen, das Wort der Worte, es lautlos in sich hinein zu sprechen mit dem Einhauch, es lautlos aus sich heraus zu sprechen mit dem Aushauch, mit gesammelter Seele, die Stirn umgeben vom Glanz des klardenkenden Geistes. Schon verstand er, im Innern seines Wesens Atman zu wissen, unzerstXrbar, eins mit dem Weltall. Freude sprang in seines Vaters Herzen Xber den Sohn, den Gelehrigen, den Wissensdurstigen, einen groXen Weisen und Priester sah er in ihm heranwachsen, einen FXrsten unter den Brahmanen. Wonne sprang in seiner Mutter Brust, wenn sie ihn sah, wenn sie ihn schreiten, wenn sie ihn niedersitzen und aufstehen sah, Siddhartha, den Starken, den SchXnen, den auf schlanken Beinen Schreitenden, den mit vollkommenem Anstand sie BegrXenden. Liebe rXhrte sich in den Herzen der jungen BrahmanentXchter, wenn Siddhartha durch die Gassen der Stadt ging, mit der leuchtenden Stirn, mit dem KXnigsauge, mit den schmalen HXften. Mehr als sie alle aber liebte ihn Govinda, sein Freund, der Brahmanensohn. Er liebte Siddharthas Auge und holde Stimme, er liebte seinen Gang und den vollkommenen Anstand seiner Bewegungen, er liebte alles, was Siddhartha tat und sagte, und am meisten liebte er seinen Geist, seine hohen, feurigen Gedanken, seinen glXhenden Willen, seine hohe Berufung. Govinda wusste: dieser wird kein gemeiner Brahmane werden, kein fauler Opferbeamter, kein habgieriger HXndler mit ZaubersprXchen, kein eitler, leerer Redner, kein bXser, hinterlistiger Priester, und auch kein gutes, dummes Schaf in der Herde der Vielen. Nein, und auch er, Govinda, wollte kein solcher werden, kein Brahmane, wie es zehntausend gibt. Er wollte Siddhartha folgen, dem Geliebten, dem Herrlichen. Und wenn Siddhartha einstmals ein Gott wXrde, wenn er einstmals eingehen wXrde zu den Strahlenden, dann wollte Govinda ihm folgen, als sein Freund, als sein Begleiter, als sein Diener, als sein SpeertrXger, sein Schatten. So liebten den Siddhartha alle. Allen schuf er Freude, allen war er zur Lust. Er aber, Siddhartha, schuf sich nicht Freude, er war sich nicht zur Lust. Wandelnd auf den rosigen Wegen des Feigengartens, sitzend im blXulichen Schatten des Hains der Betrachtung, waschend seine Glieder im tXglichen SXhnebad, opfernd im tiefschattigen Mangowald, von vollkommenem Anstand der GebXrden, von allen geliebt, aller Freude, trug er doch keine Freude im Herzen. TrXume kamen ihm und rastlose Gedanken aus dem Wasser des Flusses geflossen, aus den Sternen der Nacht gefunkelt, aus den Strahlen der Sonne geschmolzen, TrXume kamen ihm und Ruhelosigkeit der Seele, aus den Opfern geraucht, aus den Versen der Rig-Veda gehaucht, aus den Lehren der alten Brahmanen getrXufelt. Siddhartha hatte begonnen, Unzufriedenheit in sich zu nXhren, Er hatte begonnen zu fXhlen, dass die Liebe seines Vaters, und die Liebe seiner Mutter, und auch die Liebe seines Freundes, Govindas, nicht immer und fXr alle Zeit ihn beglXcken, ihn stillen, ihn sXttigen, ihm genXgen werde. Er hatte begonnen zu ahnen, dass sein ehrwXrdiger Vater und seine anderen Lehrer, dass die weisen Brahmanen ihm von ihrer Weisheit das meiste und beste schon mitgeteilt, dass sie ihre FXlle schon in sein wartendes GefX gegossen hXtten, und das GefX war nicht voll, der Geist war nicht begnXgt, die Seele war nicht ruhig, das Herz nicht gestillt. Die Waschungen waren gut, aber sie waren Wasser, sie wuschen nicht SXnde ab, sie heilten nicht Geistesdurst, sie lXsten nicht Herzensangst. Vortrefflich waren die Opfer und die Anrufung der GXtter aber war dies alles? Gaben die Opfer GlXck? Und wie war das mit den GXttern? War es wirklich Prajapati, der die Welt erschaffen hat? War es nicht der Atman, Er, der Einzige, der Alleine? Waren nicht die GXtter Gestaltungen, erschaffen wie ich und du, der Zeit untertan, vergXnglich? War es also gut, war es richtig, war es ein sinnvolles und hXchstes Tun, den GXttern zu opfern? Wem anders war zu opfern, wem anders war Verehrung darzubringen als Ihm, dem Einzigen, dem Atman? Und wo war Atman zu finden, wo wohnte Er, wo schlug Sein ewiges Herz, wo anders als im eigenen Ich, im Innersten, im UnzerstXrbaren, das ein jeder in sich trug? Aber wo, wo war dies Ich, dies Innerste, dies Letzte? Es war nicht Fleisch und Bein, es war nicht Denken noch Bewusstsein, so lehrten die Weisesten. Wo, wo also war es? Dorthin zu dringen, zum Ich, zu mir, zum Atman, gab es einen andern Weg, den zu suchen sich lohnte? Ach, und niemand zeigte diesen Weg, niemand wusste ihn, nicht der Vater, nicht die Lehrer und Weisen, nicht die heiligen OpfergesXnge! Alles wussten sie, die Brahmanen und ihre heiligen BXcher, alles wussten sie, um alles hatten sie sich gekXmmert und um mehr als alles, die Erschaffung der Welt, das Entstehen der Rede, der Speise, des Einatmens, des Ausatmens, die Ordnungen der Sinne, die Taten der GXtter unendlich vieles wussten sie X aber war es wertvoll, dies alles zu wissen, wenn man das Eine und Einzige nicht wusste, das Wichtigste, das allein Wichtige? Gewiss, viele Verse der heiligen BXcher, zumal in den Upanishaden des Samaveda, sprachen von diesem Innersten und Letzten, herrliche Verse. "Deine Seele ist die ganze Welt", stand da geschrieben, und geschrieben stand, dass der Mensch im Schlafe, im Tiefschlaf, zu seinem Innersten eingehe und im Atman wohne. Wunderbare Weisheit stand in diesen Versen, alles Wissen der Weisesten stand hier in magischen Worten gesammelt, rein wie von Bienen gesammelter Honig. Nein, nicht gering zu achten war das Ungeheure an Erkenntnis, das hier von unzXhlbaren Geschlechterfolgen weiser Brahmanen gesammelt und bewahrt lag. X Aber wo waren die Brahmanen, wo die Priester, wo die Weisen oder BXer, denen es gelungen war, dieses tiefste Wissen nicht bloX zu wissen, sondern zu leben? Wo war der Kundige, der das Daheimsein im Atman aus dem Schlafe herXberzauberte ins Wachsein, in das Leben, in Schritt und Tritt, in Wort und Tat? Viele ehrwXrdige Brahmanen kannte Siddhartha, seinen Vater vor allen, den Reinen, den Gelehrten, den hXchst EhrwXrdigen. Zu bewundern war sein Vater, still und edel war sein Gehaben, rein sein Leben, weise sein Wort, feine und adlige Gedanken wohnten in seiner Stirn X aber auch er, der so viel Wissende, lebte er denn in Seligkeit, hatte er Frieden, war er nicht auch nur ein Suchender, ein DXrstender? Musste er nicht immer und immer wieder an heiligen Quellen, ein Durstender, trinken, am Opfer, an den BXchern, an der Wechselrede der Brahmanen? Warum musste er, der Untadelige, jeden Tag SXnde abwaschen, jeden Tag sich um Reinigung mXhen, jeden Tag von neuem? War denn nicht Atman in ihm, floss denn nicht in seinem eigenen Herzen der Urquell? Ihn musste man finden, den Urquell im eigenen Ich, ihn musste man zu eigen haben! Alles andre war Suchen, war Umweg, war Verirrung. So waren Siddharthas Gedanken, dies war sein Durst, dies sein Leiden. Oft sprach er aus einem Chandogya-Upanishad sich die Worte vor: "FXrwahr, der Name des Brahman ist Satyam X wahrlich, wer solches weiX, der geht tXglich ein in die himmlische Welt." Oft schien sie nahe, die himmlische Welt, aber niemals hatte er sie ganz erreicht, nie den letzten Durst gelXscht. Und von allen Weisen und Weisesten, die er kannte und deren Belehrung er genoss, von ihnen allen war keiner, der sie ganz erreicht hatte, die himmlische Welt, der ihn ganz gelXscht hatte, den,ewigen Durst. "Govinda," sprach Siddhartha zu seinem Freunde, "Govinda, Lieber, komm mit mir unter den Banyanenbaum, wir wollen der Versenkung pflegen." Sie gingen zum Banyanenbaum, sie setzten sich nieder, hier Siddhartha, zwanzig Schritte weiter Govinda. Indem er sich niedersetzte, bereit, das Om zu sprechen, wiederholte Siddhartha murmelnd den Vers: Om ist Bogen, der Pfeil ist Seele, Das Brahman ist des Pfeiles Ziel, Das soll man unentwegt treffen. Als die gewohnte Zeit der VersenkungsXbung hingegangen war, erhob sich Govinda. Der Abend war gekommen, Zeit war es, die Waschung der Abendstunde vorzunehmen. Er rief Siddharthas Namen. Siddhartha gab nicht Antwort. Siddhartha saX versunken, seine Augen standen starr auf ein sehr fernes Ziel gerichtet, seine Zungenspitze stand ein wenig zwischen den ZXhnen hervor, er schien nicht zu atmen. So saX er, in Versenkung gehXllt, Om denkend, seine Seele als Pfeil nach dem Brahman ausgesandt. Einst waren Samanas durch Siddharthas Stadt gezogen, pilgernde Asketen, drei dXrre, erloschene MXnner, nicht alt noch jung, mit staubigen und blutigen Schultern, nahezu nackt von der Sonne versengt, von Einsamkeit umgeben, fremd und feind der Welt, Fremdlinge und hagere Schakale im Reich der Menschen. Hinter ihnen her wehte heiX ein Duft von stiller Leidenschaft, von zerstXrendem Dienst, von mitleidloser Entselbstung. Am Abend, nach der Stunde der Betrachtung, sprach Siddhartha zu Govinda: "Morgen in der FrXhe, mein Freund, wird Siddhartha zu den Samanas gehen. Er wird ein Samana werden." Govinda erbleichte, da er die Worte hXrte und im unbewegten Gesicht seines Freundes den Entschluss las, unablenkbar wie der vom Bogen losgeschnellte Pfeil. Alsbald und beim ersten Blick erkannte Govinda: Nun beginnt es, nun geht Siddhartha seinen Weg, nun beginnt sein Schicksal zu sprossen, und mit seinem das meine. Und er wurde bleich wie eine trockene Bananenschale. "O Siddhartha," rief er, "wird das dein Vater dir erlauben?" Siddhartha blickte herXber wie ein Erwachender. Pfeilschnell las er in Govindas, Seele, las die Angst, las die Ergebung. "O Govinda," sprach er leise, "wir wollen nicht Worte verschwenden. Morgen mit Tagesanbruch werde ich das Leben der Samanas beginnen. Rede nicht mehr davon." Siddhartha trat in die Kammer, wo sein Vater auf einer Matte aus Bast saX, und trat hinter seinen Vater und blieb da stehen, bis sein Vater fXhlte, dass einer hinter ihm stehe. Sprach der Brahmane: "Bist du es, Siddhartha? So sage, was zu sagen du gekommen bist." Sprach Siddhartha: "Mit deiner Erlaubnis, mein Vater. Ich bin gekommen, dir zu sagen, dass mich verlangt, morgen dein Haus zu verlassen und zu den Asketen zu gehen. Ein Samana zu werden ist mein Verlangen. MXge mein Vater dem nicht entgegen sein." Der Brahmane schwieg, und schwieg so lange, dass im kleinen Fenster die Sterne wanderten und ihre Figur verXnderten, ehe das Schweigen in der Kammer ein Ende fand. Stumm und regungslos stand mit gekreuzten Armen der Sohn, stumm und regungslos saX auf der Matte der Vater, und die Sterne zogen am Himmel. Da sprach der Vater: "Nicht ziemt es dem Brahmanen, heftige und zornige Worte zu reden. Aber Unwille bewegt mein Herz. Nicht mXchte ich diese Bitte zum zweiten Male aus deinem Munde hXren." Langsam erhob sich der Brahmane, Siddhartha stand stumm mit gekreuzten Armen. "Worauf wartest du?" fragte der Vater. Sprach Siddhartha: "Du weiXt es." Unwillig ging der Vater aus der Kammer, unwillig suchte er sein Lager auf und legte sich nieder. Nach einer Stunde, da kein Schlaf in seine Augen kam, stand der Brahmane auf, tat Schritte hin und her, trat aus dem Hause. Durch das kleine Fenster der Kammer blickte er hinein, da sah er Siddhartha stehen, mit gekreuzten Armen, unverrXckt. Bleich schimmerte sein helles Obergewand. Unruhe im Herzen, kehrte der Vater zu seinem Lager zurXck. Nach einer Stunde, da kein Schlaf in seine Augen kam, stand der Brahmane von neuem auf, tat Schritte hin und her, trat vor das Haus, sah den Mond aufgegangen. Durch das Fenster der Kammer blickte er hinein, da stand Siddhartha, unverrXckt, mit gekreuzten Armen, an seinen bloXen Schienbeinen spiegelte das Mondlicht. Besorgnis im Herzen, suchte der Vater sein Lager auf. Und er kam wieder nach einer Stunde, und kam wieder nach zweien Stunden, blickte durchs kleine Fenster, sah Siddhartha stehen, im Mond, im Sternenschein, in der Finsternis. Und kam wieder von Stunde zu Stunde, schweigend, blickte in die Kammer, sah den unverrXckt Stehenden, fXllte sein Herz mit Zorn, fXllte sein Herz mit Unruhe, fXllte sein Herz mit Zagen, fXllte es mit Leid. Und in der letzten Nachtstunde, ehe der Tag begann, kehrte er wieder, trat in die Kammer, sah den JXngling stehen, der ihm groX und wie fremd erschien. "Siddhartha," sprach er, "worauf wartest du?" "Du weiXt es." "Wirst du immer so stehen und warten, bis es Tag wird, Mittag wird, Abend wird?" "Ich werde stehen und warten." "Du wirst mXde werden, Siddhartha." "Ich werde mXde werden." "Du wirst einschlafen, Siddhartha." "Ich werde nicht einschlafen." "Du wirst sterben, Siddhartha." "Ich werde sterben." "Und willst lieber sterben, als deinem Vater gehorchen?" "Siddhartha hat immer seinem Vater gehorcht." "So willst du dein Vorhaben aufgeben?" "Siddhartha wird tun, was sein Vater ihm sagen wird." Der erste Schein des Tages fiel in die Kammer. Der Brahmane sah, dass Siddhartha in den Knien leise zitterte. In Siddharthas Gesicht sah er kein Zittern, fernhin blickten die Augen. Da erkannte der Vater, dass Siddhartha schon jetzt nicht mehr bei ihm und in der Heimat weile, dass er ihn schon jetzt verlassen habe. Der Vater berXhrte Siddharthas Schulter. "Du wirst," sprach er, "in den Wald gehen und ein Samana sein. Hast du Seligkeit gefunden im Walde, so komm und lehre mich Seligkeit. Findest du EnttXuschung, dann kehre wieder und lass uns wieder gemeinsam den GXttern opfern. Nun gehe und kXsse deine Mutter, sage ihr, wohin du gehst. FXr mich aber ist es Zeit, an den Fluss zu gehen und die erste Waschung vorzunehmen." Er nahm die Hand von der Schulter seines Sohnes und ging hinaus. Siddhartha schwankte zur Seite, als er zu gehen versuchte. Er bezwang seine Glieder, verneigte sich vor seinem Vater und ging zur Mutter, um zu tun, wie der Vater gesagt hatte. Als er im ersten Tageslicht langsam auf erstarrten Beinen die noch stille Stadt verlieX, erhob sich bei der letzten HXtte ein Schatten, der dort gekauert war, und schloss sich an den Pilgernden an X Govinda. "Du bist gekommen", sagte Siddhartha und lXchelte. "Ich bin gekommen," sagte Govinda. BEI DEN SAMANAS Am Abend dieses Tages holten sie die Asketen ein, die dXrren Samanas, und boten ihnen Begleitschaft und Gehorsam an. Sie wurden angenommen. Siddhartha schenkte sein Gewand einem armen Brahmanen auf der StraXe. Er trug nur noch die Schambinde und den erdfarbenen ungenXhten Xberwurf. Er aX nur einmal am Tage, und niemals Gekochtes. Er fastete fXnfzehn Tage. Er fastete acht und zwanzig Tage. Das Fleisch schwand ihm von Schenkeln und Wangen. HeiXe TrXume flackerten aus seinen vergrXerten Augen, an seinen dorrenden Fingern wuchsen lang die NXgel und am Kinn der trockne, struppige Bart. Eisig wurde sein Blick, wenn er Weibern begegnete; sein Mund zuckte Verachtung, wenn er durch eine Stadt mit schXn gekleideten Menschen ging. Er sah HXndler handeln, FXrsten zur Jagd gehen, Leidtragende ihre Toten beweinen, Huren sich anbieten, Xrzte sich um Kranke mXhen, Priester den Tag fXr die Aussaat bestimmen, Liebende lieben, MXtter ihre Kinder stillen X und alles war nicht den Blick seines Auges wert, alles log, alles stank, alles stank nach LXge, alles tXuschte Sinn und GlXck und SchXnheit vor, und alles war uneingestandene Verwesung. Bitter schmeckte die Welt. Qual war das Leben. Ein Ziel stand vor Siddhartha, ein einziges: leer werden, leer von Durst, leer von Wunsch, leer von Traum, leer von Freude und Leid. Von sich selbst wegsterben, nicht mehr Ich sein, entleerten Herzens Ruhe zu finden, im entselbsteten Denken dem Wunder offen zu stehen, das war sein Ziel. Wenn alles Ich Xberwunden und gestorben war, wenn jede Sucht und jeder Trieb im Herzen schwieg, dann musste das Letzte erwachen, das Innerste im Wesen, das nicht mehr Ich ist, das groXe Geheimnis. Schweigend stand Siddhartha im senkrechten Sonnenbrand, glXhend vor Schmerz, glXhend vor Durst, und stand, bis er nicht Schmerz noch Durst mehr fXhlte. Schweigend stand er in der Regenzeit, aus seinem Haare troff das Wasser Xber frierende Schultern, Xber frierende HXften und Beine, und der BXer stand, bis Schultern und Beine nicht mehr froren, bis sie schwiegen, bis sie still waren. Schweigend kauerte er im Dorngerank, aus der brennenden Haut tropfte das Blut, aus SchwXren der Eiter, und Siddhartha verweilte starr, verweilte regungslos, bis kein Blut mehr floss, bis nichts mehr stach, bis nichts mehr brannte. Siddhartha saX aufrecht und lernte den Atem sparen, lernte mit wenig Atem auskommen, lernte den Atem abzustellen. Er lernte, mit dem Atem beginnend, seinen Herzschlag beruhigen, lernte die SchlXge seines Herzens vermindern, bis es wenige und fast keine mehr waren. Vom Xltesten der Samanas belehrt, Xbte Siddhartha Entselbstung, Xbte Versenkung, nach neuen Samanaregeln. Ein Reiher flog Xberm Bambuswald X und Siddhartha nahm den Reiher in seine Seele auf, flog Xber Wald und Gebirg, war Reiher, fraX Fische, hungerte Reiherhunger, sprach ReihergekrXchz, starb Reihertod. Ein toter Schakal lag am Sandufer, und Siddharthas Seele schlXpfte in den Leichnam hinein, war toter Schakal, lag am Strande, blXhte sich, stank, verweste, ward von HyXnen zerstXckt, ward von Geiern enthXutet, ward Gerippe, ward Staub, wehte ins Gefild. Und Siddharthas Seele kehrte zurXck, war gestorben, war verwest, war zerstXubt, hatte den trXben Rausch des Kreislaufs geschmeckt, harrte in neuem Durst wie ein JXger auf die LXcke, wo dem Kreislauf zu entrinnen wXre, wo das Ende der Ursachen, wo leidlose Ewigkeit begXnne. Er tXtete seine Sinne, er tXtete seine Erinnerung, er schlXpfte aus seinem Ich in tausend fremde Gestaltungen, war Tier, war Aas, war Stein, war Holz, war Wasser, und fand sich jedesmal erwachend wieder, Sonne schien oder Mond, war wieder Ich, schwang im Kreislauf, fXhlte Durst, Xberwand den Durst, fXhlte neuen Durst. Vieles lernte Siddhartha bei den Samanas, viele Wege vom Ich hinweg lernte er gehen. Er ging den Weg der Entselbstung durch den Schmerz, durch das freiwillige Erleiden und Xberwinden des Schmerzes, des Hungers, des Dursts, der MXdigkeit. Er ging den Weg der Entselbstung durch Meditation, durch das Leerdenken des Sinnes von allen Vorstellungen. Diese und andere Wege lernte er gehen, tausendmal verlieX er sein Ich, stundenlang und tagelang verharrte er im Nicht-Ich. Aber ob auch die Wege vom Ich hinwegfXhrten, ihr Ende fXhrte doch immer zum Ich zurXck. Ob Siddhartha tausendmal dem Ich entfloh, im Nichts verweilte, im Tier, im Stein verweilte, unvermeidlich war die RXckkehr, unentrinnbar die Stunde, da er sich wiederfand, im Sonnenschein oder im Mondschein, im Schatten oder im Regen, und wieder Ich und Siddhartha war, und wieder die Qual des auferlegten Kreislaufes empfand. Neben ihm lebte Govinda, sein Schatten, ging dieselben Wege, unterzog sich denselben BemXhungen. Selten sprachen sie anderes miteinander, als der Dienst und die Xbungen erforderten. Zuweilen gingen sie zu zweien durch die DXrfer, um Nahrung fXr sich und ihre Lehrer zu betteln. "Wie denkst du, Govinda," sprach einst auf diesem Bettelgang Siddhartha, "wie denkst du, sind wir weiter gekommen? Haben wir Ziele erreicht?" Antwortete Govinda: "Wir haben gelernt, und wir lernen weiter. Du wirst ein groXer Samana sein, Siddhartha. Schnell hast du jede Xbung gelernt, oft haben die alten Samanas dich bewundert. Du wirst einst ein Heiliger sein, o Siddhartha." Sprach Siddhartha: "Mir will es nicht so erscheinen, mein Freund. Was ich bis zu diesem Tage bei den Samanas gelernt habe, das, o Govinda, hXtte ich schneller und einfacher lernen kXnnen. In jeder Kneipe eines Hurenviertels, mein Freund, unter den Fuhrleuten und WXrfelspielern hXtte ich es lernen kXnnen." Sprach Govinda: "Siddhartha macht sich einen Scherz mit mir. Wie hXttest du Versenkung, wie hXttest du Anhalten des Atems, wie hXttest du Unempfindsamkeit gegen Hunger und Schmerz dort bei jenen Elenden lernen sollen?" Und Siddhartha sagte leise, als sprXche er zu sich selber: "Was ist Versenkung? Was ist Verlassen des KXrpers? Was ist Fasten? Was ist Anhaltendes Atems? Es ist Flucht vor dem Ich, es ist ein kurzes Entrinnen aus der Qual des Ichseins, es ist eine kurze BetXubung gegen den Schmerz und die Unsinnigkeit des Lebens. Dieselbe Flucht, dieselbe kurze BetXubung findet der Ochsentreiber in der Herberge, wenn er einige Schalen Reiswein trinkt oder gegorene Kokosmilch. Dann fXhlt er sein Selbst nicht mehr, dann fXhlt er die Schmerzen des Lebens nicht mehr, dann findet er kurze BetXubung. Er findet, Xber seiner Schale mit Reiswein eingeschlummert, dasselbe, was Siddhartha und Govinda finden, wenn sie in langen Xbungen aus ihrem KXrper entweichen, im Nicht-Ich verweilen. So ist es, o Govinda." Sprach Govinda: "So sagst du, o Freund, und weiXt doch, dass Siddhartha kein Ochsentreiber ist und ein Samana kein Trunkenbold. Wohl findet der Trinker BetXubung, wohl findet er kurze Flucht und Rast, aber er kehrt zurXck aus dem Wahn und, findet alles beim alten, ist nicht weiser geworden, hat nicht Erkenntnis gesammelt, X ist nicht um Stufen hXher gestiegen." Und Siddhartha sprach mit LXcheln: "Ich weiX es nicht, ich bin nie ein Trinker gewesen. Aber dass ich, Siddhartha, in meinen Xbungen und Versenkungen nur kurze BetXubung finde und ebenso weit von der Weisheit, von der ErlXsung entfernt bin wie als Kind im Mutterleibe, das weiX ich, o Govinda, das weiX ich." Und wieder ein anderes Mal, da Siddhartha mit Govinda den Wald verlieX, um im Dorfe etwas Nahrung fXr ihre BrXder und Lehrer zu betteln, begann Siddhartha zu sprechen und sagte: "Wie nun, o Govinda, sind wir wohl auf dem rechten Wege? NXhern wir uns wohl der Erkenntnis? NXhern wir uns wohl der ErlXsung? Oder gehen wir nicht vielleicht im Kreise X wir, die wir doch dem Kreislauf zu entrinnen dachten?" Sprach Govinda: "Viel haben wir gelernt, Siddhartha, viel bleibt noch zu lernen. Wir gehen nicht im Kreise, wir gehen nach oben, der Kreis ist eine Spirale, manche Stufe sind wir schon gestiegen." Antwortete Siddhartha: "Wie alt wohl, meinst du, ist unser Xltester Samana, unser ehrwXrdiger Lehrer?" Sprach Govinda: "Vielleicht sechzig Jahre mag unser Xltester zXhlen." Und Siddhartha: "Sechzig Jahre ist er alt geworden und hat Nirwana nicht erreicht. Er wird siebzig werden und achtzig, und du und ich, wir werden ebenso alt werden und werden uns Xben, und werden fasten, und werden meditieren. Aber Nirwana werden wir nicht erreichen, er nicht, wir nicht. O Govinda, ich glaube, von allen Samanas, die es gibt, wird vielleicht nicht einer, nicht einer Nirwana erreichen. Wir finden TrXstungen, wir finden BetXubungen, wir lernen Kunstfertigkeiten, mit denen wir uns tXuschen. Das Wesentliche aber, den Weg der Wege finden wir nicht." "MXgest du doch," sprach Govinda, "nicht so erschreckende Worte aussprechen, Siddhartha! Wie sollte denn unter so vielen gelehrten MXnnern, unter so viel Brahmanen, unter so vielen strengen und ehrwXrdigen Samanas, unter so viel suchenden, so viel innig beflissenen, so viel heiligen MXnnern keiner den Weg der Wege finden?" Siddhartha aber sagte mit einer Stimme, welche so viel Trauer wie Spott enthielt, mit einer leisen, einer etwas traurigen, einer etwas spXttischen Stimme: "Bald, Govinda, wird dein Freund diesen Pfad der Samanas verlassen, den er so lang mit dir gegangen ist. Ich leide Durst, o Govinda, und auf diesem langen Samanawege ist mein Durst um nichts kleiner geworden. Immer habe ich nach Erkenntnis gedXrstet, immer bin ich voll von Fragen gewesen. Ich habe die Brahmanen befragt, Jahr um Jahr, und habe die heiligen Vedas befragt, Jahr um Jahr, und habe die frommen Samanas befragt, Jahr um Jahr. Vielleicht, o Govinda, wXre es ebenso gut, wXre es ebenso klug und ebenso heilsam gewesen, wenn ich den Nashornvogel oder den Schimpansen befragt hXtte. Lange Zeit habe ich gebraucht und bin noch nicht damit zu Ende, um dies zu lernen, o Govinda: dass man nichts lernen kann! Es gibt, so glaube ich, in der Tat jenes Ding nicht, das wir `Lernen' nennen. Es gibt, o mein Freund, nur ein Wissen, das ist Xberall, das ist Atman, das ist in mir und in dir und in jedem Wesen. Und so beginne ich zu glauben: dies Wissen hat keinen Xrgeren Feind als das Wissenwollen, als das Lernen." Da blieb Govinda auf dem Wege stehen, erhob die HXnde und sprach: "MXgest du, Siddhartha, deinen Freund doch nicht mit solchen Reden beXngstigen! Wahrlich, Angst erwecken deine Worte in meinem Herzen. Und denke doch nur: wo bliebe die Heiligkeit der Gebete, wo bliebe die EhrwXrdigkeit des Brahmanenstandes, wo die Heiligkeit der Samanas, wenn es so wXre wie du sagst, wenn es kein Lernen gXbe?! Was, o Siddhartha, was wXrde dann aus alledem werden, was auf Erden heilig, was wertvoll, was ehrwXrdig ist?!" Und Govinda murmelte einen Vers vor sich hin, einen Vers aus einer Upanishad: "Wer nachsinnend, gelXuterten Geistes, in Atman sich versenkt, Unaussprechlich durch Worte ist seines Herzens Seligkeit." Siddhartha aber schwieg. Er dachte der Worte, welche Govinda zu ihm gesagt hatte, und dachte die Worte bis an ihr Ende. Ja, dachte er, gesenkten Hauptes stehend, was bliebe noch Xbrig von allem, was uns heilig schien? Was bleibt? Was bewXhrt sich? Und er schXttelte den Kopf. Einstmals, als die beiden JXnglinge gegen drei Jahre bei den Samanas gelebt und ihre Xbungen geteilt hatten, da erreichte sie auf mancherlei Wegen und Umwegen eine Kunde, ein GerXcht, eine Sage: Einer sei erschienen, Gotama genannt, der Erhabene, der Buddha, der habe in sich das Leid der Welt Xberwunden und das Rad der Wiedergeburten zum Stehen gebracht. Lehrend ziehe er, von JXngern umgeben, durch das Land, besitzlos, heimatlos, weiblos, im gelben Mantel eines Asketen, aber mit heiterer Stirn, ein Seliger, und Brahmanen und FXrsten beugten sich vor ihm und wXrden seine SchXler. Diese Sage, dies GerXcht, dies MXrchen klang auf, duftete empor, hier und dort, in den StXdten sprachen die Brahmanen davon, im Wald die Samanas, immer wieder drang der Name Gotamas, des Buddha, zu den Ohren der JXnglinge, im Guten und im BXsen, in Lobpreisung und in SchmXhung. Wie wenn in einem Lande die Pest herrscht, und es erhebt sich die Kunde, da und dort sei ein Mann, ein Weiser, ein Kundiger, dessen Wort und Anhauch genXge, um jeden von der Seuche Befallenen zu heilen, und wie dann diese Kunde das Land durchlXuft und jedermann davon spricht, viele glauben, viele zweifeln, viele aber sich alsbald auf den Weg machen, um den Weisen, den Helfer aufzusuchen, so durchlief das Land jene Sage, jene duftende Sage von Gotama, dem Buddha, dem Weisen aus dem Geschlecht der Sakya. Ihm war, so sprachen die GlXubigen, hXchste Erkenntnis zu eigen, er erinnerte sich seiner vormaligen Leben, er hatte Nirwana erreicht und kehrte nie mehr in den Kreislauf zurXck, tauchte nie mehr in den trXben Strom der Gestaltungen unter. Vieles Herrliche und Unglaubliche wurde von ihm berichtet, er hatte Wunder getan, hatte den Teufel Xberwunden, hatte mit den GXttern gesprochen. Seine Feinde und UnglXubigen aber sagten, dieser Gotama sei ein eitler VerfXhrer, er bringe seine Tage in Wohlleben hin, verachte die Opfer, sei ohne Gelehrsamkeit und kenne weder Xbung noch Kasteiung. SX klang die Sage von Buddha, Zauber duftete aus diesen Berichten. Krank war ja die Welt, schwer zu ertragen war das Leben X und siehe, hier schien eine Quelle zu springen, hier schien ein Botenruf zu tXnen, trostvoll, mild, edler Versprechungen voll. Xberall, wohin das GerXcht vom Buddha erscholl, Xberall in den LXndern Indiens horchten die JXnglinge auf, fXhlten Sehnsucht, fXhlten Hoffnung, und unter den BrahmanensXhnen der StXdte und DXrfer war jeder Pilger und Fremdling willkommen, wenn er Kunde von ihm, dem Erhabenen, dem Sakyamuni, brachte. Auch zu den Samanas im Walde, auch zu Siddhartha, auch zu Govinda war die Sage gedrungen, langsam, in Tropfen, jeder Tropfen schwer von Hoffnung, jeder Tropfen schwer von Zweifel. Sie sprachen wenig davon, denn der Xlteste der Samanas war kein Freund dieser Sage. Er hatte vernommen, dass jener angebliche Buddha vormals Asket gewesen und im Walde gelebt, sich dann aber zu Wohlleben und Weltlust zurXckgewendet habe, und er hielt nichts von diesem Gotama. "O Siddhartha", sprach einst Govinda zu seinem Freunde. "Heute war ich im Dorf, und ein Brahmane lud mich ein, in sein Haus zu treten, und in seinem Hause war ein Brahmanensohn aus Magadha, dieser hat mit seinen eigenen Augen den Buddha gesehen und hat ihn lehren hXren. Wahrlich, da schmerzte mich der Atem in der Brust, und ich dachte bei mir: MXchte doch auch ich, mXchten doch auch wir beide, Siddhartha und ich, die Stunde erleben, da wir die Lehre aus dem Munde jenes Vollendeten vernehmen! Sprich, Freund, wollen wir nicht auch dorthin gehen und die Lehre aus dem Munde des Buddha anhXren?" Sprach Siddhartha: "Immer, o Govinda, hatte ich gedacht, Govinda wXrde bei den Samanas bleiben, immer hatte ich geglaubt, es wXre sein Ziel, sechzig und siebzig Jahre alt zu worden und immer weiter die KXnste und Xbungen zu treiben, welche den Samana zieren. Aber sieh, ich hatte Govinda zu wenig gekannt, wenig wusste ich von seinem Herzen. Nun also willst du, Teuerster, einen neuen Pfad einschlagen und dorthin gehen, wo der Buddha seine Lehre verkXndet." Sprach Govinda: "Dir beliebt es zu spotten. MXgest du immerhin spotten, Siddhartha! Ist aber nicht auch in dir ein Verlangen, eine Lust erwacht, diese Lehre zu hXren? Und hast du nicht einst zu mir gesagt, nicht lange mehr werdest du den Weg der Samanas gehen?" Da lachte Siddhartha, auf seine Weise, wobei der Ton seiner Stimme einen Schatten von Trauer und einen Schatten von Spott annahm, und sagte: "Wohl, Govinda, wohl hast du gesprochen, richtig hast du dich erinnert. MXgest du doch auch des andern dich erinnern, das du von mir gehXrt hast, dass ich nXmlich misstrauisch und mXde gegen Lehre und Lernen geworden bin, und dass mein Glaube klein ist an Worte, die von Lehrern zu uns kommen. Aber wohlan, Lieber, ich bin bereit, jene Lehre zu hXren X obschon ich im Herzen glaube, dass wir die beste Frucht jener Lehre schon gekostet haben. Sprach Govinda: "Deine Bereitschaft erfreut mein Herz. Aber sage, wie sollte das mXglich sein? Wie sollte die Lehre des Gotama, noch ehe wir sie vernommen, uns schon ihre beste Frucht erschlossen haben?" Sprach Siddhartha: "Lass diese Frucht uns genieXen und das weitere abwarten, o Govinda! Diese Frucht aber, die wir schon jetzt dem Gotama verdanken, besteht darin, dass er uns von den Samanas hinwegruft! Ob er uns noch anderes und Besseres zu geben hat, o Freund, darauf lass uns ruhigen Herzens warten." An diesem selben Tage gab Siddhartha dem Xltesten der Samanas seinen Entschluss zu wissen, dass er ihn verlassen wollte. Er gab ihn dem Xltesten zu wissen mit der HXflichkeit und Bescheidenheit, welche dem JXngeren und SchXler ziemt. Der Samana aber geriet in Zorn, dass die beiden JXnglinge ihn verlassen wollten, und redete laut und brauchte grobe Schimpfworte. Govinda erschrak und kam in Verlegenheit, Siddhartha aber neigte den Mund zu Govindas Ohr und flXsterte ihm zu: "Nun will ich dem Alten zeigen, dass ich etwas bei ihm gelernt habe." Indem er sich nahe vor dem Samana aufstellte, mit gesammelter Seele, fing er den Blick des Alten mit seinen Blicken ein, bannte ihn, machte ihn stumm, machte ihn willenlos, unterwarf ihn seinem Willen, befahl ihm, lautlos zu tun, was er von ihm verlangte. Der alte Mann wurde stumm, sein Auge wurde starr, sein Wille gelXhmt, seine Arme hingen herab, machtlos war er Siddharthas Bezauberung erlegen. Siddharthas Gedanken aber bemXchtigten sich des Samana, er musste vollfXhren, was sie befahlen. Und so verneigte sich der Alte mehrmals, vollzog segnende GebXrden, sprach stammelnd einen frommen Reisewunsch. Und die JXnglinge erwiderten dankend die Verneigungen, erwiderten den Wunsch, zogen grXend von dannen. Unterwegs sagte Govinda: "O Siddhartha, du hast bei den Samanas mehr gelernt, als ich wusste. Es ist schwer, es ist sehr schwer, einen alten Samana zu bezaubern. Wahrlich, wXrest du dort geblieben, du hXttest bald gelernt, auf dem Wasser zu gehen." "Ich begehre nicht, auf dem Wasser zu gehen", sagte Siddhartha. "MXgen alte Samanas mit solchen KXnsten sich zufrieden geben!" GOTAMA In der Stadt Savathi kannte jedes Kind den Namen des Erhabenen Buddha, und jedes Haus war gerXstet, den JXngern Gotamas, den schweigend Bittenden, die Almosenschale zu fXllen. Nahe bei der Stadt lag Gotamas liebster Aufenthalt, der Hain Jetavana, welchen der reiche Kaufherr Anathapindika, ein ergebener Verehrer des Erhabenen, ihm und den Seinen zum Geschenk gemacht hatte. Nach dieser Gegend hatten alle ErzXhlungen und Antworten hingewiesen, welche den beiden jungen Asketen auf der Suche nach Gotamas Aufenthalt zuteil wurden. Und da sie in Savathi ankamen, ward ihnen gleich im ersten Hause, vor dessen TXr sie bittend stehen blieben, Speise angeboten, und sie nahmen Speise an, und Siddhartha fragte die Frau, welche ihnen die Speise reichte: "Gerne, du MildtXtige, gerne mXchten wir erfahren, wo der Buddha weilt, der EhrwXrdigste, denn wir sind zwei Samanas aus dem Walde, und sind gekommen, um ihn, den Vollendeten, zu sehen und die Lehre aus seinem Munde zu vernehmen." Sprach die Frau: "Am richtigen Orte wahrlich seid ihr hier abgestiegen, ihr Samanas aus dem Walde. Wisset, in Jetavana, im Garten Anathapindikas, weilt der Erhabene. Dort mXget ihr, Pilger, die Nacht verbringen, denn genug Raum ist daselbst fXr die UnzXhligen, die herbeistrXmen, um aus seinem Munde die Lehre zu hXren." Da freute sich Govinda, und voll Freude rief er: "Wohl denn, so ist unser Ziel erreicht und unser Weg zu Ende! Aber sage uns, du Mutter der Pilgernden, kennst du ihn, den Buddha, hast du ihn mit deinen Augen gesehen?" Sprach die Frau: "Viele Male habe ich ihn gesehen, den Erhabenen. An vielen Tagen habe ich ihn gesehen, wie er durch die Gassen geht, schweigend, im gelben Mantel, wie er schweigend an den HaustXren seine Almosenschale darreicht, wie er die gefXllte Schale von dannen trXgt." EntzXckt lauschte Govinda und wollte noch vieles fragen und hXren. Aber Siddhartha mahnte zum Weitergehen. Sie sagten Dank und gingen und brauchten kaum nach dem Wege zu fragen, denn nicht wenige Pilger und auch MXnche aus Gotamas Gemeinschaft waren nach dem Jetavana unterwegs. Und da sie in der Nacht dort anlangten, war daselbst ein bestXndiges Ankommen, Rufen und Reden von solchen, welche Herberge heischten und bekamen. Die beiden Samanas, des Lebens im Walde gewohnt, fanden schnell und gerXuschlos einen Unterschlupf und ruhten da bis zum Morgen. Beim Aufgang der Sonne sahen sie mit Erstaunen, welch groXe Schar, GlXubige und Neugierige, hier genXchtigt hatte. In allen Wegen des herrlichen Haines wandelten MXnche im gelben Gewand, unter den BXumen saXen sie hier und dort, in Betrachtung versenkt X oder im geistlichen GesprXch, wie eine Stadt waren die schattigen GXrten zu sehen, voll von Menschen, wimmelnd wie Bienen. Die Mehrzahl der MXnche zog mit der AImosenschale aus, um in der Stadt Nahrung fXr die Mittagsmahlzeit, die einzige des Tages, zu sammeln. Auch der Buddha selbst, der Erleuchtete, pflegte am Morgen den Bettelgang zu tun. Siddhartha sah ihn, und er erkannte ihn alsbald, als hXtte ihm ein Gott ihn gezeigt. Er sah ihn, einen schlichten Mann in gelber Kutte, die Almosenschale in der Hand tragend, still dahin gehen. "Sieh hier!" sagte Siddhartha leise zu Govinda. "Dieser hier ist der Buddha." Aufmerksam blickte Govinda den MXnch in der gelben Kutte an, der sich in nichts von den Hunderten der MXnche zu unterscheiden schien. Und bald erkannte auch Govinda: Dieser ist es. Und sie folgten ihm nach und betrachteten ihn. Der Buddha ging seines Weges bescheiden und in Gedanken versunken, sein stilles Gesicht war weder frXhlich noch traurig, es schien leise nach innen zu lXcheln. Mit einem verborgenen LXcheln, still, ruhig, einem gesunden Kinde nicht unXhnlich, wandelte der Buddha, trug das Gewand und setzte den FuX gleich wie alle seine MXnche, nach genauer Vorschrift. Aber sein Gesicht und sein Schritt, sein still gesenkter Blick, seine still herabhXngende Hand, und noch jeder Finger an seiner still herabhXngenden Hand sprach Friede, sprach Vollkommenheit, suchte nicht, ahmte nicht nach, atmete sanft in einer unverwelklichen Ruhe, in einem unverwelklichen Licht, einem unantastbaren Frieden. So wandelte Gotama, der Stadt entgegen, um Almosen zu sammeln, und die beiden Samanas erkannten ihn einzig an der Vollkommenheit seiner Ruhe, an der Stille seiner Gestalt, in welcher kein Suchen, kein Wollen, kein Nachahmen, kein BemXhen zu erkennen war, nur Licht und Frieden. "Heute werden wir die Lehre aus seinem Munde vernehmen," sagte Govinda. Siddhartha gab nicht Antwort. Er war wenig neugierig auf die Lehre, er glaubte nicht, dass sie ihn Neues lehren werde, hatte er doch, ebenso wie Govinda, wieder und wieder den Inhalt dieser Buddhalehre vernommen, wenn schon aus Berichten von zweiter und dritter Hand. Aber er blickte aufmerksam auf Gotamas Haupt, auf seine Schultern, auf seine FXe, auf seine still herabhXngende Hand, und ihm schien, jedes Glied an jedem Finger dieser Hand war Lehre, sprach, atmete, duftete, glXnzte Wahrheit. Dieser Mann, dieser Buddha, war wahrhaftig bis in die GebXrde seines letzten Fingers. Dieser Mann war heilig. Nie hatte Siddhartha einen Menschen so verehrt, nie hatte er einen Menschen so geliebt wie diesen. Die beiden folgten dem Buddha bis zur Stadt und kehrten schweigend zurXck, denn sie selbst gedachten diesen Tag sich der Speise zu enthalten. Sie sahen Gotama wiederkehren, sahen ihn im Kreise seiner JXnger die Mahlzeit einnehmen X was er aX, hXtte keinen Vogel satt gemacht -- und sahen ihn sich zurXckziehen in den Schatten der MangobXume. Am Abend aber, als die Hitze sich legte und alles im Lager lebendig ward und sich versammelte, hXrten sie den Buddha lehren. Sie hXrten seine Stimme, und auch sie war vollkommen, war von vollkommener Ruhe, war voll von Frieden. Gotama lehrte die Lehre vom Leiden, von der Herkunft des Leidens, vom Weg zur Aufhebung des Leidens. Ruhig floss und klar seine stille Rede. Leiden war das Leben, voll Leid war die Welt, aber ErlXsung vom Leid war gefunden: ErlXsung fand, wer den Weg des Buddha ging. Mit sanfter, doch fester Stimme sprach der Erhabene, lehrte die vier HauptsXtze, lehrte den achtfachen Pfad, geduldig ging er den gewohnten Weg der Lehre, der Beispiele, der Wiederholungen, hell und still schwebte seine Stimme Xber den HXrenden, wie ein Licht, wie ein Sternhimmel. Als der Buddha X es war schon Nacht geworden X seine Rede schloss, traten manche Pilger hervor und baten um Aufnahme in die Gemeinschaft, nahmen ihre Zuflucht zur Lehre. Und Gotama nahm sie auf, indem er sprach: "Wohl habt ihr die Lehre vernommen, wohl ist sie verkXndigt. Tretet denn herzu und wandelt in Heiligkeit, allem Leid ein Ende zu bereiten." Siehe, da trat auch Govinda hervor, der SchXchterne, und sprach: "Auch ich nehme meine Zuflucht zum Erhabenen und zu seiner Lehre," und bat um Aufnahme in die JXngerschaft, und ward aufgenommen. Gleich darauf, da sich der Buddha zur Nachtruhe zurXckgezogen hatte, wendete sich Govinda zu Siddhartha und sprach eifrig: "Siddhartha, nicht steht es mir zu, dir einen Vorwurf zu machen. Beide haben wir den Erhabenen gehXrt, beide haben wir die Lehre vernommen. Govinda hat die Lehre gehXrt, er hat seine Zuflucht zu ihr genommen. Du aber, Verehrter, willst denn nicht auch du den Pfad der ErlXsung gehen? Willst du zXgern, willst du noch warten?" Siddhartha erwachte wie aus einem Schlafe, als er Govindas Worte vernahm. Lange blickte er in Govindas Gesicht. Dann sprach er leise, mit einer Stimme ohne Spott: "Govinda, mein Freund, nun hast du den Schritt getan, nun hast du den Weg erwXhlt. Immer, o Govinda, bist du mein Freund gewesen, immer bist du einen Schritt hinter mir gegangen. Oft habe ich gedacht: Wird Govinda nicht auch einmal einen Schritt allein tun, ohne mich, aus der eigenen Seele? Siehe, nun bist du ein Mann geworden und wXhlst selber deinen Weg. MXgest du ihn zu Ende gehen, o mein Freund! MXgest du ErlXsung finden!" Govinda, welcher noch nicht vXllig verstand, wiederholte mit einem Ton von Ungeduld seine Frage: "Sprich doch, ich bitte dich, mein Lieber! Sage mir, wie es ja nicht anders sein kann, dass auch du, mein gelehrter Freund, deine Zuflucht zum erhabenen Buddha nehmen wirst!" Siddhartha legte seine Hand auf die Schulter Govindas: "Du hast meinen Segenswunsch XberhXrt, o Govinda. Ich wiederhole ihn: MXgest du diesen Weg zu Ende gehen! MXgest du ErlXsung finden!" In diesem Augenblick erkannte Govinda, dass sein Freund ihn verlassen habe, und er begann zu weinen. "Siddhartha!" rief er klagend. Siddhartha sprach freundlich zu ihm: "Vergiss nicht, Govinda, dass du nun zu den Samanas des Buddha gehXrst! Abgesagt hast du Heimat und Eltern, abgesagt Herkunft und Eigentum, abgesagt deinem eigenen Willen, abgesagt der Freundschaft. So will es die Lehre, so will es der Erhabene. So hast du selbst es gewollt. Morgen, o Govinda, werde ich dich verlassen." Lange noch wandelten die Freunde im GehXlz, lange lagen sie und fanden nicht den Schlaf. Und immer von neuem drang Govinda in seinen Freund, er mXge ihm sagen, warum er nicht seine Zuflucht zu Gotamas Lehre nehmen wolle, welchen Fehler denn er in dieser Lehre finde. Siddhartha aber wies ihn jedesmal zurXck und sagte: "Gib dich zufrieden, Govinda! Sehr gut ist des Erhabenen Lehre, wie sollte ich einen Fehler an ihr finden?" Am frXhesten Morgen ging ein Nachfolger Buddhas, einer seiner Xltesten MXnche, durch den Garten und rief alle jene zu sich, welche als Neulinge ihre Zuflucht zur Lehre genommen hatten, um ihnen das gelbe Gewand anzulegen und sie in den ersten Lehren und Pflichten ihres Standes zu unterweisen. Da riss Govinda sich los, umarmte noch einmal den Freund seiner Jugend und schloss sich dem Zuge der Novizen an. Siddhartha aber wandelte in Gedanken durch den Hain. Da begegnete ihm Gotama, der Erhabene, und als er ihn mit Ehrfurcht begrXte und der Blick des Buddha so voll GXte und Stille war, fasste der JXngling Mut und bat den EhrwXrdigen um Erlaubnis, zu ihm zu sprechen. Schweigend nickte der Erhabene GewXhrung. Sprach Siddhartha: "Gestern, o Erhabener, war es mir vergXnnt, deine wundersame Lehre zu hXren. Zusammen mit meinem Freunde kam ich aus der Ferne her, um die Lehre zu hXren. Und nun wird mein Freund bei den Deinen bleiben, zu dir hat er seine Zuflucht genommen. Ich aber trete meine Pilgerschaft aufs neue an." "Wie es dir beliebt", sprach der EhrwXrdige hXflich. "Allzu kXhn ist meine Rede," fuhr Siddhartha fort, "aber ich mXchte den Erhabenen nicht verlassen, ohne ihm meine Gedanken in Aufrichtigkeit mitgeteilt zu haben. Will mir der EhrwXrdige noch einen Augenblick GehXr schenken?" Schweigend nickte der Buddha GewXhrung. Sprach Siddhartha: "Eines, o EhrwXrdigster, habe ich an deiner Lehre vor allem bewundert. Alles in deiner Lehre ist vollkommen klar, ist bewiesen; als eine vollkommene, als eine nie und nirgends unterbrochene Kette zeigst du die Welt als eine ewige Kette, gefXgt aus Ursachen und Wirkungen. Niemals ist dies so klar gesehen, nie so unwiderleglich dargestellt worden; hXher wahrlich muss jedem Brahmanen das Herz im Leibe schlagen, wenn er, durch deine Lehre hindurch, die Welt erblickt als vollkommenen Zusammenhang, lXckenlos, klar wie ein Kristall, nicht vom Zufall abhXngig, nicht von GXttern abhXngig. Ob sie gut oder bXse, ob das Leben in ihr Leid oder Freude sei, mXge dahingestellt bleiben, es mag vielleicht sein, dass dies nicht wesentlich ist X aber die Einheit der Welt, der Zusammenhang alles Geschehens, das Umschlossensein alles GroXen und Kleinen vom selben Strome, vom selben Gesetz der Ursachen, des Werdens und des Sterbens, dies leuchtet hell aus deiner erhabenen Lehre, o Vollendeter. Nun aber ist, deiner selben Lehre nach, diese Einheit und Folgerichtigkeit aller Dinge dennoch an einer Stelle unterbrochen, durch eine kleine LXcke strXmt in diese Welt der Einheit etwas Fremdes, etwas Neues, etwas, das vorher nicht war, und das nicht gezeigt und nicht bewiesen werden kann: das ist deine Lehre von der Xberwindung der Welt, von der ErlXsung. Mit dieser kleinen LXcke, mit dieser kleinen Durchbrechung aber ist das ganze ewige und einheitliche Weltgesetz wieder zerbrochen und aufgehoben. MXgest du mir verzeihen, wenn ich diesen Einwand ausspreche." Still hatte Gotama ihm zugehXrt, unbewegt. Mit seiner gXtigen, mit seiner hXflichen und klaren Stimme sprach er nun, der Vollendete: "Du hast die Lehre gehXrt, o Brahmanensohn, und wohl dir, dass du Xber sie so tief nachgedacht hast. Du hast eine LXcke in ihr gefunden, einen Fehler. MXgest du weiter darXber nachdenken. Lass dich aber warnen, du Wissbegieriger, vor dem Dickicht der Meinungen und vor dem Streit um Worte. Es ist an Meinungen nichts gelegen, sie mXgen schXn oder hXlich, klug oder tXricht sein, jeder kann ihnen anhXngen oder sie verwerfen. Die Lehre aber, die du von mir gehXrt hast, ist nicht eine Meinung, und ihr Ziel ist nicht, die Welt fXr Wissbegierige zu erklXren. Ihr Ziel ist ein anderes; ihr Ziel ist ErlXsung vom Leiden. Diese ist es, welche Gotama lehrt, nichts anderes." "MXgest du mir, o Erhabener, nicht zXrnen", sagte der JXngling. "Nicht um Streit mit dir zu suchen, Streit um Worte, habe ich so zu dir gesprochen. Du hast wahrlich recht, wenig ist an Meinungen gelegen. Aber lass mich dies eine noch sagen: Nicht einen Augenblick habe ich an dir gezweifelt. Ich habe nicht einen Augenblick gezweifelt, dass du Buddha bist, dass du das Ziel erreicht hast, das hXchste, nach welchem so viel tausend Brahmanen und BrahmanensXhne unterwegs sind. Du hast die ErlXsung,vom Tode gefunden. Sie ist dir geworden aus deinem eigenen Suchen, auf deinem eigenen Wege, durch Gedanken, durch Versenkung, durch Erkenntnis, durch Erleuchtung. Nicht ist sie dir geworden durch Lehre! Und X so ist mein Gedanke, o Erhabener X keinem wird ErlXsung zu teil durch Lehre! Keinem, o EhrwXrdiger, wirst du in Worten und durch Lehre mitteilen und sagen kXnnen, was dir geschehen ist in der Stunde deiner Erleuchtung! Vieles enthXlt die Lehre des erleuchteten Buddha, viele lehrt sie, rechtschaffen zu leben, BXses zu meiden. Eines aber enthXlt die so klare, die so ehrwXrdige Lehre nicht: sie enthXlt nicht das Geheimnis dessen, was der Erhabene selbst erlebt hat, er allein unter den Hunderttausenden. Dies ist es, was ich gedacht und erkannt habe, als ich die Lehre hXrte. Dies ist es, weswegen ich meine Wanderschaft fortsetze X nicht um eine andere, eine bessere Lehre zu suchen, denn ich weiX, es gibt keine, sondern um alle Lehren und alle Lehrer zu verlassen und allein mein Ziel zu erreichen oder zu sterben. Oftmals aber werde ich dieses Tages denken, o Erhabener, und dieser Stunde, da meine Augen einen Heiligen sahen." Die Augen des Buddha blickten still zu Boden, still in vollkommenem Gleichmut strahlte sein unerforschliches Gesicht. "MXgen deine Gedanken," sprach der EhrwXrdige langsam, "keine IrrtXmer sein! MXgest du ans Ziel kommen! Aber sage mir: Hast du die Schar meiner Samanas gesehen, meiner vielen BrXder, welche ihre Zuflucht zur Lehre genommen haben? Und glaubst du, fremder Samana, glaubst du, dass es diesen allen besser wXre, die Lehre zu verlassen und in das Leben der Welt und der LXste zurXckzukehren?" "Fern ist ein solcher Gedanke von mir", rief Siddhartha. "MXgen sie alle bei der Lehre bleiben, mXgen sie ihr Ziel erreichen! Nicht steht mir zu, Xber eines andern Leben zu urteilen. Einzig fXr mich, fXr mich allein muss ich urteilen, muss ich wXhlen, muss ich ablehnen. ErlXsung vom Ich suchen wir Samanas, o Erhabener. WXre ich nun einer deiner JXnger, o EhrwXrdiger, so fXrchte ich, es mXchte mir geschehen, dass nur scheinbar, nur trXgerisch mein Ich zur Ruhe kXme und erlXst wXrde, dass es aber in Wahrheit weiterlebte und groX wXrde, denn ich hXtte dann die Lehre, hXtte meine Nachfolge, hXtte meine Liebe zu dir, hXtte die Gemeinschaft der MXnche zu meinem Ich gemacht!" Mit halbem LXcheln, mit einer unerschXtterten Helle und Freundlichkeit sah Gotama dem Fremdling ins Auge und verabschiedete ihn mit einer kaum sichtbaren GebXrde. "Klug bist du, o Samana", sprach der EhrwXrdige. "Klug weiXt du zu reden, mein Freund. HXte dich vor allzu groXer Klugheit!" Hinweg wandelte der Buddha, und sein Blick und halbes LXcheln blieb fXr immer in Siddharthas GedXchtnis eingegraben. So habe ich noch keinen Menschen blicken und lXcheln, sitzen und schreiten sehen, dachte er, so wahrlich wXnsche auch ich blicken und lXcheln, sitzen und schreiten zu kXnnen, so frei, so ehrwXrdig, so verborgen, so offen, so kindlich und geheimnisvoll. So wahrlich blickt und schreitet nur der Mensch, der ins Innerste seines Selbst gedrungen ist. Wohl, auch ich werde ins Innerste meines Selbst zu dringen suchen. Einen Menschen sah ich, dachte Siddhartha, einen einzigen, vor dem ich meine Augen niederschlagen musste. Vor keinem andern mehr will ich meine Augen niederschlagen, vor keinem mehr. Keine Lehre mehr wird mich verlocken, da dieses Menschen Lehre mich nicht verlockt hat. Beraubt hat mich der Buddha, dachte Siddhartha, beraubt hat er mich, und mehr noch hat er mich beschenkt. Beraubt hat er mich meines Freundes, dessen, der an mich glaubte und der nun an ihn glaubt, der mein Schatten war und nun Gotamas Schatten ist. Geschenkt aber hat er mir Siddhartha, mich selbst. ERWACHEN Als Siddhartha den Hain verlieX, in welchem der Buddha, der Vollendete, zurXckblieb, in welchem Govinda zurXckblieb, da fXhlte er, dass in diesem Hain auch sein bisheriges Leben hinter ihm zurXckblieb und sich von ihm trennte. Dieser Empfindung, die ihn ganz erfXllte, sann er im langsamen Dahingehen nach. Tief sann er nach, wie durch ein tiefes Wasser lieX er sich bis auf den Boden dieser Empfindung hinab, bis dahin, wo die Ursachen ruhen, denn Ursachen erkennen, so schien ihm, das eben ist Denken, und dadurch allein werden Empfindungen zu Erkenntnissen und gehen nicht verloren, sondern werden wesenhaft und beginnen auszustrahlen, was in ihnen ist. Im langsamen Dahingehen dachte Siddhartha nach. Er stellte fest, dass er kein JXngling mehr, sondern ein Mann geworden sei. Er stellte fest, dass eines ihn verlassen hatte, wie die Schlange von ihrer alten Haut verlassen wird, dass eines nicht mehr in ihm vorhanden war, das durch seine ganze Jugend ihn begleitet und zu ihm gehXrt hatte: der Wunsch, Lehrer zu haben und Lehren zu hXren. Den letzten Lehrer, der an seinem Wege ihm erschienen war, auch ihn, den hXchsten und weisesten Lehrer, den Heiligsten, Buddha, hatte er verlassen, hatte sich von ihm trennen mXssen, hatte seine Lehre nicht annehmen kXnnen. Langsamer ging der Denkende dahin und fragte sich selbst: "Was nun ist es aber, das du aus Lehren und von Lehrern hattest lernen wollen, und was sie, die dich viel gelehrt haben, dich doch nicht lehren konnten?" Und er fand: "Das Ich war es, dessen Sinn und Wesen ich lernen wollte. Das Ich war es, von dem ich loskommen, das ich Xberwinden wollte. Ich konnte es aber nicht Xberwinden, konnte es nur tXuschen, konnte nur vor ihm fliehen, mich nur vor ihm verstecken. Wahrlich, kein Ding in der Welt hat so viel meine Gedanken beschXftigt wie dieses mein Ich, dies RXtsel, dass ich lebe, dass ich einer und von allen andern getrennt und abgesondert bin, dass ich Siddhartha bin! Und Xber kein Ding in der Welt weiX ich weniger als Xber mich, Xber Siddhartha!" Der im langsamen Dahingehen Denkende blieb stehen, von diesem Gedanken erfasst, und alsbald sprang aus diesem Gedanken ein anderer hervor, ein neuer Gedanke, der lautete: "Dass ich nichts von mir weiX, dass Siddhartha mir so fremd und unbekannt geblieben ist, das kommt aus einer Ursache, einer einzigen: Ich hatte Angst vor mir, ich war auf der Flucht vor mir! Atman suchte ich, Brahman suchte ich, ich war gewillt, mein Ich zu zerstXcken und auseinander zu schXlen, um in seinem unbekannten Innersten den Kern aller Schalen zu finden, den Atman, das Leben, das GXttliche, das Letzte. Ich selbst aber ging mir dabei verloren." Siddhartha schlug die Augen auf und sah um sich, ein LXcheln erfXllte sein Gesicht, und ein tiefes GefXhl von Erwachen aus langen TrXumen durchstrXmte ihn bis in die Zehen. Und alsbald lief er wieder, lief rasch, wie ein Mann, welcher weiX, was er zu tun hat. "Oh", dachte er aufatmend mit tiefem Atemzug, "nun will ich mir den Siddhartha nicht mehr entschlXpfen lassen! Nicht mehr will ich mein Denken und mein Leben beginnen mit Atman und mit dem Leid der Welt. Ich will mich nicht mehr tXten und zerstXcken, um hinter den TrXmmern ein Geheimnis zu finden. Nicht Yoga-Veda mehr soll mich lehren, noch Atharva-Veda, noch die Asketen, noch irgendwelche Lehre. Bei mir selbst will ich lernen, will ich SchXler sein, will ich mich kennen lernen, das Geheimnis Siddhartha." Er blickte um sich, als sXhe er zum ersten Male die Welt. SchXn war die Welt, bunt war die Welt, seltsam und rXtselhaft war die Welt! Hier war Blau, hier war Gelb, hier war GrXn, Himmel floss und Fluss, Wald starrte und Gebirg, alles schXn, alles rXtselvoll und magisch, und inmitten er, Siddhartha, der Erwachende, auf dem Wege zu sich selbst. All dieses, all dies Gelb und Blau, Fluss und Wald, ging zum erstenmal durchs Auge in Siddhartha ein, war nicht mehr Zauber Maras, war nicht mehr der Schleier der Maya, war nicht mehr sinnlose und zufXllige Vielfalt der Erscheinungswelt, verXchtlich dem tief denkenden Brahmanen, der die Vielfalt verschmXht, der die Einheit sucht. Blau war Blau, Fluss war Fluss, und wenn auch im Blau und Fluss in Siddhartha das Eine und GXttliche verborgen lebte, so war es doch eben des GXttlichen Art und Sinn, hier Gelb, hier Blau, dort Himmel, dort Wald und hier Siddhartha zu sein. Sinn und Wesen war nicht irgendwo hinter den Dingen, sie waren in ihnen, in allem. "Wie bin ich taub und stumpf gewesen!" dachte der rasch dahin Wandelnde. "Wenn einer eine Schrift liest, deren Sinn er suchen will, so verachtet er nicht die Zeichen und Buchstaben und nennt sie TXuschung, Zufall und wertlose Schale, sondern er liest sie, er studiert und liebt sie, Buchstabe um Buchstabe. Ich aber, der ich das Buch der Welt und das Buch meines eigenen Wesens lesen wollte, ich habe, einem im voraus vermuteten Sinn zuliebe, die Zeichen und Buchstaben verachtet, ich nannte die Welt der Erscheinungen TXuschung, nannte mein Auge und meine Zunge zufXllige und wertlose Erscheinungen. Nein, dies ist vorXber, ich bin erwacht, ich bin in der Tat erwacht und heute erst geboren." Indem Siddhartha diesen Gedanken dachte, blieb er abermals stehen, plXtzlich, als lXge eine Schlange vor ihm auf dem Weg. Denn plXtzlich war auch dies ihm klar geworden: Er, der in der Tat wie ein Erwachter oder Neugeborener war, er musste sein Leben neu und vXllig von vorn beginnen. Als er an diesem selben Morgen den Hain Jetavana, den Hain jenes Erhabenen, verlassen hatte, schon erwachend, schon auf dem Wege zu sich selbst, da war es seine Absicht gewesen und war ihm natXrlich und selbstverstXndlich erschienen, dass er, nach den Jahren seines Asketentums, in seine Heimat und zu seinem Vater zurXckkehre. Jetzt aber, erst in diesem Augenblick, da er stehen blieb, als lXge eine Schlange auf seinem Wege, erwachte er auch zu dieser Einsicht: "Ich bin ja nicht mehr, der ich war, ich bin nicht mehr Asket, ich bin nicht mehr Priester, ich bin nicht mehr Brahmane. Was denn soll ich zu Hause und bei meinem Vater tun? Studieren? Opfern? Die Versenkung pflegen? Dies alles ist ja vorXber, dies alles liegt nicht mehr an meinem Wege." Regungslos blieb Siddhartha stehen, und einen Augenblick und Atemzug lang fror sein Herz, er fXhlte es in der Brust innen frieren wie ein kleines Tier, einen Vogel oder einen Hasen, als er sah, wie allein er sei. Jahrelang war er heimatlos gewesen und hatte es nicht gefXhlt. Nun fXhlte er es. Immer noch, auch in der fernsten Versenkung, war er seines Vaters Sohn gewesen, war Brahmane gewesen, hohen Standes, ein Geistiger. Jetzt war er nur noch Siddhartha, der Erwachte, sonst nichts mehr. Tief sog er den Atem ein, und einen Augenblick fror er und schauderte. Niemand war so allein wie er. Kein Adliger, der nicht zu den Adligen, kein Handwerker, der nicht zu den Handwerkern gehXrte und Zuflucht bei ihnen fand, ihr Leben teilte, ihre Sprache sprach. Kein Brahmane, der nicht zu den Brahmanen zXhlte und mit ihnen lebte, kein Asket, der nicht im Stande der Samanas seine Zuflucht fand, und auch der verlorenste Einsiedler im Walde war nicht einer und allein, auch ihn umgab ZugehXrigkeit, auch er gehXrte einem Stande an, der ihm Heimat war. Govinda war MXnch geworden, und tausend MXnche waren seine BrXder, trugen sein Kleid, glaubten seinen Glauben, sprachen seine Sprache. Er aber, Siddhartha, wo war er zugehXrig? Wessen Leben wXrde er teilen? Wessen Sprache wXrde er sprechen? Aus diesem Augenblick, wo die Welt rings von ihm wegschmolz, wo er allein stand wie ein Stern am Himmel, aus diesem Augenblick einer KXlte und Verzagtheit tauchte Siddhartha empor, mehr Ich als zuvor, fester geballt. Er fXhlte: Dies war der letzte Schauder des Erwachens gewesen, der letzte Krampf der Geburt. Und alsbald schritt er wieder aus, begann rasch und ungeduldig zu gehen, nicht mehr nach Hause, nicht mehr zum Vater, nicht mehr zurXck. ZWEITER TEILXWilhelm Gundert meinem Vetter in Japan gewidmet KAMALA Siddhartha lernte Neues auf jedem Schritt seines Weges, denn die Welt war verwandelt, und sein Herz war bezaubert. Er sah die Sonne Xberm Waldgebirge aufgehen und Xberm fernen Palmenstrande untergehen. Er sah nachts am Himmel die Sterne geordnet, und den Sichelmond wie ein Boot im Blauen schwimmend. Er sah BXume, Sterne, Tiere, Wolken, Regenbogen, Felsen, KrXuter, Blumen, Bach und Fluss, Taublitz im morgendIichen GestrXuch, ferne hohe Berge blau und bleich, VXgel sangen und Bienen, Wind wehte silbern im Reisfelde. Dies alles, tausendfalt und bunt, war immer dagewesen, immer hatten Sonne und Mond geschienen, immer FlXsse gerauscht und Bienen gesummt, aber es war in den frXheren Zeiten fXr Siddhartha dies alles nichts gewesen als ein flXchtiger und trXgerischer Schleier vor seinem Auge, mit Misstrauen betrachtet, dazu bestimmt, vom Gedanken durchdrungen und vernichtet zu werden, da es nicht Wesen war, da das Wesen jenseits der Sichtbarkeit lag. Nun aber weilte sein befreites Auge diesseits, es sah und erkannte die Sichtbarkeit, suchte Heimat in dieser Welt, suchte nicht das Wesen, zielte in kein Jenseits. SchXn war die Welt, wenn man sie so betrachtete, so ohne Suchen, so einfach, so kinderhaft. SchXn war Mond und Gestirn, schXn war Bach und Ufer, Wald und Fels, Ziege und GoldkXfer, Blume und Schmetterling. SchXn und lieblich war es, so durch die Welt zu gehen, so kindlich, so erwacht, so dem Nahen aufgetan, so ohne Misstrauen. Anders brannte die Sonne aufs Haupt, anders kXhlte der Waldschatten, anders schmeckte Bach und Zisterne, anders KXrbis und Banane. Kurz waren die Tage, kurz die NXchte, jede Stunde floh schnell hinweg wie ein Segel auf dem Meere, unterm Segel ein Schiff voll von SchXtzen, voll von Freuden. Siddhartha sah ein Affenvolk im hohen WaldgewXlbe wandern, hoch im GeXst, und hXrte seinen wilden, gierigen Gesang. Siddhartha sah einen Schafbock ein Schaf verfolgen und begatten. Er sah in einem Schilfsee den Hecht im Abendhunger jagen, vor ihm her schnellten angstvoll, flatternd und blitzend die jungen Fische in Scharen aus dem Wasser, Kraft und Leidenschaft duftete dringlich aus den hastigen Wasserwirbeln, die der ungestXm Jagende zog. All dieses war immer gewesen, und er hatte es nicht gesehen; er war nicht dabei gewesen. Jetzt war er dabei, er gehXrte dazu. Durch sein Auge lief Licht und Schatten, durch sein Herz lief Stern und Mond. Siddhartha erinnerte sich unterwegs auch alles dessen, was er im Garten Jetavana erlebt hatte, der Lehre, die er dort gehXrt, des gXttlichen Buddha, des Abschiedes von Govinda, des GesprXches mit dem Erhabenen. Seiner eigenen Worte, die er zum Erhabenen gesprochen hatte, erinnerte er sich wieder, jedes Wortes, und mit Erstaunen wurde er dessen inne, dass er da Dinge gesagt hatte, die er damals noch gar nicht eigentlich wusste. Was er zu Gotama gesagt hatte: sein, des Buddha, Schatz und Geheimnis sei nicht die Lehre, sondern das Unaussprechliche und nicht Lehrbare, das er einst zur Stunde seiner Erleuchtung erlebt habe X dies war es ja eben, was zu erleben er jetzt auszog, was zu erleben er jetzt begann. Sich selbst musste er jetzt erleben. Wohl hatte er schon lange gewusst, dass sein Selbst Atman sei, vom selben ewigen Wesen wie Brahman. Aber nie hatte er dies Selbst wirklich gefunden, weil er es mit dem Netz des Gedankens hatte fangen wollen. War auch gewiss der KXrper nicht das Selbst, und nicht das Spiel der Sinne, so war es doch auch das Denken nicht, nicht der Verstand, nicht die erlernte Weisheit, nicht die erlernte Kunst, SchlXsse zu ziehen und aus schon Gedachtem neue Gedanken zu spinnen. Nein, auch diese Gedankenwelt war noch diesseits, und es fXhrte zu keinem Ziele, wenn man das zufXllige Ich der Sinne tXtete, dafXr aber das zufXllige Ich der Gedanken und Gelehrsamkeiten mXstete. Beide, die Gedanken wie die Sinne, waren hXbsche Dinge, hinter beiden lag der letzte Sinn verborgen, beide galt es zu hXren, mit beiden zu spielen, beide weder zu verachten noch zu XberschXtzen, aus beiden die geheimen Stimmen des Innersten zu erlauschen. Nach nichts wollte er trachten, als wonach die Stimme ihm zu trachten befXhle, bei nichts verweilen, als wo die Stimme es riete. Warum war Gotama einst, in der Stunde der Stunden, unter dem Bo-Baume niedergesessen, wo die Erleuchtung ihn traf? Er hatte eine Stimme gehXrt, eine Stimme im eigenen Herzen, die ihm befahl, unter diesem Baume Rast zu suchen, und er hatte nicht Kasteiung, Opfer, Bad oder Gebet, nicht Essen noch Trinken, nicht Schlaf noch Traum vorgezogen, er hatte der Stimme gehorcht. So zu gehorchen, nicht XuXerm Befehl, nur der Stimme, so bereit zu sein, das war gut, das war notwendig, nichts anderes war notwendig. In der Nacht, da er in der strohernen HXtte eines FXhrmanns am Flusse schlief, hatte Siddhartha einen Traum: Govinda stand vor ihm, in einem gelben Asketengewand. Traurig sah Govinda aus, traurig fragte er: Warum hast du mich verlassen? Da umarmte er Govinda, schlang seine Arme um ihn, und indem er ihn an seine Brust zog und kXsste, war es nicht Govinda mehr, sondern ein Weib, und aus des Weibes Gewand quoll eine volle Brust, an der lag Siddhartha und trank, sX und stark schmeckte die Milch dieser Brust. Sie schmeckte nach Weib und Mann, nach Sonne und Wald, nach Tier und Blume, nach jeder Frucht, nach jeder Lust. Sie machte trunken und bewusstlos. X Als Siddhartha erwachte, schimmerte der bleiche Fluss durch die TXr der HXtte, und im Walde klang tief und wohllaut ein dunkler Eulenruf. Als der Tag begann, bat Siddhartha seinen Gastgeber, den FXhrmann, ihn Xber den Fluss zu setzen. Der FXhrmann setzte ihn auf seinem Bambusfloss Xber den Fluss, rXtlich schimmerte im Morgenschein das breite Wasser. "Das ist ein schXner Fluss," sagte er zu seinem Begleiter. "Ja," sagte der FXhrmann, "ein sehr schXner Fluss, ich liebe ihn Xber alles. Oft habe ich ihm zugehXrt, oft in seine Augen gesehen, und immer habe ich von ihm gelernt. Man kann viel von einem Flusse lernen." "Ich danke dir, mein WohltXter," sprach Siddhartha, da er ans andere Ufer stieg. "Kein Gastgeschenk habe ich dir zu geben, Lieber, und keinen Lohn zu geben. Ein Heimatloser bin ich, ein Brahmanensohn und Samana." "Ich sah es wohl," sprach der FXhrmann, "und ich habe keinen Lohn vor dir erwartet, und kein Gastgeschenk. Du wirst mir das Geschenk ein anderes Mal geben." "Glaubst du?" sagte Siddhartha lustig. "Gewiss. Auch das habe ich vom Flusse gelernt: alles kommt wieder! Auch du, Samana, wirst wieder kommen. Nun lebe wohl! MXge deine Freundschaft mein Lohn sein. MXgest du meiner gedenken, wenn du den GXttern opferst." LXchelnd schieden sie voneinander. LXchelnd freute sich Siddhartha Xber die Freundschaft und Freundlichkeit des FXhrmanns. "Wie Govinda ist er," dachte er lXchelnd, "alle, die ich auf meinem Wege antreffe, sind wie Govinda. Alle sind dankbar, obwohl sie selbst Anspruch auf Dank hXtten. Alle sind unterwXrfig, alle mXgen gern Freund sein, gern gehorchen, wenig denken. Kinder sind die Menschen." Um die Mittagszeit kam er durch ein Dorf. Vor den LehmhXtten wXlzten sich Kinder auf der Gasse, spielten mit KXrbiskernen und Muscheln, schrien und balgten sich, flohen aber alle scheu vor dem fremden Samana. Am Ende des Dorfes fXhrte der Weg durch einen Bach, und am Rande des Baches kniete ein junges Weib und wusch Kleider. Als Siddhartha sie grXte, hob sie den Kopf, und blickte mit LXcheln zu ihm auf, dass er das WeiXe in ihrem Auge blitzen sah. Er rief einen Segensspruch hinXber, wie er unter Reisenden Xblich ist, und fragte, wie weit der Weg bis zur groXen Stadt noch sei. Da stand sie auf und trat zu ihm her, schXn schimmerte ihr feuchter Mund im jungen Gesicht. Sie tauschte Scherzreden mit ihm, fragte, ob er schon gegessen habe, und ob es wahr sei, dass die Samanas nachts allein im Walde schliefen und keine Frauen bei sich haben dXrfen. Dabei setzte sie ihren linken FuX auf seinen rechten und machte eine Bewegung, wie die Frau sie macht, wenn sie den Mann zu jener Art des Liebesgenusses auffordert, welchen die LehrbXcher "das Baumbesteigen" nennen. Siddhartha fXhlte sein Blut erwarmen, und da sein Traum ihm in diesem Augenblick wieder einfiel, bXckte er sich ein wenig zu dem Weibe herab und kXsste mit den Lippen die braune Spitze ihrer Brust. Aufschauend sah er ihr Gesicht voll Verlangen lXcheln und die verkleinerten Augen in Sehnsucht flehen. Auch Siddhartha fXhlte Sehnsucht und den Quell des Geschlechts sich bewegen; da er aber noch nie ein Weib berXhrt hatte, zXgerte er einen Augenblick, wXhrend seine HXnde schon bereit waren, nach ihr zu greifen. Und in diesem Augenblick hXrte er, erschauernd, die Stimme seines Innern, und die Stimme sagte Nein. Da wich vom lXchelnden Gesicht der jungen Frau aller Zauber, er sah nichts mehr als den feuchten Blick eines brXnstigen Tierweibchens. Freundlich streichelte er ihre Wange, wandte sich von ihr und verschwand vor der EnttXuschten leichtfXig in das BambusgehXlze. An diesem Tage erreichte er vor Abend eine groXe Stadt, und freute sich, denn er begehrte nach Menschen. Lange hatte er in den WXldern gelebt, und die stroherne HXtte des FXhrmanns, in welcher er diese Nacht geschlafen hatte, war seit langer Zeit das erste Dach, das er Xber sich gehabt hatte. Vor der Stadt, bei einem schXnen umzXunten Haine, begegnete dem Wandernden ein kleiner Tross von Dienern und Dienerinnen, mit KXrben beladen. Inmitten in einer geschmXckten SXnfte, von Vieren getragen, saX auf roten Kissen unter einem bunten Sonnendach eine Frau, die Herrin. Siddhartha blieb beim Eingang des Lusthaines stehen und sah dem Aufzuge zu, sah die Diener, die MXgde, die KXrbe, sah die SXnfte, und sah in der SXnfte die Dame. Unter hochgetXrmten schwarzen Haaren sah er ein sehr helles, sehr zartes, sehr kluges Gesicht, hellroten Mund wie eine frisch aufgebrochene Feige, Augenbrauen gepflegt und gemalt in hohen Bogen, dunkle Augen klug und wachsam, lichten hohen Hals aus grXn und goldenem Oberkleide steigend, ruhende helle HXnde lang und schmal mit breiten Goldreifen Xber den Gelenken. Siddhartha sah, wie schXn sie war, und sein Herz lachte. Tief verneigte er sich, als die SXnfte nahe kam, und sich wieder aufrichtend blickte er in das helle holde Gesicht, las einen Augenblick in den klugen hochXberwXlbten Augen, atmete einen Hauch von Duft, den er nicht kannte. LXchelnd nickte die schXne Frau, einen Augenblick, und verschwand im Hain, und hinter ihr die Diener. So betrete ich diese Stadt, dachte Siddhartha, unter einem holden Zeichen. Es zog ihn, sogleich in den Hain zu treten, doch bedachte er sich, und nun erst ward ihm bewusst, wie ihn die Diener und MXgde am Eingang betrachtet hatten, wie verXchtlich, wie misstrauisch, wie abweisend. Noch bin ich ein Samana, dachte er, noch immer, ein Asket und Bettler. Nicht so werde ich bleiben dXrfen, nicht so in den Hain treten. Und er lachte. Den nXchsten Menschen, der des Weges kam, fragte er nach dem Hain und nach dem Namen dieser Frau, und erfuhr, dass dies der Hain der Kamala war, der berXhmten Kurtisane, und dass sie auXer dem Haine ein Haus in der Stadt besaX. Dann betrat er die Stadt. Er hatte nun ein Ziel. Sein Ziel verfolgend, lieX er sich von der Stadt einschlXrfen, trieb im Strom der Gassen, stand auf PlXtzen still, ruhte auf Steintreppen am Flusse aus. Gegen den Abend befreundete er sich mit einem Barbiergehilfen, den er im Schatten eines GewXlbes hatte arbeiten sehen, den er betend in einem Tempel Vishnus wiederfand, dem er von den Geschichten Vishnu's und der Lakschmi erzXhlte. Bei den Booten am Flusse schlief er die Nacht, und frXh am Morgen, ehe die ersten Kunden in seinen Laden kamen, lieX er sich von dem Barbiergehilfen den Bart rasieren und das Haar beschneiden, das Haar kXmmen und mit feinem le salben. Dann ging er im Flusse baden. Als am SpXtnachmittag die schXne Kamala in der SXnfte sich ihrem Haine nXherte, stand am Eingang Siddhartha, verbeugte sich und empfing den GruX der Kurtisane. Demjenigen Diener aber, der zuletzt im Zuge ging, winkte er und bat ihn, der Herrin zu melden, dass ein junger Brahmane mit ihr zu sprechen begehre. Nach einer Weile kam der Diener zurXck, forderte den Wartenden auf, ihm zu folgen, fXhrte den ihm Folgenden schweigend in einen Pavillon, wo Kamala auf einem Ruhebette lag, und lieX ihn bei ihr allein. "Bist du nicht gestern schon da drauXen gestanden und hast mich begrXt?" fragte Kamala. "Wohl habe ich gestern schon dich gesehen und begrXt." "Aber trugst du nicht gestern einen Bart, und lange Haare, und Staub in den Haaren?" "Wohl hast du beobachtet, alles hast du gesehen. Du hast Siddhartha gesehen, den Brahmanensohn, welcher seine Heimat verlassen hat, um ein Samana zu werden, und drei Jahre lang ein Samana gewesen ist. Nun aber habe ich jenen Pfad verlassen, und kam in diese Stadt, und die erste, die mir noch vor dem Betreten der Stadt begegnete, warst du. Dies zu sagen, bin ich zu dir gekommen, o Kamala! Du bist die erste Frau, zu welcher Siddhartha anders als mit niedergeschlagenen Augen redet. Nie mehr will ich meine Augen niederschlagen, wenn eine schXne Frau mir begegnet." Kamala lXchelte und spielte mit ihrem FXcher aus Pfauenfedern. Und fragte: "Und nur um mir dies zu sagen, ist Siddhartha zu mir gekommen?" "Um dir dies zu sagen, und um dir zu danken, dass du so schXn bist. Und wenn es dir nicht missfXllt, Kamala, mXchte ich dich bitten, meine Freundin und Lehrerin zu sein, denn ich weiX noch nichts von der Kunst, in welcher du Meisterin bist." Da lachte Kamala laut. "Nie ist mir das geschehen, Freund, dass ein Samana aus dem Walde zu mir kam und von mir lernen wollte! Nie ist mir das geschehen, dass ein Samana mit langen Haaren und in einem alten zerrissenen Schamtuche zu mir kam! Viele JXnglinge kommen zu mir, und auch BrahmanensXhne sind darunter, aber sie kommen in schXnen Kleidern, sie kommen in feinen Schuhen, sie haben Wohlgeruch im Haar und Geld in den Beuteln. So, du Samana, sind die JXnglinge beschaffen, welche zu mir kommen." Sprach Siddhartha: "Schon fange ich an, von dir zu lernen. Auch gestern schon habe ich gelernt. Schon habe ich den Bart abgelegt, habe das Haar gekXmmt, habe Xl im Haare. Weniges ist, das mir noch fehlt, du Vortreffliche: feine Kleider, feine Schuhe, Geld im Beutel. Wisse, Schwereres hat Siddhartha sich vorgenommen, als solche Kleinigkeiten sind, und hat es erreicht. Wie sollte ich nicht erreichen, was ich gestern mir vorgenommen habe: dein Freund zu sein und die Freuden der Liebe von dir zu lernen! Du wirst mich gelehrig sehen, Kamala, Schwereres habe ich gelernt, als was du mich lehren sollst. Und nun also: Siddhartha genXgt dir nicht, so wie er ist, mit Xl im Haar, aber ohne Kleider, ohne Schuhe, ohne Geld?" Lachend rief Kamala: "Nein, Werter, er genXgt noch nicht. Kleider muss er haben, hXbsche Kleider, und Schuhe, hXbsche Schuhe, und viel Geld im Beutel, und Geschenke fXr Kamala. WeiXt du es nun, Samana aus dem Walde? Hast du es dir gemerkt?" "Wohl habe ich es mir gemerkt," rief Siddhartha. "Wie sollte ich mir nicht merken, was aus einem solchen Munde kommt! Dein Mund ist wie eine frisch aufgebrochene Feige, Kamala. Auch mein Mund ist rot und frisch, er wird zu deinem passen, du wirst sehen. X Aber sage, schXne Kamala, hast du gar keine Furcht vor dem Samana aus dem Walde, der gekommen ist, um Liebe zu lernen?" "Warum sollte ich denn Furcht vor einem Samana haben, einem dummen Samana aus dem Walde, der von den Schakalen kommt und noch gar nicht weiX, was Frauen sind?" "Oh, er ist stark, der Samana, und er fXrchtet nichts. Er kXnnte dich zwingen, schXnes MXdchen. Er kXnnte dich rauben. Er kXnnte dir weh tun." "Nein, Samana, das fXrchte ich nicht. Hat je ein Samana oder ein Brahmane gefXrchtet, einer kXnnte kommen und ihn packen und ihm seine Gelehrsamkeit, und seine FrXmmigkeit, und seinen Tiefsinn rauben? Nein, denn die gehXren ihm zu eigen und er gibt davon nur, was er geben will und wem er geben will. So ist es, genau ebenso ist es auch mit Kamala, und mit den Freuden der Liebe. SchXn und rot ist Kamalas Mund, aber versuche, ihn gegen Kamalas Willen zu kXssen, und nicht einen Tropfen SXigkeit wirst du von ihm haben, der so viel SXes zu geben versteht! Du bist gelehrig, Siddhartha, so lerne auch dies: Liebe kann man erbetteln, erkaufen, geschenkt bekommen, auf der Gasse finden, aber rauben kann man sie nicht. Da hast du dir einen falschen Weg ausgedacht. Nein, schade wXre es, wenn ein hXbscher JXngling wie du es so falsch angreifen wollte." Siddhartha verneigte sich lXchelnd. "Schade wXre es, Kamala, wie, sehr hast du Recht! Xberaus schade wXre es. Nein, von deinem Munde soll mir kein Tropfen SXigkeit verloren gehen, noch dir von dem meinen! Es bleibt also dabei: Siddhartha wird wiederkommen, wenn er hat, was ihm noch fehlt: Kleider, Schuhe, Geld. Aber sprich, holde Kamala, kannst du mir nicht noch einen kleinen Rat geben?" "Einen Rat? Warum nicht? Wer wollte nicht gerne einem armen, unwissenden Samana, der von den Schakalen aus dem Walde kommt, einen Rat geben?" "Liebe Kamala, so rate mir wohin soll ich gehen, dass ich am raschesten jene drei Dinge finde?" "Freund, das mXchten viele wissen. Du musst tun, was du gelernt hast, und dir dafXr Geld geben lassen, und Kleider, und Schuhe. Anders kommt ein Armer nicht zu Geld. Was kannst du denn?" "Ich kann denken. Ich kann warten. Ich kann fasten." "Nichts sonst?" "Nichts. Doch, ich kann auch dichten. Willst du mir fXr ein Gedicht einen Kuss geben?" "Das will ich tun, wenn dein Gedicht mir gefXllt. Wie heiXt es denn?" Siddhartha sprach, nachdem er sich einen Augenblick besonnen hatte, diese Verse: In ihren schattigen Hain trat die schXne Kamala, An Haines Eingang stand der braune Samana. Tief, da er die LotusblXte erblickte, Beugte sich jener, lXchelnd dankte Kamala. Lieblicher, dachte der JXngling, als GXttern zu opfern, Lieblicher ist es zu opfern der schXnen Kamala. Laut klatschte Kamala in die HXnde, dass die goldenen Armringe klangen. "SchXn sind deine Verse, brauner Samana, und wahrlich, ich verliere nichts, wenn ich dir einen Kuss fXr sie gebe." Sie zog ihn mit den Augen zu sich, er beugte sein Gesicht auf ihres, und legte seinen Mund auf den Mund, der wie eine frisch aufgebrochene Feige war. Lange kXsste ihn Kamala, und mit tiefem Erstaunen fXhlte Siddhartha, wie sie ihn lehrte, wie sie weise war, wie sie ihn beherrschte, ihn zurXckwies, ihn lockte, und wie hinter diesem ersten eine lange, eine wohlgeordnete, wohlerprobte Reihe von KXssen stand, jeder vom andern verschieden, die ihn noch erwarteten. Tief atmend blieb er stehen, und war in diesem Augenblick wie ein Kind erstaunt Xber die FXlle des Wissens und Lernenswerten, die sich vor seinen Augen erschloss. "Sehr schXn sind deine Verse," rief Kamala, "wenn ich reich wXre, gXbe ich dir GoldstXcke dafXr. Aber schwer wird es dir werden, mit Versen so viel Geld zu erwerben, wie du brauchst. Denn du brauchst viel Geld, wenn du Kamalas Freund sein willst." "Wie kannst du kXssen, Kamala!" stammelte Siddhartha. "Ja, das kann ich schon, darum fehlt es mir auch nicht an Kleidern, Schuhen, ArmbXndern und allen schXnen Dingen. Aber was wird aus dir werden? Kannst du nichts als denken, fasten, dichten?" "Ich kann auch die Opferlieder," sagte Siddhartha, "aber ich will sie nicht mehr singen. Ich kann auch ZaubersprXche, aber ich will sie nicht mehr sprechen. Ich habe die Schriften gelesen X" "Halt," unterbrach ihn Kamala. "Du kannst lesen? Und schreiben?" "Gewiss kann ich das. Manche kXnnen das." "Die meisten kXnnen es nicht. Auch ich kann es nicht. Es ist sehr gut, dass du lesen und schreiben kannst, sehr gut. Auch die ZaubersprXche wirst du noch brauchen kXnnen." In diesem Augenblick kam eine Dienerin gelaufen und flXsterte der Herrin eine Nachricht ins Ohr. "Ich bekomme Besuch," rief Kamala. "Eile und verschwinde, Siddhartha, niemand darf dich hier sehen, das merke dir! Morgen sehe ich dich wieder." Der Magd aber befahl sie, dem frommen Brahmanen ein weiXes Obergewand zu geben. Ohne zu wissen, wie ihm geschah, sah sich Siddhartha von der Magd hinweggezogen, auf Umwegen in ein Gartenhaus gebracht, mit einem Oberkleid beschenkt, ins GebXsch gefXhrt und dringlich ermahnt, sich alsbald ungesehen aus dem Hain zu verlieren. Zufrieden tat er, wie ihm geheiXen war. Des Waldes gewohnt, brachte er sich lautlos aus dem Hain und Xber die Hecke. Zufrieden kehrte er in die Stadt zurXck, das zusammengerollte Kleid unterm Arme tragend. In einer Herberge, wo Reisende einkehrten, stellte er sich an die TXr, bat schweigend um Essen, nahm schweigend ein StXck Reiskuchen an. Vielleicht schon morgen, dachte er, werde ich niemand mehr um Essen bitten. Stolz flammte plXtzlich in ihm auf. Er war kein Samana mehr, nicht mehr stand es ihm an, zu betteln. Er gab den Reiskuchen einem Hunde und blieb ohne Speise. "Einfach ist das Leben, das man in der Welt hier fXhrt," dachte Siddhartha. "Es hat keine Schwierigkeiten. Schwer war alles, mXhsam und am Ende hoffnungslos, als ich noch Samana war. Nun ist alles leicht, leicht wie der Unterricht im KXssen, den mir Kamala gibt. Ich brauche Kleider und Geld, sonst nichts, das sind kleine nahe Ziele, sie stXren einem nicht den Schlaf." LXngst hatte er das Stadthaus Kamalas erkundet, dort fand er sich am andern Tage ein. "Es geht gut," rief sie ihm entgegen. "Du wirst bei Kamaswami erwartet, er ist der reichste Kaufmann dieser Stadt. Wenn du ihm gefXllst, wird er dich in Dienst nehmen. Sei klug, brauner Samana. Ich habe ihm durch andre von dir erzXhlen lassen. Sei freundlich gegen ihn, er ist sehr mXchtig. Aber sei nicht zu bescheiden! Ich will nicht, dass du sein Diener wirst, du sollst seinesgleichen werden, sonst bin ich nicht mit dir zufrieden. Kamaswami fXngt an, alt und bequem zu werden. GefXllst du ihm, so wird er dir viel anvertrauen." Siddhartha dankte ihr und lachte, und da sie erfuhr, er habe gestern und heute nichts gegessen, lieX sie Brot und FrXchte bringen und bewirtete ihn. "Du hast GlXck gehabt," sagte sie beim Abschied, "eine TXr um die andre tut sich dir auf. Wie kommt das wohl? Hast du einen Zauber?" Siddhartha sagte: "Gestern erzXhlte ich dir, ich verstXnde zu denken, zu warten und zu fasten, du aber fandest, das sei zu nichts nXtze. Es ist aber zu vielem nXtze, Kamala, du wirst es sehen. Du wirst sehen, dass die dummen Samanas im Walde viel HXbsches lernen und kXnnen, das ihr nicht kXnnt. Vorgestern war ich noch ein struppiger Bettler, gestern habe ich schon Kamala gekXsst, und bald werde ich ein Kaufmann sein und Geld haben und all diese Dinge, auf die du Wert legst." "Nun ja," gab sie zu. "Aber wie stXnde es mit dir ohne mich? Was wXrest du, wenn Kamala dir nicht hXlfe?" "Liebe Kamala," sagte Siddhartha und richtete sich hoch auf, "als ich zu dir in deinen Hain kam, tat ich den ersten Schritt. Es war mein Vorsatz, bei dieser schXnsten Frau die Liebe zu lernen. Von jenem Augenblick an, da ich den Vorsatz fasste, wusste ich auch, dass ich ihn ausfXhren werde. Ich wusste, dass du mir helfen wXrdest, bei deinem ersten Blick am Eingang des Haines wusste ich es schon." "Wenn ich aber nicht gewollt hXtte?" "Du hast gewollt. Sieh, Kamala: Wenn du einen Stein ins Wasser wirfst, so eilt er auf dem schnellsten Wege zum Grunde des Wassers. So ist es, wenn Siddhartha ein Ziel, einen Vorsatz hat. Siddhartha tut nichts, er wartet, er denkt, er fastet, aber er geht durch die Dinge der Welt hindurch wie der Stein durchs Wasser, ohne etwas zu tun, ohne sich zu rXhren; er wird gezogen, er lXsst sich fallen. Sein Ziel zieht ihn an sich, denn er lXsst nichts in seine Seele ein, was dem Ziel widerstreben kXnnte. Das ist es, was Siddhartha bei den Samanas gelernt hat. Es ist das, was die Toren Zauber nennen und wovon sie meinen, es werde durch die DXmonen bewirkt. Nichts wird von DXmonen bewirkt, es gibt keine DXmonen. Jeder kann zaubern, jeder kann seine Ziele erreichen, wenn er denken kann, wenn er warten kann, wenn er fasten kann." Kamala hXrte ihm zu. Sie liebte seine Stimme, sie liebte den Blick seiner Augen. "Vielleicht ist es so," sagte sie leise, "wie du sprichst, Freund. Vielleicht ist es aber auch so, dass Siddhartha ein hXbscher Mann ist, dass sein Blick den Frauen gefXllt, dass darum das GlXck ihm entgegenkommt." Mit einem Kuss nahm Siddhartha Abschied. "MXge es so sein, meine Lehrerin. MXge immer mein Blick dir gefallen, mXge immer von dir mir GlXck entgegenkommen!" BEI DEN KINDERMENSCHEN Siddhartha ging zum Kaufmann Kamaswami, in ein reiches Haus ward er gewiesen, Diener fXhrten ihn zwischen kostbaren Teppichen in ein Gemach, wo er den Hausherrn erwartete. Kamaswami trat ein, ein rascher, geschmeidiger Mann mit stark ergrauendem Haar, mit sehr klugen, vorsichtigen Augen, mit einem begehrlichen Mund. Freundlich begrXten sich Herr und Gast. "Man hat mir gesagt," begann der Kaufmann, "dass du ein Brahmane bist, ein Gelehrter, dass du aber Dienste bei einem Kaufmann suchst. Bist du denn in Not geraten, Brahmane, dass du Dienste suchst?" "Nein," sagte Siddhartha, "ich bin nicht in Not geraten und bin nie in Not gewesen. Wisse, dass ich von den Samanas komme, bei welchen ich lange Zeit gelebt habe." "Wenn du von den Samanas kommst, wie solltest du da nicht in Not sein? Sind nicht die Samanas vXllig besitzlos?" "Besitzlos bin ich," sagte Siddhartha, "wenn es das ist, was du meinst. Gewiss bin ich besitzlos. Doch bin ich es freiwillig, bin also nicht in Not." "Wovon aber willst du leben, wenn du besitzlos bist?" "Ich habe daran noch nie gedacht, Herr. Ich bin mehr als drei Jahre besitzlos gewesen, und habe niemals daran gedacht, wovon ich leben solle." "So hast du vom Besitz anderer gelebt." "Vermutlich ist es so. Auch der Kaufmann lebt ja von der Habe anderer." "Wohl gesprochen. Doch nimmt er von den andern du nicht umsonst; er gibt ihnen seine Waren dafXr." "So scheint es sich in der Tat zu verhalten. Jeder nimmt, jeder gibt, so ist das Leben." "Aber erlaube: wenn du besitzlos bist, was willst du da geben?" "Jeder gibt, was er hat. Der Krieger gibt Kraft, der Kaufmann gibt Ware, der Lehrer Lehre, der Bauer Reis, der Fischer Fische." "Sehr wohl. Und was ist es nun, was du zu geben hast? Was ist es, das du gelernt hast, das du kannst?" "Ich kann denken. Ich kann warten. Ich kann fasten." "Das ist alles?" "Ich glaube, es ist alles!" "Und wozu nXtzt es? Zum Beispiel das Fasten X wozu ist es gut?" "Es ist sehr gut, Herr. Wenn ein Mensch nichts zu essen hat, so ist Fasten das AllerklXgste, was er tun kann. Wenn, zum Beispiel, Siddhartha nicht fasten gelernt hXtte, so mXsste er heute noch irgendeinen Dienst annehmen, sei es bei dir oder wo immer, denn der Hunger wXrde ihn dazu zwingen. So aber kann Siddhartha ruhig warten, er kennt keine Ungeduld, er kennt keine Notlage, lange kann er sich vom Hunger belagern lassen und kann dazu lachen. Dazu, Herr, ist Fasten gut." "Du hast Recht, Samana. Warte einen Augenblick." Kamaswami ging hinaus und kehrte mit einer Rolle wieder, die er seinem Gaste hinreichte, indem er fragte: "Kannst du dies lesen?" Siddhartha betrachtete die Rolle, in welcher ein Kaufvertrag niedergeschrieben war, und begann ihren Inhalt vorzulesen. "Vortrefflich", sagte Kamaswami. "Und willst du mir etwas auf dieses Blatt schreiben?" Er gab ihm ein Blatt und einen Griffel, und Siddhartha schrieb und gab das Blatt zurXck. Kamaswami las: "Schreiben ist gut, Denken ist besser. Klugheit ist gut, Geduld ist besser." "VorzXglich verstehst du zu schreiben," lobte der Kaufmann. "Manches werden wir noch miteinander zu sprechen haben. FXr heute bitte ich dich, sei mein Gast und nimm in diesem Hause Wohnung." Siddhartha dankte und nahm an, und wohnte nun im Hause des HXndlers. Kleider wurden ihm gebracht, und Schuhe, und ein Diener bereitete ihm tXglich das Bad. Zweimal am Tage wurde eine reichliche Mahlzeit aufgetragen, Siddhartha aber aX nur einmal am Tage, und aX weder Fleisch noch trank er Wein. Kamaswami erzXhlte ihm von seinem Handel, zeigte ihm Waren und Magazine, zeigte ihm Berechnungen. Vieles Neue lernte Siddhartha kennen, er hXrte viel und sprach wenig. Und der Worte Kamalas eingedenk, ordnete er sich niemals dem Kaufmanne unter, zwang ihn, dass er ihn als seinesgleichen, ja als mehr denn seinesgleichen behandle. Kamaswami betrieb seine GeschXfte mit Sorglichkeit und oft mit Leidenschaft, Siddhartha aber betrachtete dies alles wie ein Spiel, dessen Regeln genau zu lernen er bemXht war, dessen Inhalt aber sein Herz nicht berXhrte. Nicht lange war er in Kamaswamis Hause, da nahm er schon an seines Hausherrn Handel teil. TXglich aber zu der Stunde, die sie ihm nannte, besuchte er die schXne Kamala, in hXbschen Kleidern, in feinen Schuhen, und bald brachte er ihr auch Geschenke mit. Vieles lehrte ihn ihr roter, kluger Mund. Vieles lehrte ihn ihre zarte, geschmeidige Hand. Ihm, der in der Liebe noch ein Knabe war und dazu neigte, sich blindlings und unersXttlich in die Lust zu stXrzen wie ins Bodenlose, lehrte sie von Grund auf die Lehre, dass man Lust nicht nehmen kann, ohne Lust zu geben, und dass jede GebXrde, jedes Streicheln, jede BerXhrung, jeder Anblick, jede kleinste Stelle des KXrpers ihr Geheimnis hat, das zu wecken dem Wissenden GlXck bereitet. Sie lehrte ihn, dass Liebende nach einer Liebesfeier nicht voneinander gehen dXrfen, ohne eins das andere zu bewundern, ohne ebenso besiegt zu sein, wie gesiegt zu haben, so dass bei keinem von beiden XbersXttigung und Xde entstehe und das bXse GefXhl, missbraucht zu haben oder missbraucht worden zu sein. Wunderbare Stunden brachte er bei der schXnen und klugen KXnstlerin zu, wurde ihr SchXler, ihr Liebhaber, ihr Freund. Hier bei Kamala lag der Wert und Sinn seines jetzigen Lebens, nicht im Handel des Kamaswami. Der Kaufmann Xbertrug ihm das Schreiben wichtiger Briefe und VertrXge, und gewXhnte sich daran, alle wichtigen Angelegenheiten mit ihm zu beraten. Er sah bald, dass Siddhartha von Reis und Wolle, von Schiffahrt und Handel wenig verstand, dass aber seine Hand eine glXckliche war, und dass Siddhartha ihn, den Kaufmann, Xbertraf an Ruhe und Gleichmut, und in der Kunst des ZuhXrenkXnnens und Eindringens in fremde Menschen. "Dieser Brahmane," sagte er zu einem Freunde, "ist kein richtiger Kaufmann und wird nie einer werden, nie ist seine Seele mit Leidenschaft bei den GeschXften. Aber er hat das Geheimnis jener Menschen, zu welchen der Erfolg von selber kommt, sei das nun ein angeborener guter Stern, sei es Zauber, sei es etwas, das er bei den Samanas gelernt hat. Immer scheint er mit den GeschXften nur zu spielen, nie gehen sie ganz in ihn ein, nie beherrschen sie ihn, nie fXrchtet er Misserfolg, nie bekXmmert ihn ein Verlust." Der Freund riet dem HXndler: "Gib ihm von den GeschXften, die er fXr dich treibt, einen Drittel vom Gewinn, lass ihn aber auch denselben Anteil des Verlustes treffen, wenn Verlust entsteht. So wird er eifriger werden." Kamaswami folgte dem Rat. Siddhartha aber kXmmerte sich wenig darum. Traf ihn Gewinn, so nahm er ihn gleichmXtig hin; traf ihn Verlust, so lachte er und sagte: "Ei sieh, dies ist also schlecht gegangen!" Es schien in der Tat, als seien die GeschXfte ihm gleichgXltig. Einmal reiste er in ein Dorf, um dort eine groXe Reisernte aufzukaufen. Als er ankam, war aber der Reis schon an einen andern HXndler verkauft. Dennoch blieb Siddhartha manche Tage in jenem Dorf, bewirtete die Bauern, schenkte ihren Kindern KupfermXnzen, feierte eine Hochzeit mit und kam Xberaus zufrieden von der Reise zurXck. Kamaswami machte ihm VorwXrfe, dass er nicht sogleich umgekehrt sei, dass er Zeit und Geld vergeudet habe. Siddhartha antwortete: "Lass das Schelten, lieber Freund! Noch nie ist mit Schelten etwas erreicht worden. Ist Verlust entstanden, so lass mich den Verlust tragen. Ich bin sehr zufrieden mit dieser Reise. Ich habe vielerlei Menschen kennen gelernt, ein Brahmane ist mein Freund geworden, Kinder sind auf meinen Knien geritten, Bauern haben mir ihre Felder gezeigt, niemand hat mich fXr einen HXndler gehalten." "Sehr hXbsch ist dies alles," rief Kamaswami unwillig, "aber tatsXchlich bist du doch ein HXndler, sollte ich meinen! Oder bist du denn nur zu deinem VergnXgen gereist?" "Gewiss," lachte Siddhartha, "Gewiss bin ich zu meinem VergnXgen gereist. Wozu denn sonst? Ich habe Menschen und Gegenden kennen gelernt, ich habe Freundlichkeit und Vertrauen genossen, ich habe Freundschaft gefunden. Sieh, Lieber, wenn ich Kamaswami gewesen wXre, so wXre ich sofort, als ich meinen Kauf vereitelt sah, voll Xrger und in Eile wieder zurXckgereist, und Zeit und Geld wXre in der Tat verloren gewesen. So aber habe ich gute Tage gehabt, habe gelernt, habe Freude genossen, habe weder mich noch andre durch Xrger und durch Eilfertigkeit geschXdigt. Und wenn ich jemals wieder dorthin komme, vielleicht um eine spXtere Ernte zu kaufen, oder zu welchem Zwecke es sei, so werden freundliche Menschen mich freundlich und heiter empfangen, und ich werde mich dafXr loben, dass ich damals nicht Eile und Unmut gezeigt habe. Also lass gut sein, Freund, und schade dir nicht durch Schelten! Wenn der Tag kommt, an dem du sehen wirst: Schaden bringt mir dieser Siddhartha, dann sprich ein Wort, und Siddhartha wird seiner Wege gehen. Bis dahin aber lass uns einer mit dem andern zufrieden sein." Vergeblich waren auch die Versuche des Kaufmanns, Siddhartha zu Xberzeugen, dass er sein, Kamaswamis, Brot esse. Siddhartha aX sein eignes Brot, vielmehr sie beide aXen das Brot anderer, das Brot aller. Niemals hatte Siddhartha ein Ohr fXr Kamaswamis Sorgen, und Kamaswami machte sich viele Sorgen. \War ein GeschXft im Gange, welchem Misserfolg drohte, schien eine Warensendung verloren, schien ein Schuldner nicht zahlen zu kXnnen, nie konnte Kamaswami seinen Mitarbeiter Xberzeugen, dass es nXtzlich sei, Worte des Kummers oder des Zornes zu verlieren, Falten auf der Stirn zu haben, schlecht zu schlafen. Als ihm Kamaswami einstmals vorhielt, er habe alles, was er verstehe, von ihm gelernt, gab er zur Antwort: "Wolle mich doch nicht mit solchen SpXen zum Besten haben! Von dir habe ich gelernt, wie viel ein Korb voll Fische kostet, und wie viel Zins man fXr geliehenes Geld fordern kann. Das sind deine Wissenschaften. Denken habe ich nicht bei dir gelernt, teurer Kamaswami, suche lieber du es von mir zu lernen." In der Tat war seine Seele nicht beim Handel. Die GeschXfte waren gut, um ihm Geld fXr Kamala einzubringen, und sie brachten weit mehr ein, als er brauchte. Im Xbrigen war Siddharthas Teilnahme und Neugierde nur bei den Menschen, deren GeschXfte, Handwerke, Sorgen, Lustbarkeiten und Torheiten ihm frXher fremd und fern gewesen waren wie der Mond. So leicht es ihm gelang, mit allen zu sprechen, mit allen zu leben, von allen zu lernen, so sehr ward ihm dennoch bewusst, dass etwas sei, was ihn von ihnen trenne, und dies Trennende war sein Samanatum. Er sah die Menschen auf eine kindliche oder tierhafte Art dahinleben, welche er zugleich liebte und auch verachtete. Er sah sie sich mXhen, sah sie leiden und grau werden um Dinge, die ihm dieses Preises ganz unwert schienen, um Geld, um kleine Lust, um kleine Ehren, er sah sie einander schelten und beleidigen, er sah sie um Schmerzen wehklagen, Xber die der Samana lXchelt, und unter Entbehrungen leiden, die ein Samana nicht fXhlt. Allem stand er offen, was diese Menschen ihm zubrachten. Willkommen war ihm der HXndler, der ihm Leinwand zum Kauf anbot, willkommen der Verschuldete, der ein Darlehen suchte, willkommen der Bettler, der ihm eine Stunde lang die Geschichte seiner Armut erzXhlte, und welcher nicht halb so arm war als ein jeder Samana. Den reichen auslXndischen HXndler behandelte er nicht anders als den Diener, der ihn rasierte, und den StraXenverkXufer, von dem er sich beim Bananenkauf um kleine MXnze betrXgen lieX. Wenn Kamaswami zu ihm kam, um Xber seine Sorgen zu klagen oder ihm wegen eines GeschXftes VorwXrfe zu machen, so hXrte er neugierig und heiter zu, wunderte sich Xber ihn, suchte ihn zu verstehen, lieX ihn ein wenig Recht haben, eben so viel als ihm unentbehrlich schien, und wandte sich von ihm ab, dem NXchsten zu, der ihn begehrte. Und es kamen viele zu ihm, viele um mit ihm zu handeln, viele um ihn zu betrXgen, viele um ihn auszuhorchen, viele um sein Mitleid anzurufen, viele um seinen Rat zu hXren. Er gab Rat, er bemitleidete, er schenkte, er lieX sich ein wenig betrXgen, und dieses ganze Spiel und die Leidenschaft, mit welcher alle Menschen dies Spiel betrieben, beschXftigte seine Gedanken ebensosehr, wie einst die GXtter und das Brahman sie beschXftigt hatten. Zuzeiten spXrte er, tief in der Brust, eine sterbende, leise Stimme, die mahnte leise, klagte leise, kaum dass er sie vernahm. Alsdann kam ihm fXr eine Stunde zum Bewusstsein, dass er ein seltsames Leben fXhre, dass er da lauter Dinge tue, die bloX ein Spiel waren, dass er wohl heiter sei und zuweilen Freude fXhle, dass aber das eigentliche Leben dennoch an ihm vorbeiflieXe und ihn nicht berXhre. Wie ein Ballspieler mit seinen BXllen spielt, so spielte er mit seinen GeschXften, mit den Menschen seiner Umgebung, sah ihnen zu, fand seinen SpaX an ihnen; mit dem Herzen, mit der Quelle seines Wesens war er nicht dabei. Die Quelle lief irgendwo, wie fern von ihm, lief und lief unsichtbar, hatte nichts mehr mit seinem Leben zu tun. Und einigemal erschrak er ob solchen Gedanken und wXnschte sich, es mXge doch auch ihm gegeben sein, bei all dem kindlichen Tun des Tages mit Leidenschaft und mit dem Herzen beteiligt zu sein, wirklich zu leben, wirklich zu tun, wirklich zu genieXen und zu leben, statt nur so als ein Zuschauer daneben zu stehen. Immer aber kam er wieder zur schXnen Kamala, lernte Liebeskunst, Xbte den Kult der Lust, bei welchem mehr als irgendwo geben und nehmen zu einem wird, plauderte mit ihr, lernte von ihr, gab ihr Rat, empfing Rat. Sie verstand ihn besser, als Govinda ihn einst verstanden hatte, sie war ihm Xhnlicher. Einmal sagte er zu ihr: "Du bist wie ich, du bist anders als die meisten Menschen. Du bist Kamala, nichts andres, und in dir innen ist eine Stille und Zuflucht, in welche du zu jeder Stunde eingehen und bei dir daheim sein kannst, so wie auch ich es kann. Wenige Menschen haben das, und doch kXnnten alle es haben." "Nicht alle Menschen sind klug," sagte Kamala. "Nein," sagte Siddhartha, "nicht daran liegt es. Kamaswami ist ebenso klug wie ich, und hat doch keine Zuflucht in sich. Andre haben sie, die an Verstand kleine Kinder sind. Die meisten Menschen, Kamala, sind wie ein fallendes Blatt, das weht und dreht sich durch die Luft, und schwankt, und taumelt zu Boden. And