re aber, wenige, sind wie Sterne, die gehen eine feste Bahn, kein Wind erreicht sie, in sich selber haben sie ihr Gesetz und ihre Bahn. Unter allen Gelehrten und Samanas, deren ich viele kannte, war einer von dieser Art, ein Vollkommener, nie kann ich ihn vergessen. Es ist jener Gotama, der Erhabene, der VerkXndiger jener Lehre. Tausend JXnger hXren jeden Tag seine Lehre, folgen jede Stunde seiner Vorschrift, aber sie alle sind fallendes Laub, nicht in sich selbst haben sie Lehre und Gesetz." Kamala betrachtete ihn mit LXcheln. "Wieder redest du von ihm," sagte sie, "wieder hast du Samana-Gedanken." Siddhartha schwieg, und sie spielten das Spiel der Liebe, eines von den dreiXig oder vierzig verschiedenen Spielen, welche Kamala wusste. Ihr Leib war biegsam wie der eines Jaguars, und wie der Bogen eines JXgers; wer von ihr die Liebe gelernt hatte, war vieler LXste, vieler Geheimnisse kundig. Lange spielte sie mit Siddhartha lockte ihn, wies ihn zurXck, zwang ihn, umspannte ihn: freute sich seiner Meisterschaft, bis er besiegt war und erschXpft an ihrer Seite ruhte. Die HetXre beugte sich Xber ihn, sah lang in sein Gesicht, in seine mXdgewordenen Augen. "Du bist der beste Liebende," sagte sie nachdenklich, "den ich gesehen habe. Du bist stXrker als andre, biegsamer, williger. Gut hast du meine Kunst gelernt, Siddhartha. Einst, wenn ich Xlter bin, will ich von dir ein Kind haben. Und dennoch, Lieber, bist du ein Samana geblieben, dennoch liebst du mich nicht, du liebst keinen Menschen. Ist es nicht so?" "Es mag wohl so sein", sagte Siddhartha mXde. "Ich bin wie du. Auch du liebst nicht X wie kXnntest du sonst 'die Liebe als eine Kunst betreiben? Die Menschen von unserer Art kXnnen vielleicht nicht lieben. Die Kindermenschen kXnnen es; das ist ihr Geheimnis." SANSARA Lange Zeit hatte Siddhartha das Leben der Welt und der LXste gelebt, ohne ihm doch anzugehXren. Seine Sinne, die er in heiXen Samana-Jahren ertXtet hatte, waren wieder erwacht, er hatte Reichtum gekostet, hatte Wollust gekostet, hatte Macht gekostet; dennoch war er lange Zeit im Herzen noch ein Samana geblieben, dies hatte Kamala, die Kluge, richtig erkannt. Immer noch war es die Kunst des Denkens, des Wartens, des Fastens, von welcher sein Leben gelenkt wurde, immer noch waren die Menschen der Welt, die Kindermenschen, ihm fremd geblieben, wie er ihnen fremd war. Die Jahre liefen dahin, in Wohlergehen eingehXllt fXhlte Siddhartha ihr Schwinden kaum. Er war reich geworden, er besaX lXngst ein eigenes Haus und eigene Dienerschaft, und einen Garten vor der Stadt am Flusse. Die Menschen hatten ihn gerne, sie kamen zu ihm, wenn sie Geld oder Rat brauchten, niemand aber stand ihm nahe, auXer Kamala. Jenes hohe, helle Wachsein, welches er einst, auf der HXhe seiner Jugend, erlebt hatte, in den Tagen nach Gotamas Predigt, nach der Trennung von Govinda, jene gespannte Erwartung, jenes stolze Alleinstehen ohne Lehren und ohne Lehrer, jene geschmeidige Bereitschaft, die gXttliche Stimme im eigenen Herzen zu hXren, war allmXhlich Erinnerung geworden, war vergXnglich gewesen; fern und leise rauschte die heilige Quelle, die einst nahe gewesen war, die einst in ihm selber gerauscht hatte. Vieles zwar, das er von den Samanas gelernt, das er von Gotama gelernt, das er von seinem Vater, dem Brahmanen, gelernt hatte, war noch lange Zeit in ihm geblieben: mXiges Leben, Freude am Denken, Stunden der Versenkung, heimliches Wissen vom Selbst, vom ewigen Ich, das nicht KXrper noch Bewusstsein ist. Manches davon war in ihm geblieben, eines ums andre aber war untergesunken und hatte sich mit Staub bedeckt. Wie die Scheibe des TXpfers, einmal angetrieben, sich noch lange dreht und nur langsam ermXdet und ausschwingt, so hatte in Siddharthas Seele das Rad der Askese, das Rad des Denkens, das Rad der Unterscheidung lange weiter geschwungen, schwang immer noch, aber es schwang langsam und zXgernd und war dem Stillstand nahe. Langsam, wie Feuchtigkeit in den absterbenden Baumstrunk dringt, ihn langsam fXllt und faulen macht, war Welt und TrXgheit in Siddharthas Seele gedrungen, langsam fXllte sie seine Seele, machte sie schwer, machte sie mXde, schlXferte sie ein. DafXr waren seine Sinne lebendig geworden, viel hatten sie gelernt, viel erfahren. Siddhartha hatte gelernt, Handel zu treiben, Macht Xber Menschen auszuXben, sich mit dem Weibe zu vergnXgen, er hatte gelernt, schXne Kleider zu tragen, Dienern zu befehlen, sich in wohlriechenden Wassern zu baden. Er hatte gelernt, zart und sorgfXltig bereitete Speisen zu essen, auch den Fisch, auch Fleisch und Vogel, GewXrze und SXigkeiten, und den Wein zu trinken, der trXge und vergessen macht. Er hatte gelernt, mit WXrfeln und auf dem Schachbrette zu spielen, TXnzerinnen zuzusehen, sich in der SXnfte tragen zu lassen, auf einem weichen Bett zu schlafen. Aber immer noch hatte er sich von den andern verschieden und ihnen Xberlegen gefXhlt, immer hatte er ihnen mit ein wenig Spott zugesehen, mit ein wenig spXttischer Verachtung, mit eben jener Verachtung, wie sie ein Samana stets fXr Weltleute fXhlt. Wenn Kamaswami krXnklich war, wenn er Xrgerlich war, wenn er sich beleidigt fXhlte, wenn er von seinen Kaufmannssorgen geplagt wurde, immer hatte Siddhartha es mit Spott angesehen. Langsam und unmerklich nur, mit den dahingehenden Erntezeiten und Regenzeiten, war sein Spott mXder geworden, war seine Xberlegenheit stiller geworden. Langsam nur, zwischen seinen wachsenden ReichtXmern, hatte Siddhartha selbst etwas von der Art der Kindermenschen angenommen, etwas von ihrer Kindlichkeit und von ihrer Xngstlichkeit. Und doch beneidete er sie, beneidete sie desto mehr, je Xhnlicher er ihnen wurde. Er beneidete sie um das Eine, was ihm fehlte und was sie hatten, um die Wichtigkeit, welche sie ihrem Leben beizulegen vermochten, um die Leidenschaftlichkeit ihrer Freuden und Xngste, um das bange, aber sXe GlXck ihrer ewigen Verliebtheit. In sich selbst, in Frauen, in ihre Kinder, in Ehre oder Geld, in PlXne oder Hoffnungen verliebt waren diese Menschen immerzu. Er aber lernte dies nicht von ihnen, gerade dies nicht, diese Kinderfreude und Kindertorheit; er lernte von ihnen gerade das Unangenehme, was er selbst verachtete. Es geschah immer Xfter, dass er am Morgen nach einem geselligen Abend lange liegen blieb und sich dumpf und mXde fXhlte. Es geschah, dass er Xrgerlich und ungeduldig wurde, wenn Kamaswami ihn mit seinen Sorgen lang weilte. Es geschah, dass er allzu laut lachte, wenn er im WXrfelspiel verlor. Sein Gesicht war noch immer klXger und geistiger als andre, aber es lachte selten, und nahm einen um den andern jene ZXge an, die man im Gesicht reicher Leute so hXufig findet, jene ZXge der Unzufriedenheit, der KrXnklichkeit, des Missmutes, der TrXgheit, der Lieblosigkeit. Langsam ergriff ihn die Seelenkrankheit der Reichen. Wie ein Schleier, wie ein dXnner Nebel senkte sich MXdigkeit Xber Siddhartha, langsam, jeden Tag ein wenig dichter, jeden Monat ein wenig trXber, jedes Jahr ein wenig schwerer. Wie ein neues Kleid mit der Zeit alt wird, mit der Zeit seine schXne Farbe verliert, Flecken bekommt, Falten bekommt, an den SXumen abgestoXen wird und hier und dort blXde, fXdige Stellen zu zeigen beginnt, so war Siddharthas neues Leben, das er nach seiner Trennung von Govinda begonnen hatte, alt geworden, so verlor es mit den hinrinnenden Jahren Farbe und Glanz, so sammelten sich Falten und Flecken auf ihm, und im Grunde verborgen, hier und dort schon hXlich hervorblickend, wartete EnttXuschung und Ekel. Siddhartha merkte es nicht. Er merkte nur, das jene helle und sichere Stimme seines Innern, die einst in ihm erwacht war und ihn in seinen glXnzenden Zeiten je und je geleitet hatte, schweigsam geworden war. Die Welt hatte ihn eingefangen, die Lust, die Begehrlichkeit, die TrXgheit, und zuletzt auch noch jenes Laster, das er als das tXrichteste stets am meisten verachtet und gehXhnt hatte: die Habgier. Auch das Eigentum, der Besitz und Reichtum hatte ihn schlieXlich eingefangen, war ihm kein Spiel und Tand mehr, war Kette und Last geworden. Auf einem seltsamen und listigen Wege war Siddhartha in diese letzte und schnXdeste AbhXngigkeit geraten, durch das WXrfelspiel. Seit der Zeit nXmlich, da er im Herzen aufgehXrt hatte, ein Samana zu sein, begann Siddhartha das Spiel um Geld und Kostbarkeiten, das er sonst lXchelnd und lXssig als eine Sitte der Kindermenschen mitgemacht hatte, mit einer zunehmenden Wut und Leidenschaft zu treiben. Er war ein gefXrchteter Spieler, wenige wagten es mit ihm, so hoch und frech waren seine EinsXtze. Er trieb das Spiel aus der Not seines Herzens, das Verspielen und Verschleudern des elenden Geldes schuf ihm eine zornige Freude, auf keine andre Weise konnte er seine Verachtung des Reichtums, des GXtzen der Kaufleute, deutlicher und hXhnischer zeigen. So spielte er hoch und schonungslos, sich selbst hassend, sich selbst verhXhnend, strich Tausende ein, warf Tausende weg, verspielte Geld, verspielte Schmuck, verspielte ein Landhaus, gewann wieder, verspielte wieder. Jene Angst, jene furchtbare und beklemmende Angst, welche er wXhrend des WXrfelns, wXhrend des Bangens um hohe EinsXtze empfand, jene Angst liebte er und suchte sie immer zu erneuern, immer zu steigern, immer hXher zu kitzeln, denn in diesem GefXhl allein noch fXhlte er etwas wie GlXck, etwas wie Rausch, etwas wie erhXhtes Leben inmitten seines gesXttigten, lauen, faden Lebens. Und nach jedem groXen Verluste sann er auf neuen Reichtum, ging eifriger dem Handel nach, zwang strenger seine Schuldner zum Zahlen, denn er wollte weiter spielen, er wollte weiter vergeuden, weiter dem Reichtum seine Verachtung zeigen. Siddhartha verlor die Gelassenheit bei Verlusten, er verlor die Geduld gegen sXumige Zahler, verlor die GutmXtigkeit gegen Bettler, verlor die Lust am Verschenken und Wegleihen des Geldes an Bittende. Er, der zehntausend auf einen Wurf verspielte und dazu lachte, wurde im Handel strenger und kleinlicher, trXumte nachts zuweilen von Geld! Und so oft er aus dieser hXlichen Bezauberung erwachte, so oft er sein Gesicht im Spiegel an der Schlafzimmerwand gealtert und hXlicher geworden sah, so oft Scham und Ekel ihn Xberfiel, floh er weiter, floh in neues GlXcksspiel, floh in BetXubungen der Wollust, des Weines, und von da zurXck in den Trieb des HXufens und Erwerbens. In diesem sinnlosen Kreislauf lief er sich mXde, lief er sich alt, lief sich krank. Da mahnte ihn einst ein Traum. Er war die Abendstunden bei Kamala gewesen, in ihrem schXnen Lustgarten. Sie waren unter den BXumen gesessen, im GesprXch, und Kamala hatte nachdenkliche Worte gesagt, Worte, hinter welchen sich eine Trauer und MXdigkeit verbarg. Von Gotama hatte sie ihn gebeten zu erzXhlen, und konnte nicht genug von ihm hXren, wie rein sein Auge, wie still und schXn sein Mund, wie gXtig sein LXcheln, wie friedevoll sein Gang gewesen. Lange hatte er ihr vom erhabenen Buddha erzXhlen mXssen, und Kamala hatte geseufzt, und hatte gesagt: Einst, vielleicht bald, werde auch ich diesem Buddha folgen. Ich werde ihm meinen Lustgarten schenken, und werde meine Zuflucht zu seiner Lehre nehmen." Darauf aber hatte sie ihn gereizt, und ihn im Liebesspiel mit schmerzlicher Inbrunst an sich gefesselt, unter Bissen und unter TrXnen, als wolle sie noch einmal aus dieser eiteln, vergXnglichen Lust den letzten sXen Tropfen pressen. Nie war es Siddhartha so seltsam klar geworden, wie nahe die Wollust dem Tode verwandt ist. Dann war er an ihrer Seite gelegen, und Kamalas Antlitz war ihm nahe gewesen, und unter ihren Augen und neben ihren Mundwinkeln hatte er, deutlich wie noch niemals, eine bange Schrift gelesen, eine Schrift von feinen Linien, von leisen Furchen, eine Schrift, die an den Herbst und an das Alter erinnerte, wie denn auch Siddhartha selbst, der erst in den Vierzigern stand, schon hier und dort ergraute Haare zwischen seinen schwarzen bemerkt hatte. MXdigkeit stand auf Kamalas schXnem Gesicht geschrieben, MXdigkeit vom Gehen eines langen Weges, der kein frohes Ziel hat, MXdigkeit und beginnende Welke, und verheimlichte, noch nicht gesagte, vielleicht noch nicht einmal gewusste Bangigkeit: Furcht vor dem Alter, Furcht vor dem Herbste, Furcht vor dem SterbenmXssen. Seufzend hatte er von ihr Abschied genommen, die Seele voll Unlust, und voll verheimlichter Bangigkeit. Dann hatte Siddhartha die Nacht in seinem Hause mit TXnzerinnen beim Weine zugebracht, hatte gegen seine Standesgenossen den Xberlegenen gespielt, welcher er nicht mehr war, hatte viel Wein getrunken und spXt nach Mitternacht sein Lager aufgesucht, mXde und dennoch erregt, dem Weinen und der Verzweiflung nahe, und hatte lang vergeblich den Schlaf gesucht, das Herz voll eines Elendes, das er nicht mehr ertragen zu kXnnen meinte, voll eines Ekels, von dem er sich durchdrungen fXhlte wie vom lauen, widerlichen Geschmack des Weines, der allzu sXen, Xden Musik, dem allzu weichen LXcheln der TXnzerinnen, dem allzu sXen Duft ihrer Haare und BrXste. Mehr aber als vor allem anderen ekelte ihm vor sich selbst, vor seinen duftenden Haaren, vor dem Weingeruch seines Mundes, vor der schlaffen MXdigkeit und Unlust seiner Haut. Wie wenn einer, der allzuviel gegessen oder getrunken hat, es unter Qualen wieder erbricht und doch der Erleichterung froh ist, so wXnschte sich der Schlaflose, in einem ungeheuren Schwall von Ekel sich dieser GenXsse, dieser Gewohnheiten, dieses ganzen sinnlosen Lebens und seiner selbst zu entledigen. Erst beim Schein des Morgens und dem Erwachen der ersten GeschXftigkeit auf der StraXe vor seinem Stadthause war er eingeschlummert, hatte fXr wenige Augenblicke eine halbe BetXubung, eine Ahnung von Schlaf gefunden. In diesen Augenblicken hatte er einen Traum: Kamala besaX in einem goldenen KXfig einen kleinen seltenen Singvogel. Von diesem Vogel trXumte er. Er trXumte: dieser Vogel war stumm geworden, der sonst stets in der Morgenstunde sang, und da dies ihm auffiel, trat er vor den KXfig und blickte hinein, da war der kleine Vogel tot und lag steif am Boden. Er nahm ihn heraus, wog ihn einen Augenblick in der Hand und warf ihn dann weg, auf die Gasse hinaus, und im gleichen Augenblick erschrak er furchtbar, und das Herz tat ihm weh, so, als habe er mit diesem toten Vogel allen Wert und alles Gute von sich geworfen. Aus diesem Traum auffahrend, fXhlte er sich von tiefer Traurigkeit umfangen. Wertlos, so schien ihm, wertlos und sinnlos hatte er sein Leben dahingefXhrt; nichts Lebendiges, nichts irgendwie KXstliches oder Behaltenswertes war ihm in HXnden geblieben. Allein stand er und leer, wie ein SchiffbrXchiger am Ufer. Finster begab sich Siddhartha in einen Lustgarten, der ihm gehXrte, verschloss die Pforte, setzte sich unter einem Mangobaum nieder, fXhlte den Tod im Herzen und das Grauen in der Brust, saX und spXrte, wie es in ihm starb, in ihm welkte, in ihm zu Ende ging. AllmXhlich sammelte er seine Gedanken, und ging im Geiste nochmals den ganzen Weg seines Lebens, von den ersten Tagen an, auf welche er sich besinnen konnte. Wann denn hatte er ein GlXck erlebt, eine wahre Wonne gefXhlt? O ja, mehrere Male hatte er solches erlebt. In den Knabenjahren hatte er es gekostet, wenn er von den Brahmanen Lob errungen hatte er es in seinem Herzen gefXhlt: "Ein Weg liegt vor dem Hersagen der heiligen Verse, im Disput mit den Gelehrten, als Gehilfe beim Opfer ausgezeichnet hatte. Da hatte er es in seinem Herzen gefXhlt: "Ein Weg liegt vor dir, zu dem du berufen bist, auf dich warten die GXtter." Und wieder als JXngling, da ihn das immer hXher emporfliehende Ziel alles Nachdenkens aus der Schar Gleichstrebender heraus- und hinangerissen hatte, da er in Schmerzen um den Sinn des Brahman rang, da jedes erreichte Wissen nur neuen Durst in ihm entfachte, da wieder hatte er, mitten im Durst, mitten im Schmerze dieses selbe gefXhlt: "Weiter! Weiter! Du bist berufen!" Diese Stimme hatte er vernommen, als er seine Heimat verlassen und das Leben des Samana gewXhlt hatte, und wieder, als er von den Samanas hinweg zu jenem Vollendeten, und auch von ihm hinweg ins Ungewisse gegangen war. Wie lange hatte er diese Stimme nicht mehr gehXrt, wie lange keine HXhe mehr erreicht, wie eben und Xde war sein Weg dahingegangen, viele lange Jahre, ohne hohes Ziel, ohne Durst, ohne Erhebung, mit kleinen LXsten zufrieden und dennoch nie begnXgt! Alle diese Jahre hatte er, ohne es selbst zu wissen, sich bemXht und danach gesehnt, ein Mensch wie diese vielen zu werden, wie diese Kinder, und dabei war sein Leben viel elender und Xrmer gewesen als das ihre, denn ihre Ziele waren nicht die seinen, noch ihre Sorgen, diese ganze Welt der Kamaswami-Menschen war ihm ja nur ein Spiel gewesen, ein Tanz, dem man zusieht, eine KomXdie. Einzig Kamala war ihm lieb, war ihm wertvoll gewesen X aber war sie es noch? Brauchte er sie noch, oder sie ihn? Spielten sie nicht ein Spiel ohne Ende? War es notwendig, dafXr zu leben? Nein, es war nicht notwendig! Dieses Spiel hieX Sansara, ein Spiel fXr Kinder, ein Spiel, vielleicht hold zu spielen, einmal, zweimal, zehnmal X aber immer und immer wieder? Da wusste Siddhartha, dass das Spiel zu Ende war, dass er es nicht mehr spielen kXnne. Ein Schauder lief ihm Xber den Leib, in seinem Innern, so fXhlte er, war etwas gestorben. Jenen ganzen Tag saX er unter dem Mangobaume, seines Vaters gedenkend, Govindas gedenkend, Gotamas gedenkend. Hatte er diese verlassen mXssen, um ein Kamaswami zu werden? Er saX noch, als die Nacht angebrochen war. Als er aufschauend die Sterne erblickte, dachte er: "Hier sitze ich unter meinem Mangobaume, in meinem Lustgarten." Er lXchelte ein wenig X war es denn notwendig, war es richtig, war es nicht ein tXrichtes Spiel, dass er einen Mangobaum, dass er einen Garten besaX? Auch damit schloss er ab, auch das starb in ihm. Er erhob sich, nahm Abschied vom Mangobaum, Abschied vom Lustgarten. Da er den Tag ohne Speise geblieben war, fXhlte er heftigen Hunger, und gedachte an sein Haus in der Stadt, an sein Gemach und Bett, an den Tisch mit den Speisen. Er lXchelte mXde, schXttelte sich und nahm Abschied von diesen Dingen. In derselben Nachtstunde verlieX Siddhartha seinen Garten, verlieX die Stadt und kam niemals wieder. Lange lieX Kamaswami nach ihm suchen, der ihn in RXuberhand gefallen glaubte. Kamala lieX nicht nach ihm suchen. Als sie erfuhr, dass Siddhartha verschwunden sei, wunderte sie sich nicht. Hatte sie es nicht immer erwartet? War er nicht ein Samana, ein Heimloser, ein Pilger? Und am meisten hatte sie dies beim letzten Zusammensein gefXhlt, und sie freute sich mitten im Schmerz des Verlustes, dass sie ihn dieses letzte Mal noch so innig an ihr Herz gezogen, sich noch einmal so ganz von ihm, besessen und durchdrungen gefXhlt hatte. Als sie die erste Nachricht von Siddharthas Verschwinden bekam, trat sie ans Fenster, wo sie in einem goldenen KXfig einen seltenen Singvogel gefangen hielt. Sie Xffnete die TXr des KXfigs, nahm den Vogel heraus und lieX ihn fliegen. Lange sah sie ihm nach, dem fliegenden Vogel. Sie empfing von diesem Tage an keine Besucher mehr, und hielt ihr Haus verschlossen. Nach einiger Zeit aber ward sie inne, dass sie von dem letzten Zusammensein mit Siddhartha schwanger sei. AM FLUSSE Siddhartha wanderte im Walde, schon fern von der Stadt, und wusste nichts als das eine, dass er nicht mehr zurXck konnte, dass dies Leben, wie er es nun viele Jahre lang gefXhrt, vorXber und dahin und bis zum Ekel ausgekostet und ausgesogen war. Tot war der Singvogel, von dem er getrXumt. Tot war der Vogel in seinem Herzen. Tief war er in Sansara verstrickt, Ekel und Tod hatte er von allen Seiten in sich eingesogen, wie ein Schwamm Wasser einsaugt, bis er voll ist. Voll war er von Xberdruss, voll von Elend, voll von Tod, nichts mehr gab es in der Welt, das ihn locken, das ihn freuen, das ihn trXsten konnte. Sehnlich wXnschte er, nichts mehr von sich zu wissen, Ruhe zu haben, tot zu sein. KXme doch ein Blitz und erschlXge ihn! KXme doch ein Tiger und frXe ihn! GXbe es doch einen Wein, ein Gift, das ihm BetXubung brXchte, Vergessen und Schlaf, und kein Erwachen mehr! Gab es denn noch irgendeinen Schmutz, mit dem er sich nicht beschmutzt hatte, eine SXnde und Torheit, die er nicht begangen, eine SeelenXde, die er nicht auf sich geladen hatte? War es denn noch mXglich, zu leben? War es mXglich, nochmals und nochmals wieder Atem zu ziehen, Atem auszustoXen, Hunger zu fXhlen, wieder zu essen, wieder zu schlafen, wieder beim Weibe zu liegen? War dieser Kreislauf nicht fXr ihn erschXpft und abgeschlossen? Siddhartha gelangte an den groXen Fluss im Walde, an denselben Fluss, Xber welchen ihn einst, als er noch ein junger Mann war und von der Stadt des Gotama kam, ein FXhrmann gefXhrt hatte. An diesem Flusse machte er Halt, blieb zXgernd beim Ufer stehen. MXdigkeit und Hunger hatten ihn geschwXcht, und wozu auch sollte er weitergehen, wohin denn, zu welchem Ziel? Nein, es gab keine Ziele mehr, es gab nichts mehr als die tiefe, leidvolle Sehnsucht, diesen ganzen wXsten Traum von sich zu schXtteln, diesen schalen Wein von sich zu speien, diesem jXmmerlichen und schmachvollen Leben ein Ende zu machen. Xber das Flussufer hing ein Baum gebeugt, ein Kokosbaum, an dessen Stamm lehnte sich Siddhartha mit der Schulter, legte den Arm um den Stamm und blickte in das grXne Wasser hinab, das unter ihm zog und zog, blickte hinab und fand sich ganz und gar von dem Wunsche erfXllt, sich loszulassen und in diesem Wasser unterzugehen. Eine schauerliche Leere spiegelte ihm aus dem Wasser entgegen, welcher die furchtbare Leere in seiner Seele Antwort gab. Ja, er war am Ende. Nichts mehr gab es fXr ihn, als sich auszulXschen, als das misslungene Gebilde seines Lebens zu zerschlagen, es wegzuwerfen, hohnlachenden GXttern vor die FXe. Dies war das groXe Erbrechen, nach dem er sich gesehnt hatte: der Tod, das Zerschlagen der Form, die er hasste! Mochten ihn die Fische fressen, diesen Hund von Siddhartha, diesen Irrsinnigen, diesen verdorbenen und verfaulten Leib, diese erschlaffte und missbrauchte Seele! Mochten die Fische und Krokodile ihn fressen, mochten die DXmonen ihn zerstXcken! Mit verzerrtem Gesichte starrte er ins Wasser, sah sein Gesicht gespiegelt und spie danach. In tiefer MXdigkeit lXste er den Arm vom Baumstamme und drehte sich ein wenig, um sich senkrecht hinabfallen zu lassen, um endlich unterzugehen. Er sank, mit geschlossenen Augen, dem Tod entgegen. Da zuckte aus entlegenen Bezirken seiner Seele, aus Vergangenheiten seines ermXdeten Lebens her ein Klang. Es war ein Wort, eine Silbe, die er ohne Gedanken mit lallender Stimme vor sich hinsprach, das alte Anfangswort und Schlusswort aller brahmanischen Gebete, das heilige "Om", das so viel bedeutet wie "das Vollkommene" oder "die Vollendung". Und im Augenblick, da der Klang "Om" Siddharthas Ohr berXhrte, erwachte sein entschlummerter Geist plXtzlich, und erkannte die Torheit seines Tuns. Siddhartha erschrak tief. So also stand es um ihn, so verloren war er, so verirrt und von allem Wissen verlassen, dass er den Tod hatte suchen kXnnen, dass dieser Wunsch, dieser Kinderwunsch in ihm hatte groX werden kXnnen: Ruhe zu finden, indem er seinen Leib auslXschte! Was alle Qual dieser letzten Zeiten, alle ErnXchterung, alle Verzweiflung nicht bewirkt hatte, das bewirkte dieser Augenblick, da das Om in sein Bewusstsein drang: dass er sich in seinem Elend und in seiner Irrsal erkannte. Om! sprach er vor sich hin: Om! Und wusste um Brahman, wusste um die UnzerstXrbarkeit des Lebens, wusste um alles GXttliche wieder, das er vergessen hatte. Doch war dies nur ein Augenblick, ein Blitz. Am FuX des Kokosbaumes sank Siddhartha nieder, von der ErmXdung hingestreckt, Om murmelnd, legte sein Haupt auf die Wurzel des Baumes und sank in tiefen Schlaf. Tief war sein Schlaf und frei von TrXumen, seit langer Zeit hatte er einen solchen Schlaf nicht mehr gekannt. Als er nach manchen Stunden erwachte, war ihm, als seien zehn Jahre vergangen, er hXrte das leise StrXmen des Wassers, wusste nicht, wo er sei und wer ihn hierher gebracht habe, schlug die Augen auf, sah mit Verwunderung BXume und Himmel Xber sich, und erinnerte sich, wo er wXre und wie er hierher gekommen sei. Doch bedurfte er hierzu einer langen Weile, und das Vergangene erschien ihm wie von einem Schleier Xberzogen, unendlich fern, unendlich weit weg gelegen, unendlich gleichgXltig. Er wusste nur, dass er sein frXheres Leben (im ersten Augenblick der Besinnung erschien ihm dies frXhere Leben wie eine weit zurXckliegende, einstige VerkXrperung, wie eine frXhe Vorgeburt seines jetzigen Ich) X dass er sein frXheres Leben verlassen habe, dass er voll Ekel und Elend sogar sein Leben habe wegwerfen wollen, dass er aber an einem Flusse, unter einem Kokosbaume, zu sich gekommen sei, das heilige Wort Om auf den Lippen, dann entschlummert sei, und nun erwacht als ein neuer Mensch in die Welt blicke. Leise sprach er das Wort Om vor sich hin, Xber welchem er eingeschlafen war, und ihm schien sein ganzer langer Schlaf sei nichts als ein langes, versunkenes Om-Sprechen gewesen, ein Om-Denken, ein Untertauchen und vXlliges Eingehen in Om, in das Namenlose, Vollendete. Was fXr ein wunderbarer Schlaf war dies doch gewesen! Niemals hatte ein Schlaf ihn so erfrischt, so erneut, so verjXngt! Vielleicht war er wirklich gestorben, war untergegangen und in einer neuen Gestalt wiedergeboren? Aber nein, er kannte sich, er kannte seine Hand und seine FXe, kannte den Ort, an dem er lag, kannte dies Ich in seiner Brust, diesen Siddhartha, den Eigenwilligen, den Seltsamen, aber dieser Siddhartha war dennoch verwandelt, war erneut, war merkwXrdig ausgeschlafen, merkwXrdig wach, freudig und neugierig. Siddhartha richtete sich empor, da sah er sich gegenXber einen Menschen sitzen, einen fremden Mann, einen MXnch in gelbem Gewande mit rasiertem Kopfe, in der Stellung des Nachdenkens. Er betrachtete den Mann, der weder Haupthaar noch Bart an sich hatte, und nicht lange hatte er ihn betrachtet, da erkannte er in diesem MXnche Govinda, den Freund seiner Jugend, Govinda, der seine Zuflucht zum erhabenen Buddha genommen hatte. Govinda war gealtert, auch er, aber noch immer trug sein Gesicht die alten ZXge, sprach von Eifer, von Treue, von Suchen, von Xngstlichkeit. Als nun aber Govinda, seinen Blick fXhlend, das Auge aufschlug und ihn anschaute, sah Siddhartha, dass Govinda ihn nicht erkenne. Govinda freute sich, ihn wach zu finden, offenbar hatte er lange hier gesessen und auf sein Erwachen gewartet, obwohl er ihn nicht kannte. "Ich habe geschlafen," sagte Siddhartha. "Wie bist denn du hierher gekommen?" "Du hast geschlafen," antwortete Govinda. "Es ist nicht gut, an solchen Orten zu schlafen, wo hXufig Schlangen sind und die Tiere des Waldes ihre Wege haben. Ich, o Herr, bin ein JXnger des erhabenen Gotama, des Buddha, des Sakyamuni, und bin mit einer Zahl der Unsrigen diesen Weg gepilgert, da sah ich dich liegen und schlafen an einem Orte, wo es gefXhrlich ist zu schlafen. Darum suchte ich dich zu wecken, o Herr, und da ich sah, dass dein Schlaf sehr tief war, blieb ich hinter den Meinigen zurXck und saX bei dir. Und dann, so scheint es, bin ich selbst eingeschlafen, der ich deinen Schlaf bewachen wollte. Schlecht habe ich meinen Dienst versehen, MXdigkeit hat mich Xbermannt. Aber nun, da du ja wach bist, lass mich gehen, damit ich meine BrXder einhole." "Ich danke dir, Samana, dass du meinen Schlaf behXtet hast," sprach Siddhartha. "Freundlich seid Ihr JXnger des Erhabenen. Nun magst du denn gehen." "Ich gehe, Herr. MXge der Herr sich immer wohl befinden." "Ich danke dir, Samana." Govinda machte das Zeichen des GruXes und sagte: "Lebe wohl." "Lebe wohl, Govinda," sagte Siddhartha. Der MXnch blieb stehen. "Erlaube, Herr, woher kennst du meinen Namen?" Da lXchelte Siddhartha. "Ich kenne dich, o Govinda, aus der HXtte deines Vaters, und aus der Brahmanenschule, und von den Opfern, und von unsrem Gang zu den Samanas, und von jener Stunde, da du im Hain Jetavana deine Zuflucht zum Erhabenen nahmest." "Du bist Siddharthal" rief Govinda laut. Jetzt erkenne ich dich, und begreife nicht mehr, wie ich dich nicht sogleich erkennen konnte. Sei willkommen, Siddhartha, groX ist meine Freude, dich wiederzusehen" "Auch mich erfreut es, dich wiederzusehen. Du bist der WXchter meines Schlafes gewesen, nochmals danke ich dir dafXr, obwohl ich keines WXchters bedurft hXtte. Wohin gehst du, o Freund?" "Nirgendshin gehe ich. Immer sind wir MXnche unterwegs, solange nicht Regenzeit ist, immer ziehen wir von Ort zu Ort, leben nach der Regel, verkXndigen die Lehre, nehmen Almosen, ziehen weiter. Immer ist es so. Du aber, Siddhartha, wo gehst du hin?" Sprach Siddhartha: "Auch mit mir steht es so, Freund, wie mit dir. Ich gehe nirgendhin. Ich bin nur unterwegs. Ich pilgere." Govinda sprach: "Du sagst, du pilgerst, und ich glaube dir. Doch verzeih, o Siddhartha, nicht wie ein Pilger siehst du aus. Du trXgst das Kleid eines Reichen, du trXgst die Schuhe eines Vornehmen, und dein Haar, das nach wohlriechendem Wasser duftet, ist nicht das Haar eines Pilgers, nicht das Haar eines Samanas." "Wohl, Lieber, gut hast du beobachtet, alles sieht dein scharfes Auge. Doch habe ich nicht zu dir gesagt, dass ich ein Samana sei. Ich sagte: ich pilgere. Und so ist es: ich pilgere." "Du pilgerst," sagte Govinda. "Aber wenige pilgern in solchem Kleide, wenige in solchen Schuhen, wenige mit solchen Haaren. Nie habe ich, der ich schon viele Jahre pilgere, solch einen Pilger angetroffen." "Ich glaube es dir, mein Govinda. Aber nun, heute, hast du eben einen solchen Pilger angetroffen, in solchen Schuhen, mit solchem Gewande. Erinnere dich, Lieber: VergXnglich ist die Welt der Gestaltungen, vergXnglich, hXchst vergXnglich sind unsere GewXnder, und die Tracht unserer Haare, und unsere Haare und KXrper selbst. Ich trage die Kleider eines Reichen, da hast du recht gesehen. Ich trage sie, denn ich bin ein Reicher gewesen, und trage das Haar wie die Weltleute und LXstlinge, denn einer von ihnen bin ich gewesen. " "Und jetzt, Siddhartha, was bist du jetzt?" "Ich weiX es nicht, ich weiX es so wenig wie du. Ich bin unterwegs. Ich war ein Reicher, und bin es nicht mehr; und was ich morgen sein werde, weiX ich nicht." "Du hast deinen Reichtum verloren?" "Ich habe ihn verloren, oder er mich. Er ist mir abhanden gekommen. Schnell dreht sich das Rad der Gestaltungen, Govinda. Wo ist der Brahmane Siddhartha? Wo ist der Samana Siddhartha? Wo ist der Reiche Siddhartha? Schnell wechselt das VergXngliche, Govinda, du weiXt es. Govinda blickte den Freund seiner Jugend lange an, Zweifel im Auge. Darauf grXte er ihn, wie man Vornehme grXt, und ging seines Weges. Mit lXchelndem Gesicht schaute Siddhartha ihm nach, er liebte ihn noch immer, diesen Treuen, diesen Xngstlichen. Und wie hXtte er, in diesem Augenblick, in dieser herrlichen Stunde nach seinem wunderbaren Schlafe, durchdrungen von Om, irgend jemand und irgend etwas nicht lieben sollen! Eben darin bestand die Verzauberung, welche im Schlafe und durch das Om in ihm geschehen war, dass er alles liebte, dass er voll froher Liebe war zu allem, was er sah. Und eben daran, so schien es ihm jetzt, war er vorher so sehr krank gewesen, dass er nichts und niemand hatte lieben kXnnen. Mit lXchelndem Gesichte schaute Siddhartha dem hinweggehenden MXnche nach. Der Schlaf hatte ihn sehr gestXrkt, sehr aber quXlte ihn der Hunger, denn er hatte nun zwei Tage nichts gegessen, und lange war die Zeit vorXber, da er hart gegen den Hunger gewesen war. Mit Kummer, und doch auch mit Lachen, gedachte er jener Zeit. Damals, so erinnerte er sich, hatte er sich vor Kamala dreier Dinge gerXhmt, hatte drei edle und unXberwindliche KXnste gekonnt: Fasten X Warten X Denken. Dies war sein Besitz gewesen, seine Macht und Kraft, sein fester Stab, in den fleiXigen, mXhseligen Jahren seiner Jugend hatte er diese drei KXnste gelernt, nichts anderes. Und nun hatten sie ihn verlassen, keine von ihnen war mehr sein, nicht Fasten, nicht Warten, nicht Denken. Um das Elendeste hatte er sie hingegeben, um das VergXnglichste, um SinnenIust, um Wohlleben, um Reichtum! Seltsam war es ihm in der Tat ergangen. Und jetzt, so schien es, jetzt war er wirklich ein Kindermensch geworden. Siddhartha dachte Xber seine Lage nach. Schwer fiel ihm das Denken, er hatte im Grunde keine Lust dazu, doch zwang er sich. Nun, dachte er, da alle diese vergXnglichsten Dinge mir wieder entglitten sind, nun stehe ich wieder unter der Sonne, wie ich einst als kleines Kind gestanden bin, nichts ist mein, nichts kann ich, nichts vermag ich, nichts habe ich gelernt. Wie ist dies wunderlich! Jetzt, wo ich nicht mehr jung bin, wo meine Haare schon halb grau sind, wo die KrXfte nachlassen, jetzt fange ich wieder von vorn und beim Kinde an! Wieder musste er lXcheln. Ja, seltsam war sein Geschick! Es ging abwXrts mit ihm, und nun stand er wieder leer und nackt und dumm in der Welt. Aber Kummer darXber konnte er nicht empfinden, nein, er fXhlte sogar groXen Anreiz zum Lachen, zum Lachen Xber sich, zum Lachen Xber diese seltsame, tXrichte Welt. "AbwXrts geht es mit dir!" sagte er zu sich selber, und lachte dazu, und wie er es sagte, fiel sein Blick auf den Fluss, und auch den Fluss sah er abwXrts gehen, immer abwXrts wandern, und dabei singen und frXhlich sein. Das gefiel ihm wohl, freundlich lXchelte er dem Flusse zu. War dies nicht der Fluss, in welchem er sich hatte ertrXnken wollen, einst, vor hundert Jahren, oder hatte er das getrXumt? Wunderlich in der Tat war mein Leben, so dachte er, wunderliche Umwege hat es genommen. Als Knabe habe ich nur mit GXttern und Opfern zu tun gehabt. Als JXngling habe ich nur mit Askese, mit Denken und Versenkung zu tun gehabt, war auf der Suche nach Brahman, verehrte das Ewige im Atman. Als junger Mann aber zog ich den BXern nach, lebte im Walde, litt Hitze und Frost, lernte hungern, lehrte meinen Leib absterben. Wunderbar kam mir alsdann in der Lehre des groXen Buddha Erkenntnis entgegen, ich fXhlte Wissen um die Einheit der Welt in mir kreisen wie mein eigenes Blut. Aber auch von Buddha und von dem groXen Wissen musste ich wieder fort. Ich ging und lernte bei Kamala die Liebeslust, lernte bei Kamaswami den Handel, hXufte Geld, vertat Geld, lernte meinen Magen lieben, lernte meinen Sinnen schmeicheln. Viele Jahre musste ich damit hinbringen, den Geist zu verlieren, das Denken wieder zu verlernen, die Einheit zu vergessen. Ist es nicht so, als sei ich langsam und auf groXen Umwegen aus einem Mann ein Kind geworden, aus einem Denker ein Kindermensch? Und doch ist dieser Weg sehr gut gewesen, und doch ist der Vogel in meiner Brust nicht gestorben. Aber welch ein Weg war das! Ich habe durch so viel Dummheit, durch so viel Laster, durch so viel Irrtum, durch so viel Ekel und EnttXuschung und Jammer hindurchgehen mXssen, bloX um wieder ein Kind zu werden und neu anfangen zu kXnnen. Aber es war richtig so, mein Herz sagt Ja dazu, meine Augen lachen dazu. Ich habe Verzweiflung erleben mXssen, ich habe hinabsinken mXssen bis zum tXrichtesten aller Gedanken, zum Gedanken des Selbstmordes, um Gnade erleben zu kXnnen, um wieder Om zu vernehmen, um wieder richtig schlafen und richtig erwachen zu kXnnen. Ich habe ein Tor werden mXssen, um Atman wieder in mir zu finden. Ich habe sXndigen mXssen, um wieder leben zu kXnnen. Wohin noch mag mein Weg mich fXhren? NXrrisch ist er, dieser Weg, er geht in Schleifen, er geht vielleicht im Kreise. Mag er gehen, wie er will, ich will ihn gehen. Wunderbar fXhlte er in seiner Brust die Freude wallen. Woher denn, fragte er sein Herz, woher hast du diese FrXhlichkeit? Kommt sie wohl aus diesem langen, guten Schlafe her, der mir so sehr wohlgetan hat? Oder von dem Worte Om, das ich aussprach? Oder davon, dass ich entronnen bin, dass meine Flucht vollzogen ist, dass ich endlich wieder frei bin und wie ein Kind unter dem Himmel stehe? O wie gut ist dies Geflohensein, dies Freigewordensein! Wie rein und schXn ist hier die Luft, wie gut zu atmen! Dort, von wo ich entlief, dort roch alles nach Salbe, nach GewXrzen, nach Wein, nach Xberfluss, nach TrXgheit. Wie hasste ich diese Welt der Reichen, der Schlemmer, der Spieler! Wie habe ich mich selbst gehasst, dass ich so lang in dieser schrecklichen Welt geblieben bin! Wie habe ich mich gehasst, habe mich beraubt, vergiftet, gepeinigt, habe mich alt und bXse gemacht! Nein, nie mehr werde ich, wie ich es einst so gerne tat, mir einbilden, dass Siddhartha weise sei! Dies aber habe ich gut gemacht, dies gefXllt mir, dies muss ich loben, dass es nun ein Ende hat mit jenem Hass gegen mich selber, mit jenem tXrichten und Xden Leben! Ich lobe dich, Siddharta, nach so viel Jahren der Torheit hast du wieder einmal einen Einfall gehabt, hast etwas getan, hast den Vogel in deiner Brust singen hXren und bist ihm gefolgt! So lobte er sich, hatte Freude an sich, hXrte neugierig seinem Magen zu, der vor Hunger knurrte. Ein StXck Leid, ein StXck Elend hatte er nun, so fXhlte er, in diesen letzten Zeiten und Tagen ganz und gar durchgekostet und ausgespien, bis zur Verzweiflung und bis zum Tode ausgefressen. So war es gut. Lange noch hXtte er bei Kamaswami bleiben kXnnen, Geld erwerben, Geld vergeuden, seinen Bauch mXsten und seine Seele verdursten lassen, lange noch hXtte er in dieser sanften, wohlgepolsterten HXlle wohnen kXnnen, wXre dies nicht gekommen: der Augenblick der vollkommenen Trostlosigkeit und Verzweiflung, jener XuXerste Augenblick, da er Xber dem strXmenden Wasser hing und bereit war, sich zu vernichten. Dass er diese Verzweiflung, diesen tiefsten Ekel gefXhlt hatte, und dass er ihm nicht erlegen war, dass der Vogel, die frohe Quelle und Stimme in ihm doch noch lebendig war, darXber fXhlte er diese Freude, darXber lachte er, darXber strahlte sein Gesicht unter den ergrauten Haaren. "Es ist gut," dachte er, "alles selber zu kosten, was man zu wissen nXtig hat. Dass Weltlust und Reichtum nicht vom Guten sind, habe ich schon als Kind gelernt. Gewusst habe ich es lange, erlebt habe ich es erst jetzt. Und nun weiX ich es, weiX es nicht nur mit dem GedXchtnis, sondern mit meinen Augen, mit meinem Herzen, mit meinem Magen. Wohl mir, dass ich es weiX!" Lange sann er nach Xber seine Verwandlung, lauschte dem Vogel, wie er vor Freude sang. War nicht dieser Vogel in ihm gestorben, hatte er nicht seinen Tod gefXhlt? Nein, etwas anderes in ihm war gestorben, etwas, das schon, lange sich nach Sterben gesehnt hatte. War es nicht das, was er einst in seinen glXhenden BXerjahren hatte abtXten wollen? War es nicht sein Ich, sein kleines, banges und stolzes Ich, mit dem er so viele Jahre gekXmpft hatte, das ihn immer wieder besiegt hatte, das nach jeder AbtXtung wieder da war, Freude verbot, Furcht empfand? War es nicht dies, was heute endlich seinen Tod gefunden hatte, hier im Walde an diesem lieblichen Flusse? War es nicht dieses Todes wegen, dass er jetzt wie ein Kind war, so voll Vertrauen, so ohne Furcht, so voll Freude? Nun auch ahnte Siddhartha, warum er als Brahmane, als BXer vergeblich mit diesem Ich gekXmpft hatte. Zu viel Wissen hatte ihn gehindert, zu viel heilige Verse, zu viel Opferregeln, zu viel Kasteiung, zu viel Tun und Streben! Voll Hochmut war er gewesen, immer der KlXgste, immer der Eifrigste, immer allen um einen Schritt voran, immer der Wissende und Geistige, immer der Priester oder Weise. In dies Priestertum, in diesen Hochmut, in diese Geistigkeit hinein hatte sein Ich sich verkrochen, dort saX es fest und wuchs, wXhrend er es mit Fasten und BuXe zu tXten meinte. Nun sah er es, und sah, dass die heimliche Stimme Recht gehabt hatte, dass kein Lehrer ihn je hXtte erlXsen kXnnen. Darum hatte er in die Welt gehen mXssen, sich an Lust und Macht, an Weib und Geld verlieren mXssen, hatte ein HXndler, ein WXrfelspieler, Trinker und Habgieriger werden mXssen, bis der Priester und Samana in ihm tot war. Darum hatte er weiter diese hXlichen Jahre ertragen mXssen, den Ekel ertragen, die Lehre, die Sinnlosigkeit eines Xden und verlorenen Lebens, bis zum Ende, bis zur bittern Verzweiflung, bis auch der LXstling Siddhartha, der Habgierige Siddhartha sterben konnte. Er war gestorben, ein neuer Siddhartha war aus dem Schlaf erwacht. Auch er wXrde alt werden, auch er wXrde einst sterben mXssen, vergXnglich war Siddhartha, vergXnglich war jede Gestaltung. Heute aber war er jung, war ein Kind, der neue Siddhartha, und war voll Freude. Diese Gedanken dachte er, lauschte lXchelnd auf seinen Magen, hXrte dankbar einer summenden Biene zu. Heiter blickte er in den strXmenden Fluss, nie hatte ihm ein Wasser so wohl gefallen wie dieses, nie hatte er Stimme und Gleichnis des ziehenden Wassers so stark und schXn vernommen. Ihm schien, es habe der Fluss ihm etwas Besonderes zu sagen, etwas, das er noch nicht wisse, das noch auf ihn warte. In diesem Fluss hatte sich Siddhartha ertrXnken wollen, in ihm war der alte, mXde, verzweifelte Siddhartha heute ertrunken. Der neue Siddhartha aber fXhlte eine tiefe Liebe zu diesem strXmenden Wasser, und beschloss bei sich, es nicht so bald wieder zu verlassen. DER FXHRMANN An diesem Fluss will ich bleiben, dachte Siddhartha, es ist der selbe, Xber den ich einstmals auf dem Wege zu den Kindermenschen gekommen bin, ein freundlicher FXhrmann hat mich damals gefXhrt, zu ihm will ich gehen, von seiner HXtte aus fXhrte mich einst mein Wegin ein neues Leben, das nun alt geworden und tot ist X mXge auch mein jetziger Weg, mein jetziges neues Leben dort seinen Ausgang nehmen! ZXrtlich blickte er in das strXmende Wasser, in das durchsichtige GrXn, in die kristallenen Linien seiner geheimnisreichen Zeichnung. Lichte Perlen sah er aus der Tiefe steigen, stille Luftblasen auf dem Spiegel schwimmen, HimmelsblXue darin abgebildet. Mit tausend Augen blickte der Fluss ihn an, mit grXnen, mit weiXen, mit kristallnen, mit himmelblauen. Wie liebte er dies Wasser, wie entzXckte es ihn, wie war er ihm dankbar! Im Herzen hXrte er die Stimme sprechen, die neu erwachte, und sie sagte ihm: Liebe dies Wasser! Bleibe bei ihm! Lerne von ihm! O ja, er wollte von ihm lernen, er wollte ihm zuhXren. Wer dies Wasser und seine Geheimnisse verstXnde, so schien ihm, der wXrde auch viel anderes verstehen, viele Geheimnisse, alle Geheimnisse. Von den Geheimnissen des Flusses aber sah er heute nur eines, das ergriff seine Seele. Er sah: dies Wasser lief und lief, immerzu lief es, und war doch immer da, war immer und allezeit dasselbe und doch jeden Augenblick neu! O wer dies fasste, dies verstXnde! Er verstand und fasste es nicht, fXhlte nur Ahnung sich regen, ferne Erinnerung, gXttliche Stimmen. Siddhartha erhob sich, unertrXglich wurde das Treiben des Hungers in seinem Leibe. Hingenommen wanderte er weiter, den Uferpfad hinan, dem Strom entgegen, lauschte auf die StrXmung, lauschte auf den knurrenden Hunger in seinem Leibe. Als er die FXhre erreichte, lag eben das Boot bereit, und derselbe FXhrmann, welcher einst den jungen Samana Xber den Fluss gesetzt hatte, stand im Boot, Siddhartha erkannte ihn wieder, auch er war stark gealtert. "Willst du mich Xbersetzen?" fragte er. Der FXhrmann, erstaunt, einen so vornehmen Mann allein und zu FuXe wandern zu sehen, nahm ihn ins Boot und stieX ab. "Ein schXnes Leben hast du dir erwXhlt," sprach der Gast. "SchXn muss es sein, jeden Tag an diesem Wasser zu leben und auf ihm zu fahren." LXchelnd wiegte sich der Ruderer: "Es ist schXn, Herr, es ist, wie du sagst. Aber ist nicht jedes Leben, ist nicht jede Arbeit schXn?" "Es mag wohl sein. Dich aber beneide ich um die Deine." "Ach, du mXchtest bald die Lust an ihr verlieren. Das ist nichts fXr Leute in feinen Kleidern." Siddhartha lachte. "Schon einmal bin ich heute um meiner Kleider willen betrachtet worden, mit Misstrauen betrachtet. Willst du nicht, FXhrmann, diese Kleider, die mir lXstig sind, von mir annehmen? Denn du musst wissen, ich habe kein Geld, dir einen FXhrlohn zu zahlen." "Der Herr scherzt," lachte der FXhrmann. "Ich scherze nicht, Freund. Sieh, schon einmal hast du mich in deinem Boot Xber dies Wasser gefahren, um Gotteslohn. So tue es auch heute, und nimm meine Kleider dafXr an." "Und will der Herr ohne Kleider weiterreisen?" "Ach, am liebsten wollte ich gar nicht weiterreisen. Am liebsten wXre es mir, FXhrmann, wenn du mir eine alte SchXrze gXbest und behieltest mich als deinen Gehilfen bei dir, vielmehr als deinen Lehrling, denn erst muss ich lernen, mit dem Boot umzugehen." Lange blickte der FXhrmann den Fremden an, suchend. "Jetzt erkenne ich dich," sagte er endlich. "Einst hast du in meiner HXtte geschlafen, lange ist es her, wohl mehr als zwanzig Jahre mag das her sein, und bist von mir Xber den Fluss gebracht worden, und wir nahmen Abschied voneinander wie gute Freunde. Warst du nicht ein Samana? Deines Namens kann ich mich nicht mehr entsinnen." "Ich heiXe Siddhartha, und ich war ein Samana, als du mich zuletzt gesehen hast." "So sei willkommen, Siddhartha. Ich heiXe Vasudeva. Du wirst, so hoffe ich, auch heute mein Gast sein und in meiner HXtte schlafen, und mir erzXhlen, woher du kommst, und warum deine schXnen Kleider dir so lXstig sind." Sie waren in die Mitte des Flusses gelangt, und Vasudeva legte sich stXrker ins Ruder, um gegen die StrXmung anzukommen. Ruhig arbeitete er, den Blick auf der Bootspitze, mit krXftigen Armen. Siddhartha saX und und sah ihm zu, und erinnerte sich, wie schon einstmals, an jenem letzten Tage seiner Samana-Zeit, Liebe zu diesem Manne sich in seinem Herzen geregt hatte. Dankbar nahm er Vasudevas Einladung an. Als sie am Ufer anlegten, half er ihm das Boot an den PflXcken festbinden, darauf bat ihn der FXhrmann, in die HXtte zu treten, bot ihm Brot und Wasser, und Siddhartha aX mit Lust, und aX mit Lust auch von den MangofrXchten, die ihm Vasudeva anbot. Danach setzten sie sich, es ging gegen Sonnenuntergang, auf einem Baumstamm am Ufer, und Siddhartha erzXhlte dem FXhrmann seine Herkunft und sein Leben, wie er es heute, in jener Stunde der Verzweiflung, vor seinen Augen gesehen hatte. Bis tief in die Nacht wXhrte sein ErzXhlen. Vasudeva hXrte mit groXer Aufmerksamkeit zu. Alles nahm er lauschend in sich auf, Herkunft und Kindheit, all das Lernen, all das Suchen, alle Freude, alle Not. Dies war unter des FXhrmanns Tugenden eine der grXten: er verstand wie wenige das ZuhXren. Ohne dass er ein Wort gesprochen hXtte, empfand der Sprechende, wie Vasudeva seine Worte in sich einlieX, still, offen, wartend, wie er keines verlor, keines mit Ungeduld erwartete, nicht Lob noch Tadel daneben stellte, nur zuhXrte. Siddhartha empfand, welches GlXck es ist, einem solchen ZuhXrer sich zu bekennen, in sein Herz das eigene Leben zu versenken, das eigene Suchen, das eigene Leiden. Gegen das Ende von Siddharthas ErzXhlung aber, als er von dem Baum am Flusse sprach, und von seinem tiefen Fall, vom heiligen Om, und wie er nach seinem Schlummer eine solche Liebe zu dem Flusse gefXhlt hatte, da lauschte der FXhrmann mit verdoppelter Aufmerksamkeit, ganz und vXllig hingegeben, mit geschlossnem Auge. Als aber Siddhartha schwieg, und eine lange Stille gewesen war, da sagte Vasudeva: "Es ist so, wie ich dachte. Der Fluss hat zu dir gesprochen. Auch dir ist er Freund, auch zu dir spricht er. Das ist gut, das ist sehr gut. Bleibe bei mir, Siddhartha, mein Freund. Ich hatte einst eine Frau, ihr Lager war neben dem meinen, doch ist sie schon lange gestorben, lange habe ich allein gelebt. Lebe nun du mit mir, es ist Raum und Essen fXr beide vorhanden." "Ich danke dir," sagte Siddhartha, "ich danke dir und nehme an. Und auch dafXr danke ich dir, Vasudeva, dass du mir so gut zugehXrt hast! Selten sind die Menschen, welche das ZuhXren verstehen, und keinen traf ich, der es verstand wie du. Auch hierin werde ich von dir lernen." "Du wirst es lernen," sprach Vasudeva, "aber nicht von mir. Das ZuhXren hat mich der Fluss gelehrt, von ihm wirst auch du es lernen. Er weiX alles, der Fluss, alles kann man von ihm lernen. Sieh, auch das hast du, schon vom Wasser gelernt, dass es gut ist, nach unten zu streben, zu sinken, die Tiefe zu suchen. Der reiche und vornehme Siddhartha wird ein Ruderknecht, der gelehrte Brahmane Siddhartha wird ein FXhrmann: auch dies ist dir vom Fluss gesagt worden. Du wirst auch das andere von ihm lernen." Sprach Siddhartha, nach einer langen Pause: "Welches andere, Vasudeva?" Vasudeva erhob sich. "SpXt ist es geworden," sagte er, "lass uns schlafen gehen. Ich kann dir das andere nicht sagen, o Freund. Du wirst es lernen, vielleicht auch weiXt du es schon. Sieh, ich bin kein Gelehrter, ich verstehe nicht zu sprechen, ich verstehe auch nicht zu denken. Ich verstehe nur zuzuhXren und fromm zu sein, sonst habe ich nichts gelernt. KXnnte ich es sagen und lehren, so wXre ich vielleicht ein Weiser, so aber bin ich nur ein FXhrmann, und meine Aufgabe ist es, Menschen Xber diesen Fluss zu setzen. Viele habe ich Xbergesetzt, Tausende, und ihnen allen ist mein Fluss nichts anderes gewesen als ein Hindernis auf ihren Reisen. Sie reisten nach Geld und GeschXften, und zu Hochzeiten, und zu Wallfahrten, und der Fluss war ihnen im Wege, und der FXhrmann war dazu da, sie schnell Xber das Hindernis hinweg zubringen. Einige unter den Tausenden aber, einige wenige, vier oder fXnf, denen hat der Fluss aufgehXrt, ein Hindernis zu sein, sie haben seine Stimme gehXrt, sie haben ihm zugehXrt, und der Fluss ist ihnen heilig geworden, wie er es mir geworden ist. Lass uns nun zur Ruhe gehen, Siddhartha." Siddhartha blieb bei dem FXhrmann und lernte das Boot bedienen, und wenn nichts an der FXhre zu tun war, arbeitete er mit Vasudeva im Reisfelde, sammelte Holz, pflXckte die FrXchte der PisangbXume. Er lernte ein Ruder zimmern, und lernte das Boot ausbessern, und KXrbe flechten, und war frXhlich Xber alles, was erlernte, und die Tage und Monate liefen schnell hinweg. Mehr aber, als Vasudeva ihn lehren konnte, lehrte ihn der Fluss. Von ihm lernte er unaufhXrlich. Vor allem lernte er von ihm das ZuhXren, das Lauschen mit stillem Herzen, mit wartender, geXffneter Seele, ohne Leidenschaft, ohne,Wunsch, ohne Urteil, ohne Meinung. Freundlich lebte er neben Vasudeva, und zuweilen tauschten sie Worte miteinander, wenige und lang bedachte Worte. Vasudeva war kein Freund der Worte, selten gelang es Siddhartha, ihn zum Sprechen zu bewegen. "Hast du," so fragte er ihn einst, "hast auch du vom Flusse jenes Geheime gelernt: dass es keine Zeit gibt?" Vasudevas Gesicht Xberzog sich mit hellem LXcheln. "Ja, Siddhartha," sprach er. "Es ist doch dieses, was du meinst: dass der Fluss Xberall zugleich ist, am Ursprung und an der MXndung, am Wasserfall, an der FXhre, an der Stromschnelle, im Meer, im Gebirge, Xberall zugleich, und dass es fXr ihn nur Gegenwart gibt, nicht den Schatten Vergangenheit, nicht den Schatten Zukunft?" "Dies ist es," sagte Siddhartha. "Und als ich es gelernt hatte, da sah ich mein Leben an, und es war auch ein Fluss, und es war der Knabe Siddhartha vom Manne Siddhartha und vom Greis Siddhartha nur durch Schatten getrennt, nicht durch Wirkliches. Es waren auch Siddharthas frXhere Geburten keine Vergangenheit, und sein Tod und seine RXckkehr zu Brahma keine Zukunft. Nichts war, nichts wird sein; alles ist, alles hat Wesen und Gegenwart." Siddhartha sprach mit EntzXcken, tief hatte diese Erleuchtung ihn beglXckt. Oh, war denn nicht alles Leiden Zeit, war nicht alles SichquXlen und SichfXrchten Zeit, war nicht alles Schwere, alles Feindliche in der Welt weg und Xberwunden, sobald man die Zeit Xberwunden hatte, sobald man die Zeit wegdenken konnte? EntzXckt hatte er gesprochen, Vasudeva aber lXchelte ihn strahlend an und nickte BestXtigung, schweigend nickte er, strich mit der Hand Xber Siddharthas Schulter, wandte sich zu seiner Arbeit zurXck. Und wieder einmal, als eben der Fluss in der Regenzeit geschwollen war und mXchtig rauschte, da sagte Siddhartha: "Nicht wahr, o Freund, der Fluss hat viele Stimmen, sehr viele Stimmen? Hat er nicht die Stimme eines KXnigs, und eines Kriegers, und eines Stieres, und eines NachtvogeIs, und einer GebXrenden, und eines Seufzenden, und noch tausend andere Stimmen?" "Es ist so," nickte Vasudeva, "alle Stimmen der GeschXpfe sind in seiner Stimme." "Und weiXt du," fuhr Siddhartha fort, "welches Wort er spricht, wenn es dir gelingt, alle seine zehntausend Stimmen zugleich zu hXren?" GlXcklich lachte Vasudevas Gesicht, er neigte sich gegen Siddhartha und sprach ihm das heilige Om ins Ohr. Und eben dies war es, was auch Siddhartha gehXrt hatte. Und von Mal zu Mal ward sein LXcheln dem des FXhrmanns Xhnlicher, ward beinahe ebenso strahlend, beinahe ebenso von GlXck durchglXnzt, ebenso aus tausend kleinen Falten leuchtend, ebenso kindlich, ebenso greisenhaft. Viele Reisende, wenn sie die beiden FXhrmXnner sahen, hielten sie fXr BrXder. Oft saXen sie am Abend gemeinsam beim Ufer auf dem Baumstamm, schwiegen und hXrten beide dem Wasser zu, welches fXr sie kein Wasser war, sondern die Stimme des Lebens, die Stimme des Seienden, des ewig Werdenden. Und es geschah zuweilen, dass beide beim AnhXren des Flusses an dieselben Dinge dachten, an ein GesprXch von vorgestern, an einen ihrer Reisenden, dessen Gesicht und Schicksal sie beschXftigte, an den Tod, an ihre Kindheit, und dass sie beide im selben Augenblick, wenn der Fluss ihnen etwas Gutes gesagt hatte, einander anblickten, beide genau dasselbe denkend, beide beglXckt Xber dieselbe Antwort auf dieselbe Frage. Es ging von der FXhre und von den beiden FXhrleuten etwas aus, das manche von den Reisenden spXrten. Es geschah zuweilen, dass ein Reisender, nachdem er in das Gesicht eines der FXhrmXnner geblickt hatte, sein Leben zu erzXhlen begann, Leid erzXhlte, BXses bekannte, Trost und Rat erbat. Es geschah zuweilen, dass einer um Erlaubnis bat, einen Abend bei ihnen zu verweilen, um dem Flusse zuzuhXren. Es geschah auch, dass Neugierige kamen, welchen erzXhlt worden war, an dieser FXhre lebten zwei Weise, oder Zauberer, oder Heilige. Die Neugierigen stellten viele Fragen, aber sie bekamen keine Antworten, und sie fanden weder Zauberer noch Weise, sie fanden nur zwei alte freundliche MXnnlein, welche stumm zu sein und etwas sonderbar und verblXdet schienen. Und die Neugierigen lachten, und unterhielten sich darXber, wie tXricht und leichtglXubig doch das Volk solche leere GerXchte verbreite. Die Jahre gingen hin und keiner zXhlte sie. Da kamen einst MXnche gepilgert, AnhXnger des Gotama, des Buddha, welche baten, sie Xber den Fluss zu setzen, und von ihnen erfuhren die FXhrmXnner, dass sie eiligst zu ihrem groXen Lehrer zurXck wanderten, denn es habe sich die Nachricht verbreitet, der Erhabene sei todkrank und werde bald seinen letzten Menschentod sterben, um zur ErlXsung einzugehen. Nicht lange, so kam eine neue Schar MXnche gepilgert, und wieder eine, und sowohl die MXnche wie die meisten der Xbrigen Reisenden und Wanderer sprachen von nichts anderem als von Gotama und seinem nahen Tode. Und wie zu einem Kriegszug oder zur KrXnung eines KXnigs von Xberall und allen Seiten her die Menschen strXmen und sich gleich Ameisen in Scharen sammeln, so strXmten sie, wie von einem Zauber gezogen, dahin, wo der groXe Buddha seinen Tod erwartete, wo das Ungeheure geschehen und der groXe Vollendete eines Weltalters zur Herrlichkeit eingehen sollte. Viel gedachte Siddhartha in dieser Zeit des sterbenden Weisen, des groXen Lehrers, dessen Stimme VXlker ermahnt und Hunderttausende erweckt hatte, dessen Stimme auch er einst vernommen, dessen heiliges Antlitz auch er einst mit Ehrfurcht geschaut hatte. Freundlich gedachte er seiner, sah seinen Weg der Vollendung vor Augen, und erinnerte sich mit LXcheln der Worte, welche er einst als junger Mann an ihn, den Erhabenen, gerichtet hatte. Es waren, so schien ihm, stolze und altkluge Worte gewesen, lXchelnd erinnerte er sich ihrer. LXngst wusste er sich nicht mehr von Gotama getrennt, dessen Lehre er doch nicht hatte annehmen kXnnen. Nein, keine Lehre konnte ein wahrhaft Suchender annehmen, einer, der wahrhaft finden wollte. Der aber, der gefunden hat, der konnte jede, jede Lehre gutheiXen, jeden Weg, jedes Ziel, ihn trennte nichts mehr von all den tausend anderen, welche im Ewigen lebten, welche das GXttliche atmeten. An einem dieser Tage, da so viele zum sterbenden Buddha pilgerten, pilgerte zu ihm auch Kamala, einst die schXnste der Kurtisanen. LXngst hatte sie sich aus ihrem vorigen Leben zurXckgezogen, hatte ihren Garten den MXnchen Gotamas geschenkt, hatte ihre Zuflucht zur Lehre genommen, gehXrte zu den Freundinnen und WohltXterinnen der Pilgernden. Zusammen mit dem Knaben Siddhartha, ihrem Sohne, hatte sie auf die Nachricht vom nahen Tode Gotamas hin sich auf den Weg gemacht, in einfachem Kleide, zu Fuss. Mit ihrem SXhnlein war sie am Flusse unterwegs; der Knabe aber war bald ermXdet, begehrte nach Hause zurXck, begehrte zu rasten, begehrte zu essen, wurde trotzig und weinerlich. Kamala musste hXufig mit ihm rasten, er war gewohnt, seinen Willen gegen sie zu behaupten, sie musste ihn fXttern, musste ihn trXsten, musste ihn schelten. Er begriff nicht, warum er mit seiner Mutter diese mXhsame und traurige Pilgerschaft habe antreten mXssen, an einen unbekannten Ort, zu einem fremden Manne, welcher heilig war und welcher im Sterben lag. Mochte er sterben, was ging dies den Knaben an? Die Pilgernden waren nicht mehr ferne von Vasudevas FXhre, als der kleine Siddhartha abermals seine Mutter zu einer Rast nXtigte. Auch sie selbst, Kamala, war ermXdet, und wXhrend der Knabe an einer Banane kaute, kauerte sie sich am Boden nieder, schloss ein wenig die Augen und ruhte. PlXtzlich aber stieX sie einen klagenden Schrei aus, der Knabe sah sie erschrocken an und sah ihr Gesicht von Entsetzen gebleicht, und unter ihrem Kleide hervor entwich eine kleine schwarze Schlange, von welcher Kamala gebissen war. Eilig liefen sie nun beide des Weges, um zu Menschen zu kommen, und kamen bis in die NXhe der FXhre, dort sank Kamala zusammen, und vermochte nicht weiter zu gehen. Der Knabe aber erhob ein klXgliches Geschrei, dazwischen kXsste und umhalste er seine Mutter, und auch sie stimmte in seine lauten Hilferufe ein, bis die TXne Vasudevas Ohr erreichten, der bei der FXhre stand. Schnell kam er gegangen, nahm die Frau auf die Arme, trug sie ins Boot, der Knabe lief mit, und bald kamen sie alle in der HXtte an, wo Siddhartha am Herde stand und eben Feuer machte. Er blickte auf und sah zuerst das Gesicht des Knaben, das ihn wunderlich erinnerte, an Vergessenes mahnte. Dann sah er Kamala, die er alsbald erkannte, obwohl sie besinnungslos im Arm des FXhrmanns lag, und nun wusste er, dass es sein eigner Sohn sei, dessen Gesicht ihn so sehr gemahnt hatte, und das Herz bewegte sich in seiner Brust. Kamalas Wunde wurde gewaschen, war aber schon schwarz und ihr Leib angeschwollen, ein Heiltrank wurde ihr eingeflXsst. Ihr Bewusstsein kehrte zurXck, sie lag auf Siddharthas Lager in der HXtte, und Xber sie gebeugt stand Siddhartha, der sie einst so sehr geliebt hatte. Es schien ihr ein Traum zu sein, lXchelnd blickte sie in ihres Freundes Gesicht, nur langsam erkannte sie ihre Lage, erinnerte sich des Bisses, rief Xngstlich nach dem Knaben. "Er ist bei dir, sei ohne Sorge," sagte Siddhartha. Kamala blickte in seine Augen. Sie sprach mit schwerer Zunge, vom Gift gelXhmt. "Du bist alt geworden, Lieber," sagte sie, "grau bist du geworden. Aber du gleichst dem jungen Samana, der einst ohne Kleider mit staubigen FXen zu mir in den Garten kam. Du gleichst ihm viel mehr, als du ihm damals glichest, da du mich und Kamaswami verlassen hast. In den Augen gleichst du ihm, Siddhartha. Ach, auch ich bin alt geworden, alt X kanntest du mich denn noch?" Siddhartha lXchelte: "Sogleich kannte ich dich, Kamala, Liebe." Kamala deutete auf ihren Knaben und sagte: "Kanntest du auch ihn? Er ist dein Sohn." Ihre Augen wurden irr und fielen zu. Der Knabe weinte, Siddhartha nahm ihn auf seine Knie, lieX ihn weinen, streichelte sein Haar, und beim Anblick des Kindergesichtes fiel ein brahmanisches Gebet ihm ein, das er einst gelernt hatte, als er selbst ein kleiner Knabe war. Langsam, mit singender Stimme, begann er es zu sprechen, aus der Vergangenheit und Kindheit her kamen ihm die Worte geflossen. Und unter seinem Singsang wurde der Knabe ruhig, schluchzte noch hin und wieder auf und schlief ein. Siddhartha legte ihn auf Vasudevas Lager. Vasudeva stand am Herd und kochte Reis. Siddhartha warf ihm einen Blick zu, den er lXchelnd erwiderte. "Sie wird sterben," sagte Siddhartha leise. Vasudeva nickte, Xber sein freundliches Gesicht lief der Feuerschein vom Herde. Nochmals erwachte Kamala zum Bewusstsein. Schmerz verzog ihr Gesicht, Siddharthas Auge las das Leiden auf ihrem Munde, auf ihren erblassten Wangen. Stille las er es, aufmerksam, wartend, in ihr Leiden versenkt. Kamala fXhlte es, ihr Blick suchte sein Auge. Ihn anblickend, sagte sie: "Nun sehe ich, dass auch deine Augen sich verXndert haben. Ganz anders sind sie geworden. Woran doch erkenne ich noch, dass du Siddhartha bist? Du bist es, und bist es nicht." Siddhartha sprach nicht, still blickten seine Augen in die ihren. "Du hast es erreicht?" fragte sie. "Du hast Friede gefunden?" Er lXchelte, und legte seine Hand auf ihre. "Ich sehe es," sagte sie, "ich sehe es. Auch ich werde Friede finden." "Du hast ihn gefunden," sprach Siddhartha flXsternd. Kamala blickte ihm unverwandt in die Augen. Sie dachte daran, dass sie zu Gotama hatte pilgern wollen, um das Gesicht eines Vollendeten zu sehen, um seinen Frieden zu atmen, und dass sie statt seiner nun ihn gefunden, und dass es gut war, ebenso gut, als wenn sie jenen gesehen hXtte. Sie wollte es ihm sagen, aber die Zunge gehorchte ihrem Willen nicht mehr. Schweigend sah sie ihn an, und er sah in ihren Augen das Leben erlXschen. Als der letzte Schmerz ihr Auge erfXllte und brach, als der letzte Schauder Xber ihre Glieder lief, schloss sein Finger ihre Lider. Lange saX er und blickte auf ihr entschlafnes Gesicht. Lange betrachtete er ihren Mund, ihren alten, mXden Mund mit den schmal gewordenen Lippen, und erinnerte sich, dass er einst, im FrXhling seiner Jahre, diesen Mund einer frisch aufgebrochenen Feige verglichen hatte. Lange saX er, las in dem bleichen Gesicht, in den mXden Falten, fXllte sich mit dem Anblick, sah sein eigenes Gesicht ebenso liegen, ebenso weiX, ebenso erloschen, und sah zugleich sein Gesicht und das ihre jung, mit den roten Lippen, mit dem brennenden Auge, und das GefXhl der Gegenwart und Gleichzeitigkeit durchdrang ihn vXllig, das GefXhl der Ewigkeit. Tief empfand er, tiefer als jemals, in dieser Stunde die UnzerstXrbarkeit jedes Lebens, die Ewigkeit jedes Augenblicks. Da er sich erhob, hatte Vasudeva Reis fXr ihn bereitet. Doch aX Siddhartha nicht. Im Stall, wo ihre Ziege stand, machten sich die beiden Alten eine Streu zurecht, und Vasudeva legte sich schlafen. Siddhartha aber ging hinaus und saX die Nacht vor der HXtte, dem Flusse lauschend, von Vergangenheit umspXlt, von allen Zeiten seines Lebens zugleich berXhrt und umfangen. Zuweilen aber erhob er sich, trat an die HXttentXr und lauschte, ob der Knabe schlafe. FrXh am Morgen, noch ehe die Sonne sichtbar ward, kam Vasudeva aus dem Stalle und trat zu seinem Freunde. "Du hast nicht geschlafen, " sagte er. "Nein, Vasudeva. Ich saX hier, ich hXrte dem Flusse zu. Viel hat er mir gesagt, tief hat er mich mit dem heilsamen Gedanken erfXllt, mit dem Gedanken der Einheit." "Du hast Leid erfahren, Siddhartha, doch ich sehe, es ist keine Traurigkeit in dein Herz gekommen." "Nein, Lieber, wie sollte ich denn traurig sein? Ich, der ich reich und glXcklich war, bin jetzt noch reicher und glXcklicher geworden. Mein Sohn ist mir geschenkt worden." "Willkommen sei dein Sohn auch mir. Nun aber, Siddhartha, lass uns an die Arbeit gehen, viel ist zu tun. Auf demselben Lager ist Kamala gestorben, auf welchem einst mein Weib gestorben ist. Auf demselben HXgel auch wollen wir Kamalas Scheiterhaufen bauen, auf welchem ich einst meines Weibes Scheiterhaufen gebaut habe." WXhrend der Knabe noch schlief, bauten sie den Scheiterhaufen. DER SOHN Scheu und weinend hatte der Knabe der Bestattung seiner Mutter beigewohnt, finster und scheu hatte er Siddhartha angehXrt, der ihn als seinen Sohn begrXte und ihn bei sich in Vasudevas HXtte willkommen hieX. Bleich saX er tagelang am HXgel der Toten, mochte nicht essen, verschloss seinen Blick, verschloss sein Herz, wehrte und strXubte sich gegen das Schicksal. Siddhartha schonte ihn und lieX ihn gewXhren, er ehrte seine Trauer. Siddhartha verstand, dass sein Sohn ihn nicht kenne, dass er ihn nicht lieben kXnne wie einen Vater. Langsam sah und verstand er auch, dass der ElfjXhrige ein verwXhnter Knabe war, ein Mutterkind, und in Gewohnheiten des Reichtums aufgewachsen, gewohnt an feinere Speisen, an ein weiches Bett, gewohnt, Dienern zu befehlen. Siddhartha verstand, dass der Trauernde und VerwXhnte nicht plXtzlich und gutwillig in der Fremde und Armut sich zufrieden geben kXnne. Er zwang ihn nicht, er tat manche Arbeit fXr ihn, suchte stets den besten Bissen fXr ihn aus. Langsam hoffte er ihn zu gewinnen, durch freundliche Geduld. Reich und glXcklich hatte er sich genannt, als der Knabe zu ihm gekommen war. Da indessen die Zeit hinfloss, und der Knabe fremd und finster blieb, da er ein stolzes und trotziges Herz zeigte, keine Arbeit tun wollte, den Alten keine Ehrfurcht erwies, Vasudevas FruchtbXume beraubte, da begann Siddhartha zu verstehen, dass mit seinem Sohne nicht GlXck und Friede zu ihm gekommen war, sondern Leid und Sorge. Aber er liebte ihn, und lieber war ihm Leid und Sorge der Liebe, als ihm GlXck und Freude ohne den Knaben gewesen war. Seit der junge Siddhartha in der HXtte war, hatten die Alten sich in die Arbeit geteilt. Vasudeva hatte das Amt des FXhrmanns wieder allein Xbernommen, und Siddhartha, um bei dem Sohne zu sein, die Arbeit in HXtte und Feld. Lange Zeit, lange Monate wartete Siddhartha darauf, dass sein Sohn ihn verstehe, dass er seine Liebe annehme, dass er sie vielleicht erwidere. Lange Monate wartete Vasudeva, zusehend, wartete und schwieg. Eines Tages, als Siddhartha der Junge seinen Vater wieder sehr mit Trotz und Launen gequXlt und ihm beide ReisschXsseln zerbrochen hatte, nahm Vasudeva seinen Freund am Abend beiseite und sprach mit ihm. "Entschuldige mich," sagte er, "aus freundlichem Herzen rede ich zu dir. Ich sehe, dass du dich quXlst, ich sehe, dass du Kummer hast. Dein Sohn, Lieber, macht dir Sorge, und auch mir macht er Sorge. An ein anderes Leben, an ein anderes Nest ist der junge Vogel gewXhnt. Nicht wie du ist er dem Reichtum und der Stadt entlaufen aus Ekel und Xberdruss, er hat wider seinen Willen dies alles dahinten lassen mXssen. Ich fragte den Fluss, o Freund, vielemale habe ich ihn gefragt. Der Fluss aber lacht, er lacht mich aus, mich und dich lacht er aus, und schXttelt sich Xber unsre Torheit. Wasser will zu Wasser, Jugend will zu Jugend, dein Sohn ist nicht an dem Orte, wo er gedeihen kann. Frage auch du den Fluss, hXre auch du auf ihn!" BekXmmert blickte Siddhartha ihm in das freundliche Gesicht, in dessen vielen Runzeln bestXndige Heiterkeit wohnte. "Kann ich mich denn von ihm trennen?" sagte er leise, beschXmt. "Lass mir noch Zeit, Lieber! Sieh, ich kXmpfe um ihn, ich werbe um sein Herz, mit Liebe und mit freundlicher Geduld will ich es fangen. Auch zu ihm soll einst der Fluss reden, auch er ist berufen." Vasudevas LXcheln blXhte wXrmer. "O ja, auch er ist berufen, auch er ist vom ewigen Leben. Aber wissen wir denn, du und ich, wozu er berufen ist, zu welchem Wege, zu welchen Taten, zu welchen Leiden? Nicht klein wird sein Leiden sein, stolz und hart ist ja sein Herz, viel mXssen solche leiden, viel irren, viel Unrecht tun, sich viel SXnde aufladen. Sage mir, mein Lieber: du erziehst deinen Sohn nicht? Du zwingst ihn nicht? SchlXgst ihn nicht? Strafst ihn nicht?" "Nein, Vasudeva, das tue ich alles nicht." "Ich wusste es. Du zwingst ihn nicht, schlXgst ihn nicht, befiehlst ihm nicht, weil du weiXt, dass Weich stXrker ist als Hart, Wasser stXrker als Fels, Liebe stXrker als Gewalt. Sehr gut, ich lobe dich. Aber ist es nicht ein Irrtum von dir, zu meinen, dass du ihn nicht zwingest, nicht strafest? Bindest du ihn nicht in Bande mit deiner Liebe? BeschXmst du ihn nicht tXglich, und machst es ihm noch schwerer, mit deiner GXte und Geduld? Zwingst du ihn nicht, den hochmXtigen und verwXhnten Knaben, in einer HXtte bei zwei alten Bananenessern zu leben, welchen schon Reis ein Leckerbissen ist, deren Gedanken nicht seine sein kXnnen, deren Herz alt und still ist und anderen Gang hat als das seine? Ist er mit alledem nicht gezwungen, nicht gestraft?" Betroffen blickte Siddhartha zur Erde. Leise fragte er: "Was, meinst du, soll ich tun?" Sprach Vasudeva: "Bring ihn zur Stadt, bringe ihn in seiner Mutter Haus, es werden noch Diener dort sein, denen gib ihn. Und wenn keine mehr da sind, so bringe ihn einem Lehrer, nicht der Lehre wegen, aber dass er zu anderen Knaben komme, und zu MXdchen, und in die Welt, welche die seine ist. Hast du daran nie gedacht?" "Du siehst in mein Herz," sprach Siddhartha traurig. "Oft habe ich daran gedacht. Aber sieh, wie soll ich ihn, der ohnehin kein sanftes Herz hat, in diese Welt geben? Wird er nicht Xppig werden, wird er nicht sich an Lust und Macht verlieren, wird er nicht alle IrrtXmer seines Vaters wiederholen, wird er nicht vielleicht ganz und gar in Sansara verloren gehen?" Hell strahlte des FXhrmanns LXcheln auf; er berXhrte zart Siddharthas Arm und sagte: "Frage den Fluss darXber, Freund! HXre ihn darXber lachen! Glaubst du denn wirklich, dass du deine Torheiten begangen habest, um sie dem Sohn zu ersparen? Und kannst du denn deinen Sohn vor Sansara schXtzen? Wie denn? Durch Lehre, durch Gebet, durch Ermahnung? Lieber, hast du jene Geschichte denn ganz vergessen, jene lehrreiche Geschichte vom Brahmanensohn Siddhartha, die du mir einst hier an dieser Stelle erzXhlt hast? Wer hat den Samana Siddhartha vor Sansara bewahrt, vor SXnde, vor Habsucht, vor Torheit? Hat seines Vaters FrXmmigkeit, seiner Lehrer Ermahnung, hat sein eigenes Wissen, sein eigenes Suchen ihn bewahren kXnnen? Welcher Vater, welcher Lehrer hat ihn davor schXtzen kXnnen, selbst das Leben zu leben, selbst sich mit dem Leben zu beschmutzen, selbst Schuld auf sich zu laden, selbst den bitteren Trank zu trinken, selber seinen Weg zu finden? Glaubst du denn, Lieber, dieser Weg bleibe irgend jemandem vielleicht erspart? Vielleicht deinem SXhnchen, weil du es liebst, weil du ihm gern Leid und Schmerz und EnttXuschung ersparen mXchtest? Aber auch wenn du zehnmal fXr ihn stXrbest, wXrdest du ihm nicht den kleinsten Teil seines Schicksals damit abnehmen kXnnen." Noch niemals hatte Vasudeva so viele Worte gesprochen. Freundlich dankte ihm Siddhartha, ging bekXmmert in die HXtte, fand lange keinen Schlaf. Vasudeva hatte ihm nichts gesagt, das er nicht selbst schon gedacht und gewusst hXtte. Aber es war ein Wissen, das er nicht tun konnte, stXrker als das Wissen war seine Liebe zu dem Knaben, stXrker seine ZXrtlichkeit, seine Angst, ihn zu verlieren. Hatte er denn jemals an irgend etwas so sehr sein Herz verloren, hatte er je irgendeinen Menschen so geliebt, so blind, so leidend, so erfolglos, und doch so glXcklich? Siddhartha konnte seines Freundes Rat nicht befolgen, er konnte den Sohn nicht hergeben. Er lieX sich von dem Knaben befehlen, er lieX sich von ihm missachten. Er schwieg und wartete, begann tXglich den stummen Kampf der Freundlichkeit, den lautlosen Krieg der Geduld. Auch Vasudeva schwieg und wartete, freundlich, wissend, langmXtig. In der Geduld waren sie beide Meister. Einst, als des Knaben Gesicht ihn sehr an Kamala erinnerte, musste Siddhartha plXtzlich eines Wortes gedenken, das Kamala vor Zeiten, in den Tagen der Jugend, einmal zu ihm gesagt hatte. "Du kannst nicht lieben," hatte sie ihm gesagt, und er hatte ihr Recht gegeben und hatte sich mit einem Stern, die Kindermenschen aber mit fallendem Laub verglichen, und dennoch hatte er in jenem Wort auch einen Vorwurf gespXrt. In der Tat hatte er niemals sich an einen anderen Menschen ganz verlieren und hingeben kXnnen, sich selbst vergessen, Torheiten der Liebe eines anderen wegen begehen; nie hatte er das gekonnt, und dies war, wie ihm damals schien, der groXe Unterschied gewesen, der ihn von den Kindermenschen trennte. Nun aber, seit sein Sohn da war, nun war auch er, Siddhartha, vollends ein Kindermensch geworden, eines Menschen wegen leidend, einen Menschen liebend, an eine Liebe verloren, einer Liebe wegen ein Tor geworden. Nun fXhlte auch er, spXt, einmal im Leben diese stXrkste und seltsamste Leidenschaft, litt an ihr, litt klXglich, und war doch beseligt, war doch um etwas erneuert, um etwas reicher. Wohl spXrte er, dass diese Liebe, diese blinde Liebe zu seinem Sohn eine Leidenschaft, etwas sehr Menschliches, dass sie Sansara sei, eine trXbe Quelle, ein dunkles Wasser. Dennoch, so fXhlte er gleichzeitig, war sie nicht wertlos, war sie notwendig, kam aus seinem eigenen Wesen. Auch diese Lust wollte gebXt, auch diese Schmerzen wollten gekostet sein, auch diese Torheiten begangen. Der Sohn indessen lieX ihn seine Torheiten begehen, lieX ihn werben, lieX ihn tXglich sich vor seinen Launen demXtigen. Dieser Vater hatte nichts, was ihn entzckt, und nichts, was er gefrchtet htte. Er war ein guter Mann, dieser Vater, ein guter, gtiger, sanfter Mann, vielleicht ein sehr frommer Mann, vielleicht ein Heiliger % dies alles waren nicht Eigenschaften, welche den Knaben gewinnen konnten. Langweilig war ihm dieser Vater, der ihn da in seiner elenden Hatte gefangen hielt, langweilig war er ihm, und dass er jede Unart mit LXcheln, jeden Schimpf mit Freundlichkeit, jede Bosheit mit GXte beantwortete, das eben war die verhassteste List dieses alten Schleichers. Viel lieber wXre der Knabe von ihm bedroht, von ihm misshandelt worden. Es kam ein Tag, an welchem des jungen Siddhartha Sinn zum Ausbruch kam und sich offen gegen seinen Vater wandte. Der hatte ihm einen Auftrag erteilt, er hatte ihn Reisig sammeln geheiXen. Der Knabe ging aber nicht aus der HXtte, er blieb trotzig und wXtend stehen, stampfte den Boden, ballte die FXuste, und schrie in gewaltigem Ausbruch seinem Vater Hass und Verachtung ins Gesicht. "Hole du selber dein Reisig!" rief er schXumend, "ich bin nicht dein Knecht. Ich weiX ja, dass du mich nicht schlXgst, du wagst es ja nicht; ich weiX ja, dass du mich mit deiner FrXmmigkeit und deiner Nachsicht bestXndig strafen und klein machen willst. Du willst, dass ich werden soll wie du, auch so fromm, auch so sanft, auch so weise! Ich aber, hXre, ich will, dir zu Leide, lieber ein StraXenrXuber und MXrder werden und zur HXlle fahren, als so werden wie du! Ich hasse dich, du bist nicht mein Vater, und wenn du zehnmal meiner Mutter Buhle gewesen bist!" Zorn und Gram liefen in ihm Xber, schXumten in hundert wXsten und bXsen Worten dem Vater entgegen. Dann lief der Knabe davon und kam erst spXt am Abend wieder. Am andern Morgen aber war er verschwunden. Verschwunden war auch ein kleiner, aus zweifarbigem Bast geflochtener Korb, in welchem die FXhrleute jene Kupfer- und SilbermXnzen aufbewahrten, welche sie als FXhrlohn erhielten. Verschwunden war auch das Boot, Siddhartha sah es am jenseitigen Ufer liegen. Der Knabe war entlaufen. "Ich muss ihm folgen," sagte Siddhartha, der seit jenen gestrigen Schimpfreden des Knaben vor Jammer zitterte. "Ein Kind kann nicht allein durch den Wald gehen. Er wird umkommen. Wir mXssen ein Floss bauen, Vasudeva, um Xbers Wasser zu kommen." "Wir werden ein Floss bauen," sagte Vasudeva, "um unser Boot wieder zu holen, das der Junge entfXhrt hat. Ihn aber solltest du laufen lassen, Freund, er ist kein Kind mehr, er weiX sich zu helfen. Er sucht den Weg nach der Stadt, und er hat Recht, vergiss das nicht. Er tut das, was du selbst zu tun versXumt hast. Er sorgt fXr sich, er geht seine Bahn. Ach, Siddhartha, ich sehe dich leiden, aber du leidest Schmerzen, Xber die man lachen mXchte, Xber die du selbst bald lachen wirst." Siddhartha antwortete nicht. Er hielt schon das Beil in HXnden, und begann ein Floss aus Bambus zu machen, und Vasudeva half ihm, die StXmme mit Grasseilen zuzammen zu binden. Dann fuhren sie hinXber, wurden weit abgetrieben, zogen das Floss am jenseitigen Ufer flussauf. "Warum hast du das Beil mitgenommen?" fragte Siddhartha. Vasudeva sagte: "Es kXnnte sein, dass das Ruder unsres Bootes verloren gegangen wXre." Siddhartha aber wusste, was sein Freund dachte. Er dachte, der Knabe werde das Ruder weggeworfen oder zerbrochen haben, um sich zu rXchen und um sie an der Verfolgung zu hindern. Und wirklich war kein Ruder mehr im Boote. Vasudeva wies auf den Boden des Bootes, und sah den Freund mit LXcheln an, als wollte er sagen; "Siehst du nicht, was dein Sohn dir sagen will? Siehst du nicht, dass er nicht verfolgt sein will?" Doch sagte er dies nicht mit Worten. Er machte sich daran, ein neues Ruder zu zimmern. Siddhartha aber nahm Abschied, um nach dem Entflohenen zu suchen. Vasudeva hinderte ihn nicht. Als Siddhartha schon lange im Walde unterwegs war, kam ihm der Gedanke, dass sein Suchen nutzlos sei. Entweder, so dachte er, war der Knabe lXngst voraus und schon in der Stadt angelangt, oder, wenn er noch unterwegs sein sollte, wXrde er vor ihm, dem Verfolgenden, sich verborgen halten. Da er weiter dachte, fand er auch, dass er selbst nicht in Sorge um seinen Sohn war, dass er im Innersten wusste, er sei weder umgekommen, noch drohe ihm im Walde Gefahr. Dennoch lief er ohne Rast, nicht mehr, um ihn zu retten, nur aus Verlangen, nur um ihn vielleicht nochmals zu sehen. Und er lief bis vor die Stadt. Als er nahe bei der Stadt auf die breite StraXe gelangte, blieb er stehen, am Eingang des schXnen Lustgartens, der einst Kamala gehXrt hatte, wo er sie einst, in der SXnfte, zum erstenmal gesehen hatte. Das Damalige stand in seiner Seele auf, wieder sah er sich dort stehen, jung, ein bXrtiger nackter Samana, das Haar voll Staub. Lange stand Siddhartha und blickte durch das offne Tor in den Garten, MXnche in gelben Kutten sah er unter den schXnen BXumen gehen. Lange stand er, nachdenkend, Bilder sehend, der Geschichte seines Lebens lauschend. Lange stand er, blickte nach den MXnchen, sah statt ihrer den jungen Siddhartha, sah die junge Kamala unter den hohen BXumen gehen. Deutlich sah er sich, wie er von Kamala bewirtet ward, wie er ihren ersten Kuss empfing, wie er stolz und verXchtlich auf sein Brahmanentum zurXckblickte, stolz und verlangend sein Weltleben begann. Er sah Kamaswami, sah die Diener, die Gelage, die WXrfelspieler, die Musikanten, sah Kamalas Singvogel im KXfig, lebte dies alles nochmals, atmete Sansara, war nochmals alt und mXde, fXhlte nochmals den Ekel, fXhlte nochmals den Wunsch, sich auszulXschen, genas nochmals am heiligen Om. Nachdem er lange beim Tor des Gartens gestanden war, sah Siddhartha ein, dass das Verlangen tXricht war, das ihn bis zu dieser StXtte getrieben hatte, dass er seinem Sohne nicht helfen konnte, dass er sich nicht an ihn hXngen durfte. Tief fXhlte er die Liebe zu dem Entflohenen im Herzen, wie eine Wunde, und fXhlte zugleich, dass ihm die Wunde nicht gegeben war, um in ihr zu wXhlen, dass sie zur BlXte werden und strahlen mXsse. Dass die Wunde zu dieser Stunde noch nicht blXhte, noch nicht strahlte, machte ihn traurig. An der Stelle des Wunschzieles, das ihn hierher und dem entflohenen Sohne nachgezogen hatte, stand nun Leere. Traurig setzte er sich nieder, fXhlte etwas in seinem Herzen sterben, empfand Leere, sah keine Freude mehr, kein Ziel. Er saX versunken, und wartete. Dies hatte er am Flusse gelernt, dies eine: warten, Geduld haben, lauschen. Und er saX und lauschte, im Staub der StraXe, lauschte seinem Herzen, wie es mXd und traurig ging, wartete auf eine Stimme. Manche Stunde kauerte er lauschend, sah keine Bilder mehr, sank in die Leere, lieX sich sinken, ohne einen Weg zu sehen. Und wenn er die Wunde brennen fXhlte, sprach er lautlos das Om, fXllte sich mit Om. Die MXnche im Garten sahen ihn, und da er viele Stunden kauerte, und auf seinen grauen Haaren der Staub sich sammelte, kam einer gegangen und legte zwei PisangfrXchte vor ihm nieder. Der Alte sah ihn nicht. Aus dieser Erstarrung weckte ihn eine Hand, welche seine Schulter berXhrte. Alsbald erkannte er diese BerXhrung, die zarte, schamhafte, und kam zu sich. Er erhob sich und begrXte Vasudeva, welcher ihm nachgegangen war. Und da er in Vasudevas freundliches Gesicht schaute, in die kleinen, wie mit lauter LXcheln ausgefXllten Falten, in die heiteren Augen, da lXchelte auch er. Er sah nun die PisangfrXchte vor sich liegen, hob sie auf, gab eine dem FXhrmann, aX selbst die andere. Darauf ging er schweigend mit Vasudeva in den Wald zurXck, kehrte zur FXhre heim. Keiner sprach von dem, was heute geschehen war, keiner nannte den Namen des Knaben, keiner sprach von seiner Flucht, keiner sprach von der Wunde. In der HXtte legte sich Siddhartha auf sein Lager, und da nach einer Weile Vasudeva zu Ihm trat, um ihm eine Schale Kokosmilch anzubieten, fand er ihn schon schlafend. Om Lange noch brannte die Wunde. Manchen Reisenden musste Siddhartha Xber den Fluss setzen, der einen Sohn oder eine Tochter bei sich hatte, und keinen von ihnen sah er, ohne dass er ihn beneidete, ohne dass er dachte: "So viele, so viel Tausende besitzen dies holdeste GlXck X warum ich nicht? Auch bXse Menschen, auch Diebe, und RXuber haben Kinder, und lieben sie, und werden von ihnen geliebt, nur ich nicht." So einfach, so ohne Verstand dachte er nun, so Xhnlich war er den Kindermenschen geworden. Anders sah er jetzt die Menschen an als frXher, weniger klug, weniger stolz, dafXr wXrmer, dafXr neugieriger, beteiligter. Wenn er Reisende der gewXhnlichen Art Xbersetzte, Kindermenschen, GeschXftsleute, Krieger, Weibervolk, so erschienen diese Leute ihm nicht fremd wie einst: er verstand sie, er verstand und teilte ihr nicht von Gedanken und Einsichten, sondern einzig von Trieben und WXnschen geleitetes Leben, er fXhlte sich wie sie. Obwohl er nahe der Vollendung war, und an seiner letzten Wunde trug, schien ihm doch, diese Kindermenschen seien seine BrXder, ihre Eitelkeiten, Begehrlichkeiten und LXcherlichkeiten verloren das LXcherliche fXr ihn, wurden begreiflich, wurden liebenswert, wurden ihm sogar verehrungswXrdig. Die blinde Liebe einer Mutter zu ihrem Kind, den dummen, blinden Stolz eines eingebildeten Vaters auf sein einziges SXhnlein, das blinde, wilde Streben nach Schmuck und nach bewundernden MXnneraugen bei einem jungen, eitlen Weibe, alle diese Triebe, alle diese Kindereien, alle diese einfachen, tXrichten, aber ungeheuer starken, stark lebenden, stark sich durchsetzenden Triebe und Begehrlichkeiten waren fXr Siddhartha jetzt keine Kindereien mehr, er sah um ihretwillen die Menschen leben, sah sie um ihretwillen Unendliches leisten, Reisen tun, Kriege fXhren, Unendliches leiden, Unendliches ertragen, und er konnte sie dafXr lieben, er sah das Leben, das Lebendige, das UnzerstXrbare, das Brahman in jeder ihrer Leidenschaften, jeder ihrer Taten. Liebenswert und bewundernswert waren diese Menschen in ihrer blinden Treue, ihrer blinden StXrke und ZXhigkeit. Nichts fehlte ihnen, nichts hatte der Wissende und Denker vor ihnen voraus als eine einzige Kleinigkeit, eine einzige winzig kleine Sache: das Bewusstsein, den bewussten Gedanken der Einheit alles Lebens. Und Siddhartha zweifelte sogar zu mancher Stunde, ob dies Wissen, dieser Gedanke so sehr hoch zu werten, ob nicht auch er vielleicht eine Kinderei der Denkmenschen, der Denk-Kindermenschen sein mXchte. In allem andern waren die Weltmenschen dem Weisen ebenbXrtig, waren ihm oft weit Xberlegen, wie ja auch Tiere in ihrem zXhen, unbeirrten Tun des Notwendigen in manchen Augenblicken den Menschen Xberlegen scheinen kXnnen. Langsam blXhte, langsam reifte in Siddhartha die Erkenntnis, das Wissen darum, was eigentlich Weisheit sei, was seines langen Suchens Ziel sei. Es war nichts als eine Bereitschaft der Seele, eine FXhigkeit, eine geheime Kunst, jeden Augenblick, mitten im Leben, den Gedanken der Einheit denken, die Einheit fXhlen und einatmen zu kXnnen. Langsam blXhte dies in ihm auf, strahlte ihm aus Vasudevas altem Kindergesicht wider: Harmonie, Wissen um die ewige Vollkommenheit der Welt, LXcheln, Einheit. Die Wunde aber brannte noch, sehnlich und bitter gedachte Siddhartha seines Sohnes, pflegte seine Liebe und ZXrtlichkeit im Herzen, lieX den Schmerz an sich fressen, beging alle Torheiten der Liebe. Nicht von selbst erlosch diese Flamme. Und eines Tages, als die Wunde heftig brannte, fuhr Siddhartha Xber den Fluss, gejagt von Sehnsucht, stieg aus und war Willens, nach der Stadt zu gehen und seinen Sohn zu suchen. Der Fluss floss sanft und leise, es war in der trockenen Jahreszeit, aber seine Stimme klang sonderbar: sie lachte! Sie lachte deutlich. Der Fluss lachte, er lachte hell und klar den alten FXhrmann aus. Siddhartha blieb stehen, er beugte sich Xbers Wasser, um noch besser zu hXren, und im still ziehenden Wasser sah er sein Gesicht gespiegelt, und in diesem gespiegelten Gesicht war etwas, das ihn erinnerte, etwas Vergessenes, und da er sich besann, fand er es: dies Gesicht glich einem andern, das er einst gekannt und geliebt und auch gefXrchtet hatte. Es glich dem Gesicht seines Vaters, des Brahmanen. Und er erinnerte sich, wie er vor Zeiten, ein JXngling, seinen Vater gezwungen hatte, ihn zu den BXern gehen zu lassen, wie er Abschied von ihm genommen hatte, wie er gegangen und nie mehr wiedergekommen war. Hatte nicht auch sein Vater um ihn dasselbe Leid gelitten, wie er es nun um seinen Sohn litt? War nicht sein Vater lXngst gestorben, allein, ohne seinen Sohn wiedergesehen zu haben? Musste er selbst nicht dies selbe Schicksal erwarten? War es nicht eine KomXdie, eine seltsame und dumme Sache, diese Wiederholung, dieses Laufen in einem verhXngnisvollen Kreise? Der Fluss lachte. Ja, es war so, es kam alles wieder, was nicht bis zu Ende gelitten und gelXst ward, es wurden immer wieder dieselben Leiden gelitten. Siddhartha aber stieg wieder in das Boot und fuhr zu der HXtte zurXck, seines Vaters gedenkend, seines Sohnes gedenkend, vom Flusse verlacht, mit sich selbst im Streit, geneigt zur Verzweiflung, und nicht minder geneigt, aber sich und die ganze Welt laut mitzulachen. Ach, noch blXhte die Wunde nicht, noch wehrte sein Herz sich wider das Schicksal, noch strahlte nicht Heiterkeit und Sieg aus seinem Leide. Doch fXhlte er Hoffnung, und da er zur HXtte zurXckgekehrt war, spXrte er ein unbesiegbares Verlangen, sich vor Vasudeva zu Xffnen, ihm alles zu zeigen, ihm, dem Meister des ZuhXrens, alles zu sagen. Vasudeva saX in der HXtte und flocht an einem Korbe. Er fuhr nicht mehr mit dem FXhrboot, seine Augen begannen schwach zu werden, und nicht nur seine Augen; auch seine Arme und HXnde. UnverXndert und blXhend war nur die Freude und das heitere Wohlwollen seines Gesichtes. Siddhartha setzte sich zu dem Greise, langsam begann er zu sprechen. WorXber sie niemals gesprochen hatten, davon erzXhlte er jetzt, von seinem Gange zur Stadt, damals, von der brennenden Wunde, von seinem Neid beim Anblick glXcklicher VXter, von seinem Wissen um die Torheit solcher WXnsche, von seinem vergeblichen Kampf wider sie. Alles berichtete er, alles konnte er sagen, auch das Peinlichste, alles lieX sich sagen, alles sich zeigen, alles konnte er erzXhlen. Er zeigte seine Wunde dar, erzXhlte auch seine heutige Flucht, wie er Xbers Wasser gefahren sei, kindischer FlXchtling, willens nach der Stadt zu wandern, wie der Fluss gelacht habe. WXhrend er sprach, lange sprach, wXhrend Vasudeva mit stillem Gesicht lauschte, empfand Siddhartha dies ZuhXren Vasudevas stXrker, als er es jemals gefXhlt hatte, er spXrte, wie seine Schmerzen, seine BeXngstigungen hinXberflossen, wie seine heimliche Hoffnung hinXberfloss, ihm von drXben wieder entgegenkam. Diesem ZuhXrer seine Wunde zu zeigen, war dasselbe, wie sie im Flusse baden, bis sie kXhl und mit dem Flusse eins wurde. WXhrend er immer noch sprach, immer noch bekannte und beichtete, fXhlte Siddhartha mehr und mehr, dass dies nicht mehr Vasudeva, nicht mehr ein Mensch war, der ihm zuhXrte, dass dieser regungslos Lauschende seine Beichte in sich einsog wie ein Baum den Regen, dass dieser Regungslose der Fluss selbst, dass er Gott selbst, dass er das Ewige selbst war. Und wXhrend Siddhartha aufhXrte, an sich und an seine Wunde zu denken, nahm diese Erkenntnis vom verXnderten Wesen des Vasudeva von ihm Besitz, und je mehr er es empfand und darein eindrang, desto weniger wunderlich wurde es, desto mehr sah er ein, dass alles in Ordnung und natXrlich war, dass Vasudeva schon lange, beinahe schon immer so gewesen sei, dass nur er selbst es nicht ganz erkannt hatte, ja dass er selbst von jenem kaum noch verschieden sei. Er empfand, dass er den alten Vasudeva nun so sehe, wie das Volk die GXtter sieht, und dass dies nicht von Dauer sein kXnne; er begann im Herzen von Vasudeva Abschied zu nehmen. Dabei sprach er immer fort. Als er zu Ende gesprochen hatte, richtete Vasudeva seinen freundlichen, etwas schwach gewordenen Blick auf ihn, sprach nicht, strahlte ihm schweigend Liebe und Heiterkeit entgegen, VerstXndnis und Wissen. Er nahm Siddharthas Hand, fXhrte ihn zum Sitz am Ufer, setzte sich mit ihm nieder, lXchelte dem Flusse zu. "Du hast ihn lachen hXren," sagte er. "Aber du hast nicht alles gehXrt. Lass uns lauschen, du wirst mehr hXren." Sie lauschten. Sanft klang der vielstimmige Gesang des Flusses. Siddhartha schaute ins Wasser, und im ziehenden Wasser erschienen ihm Bilder: sein Vater erschien, einsam, um den Sohn trauernd; er selbst erschien, einsam, auch er mit den Banden der Sehnsucht an den fernen Sohn gebunden; es erschien sein Sohn, einsam auch er, der Knabe, begehrlich auf der brennenden Bahn seiner jungen WXnsche stXrmend, jeder auf sein Ziel gerichtet, jeder vom Ziel besessen, jeder leidend. Der Fluss sang mit einer Stimme des Leidens, sehnlich sang er, sehnlich floss er seinem Ziele zu, klagend klang seine Stimme. "HXrst du?" fragte Vasudevas stummer Blick. Siddhartha nickte. "HXre besser!" flXsterte Vasudeva. Siddhartha bemXhte sich, besser zu hXren. Das Bild des Vaters, sein eigenes Bild, das Bild des Sohnes flossen ineinander, auch Kamalas Bild erschien und zerfloss, und das Bild Govindas, und andre Bilder, und flossen ineinander Xber, wurden alle zum Fluss, strebten alle als Fluss dem Ziele zu, sehnlich, begehrend, leidend, und des Flusses Stimme klang voll Sehnsucht, voll von brennendem Weh, voll von unstillbarem Verlangen. Zum Ziele strebte der Fluss, Siddhartha sah ihn eilen, den Fluss, der aus ihm und den Seinen und aus allen Menschen bestand, die er je gesehen hatte, alle die Wellen und Wasser eilten, leidend, Zielen zu, vielen Zielen, dem Wasserfall, dem See, der Stromschnelle, dem Meere, und alle Ziele wurden erreicht, und jedem folgte ein neues, und aus dem Wasser ward Dampf und stieg in den Himmel, ward Regen und stXrzte aus dem Himmel herab, ward Quelle, ward Bach, ward Fluss, strebte aufs Neue, floss aufs Neue. Aber die sehnliche Stimme hatte sich verXndert. Noch tXnte sie, leidvoll, suchend, aber andre Stimmen gesellten sich zu ihr, Stimmen der Freude und des Leides, gute und bXse Stimmen, lachende und trauernde, hundert Stimmen, tausend Stimmen. Siddhartha lauschte. Er war nun ganz Lauscher, ganz ins ZuhXren vertieft, ganz leer, ganz einsaugend, er fXhlte, dass er nun das Lauschen zu Ende gelernt habe. Oft schon hatte er all dies gehXrt, diese vielen Stimmen im Fluss, heute klang es neu. Schon konnte er die vielen Stimmen nicht mehr unterscheiden, nicht frohe von weinenden, nicht kindliche von mXnnlichen, sie gehXrten alle zusammen, Klage der Sehnsucht und Lachen des Wissenden, Schrei des Zorns und StXhnen der Sterbenden, alles war eins, alles war ineinander verwoben und verknXpft, tausendfach verschlungen. Und alles zusammen, alle Stimmen, alle Ziele, alles Sehnen, alle Leiden, alle Lust, alles Gute und BXse, alles zusammen war die Welt. Alles zusammen war der Fluss des Geschehens, war die Musik des Lebens. Und wenn Siddhartha aufmerksam diesem Fluss, diesem tausendstimmigen Liede lauschte, wenn er nicht auf das Leid noch auf das Lachen hXrte, wenn er seine Seele nicht an irgendeine Stimme band und mit seinem Ich in sie einging, sondern alle hXrte, das Ganze, die Einheit vernahm, dann bestand das groXe Lied der tausend Stimmen aus einem einzigen Worte, das hieX OM: die Vollendung. "HXrst du," fragte wieder Vasudevas Blick. Hell glXnzte Vasudevas LXcheln, Xber all den Runzeln seines alten Antlitzes schwebte es leuchtend, wie Xber all den Stimmen des Flusses das Om schwebte. Hell glXnzte sein LXcheln, als er den Freund anblickte, und hell glXnzte nun auch auf Siddharthas Gesicht dasselbe LXcheln auf. Seine Wunde blXhte, sein Leid strahlte, sein Ich war in die Einheit geflossen. In dieser Stunde hXrte Siddhartha auf, mit dem Schicksal zu kXmpfen, hXrte auf zu leiden. Auf seinem Gesicht blXhte die Heiterkeit des Wissens, dem kein Wille mehr entgegensteht, das die Vollendung kennt, das einverstanden ist mit dem Fluss des Geschehens, mit dem Strom des Lebens, voll Mitleid, voll Mitlust, dem StrXmen hingegeben, der Einheit zugehXrig. Als Vasudeva sich von dem Sitz am Ufer erhob, als er in Siddharthas Augen blickte und die Heiterkeit des Wissens darin strahlen sah, berXhrte er dessen Schulter leise mit der Hand, in seiner behutsamen und zarten Weise, und sagte: "Ich habe auf diese Stunde gewartet, Lieber. Nun sie gekommen ist, lass mich gehen. Lange habe ich, auf diese Stunde gewartet, lange bin ich der FXhrmann Vasudeva gewesen. Nun ist es genug. Lebe wohl, HXtte, lebe wohl, Fluss, lebe wohl, Siddhartha!" Siddhartha verneigte sich tief vor dem Abschiednehmenden. "Ich habe es gewusst," sagte er leise. "Du wirst in die WXlder gehen?" "Ich gehe in die WXlder, ich gehe in die Einheit," sprach Vasudeva strahlend. Strahlend ging er hinweg; Siddhartha blickte ihm nach. Mit tiefer Freude, mit tiefem Ernst blickte er ihm nach, sah seine Schritte voll Frieden, sah sein Haupt voll Glanz, sah seine Gestalt voll Licht. GOVINDA Mit anderen MXnchen weilte Govinda einst wXhrend einer Rastzeit in dem Lusthain, welchen die Kurtisane Kamala den JXngern des Gotama geschenkt hatte. Er hXrte von einem alten FXhrmanne sprechen, welcher eine Tagereise entfernt vom Flusse wohne, und der von vielen fXr einen Weisen gehalten werde. Als Govinda des Weges weiterzog, wXhlte er den Weg zur FXhre, begierig diesen FXhrmann zu sehen. Denn ob er wohl sein Leben lang nach der Regel gelebt hatte, auch von den jngeren MXnchen seines Alters und seiner Bescheidenheit wegen mit Ehrfurcht angesehen wurde, war doch in seinem Herzen die Unruhe und das Suchen nicht erloschen. Er kam zum FlXsse, er bat den Alten um berfahrt, und da sie drXben aus dem Boot stiegen, sagte er zum Alten: "Viel Gutes erweisest du uns MXnchen und Pilgern, viele von uns hast du schon Xbergesetzt. Bist nicht auch du, FXhrmann, ein Sucher nach dem rechten Pfade?" Sprach Siddhartha, aus den alten Augen lXchelnd: "Nennst du dich einen Sucher, o EhrwXrdiger, und bist doch schon hoch in den Jahren, und trXgst das Gewand der MXnche Gotamas?" "Wohl bin ich alt," sprach Govinda, "zu suchen aber habe ich nicht aufgehXrt. Nie werde ich aufhXren zu suchen, dies scheint meine Bestimmung. Auch du, so scheint es mir, hast gesucht. Willst du mir ein Wort sagen, Verehrter?" Sprach Siddhartha: "Was sollte ich dir, EhrwXrdiger, wohl zu sagen haben? Vielleicht das, dass du allzu viel suchst? Dass du vor Suchen nicht zum Finden kommst?" "Wie denn?" fragte Govinda. "Wenn jemand sucht," sagte Siddhartha, "dann geschieht es leicht, dass sein Auge nur noch das Ding sieht, das er sucht, dass er nichts zu finden, nichts in sich einzulassen vermag, weil er nur immer an das Gesuchte denkt, weil er ein Ziel hat, weil er vom Ziel besessen ist. Suchen heiXt: ein Ziel haben. Finden aber heiXt: frei sein, offen stehen, kein Ziel haben. Du, EhrwXrdiger, bist vielleicht in der Tat ein Sucher, denn, deinem Ziel nachstrebend, siehst du manches nicht, was nah vor deinen Augen steht." "Noch verstehe ich nicht ganz," bat Govinda, "wie meinst du das?" Sprach Siddhartha: "Einst, o EhrwXrdiger, vor manchen Jahren, bist du schon einmal an diesem Flusse gewesen, und hast am Fluss einen Schlafenden gefunden, und hast dich zu ihm gesetzt, um seinen Schlaf zu behXten. Erkannt aber, o Govinda, hast du den Schlafenden nicht." Staunend, wie ein Bezauberter, blickte der MXnch in des FXhrmanns Augen. "Bist du Siddhartha?" fragte er mit scheuer Stimme. "Ich hXtte dich auch diesesmal nicht erkannt! Herzlich grXe ich dich, Siddhartha, herzlich freue ich mich, dich nochmals zu sehen! Du hast dich sehr verXndert, Freund. X Und nun bist du also ein FXhrmann geworden?" Freundlich lachte Siddhartha. "Ein FXhrmann, ja. Manche, Govinda, mXssen sich viel verXndern, mXssen allerlei Gewand tragen, ihrer einer bin ich, Lieber. Sei willkommen, Govinda, und bleibe die Nacht in meiner HXtte." Govinda blieb die Nacht in der HXtte und schlief auf dem Lager, das einst Vasudevas Lager gewesen war. Viele Fragen richtete er an den Freund seiner Jugend, vieles musste ihm Siddhartha aus seinem Leben erzXhlen. Als es am andern Morgen Zeit war, die Tageswanderung anzutreten, da sagte Govinda, nicht ohne ZXgern, die Worte: "Ehe ich meinen Weg fortsetze, Siddhartha, erlaube mir noch eine Frage. Hast du e