Gustav Meyrink. Der Golem --------------------------------------------------------------- çÕÓÔÁ× íÁÊÒÉÎË. çÏÌÅÍ. îÁ ÎÅÍÅÃËÏÍ ÑÚÙËÅ). äÁÔÁ ÓÏÚÄÁÎÉÅ ÐÒÏÉÚ×ÅÄÅÎÉÑ: 1915 Ç. ðÅÞÁÔÎÙÊ ÉÓÔÏÞÎÉË: Gustav Meyrink. Der Golem, Leipzig, 1916 OCR, Spellcheck: Serge Winitzki --------------------------------------------------------------- Leipzig Kurt Wolff Verlag 1916 Vierter Abdruck. Dezember 1915 Copyright 1915 by Kurt Wolff Verlag Leipzig Kapitelverzeichnis Schlaf Tag I Prag Punsch Nacht Wach Schnee Spuk Licht Not Angst Trieb Weib List Qual Mai Mond Frei Schluñ Schlaf Das Mondlicht fÄllt auf das Fuñende meines Bettes und liegt dort wie ein groñer, heller, flacher Stein. Wenn der Vollmond in seiner Gestalt zu schrumpfen beginnt und seine rechte Seite fÄngt an zu verfallen, - wie ein Gesicht, das dem Alter entgegengeht, zuerst an einer Wange Falten zeigt und abmagert, - dann bemÄchtigt sich meiner um solche Zeit des Nachts eine trØbe, qualvolle Unruhe. Ich schlafe nicht und wache nicht, und im Halbtraum vermischt sich in meiner Seele Erlebtes mit Gelesenem und GehÃrtem, wie StrÃme von verschiedener Farbe und Klarheit zusammenflieñen. Ich hatte Øber das Leben des Buddha Gotama gelesen, ehe ich mich niedergelegt, und in tausend Spielarten zog der Satz immer wieder von vorne beginnend durch meinen Sinn: "Eine KrÄhe flog zu einem Stein hin, der wie ein StØck Fett aussah, und dachte: vielleicht ist hier etwas Wohlschmeckendes. Da nun die KrÄhe dort nichts Wohlschmeckendes fand, flog sie fort. Wie die KrÄhe, die sich dem Stein genÄhert, so verlassen wir - wir, die Versucher, - den Asketen Gotama, da wir den Gefallen an ihm verloren haben." Und das Bild von dem Stein, der aussah wie ein StØck Fett, wÄchst ins Ungeheuerliche in meinem Hirn: Ich schreite durch ein ausgetrocknetes Fluñbett und hebe glatte Kiesel auf. Graublaue mit eingesprengtem glitzerndem Staub, Øber die ich nachgrØble und nachgrØble und doch mit ihnen nichts anzufangen weiñ, - dann schwarze mit schwefelgelben Flecken wie die steingewordenen Versuche eines Kindes, plumpe, gesprenkelte Molche nachzubilden. Und ich will sie weit von mir werfen, diese Kiesel, doch immer fallen sie mir aus der Hand, und ich kann sie aus dem Bereich meiner Augen nicht bannen. Alle jene Steine, die je in meinem Leben eine Rolle gespielt, tauchen auf rings um mich her. Manche quÄlen sich schwerfÄllig ab, sich aus dem Sande ans Licht emporzuarbeiten - wie groñe schieferfarbene Taschenkrebse, wenn die Flut zurØckkommt, - und als wollten sie alles daransetzen, meine Blicke auf sich zu lenken, um mir Dinge von unendlicher Wichtigkeit zu sagen. Andere - erschÃpft - fallen kraftlos zurØck in ihre LÃcher und geben es auf, je zu Worte zu kommen. Zuweilen fahre ich empor aus dem DÄmmer dieser halben TrÄume und sehe fØr einen Augenblick wiederum den Mondschein auf dem gebauschten Fuñende meiner Decke liegen wie einen groñen, hellen, flachen Stein, um blind von neuem hinter meinem schwindenden Bewuñtsein herzutappen, ruhelos nach jenem Stein suchend, der mich quÄlt - der irgendwo verborgen im Schutte meiner Erinnerung liegen muñ und aussieht wie ein StØck Fett. Eine RegenrÃhre muñ einst neben ihm auf der Erde gemØndet haben, male ich mir aus - stumpfwinklig abgebogen, die RÄnder von Rost zerfressen, - und trotzig will ich mir im Geiste ein solches Bild erzwingen, um meine aufgescheuchten Gedanken zu belØgen und in Schlaf zu lullen. Es gelingt mir nicht. Immer wieder und immer wieder mit alberner Beharrlichkeit behauptet eine eigensinnige Stimme in meinem Innern - unermØdlich wie ein Fensterladen, den der Wind in regelmÄñigen ZwischenrÄumen an die Mauer schlagen lÄñt: es sei das ganz anders, das sei gar nicht der Stein, der wie Fett aussehe. Und es ist von der Stimme nicht loszukommen. Wenn ich hundertmal einwende, alles das sei doch ganz nebensÄchlich, so schweigt sie wohl eine kleine Weile, wacht aber dann unvermerkt wieder auf und beginnt hartnÄckig von neuem: gut, gut, schon recht, es ist aber doch nicht der Stein, der wie ein StØck Fett aussieht. - Langsam beginnt sich meiner ein unertrÄgliches GefØhl von Hilflosigkeit zu bemÄchtigen. Wie es weiter gekommen ist, weiñ ich nicht. Habe ich freiwillig jeden Widerstand aufgegeben, oder haben sie mich ØberwÄltigt und geknebelt, meine Gedanken? Ich weiñ nur, mein KÃrper liegt schlafend im Bett, und meine Sinne sind losgetrennt und nicht mehr an ihn gebunden. - Wer ist jetzt "ich", will ich plÃtzlich fragen; da besinne ich mich, dañ ich doch kein Organ mehr besitze, mit dem ich Fragen stellen kÃnnte; dann fØrchte ich, die dumme Stimme werde wieder aufwachen und von neuem das endlose VerhÃr Øber den Stein und das Fett beginnen. Und so wende ich mich ab. Tag Da stand ich plÃtzlich in einem dØsteren Hofe und sah durch einen rÃtlichen Torbogen gegenØber - jenseits der engen, schmutzigen Strañe - einen jØdischen TrÃdler an einem GewÃlbe lehnen, das an den MauerrÄndern mit altem EisengerØmpel, zerbrochenen Werkzeugen, verrosteten SteigbØgeln und Schlittschuhen und vielerlei anderen abgestorbenen Sachen behangen war. Und dieses Bild trug das quÄlend EintÃnige an sich, das alle jene EindrØcke kennzeichnet, die tagtÄglich so und so oft wie Hausierer die Schwelle unserer Wahrnehmung Øberschreiten, und rief in mir weder Neugierde noch øberraschung hervor. Ich wurde mir bewuñt, dañ ich schon seit langer Zeit in dieser Umgebung zu Hause war. Auch diese Empfindung hinterlieñ mir trotz ihres Gegensatzes zu dem, was ich doch vor kurzem noch wahrgenommen und wie ich hierher gelangt, keinerlei tieferen Eindruck. - - Ich muñ einmal von einem sonderbaren Vergleich zwischen einem Stein und einem StØck Fett gehÃrt oder gelesen haben, drÄngte sich mir plÃtzlich der Einfall auf, als ich die ausgetretenen Stufen zu meiner Kammer emporstieg und mir Øber das speckige Aussehen der Steinschwellen flØchtige Gedanken machte. Da hÃrte ich Schritte die oberen Treppen Øber mir vorauslaufen, und als ich zu meiner TØr kam, sah ich, dañ es die vierzehnjÄhrige, rothaarige Rosina des TrÃdlers Aaron Wassertrum gewesen war. Ich muñte dicht an ihr vorbei, und sie stand mit dem RØcken gegen das StiegengelÄnder und bog sich lØstern zurØck. Ihre schmutzigen HÄnde hatte sie um die Eisenstange gelegt, - zum Halt - und ich sah, wie ihre nackten Unterarme bleich aus dem trØben Halbdunkel hervorleuchteten. Ich wich ihren Blicken aus. Mich ekelte vor ihrem zudringlichen LÄcheln und diesem wÄchsernen Schaukelpferdgesicht. Sie muñ schwammiges, weiñes Fleisch haben wie der Axolotl, den ich vorhin im SalamanderkÄfig bei dem VogelhÄndler gesehen habe, fØhlte ich. Die Wimpern Rothaariger sind mir widerwÄrtig wie die eines Kaninchens. Und ich sperrte auf und schlug rasch die TØr hinter mir zu. - - Von meinem Fenster aus konnte ich den TrÃdler Aaron Wassertrum vor seinem GewÃlbe stehen sehen. Er lehnte am Eingang der dunklen WÃlbung und zwickte mit einer Beiñzange an seinen FingernÄgeln herum. War die rothaarige Rosina seine Tochter oder seine Nichte? Er hatte keine ähnlichkeit mit ihr. Unter den Judengesichtern, die ich Tag fØr Tag in der Hahnpañgasse auftauchen sehe, kann ich deutlich verschiedene StÄmme unterscheiden, die sich so wenig durch die nahe Verwandtschaft der einzelnen Individuen verwischen lassen, wie sich Ãl und Wasser vermengen wird. Da darf man nicht sagen: die dort sind BrØder oder Vater und Sohn. Der gehÃrt zu jenem Stamm und dieser zu einem andern, das ist alles, was sich aus den GesichtszØgen lesen lÄñt. Was bewiese es auch, wenn selbst Rosina dem TrÃdler Ähnlich sÄhe! Diese StÄmme hegen einen heimlichen Ekel und Abscheu voreinander, der sogar die Schranken der engen Blutsverwandtschaft durchbricht, - aber sie verstehen ihn geheimzuhalten vor der Auñenwelt, wie man ein gefÄhrliches Geheimnis hØtet. Kein einziges lÄñt ihn durchblicken, und in dieser øbereinstimmung gleichen sie hañerfØllten Blinden, die sich an ein schmutzgetrÄnktes Seil klammern: der eine mit beiden FÄusten, ein anderer nur widerwillig mit einem Finger, alle aber von aberglÄubischer Furcht besessen, dañ sie dem Untergang verfallen mØssen, sobald sie den gemeinsamen Halt aufgeben und sich von den Øbrigen trennen. Rosina ist von jenem Stamme, dessen rothaariger Typus noch abstoñender ist, als der der andern. Dessen MÄnner engbrØstig sind und lange HØhnerhÄlse haben mit vorstehendem Adamsapfel. Alles scheint an ihnen sommersprossig, und ihr ganzes Leben leiden sie unter brØnstigen Qualen, diese MÄnner, - und kÄmpfen heimlich gegen ihre GelØste einen ununterbrochenen, erfolglosen Kampf, von immerwÄhrender widerlicher Angst um ihre Gesundheit gefoltert. Ich war mir nicht klar, wieso ich Rosina Øberhaupt in verwandtschaftliche Beziehungen mit dem TrÃdler Wassertrum bringen konnte. Nie habe ich sie doch in der NÄhe des Alten gesehen oder bemerkt, dañ sie jemals einander etwas zugerufen hÄtten. Auch war sie fast immer in unserem Hofe oder drØckte sich in den dunklen Winkeln und GÄngen unseres Hauses umher. Sicherlich halten sie alle meine Mitbewohner fØr eine nahe Verwandte oder zumindest Schutzbefohlene des TrÃdlers, und doch bin ich Øberzeugt, dañ kein einziger einen Grund fØr solche Vermutungen anzugeben vermÃchte. Ich wollte meine Gedanken von Rosina losreiñen und sah von dem offenen Fenster meiner Stube hinab auf die Hahnpañgasse. Als habe Aaron Wassertrum meinen Blick gefØhlt, wandte er plÃtzlich sein Gesicht zu mir empor. Sein starres, grÄñliches Gesicht mit den runden Fischaugen und der klaffenden Oberlippe, die von einer Hasenscharte gespalten ist. Wie eine menschliche Spinne kam er mir vor, die die feinste BerØhrung ihres Netzes spØrt, so teilnahmslos sie sich auch stellt. Und wovon er nur leben mag? Was denkt er, und was ist sein Vorhaben? Ich wuñte es nicht. An den MauerrÄndern seines GewÃlbes hÄngen unverÄndert Tag fØr Tag, jahraus jahrein dieselben toten wertlosen Dinge. Mit geschlossenen Augen hÄtte ich sie hinzeichnen kÃnnen: hier die verbogene Blechtrompete ohne Klappen, das vergilbte Bild auf Papier gemalt, mit den so sonderbar zusammengestellten Soldaten. Dann eine Girlande verrosteter Sporen an einem schimmligen Lederriemen und anderes halb vermodertes GerØmpel. Und vorne auf dem Boden, dicht nebeneinander geschichtet, so dañ niemand die Schwelle des GewÃlbes Øberschreiten kann, eine Reihe runder eiserner Herdplatten. - Alle diese Dinge nahmen an Zahl nie zu, nie ab, und blieb wirklich hier und da einmal ein VorØbergehender stehen und fragte nach dem Preis des einen oder andern, geriet der TrÃdler in heftige Erregung. In grauenerregender Weise zog er dann seine Lippen mit der Hasenscharte empor und sprudelte gereizt irgend etwas UnverstÄndliches in einem gurgelnden, stolpernden Bañ hervor, dañ dem KÄufer die Lust weiter zu fragen verging und er abgeschreckt seinen Weg fortsetzte. Der Blick des Aaron Wassertrum war blitzschnell von meinen Augen abgeglitten und ruhte jetzt mit gespanntem Interesse an den kahlen Mauern, die vom Nebenhause an mein Fenster stoñen. Was konnte er dort nur sehen? Das Haus steht doch mit dem RØcken gegen die Hahnpañgasse, und seine Fenster blicken in den Hof! Nur eines ist in die Strañe gekehrt. ZufÄllig schienen die RÄume, die nebenan in derselben StockhÃhe wie die meinigen liegen - ich glaube, sie gehÃren zu einem winkligen Atelier - in diesem Moment betreten worden zu sein, denn durch die Mauern hÃrte ich plÃtzlich eine mÄnnliche und eine weibliche Stimme miteinander reden. UnmÃglich konnte das aber der TrÃdler von unten aus wahrgenommen haben! - - Vor meiner TØr bewegte sich jemand, und ich erriet: es ist immer noch Rosina, die drauñen im Dunkeln steht in begehrlichem Warten, dañ ich sie doch vielleicht zu mir hereinrufen wolle. Und unten, ein halbes Stockwerk tiefer, lauert der blatternarbige, halbwØchsige Loisa auf den Stiegen mit angehaltenem Atem, ob ich die TØr Ãffnen werde, und ich spØre fÃrmlich den Hauch seines Hasses und seine schÄumende Eifersucht bis herauf zu mir. Er fØrchtet sich nÄher zu kommen und von Rosina bemerkt zu werden. Er weiñ sich von ihr abhÄngig wie ein hungriger Wolf von seinem WÄrter und mÃchte doch am liebsten aufspringen und besinnungslos seiner Wut die ZØgel schieñen lassen! - - - Ich setzte mich an meinen Arbeitstisch und suchte meine Pinzetten und Stichel hervor. Aber ich konnte nichts fertigbringen und meine Hand war nicht ruhig genug, die feinen japanischen Gravierungen auszubessern. Das trØbe, dØstere Leben, das an diesem Hause hÄngt, lÄñt mein GemØt nicht stillwerden, und immer tauchen alte Bilder in mir auf. Loisa und sein Zwillingsbruder Jaromir sind wohl kaum ein Jahr Älter als Rosina. An ihren Vater, der HostienbÄcker gewesen, konnte ich mich kaum mehr erinnern, und jetzt sorgt fØr sie, glaube ich, ein altes Weib. Ich wuñte nur nicht, welche es war unter den vielen, die versteckt im Hause wohnen wie KrÃten in ihrem Schlupfwinkel. Sie sorgt fØr die beiden Jungen, das heiñt: sie gewÄhrt ihnen Unterkunft; dafØr mØssen sie ihr abliefern, was sie gelegentlich stehlen oder erbetteln. - Ob sie ihnen wohl auch zu essen gibt? Ich konnte es mir nicht denken, denn erst spÄt abends kommt die Alte heim. LeichenwÄscherin soll sie sein. Loisa, Jaromir und Rosina sah ich, als sie noch Kinder waren, oft harmlos im Hof zu dritt spielen. Die Zeit aber ist lang vorbei. Den ganzen Tag ist Loisa jetzt hinter dem rothaarigen JudenmÄdel her. Zuweilen sucht er sie lange umsonst, und wenn er sie nirgends finden kann, dann schleicht er sich vor meine TØr und wartet mit verzerrtem Gesicht, dañ sie heimlich hierher komme. Da sehe ich ihn, wenn ich bei meiner Arbeit sitze, im Geiste drauñen in dem winkligen Gange lauern, den Kopf mit dem ausgemergelten Genick horchend vorgebeugt. Manchmal bricht dann durch die Stille plÃtzlich ein wilder LÄrm. Jaromir, der taubstumm ist, und dessen ganzes Denken eine ununterbrochene wahnsinnige Gier nach Rosina erfØllt, irrt wie ein wildes Tier im Hause umher, und sein unartikuliertes heulendes Gebell, das er, vor Eifersucht und Argwohn halb von Sinnen, ausstÃñt, klingt so schauerlich, dañ einem das Blut in den Adern stockt. Er sucht die beiden, die er stets beieinander vermutet - irgendwo in einem der tausend schmutzigen Schlupfwinkel versteckt - in blinder Raserei, immer von dem Gedanken gepeitscht, seinem Bruder auf den Fersen sein zu mØssen, dañ nichts mit Rosina vorgehe, von dem er nicht wisse. Und gerade diese unaufhÃrliche Qual des KrØppels ist, ahnte ich, das Reizmittel, das Rosina antreibt, sich stets von neuem mit dem andern einzulassen. Wird ihre Neigung oder Bereitwilligkeit schwÄcher, so ersinnt Loisa immer wieder besondere Scheuñlichkeiten, um Rosinas Gier von neuem zu entfachen. Da lassen sie sich scheinbar oder wirklich von dem Taubstummen ertappen und locken den Rasenden heimtØckisch hinter sich her in dunkle GÄnge, wo sie aus rostigen Fañreifen, die in die HÃhe schnellen, wenn man auf sie tritt, und eisernen Rechen - mit den Spitzen nach oben gekehrt - bÃsartige Fallen errichtet haben, in die er stØrzen muñ und sich blutig fÄllt. Von Zeit zu Zeit denkt sich Rosina, um die Folter aufs Äuñerste anzuspannen, auf eigene Faust etwas HÃllisches aus. Dann Ändert sie mit einem Schlage ihr Benehmen zu Jaromir und tut, als fÄnde sie plÃtzlich Gefallen an ihm. Mit ihrer ewig lÄchelnden Miene teilt sie dem KrØppel hastig Dinge mit, die ihn in eine fast irrsinnige Erregung versetzen, und sie hat sich dazu eine geheimnisvoll scheinende, nur halbverstÄndliche Zeichensprache ersonnen, die den Taubstummen rettungslos in ein unentwirrbares Netz von Ungewiñheit und verzehrenden Hoffnungen verstricken muñ. - Einmal sah ich ihn im Hofe vor ihr stehen, und sie sprach mit so heftigen Lippenbewegungen und Gestikulationen auf ihn ein, dañ ich glaubte, jeden Augenblick wØrde er in wilder Aufregung zusammenbrechen. Der Schweiñ lief ihm Øbers Gesicht vor Øbermenschlicher Anstrengung, den Sinn der absichtlich so unklaren, hastigen Mitteilungen zu erfassen. Und den ganzen folgenden Tag lauerte er dann fiebernd in Erwartung auf den finsteren Stiegen eines halb versunkenen Hauses, das in der Fortsetzung der engen, schmutzigen Hahnpañgasse liegt, - bis er die Zeit versÄumt hatte, sich an den Ecken ein paar Kreuzer zu erbetteln. Und als er spÄt abends halbtot vor Hunger und Aufregung heim wollte, hatte ihn die Pflegemutter lÄngst ausgesperrt. - - - 0x01 graphic Ein frÃhliches Frauenlachen drang aus dem anstoñenden Atelier durch die Mauern herØber zu mir. Ein Lachen! - In diesen HÄusern ein frÃhliches Lachen? Im ganzen Getto wohnt niemand, der frÃhlich lachen kÃnnte. Da fiel mir ein, dañ mir vor einigen Tagen der alte Marionettenspieler Zwakh anvertraute, ein junger, vornehmer Herr hÄtte ihm das Atelier teuer abgemietet - offenbar, um mit der ErwÄhlten seines Herzens unbelauscht zusammenkommen zu kÃnnen. Nach und nach, jede Nacht, mØñten nun, damit niemand im Hause etwas merke, die kostbaren MÃbel des neuen Mieters heimlich StØck fØr StØck hinaufgeschafft werden. Der gutmØtige Alte hatte sich vor VergnØgen die HÄnde gerieben, als er es mir erzÄhlte, und sich kindlich gefreut, wie er alles so geschickt angefangen habe: keiner der Mitbewohner kÃnne auch nur eine Ahnung von dem romantischen Liebespaar haben. Und von drei HÄusern aus sei es mÃglich, unauffÄllig in das Atelier zu gelangen. - Sogar durch eine FalltØre gÄbe es einen Zugang! Ja, wenn man die eiserne TØr des Bodenraumes aufklinke, - und das sei von drØben aus sehr leicht, - kÃnne man an meiner Kammer, vorbei zu den Stiegen unseres Hauses gelangen und diese als Ausgang benØtzen ... Wieder klingt das frÃhliche Lachen herØber und lÄñt in mir die undeutliche Erinnerung an eine luxuriÃse Wohnung und an eine adlige Familie auftauchen, zu der ich oft gerufen wurde, um an kostbaren AltertØmern kleine Ausbesserungen vorzunehmen. - PlÃtzlich hÃre ich nebenan einen gellenden Schrei. Ich horche erschreckt. Die eiserne BodentØr klirrt heftig, und im nÄchsten Augenblick stØrzt eine Dame in mein Zimmer. Mit aufgelÃstem Haar, weiñ wie die Wand, einen goldenen Brokatstoff Øber die bloñen Schultern geworfen. "Meister Pernath, verbergen Sie mich, - um Gottes Christi willen! - fragen Sie nicht, verbergen Sie mich hier!" Ehe ich noch antworten konnte, wurde meine TØr abermals aufgerissen und sofort wieder zugeschlagen. - Eine Sekunde lang hatte das Gesicht des TrÃdlers Aaron Wassertrum wie eine scheuñliche Maske hereingegrinst. - 0x01 graphic Ein runder, leuchtender Fleck taucht vor mir auf, und im Schein des Mondlichtes erkenne ich wiederum das Fuñende meines Bettes. Noch liegt der Schlaf auf mir wie ein schwerer, wolliger Mantel und der Name Pernath steht in goldenen Buchstaben vor meiner Erinnerung. Wo nur habe ich diesen Namen gelesen? - Athanasius Pernath? Ich glaube, ich glaube vor langer, langer Zeit habe ich einmal irgendwo meinen Hut verwechselt, und ich wunderte mich damals, dañ er mir so genau passe, wo ich doch eine hÃchst eigentØmliche Kopfform habe. Und ich sah in den fremden Hut hinein - damals und - - ja, ja, dort hatte es gestanden in goldenen Papierbuchstaben auf dem weiñen Futter: ATHANASIUS PERNATH. Ich hatte mich vor dem Hut gescheut und gefØrchtet, ich wuñte nicht warum. Da fÄhrt plÃtzlich die Stimme, die ich vergessen hatte, und die immer von mir wissen wollte, wo der Stein ist, der wie Fett ausgesehen habe, auf mich los, gleich einem Pfeil. Schnell male ich mir das scharfe, sØñlich grinsende Profil der roten Rosina aus, und es gelingt mir auf diese Weise, dem Pfeil auszuweichen, der sich sogleich in der Finsternis verliert. Ja, das Gesicht der Rosina! Das ist doch noch stÄrker als die stumpfsinnige plappernde Stimme; und gar, wo ich jetzt gleich wieder in meinem Zimmer in der Hahnpañgasse geborgen sein werde, kann ich ganz ruhig sein. I Wenn ich mich nicht getÄuscht habe in der Empfindung, dañ jemand in einem gewissen, gleichbleibenden Abstand hinter mir die Treppe heraufkommt, in der Absicht, mich zu besuchen, so muñ er jetzt ungefÄhr auf dem letzten Stiegenabsatz stehen. Jetzt biegt er um die Ecke, wo der Archivar Schemajah Hillel seine Wohnung hat, und kommt von den ausgetretenen Steinfliesen auf den Flur des oberen Stockwerkes, der mit roten Ziegeln ausgelegt ist. Nun tastet er sich an der Wand entlang, und jetzt, gerade jetzt, muñ er, mØhsam im Finstern buchstabierend, meinen Namen auf dem TØrschild lesen. Und ich stellte mich aufrecht in die Mitte des Zimmers und blickte zum Eingang. Da Ãffnete sich die TØre, und er trat ein. Nur wenige Schritte machte er auf mich zu und nahm weder den Hut ab, noch sagte er ein Wort der BegrØñung. So benimmt er sich, wenn er zu Hause ist, fØhlte ich, und ich fand es ganz selbstverstÄndlich, dañ er so und nicht anders handelte. Er griff in die Tasche und nahm ein Buch heraus. Dann blÄtterte er lange drin herum. Der Umschlag des Buches war aus Metall, und die Vertiefungen in Form von Rosetten und Siegeln waren mit Farbe und kleinen Steinen ausgefØllt. Endlich hatte er die Stelle gefunden, die er suchte, und deutete darauf. Das Kapitel hieñ "Ibbur", "die SeelenschwÄngerung", entzifferte ich. Das groñe, in Gold und Rot ausgefØhrte Initial "I" nahm fast die HÄlfte der ganzen Seite ein, die ich unwillkØrlich Øberflog, und war am Rande verletzt. Ich sollte es ausbessern. Das Initial war nicht auf das Pergament geklebt, wie ich es bisher in alten BØchern gesehen, schien vielmehr aus zwei Platten dØnnen Goldes zu bestehen, die im Mittelpunkte zusammengelÃtet waren und mit den Enden um die RÄnder des Pergaments griffen. Also muñte, wo der Buchstabe stand, ein Loch in das Blatt geschnitten sein? Wenn das der Fall war, muñte auf der nÄchsten Seite das "I" verkehrt stehen? Ich blÄtterte um und fand meine Annahme bestÄtigt. UnwillkØrlich las ich auch diese Seite durch und die gegenØberliegende. Und ich las weiter und weiter. Das Buch sprach zu mir, wie der Traum spricht, klarer nur und viel deutlicher. Und es rØhrte mein Herz an wie eine Frage. Worte strÃmten aus einem unsichtbaren Munde, wurden lebendig und kamen auf mich zu. Sie drehten sich und wandten sich vor mir wie buntgekleidete Sklavinnen, sanken dann in den Boden oder verschwanden wie schillernder Dunst in der Luft und gaben der nÄchsten Raum. Jede hoffte eine kleine Weile, dañ ich sie erwÄhlen wØrde und auf den Anblick der Kommenden verzichten. Manche waren unter ihnen, die gingen prunkend einher wie Pfauen, in schimmernden GewÄndern, und ihre Schritte waren langsam und gemessen. Manche wie KÃniginnen, doch gealtert und verlebt, die Augenlider gefÄrbt, - mit dirnenhaftem Zug um den Mund und die Runzeln mit hÄñlicher Schminke verdeckt. Ich sah an ihnen vorbei und nach den kommenden, und mein Blick glitt Øber lange ZØge grauer Gestalten mit Gesichtern, so gewÃhnlich und ausdrucksarm, dañ es unmÃglich schien, sie dem GedÄchtnis einzuprÄgen. Dann brachten sie ein Weib geschleppt, das war splitternackt und riesenhaft wie ein Erzkoloñ. Eine Sekunde blieb das Weib vor mir stehen und beugte sich nieder zu mir. Ihre Wimpern waren so lang wie mein ganzer KÃrper, und sie deutete stumm auf den Puls ihrer linken Hand. Der schlug wie ein Erdbeben, und ich fØhlte, es war das Leben einer ganzen Welt in ihr. Aus der Ferne raste ein Korybantenzug heran. Ein Mann und ein Weib umschlangen sich. Ich sah sie von weitem kommen, und immer nÄher brauste der Zug. Jetzt hÃrte ich den hallenden Gesang der VerzØckten dicht vor mir, und meine Augen suchten das verschlungene Paar. Das aber hatte sich verwandelt in eine einzige Gestalt und sañ, halb mÄnnlich, halb weiblich, - ein Hermaphrodit - auf einem Throne von Perlmutter. Und die Krone des Hermaphroditen endete in einem Brett aus rotem Holz; darein hatte der Wurm der ZerstÃrung geheimnisvolle Runen genagt. In einer Staubwolke kam eilig hinterdreingetrappelt eine Herde kleiner, blinder Schafe: die Futtertiere, die der gigantische Zwitter in seinem Gefolge fØhrte, seine Korybantenschar am Leben zu erhalten. Zuweilen waren unter den Gestalten, die aus dem unsichtbaren Munde strÃmten, etliche, die kamen aus GrÄbern, - TØcher vor dem Gesicht. Und blieben sie vor mir stehen, lieñen sie plÃtzlich ihre HØllen fallen und starrten mit Raubtieraugen hungrig auf mein Herz, dañ ein eisiger Schreck mir ins Hirn fuhr und sich mein Blut zurØckstaute wie ein Strom, in den FelsblÃcke vom Himmel herniedergefallen sind - plÃtzlich und mitten in sein Bette. - Eine Frau schwebte an mir vorbei. Ich sah ihr Antlitz nicht, sie wandte es ab, und sie trug einen Mantel aus flieñenden TrÄnen. - MaskenzØge tanzten vorØber, lachten und kØmmerten sich nicht um mich. Nur ein Pierrot sieht sich nachdenklich um nach mir und kehrt zurØck. Pflanzt sich vor mich hin und blickt in mein Gesicht hinein, als sei es ein Spiegel. Er schneidet so seltsame Grimassen, hebt und bewegt seine Arme, bald zÃgernd, bald blitzschnell, dañ sich meiner ein gespenstiger Trieb bemÄchtigt ihn nachzuahmen, mit den Augen zu zwinkern, mit den Achseln zu zucken und die Mundwinkel zu verziehen. Da stoñen ihn ungeduldig nachdrÄngende Gestalten zur Seite, die alle vor meine Blicke wollen. Doch keines der Wesen hat Bestand. Gleitende Perlen sind sie, auf eine Seidenschnur gereiht, die einzelnen TÃne nur einer Melodie, die dem unsichtbaren Mund entstrÃmen. Das war kein Buch mehr, das zu mir sprach. Das war eine Stimme. Eine Stimme, die etwas von mir wollte, was ich nicht begriff; wie sehr ich mich auch abmØhte. Die mich quÄlte mit brennenden, unverstÄndlichen Fragen. Die Stimme aber, die diese sichtbaren Worte redete, war abgestorben und ohne Widerhall. Jeder Laut, der in der Welt der Gegenwart erklingt, hat viele Echos, wie jegliches Ding einen groñen Schatten hat und viele kleine Schatten, doch diese Stimme hatte keine Echos mehr, - lange, lange schon sind sie wohl verweht und verklungen. - - - Und bis zu Ende hatte ich das Buch gelesen und hielt es noch in den HÄnden, da war mir, als hÄtte ich suchend in meinem Gehirn geblÄttert und nicht in einem Buche! - - Alles, was mir die Stimme gesagt, hatte ich, seit ich lebte, in mir getragen, nur verdeckt war es gewesen und vergessen und hatte sich vor meinem Denken versteckt gehalten bis auf den heutigen Tag. - 0x01 graphic Ich blickte auf. Wo war der Mann, der mir das Buch gebracht hatte? Fortgegangen!? Wird er es holen, wenn es fertig ist? Oder sollte ich es ihm bringen? - Aber ich konnte mich nicht erinnern, dañ er gesagt hÄtte, wo er wohne. Ich wollte mir seine Erscheinung ins GedÄchtnis zurØckrufen, doch es miñlang. Wie war er nur gekleidet gewesen? War er alt, war er jung? - Und welche Farben hatten sein Haar und sein Bart gehabt? Nichts, gar nichts mehr konnte ich mir vorstellen. - Alle Bilder, die ich mir von ihm schuf, zerrannen haltlos, noch ehe ich sie im Geiste zusammenzusetzen vermochte. Ich schloñ die Augen und preñte die Hand auf die Lider, um einen winzigen Teil nur seines Bildnisses zu erhaschen. Nichts, nichts. Ich stellte mich hin, mitten ins Zimmer, und blickte auf die TØr, wie ich es getan - vorhin, als er gekommen war, und malte mir aus: jetzt biegt er um die Ecke, jetzt schreitet er Øber den Ziegelsteinboden, liest jetzt drauñen mein TØrschild "Athanasius Pernath" und jetzt tritt er herein. Vergebens. Nicht die leiseste Spur einer Erinnerung, wie seine Gestalt ausgesehen, wollte in mir erwachen. Ich sah das Buch auf dem Tische liegen und wØnschte mir im Geiste die Hand dazu, die es aus der Tasche gezogen und mir gereicht hatte. Nicht einmal, ob sie einen Handschuh getragen, ob sie entblÃñt gewesen, ob jung oder runzlig, mit Ringen geschmØckt oder nicht, konnte ich mich entsinnen. Da kam mir ein seltsamer Einfall. Wie eine Eingebung war es, der man nicht widerstehen darf. Ich zog meinen Mantel an, setzte meinen Hut auf und ging hinaus auf den Gang und die Treppen hinab. Dann kam ich langsam wieder zurØck in mein Zimmer. Langsam, ganz langsam, so wie er, als er gekommen war. Und als ich die TØr Ãffnete, da sah ich, dañ meine Kammer voll DÄmmerung lag. War es denn nicht heller Tag noch gewesen, als ich soeben hinausging? Wie lange muñte ich da gegrØbelt haben, dañ ich nicht bemerkte, wie spÄt es ist! Und ich versuchte den Unbekannten nachzuahmen in Gang und Mienen und konnte mich an sie doch gar nicht erinnern. - Wie sollte es mir auch glØcken, ihn nachzuahmen, wenn ich keinen Anhaltspunkt mehr hatte, wie er ausgesehen haben mochte. Aber es kam anders. Ganz anders, als ich dachte. Meine Haut, meine Muskeln, mein KÃrper erinnerten sich plÃtzlich, ohne es dem Gehirn zu verraten. Sie machten Bewegungen, die ich nicht wØnschte und nicht beabsichtigte. Als ob meine Glieder nicht mehr mir gehÃrten! Mit einem Male war mein Gang tappend und fremdartig geworden, als ich ein paar Schritte im Zimmer machte. Das ist der Gang eines Menschen, der bestÄndig im Begriffe ist, vornØber zu fallen, sagte ich mir. Ja, ja, ja, so war sein Gang! Ganz deutlich wuñte ich: so ist er. Ich trug ein fremdes, bartloses Gesicht mit hervorstehenden Backenknochen und schaute aus schrÄgstehenden Augen. Ich fØhlte es und konnte mich doch nicht sehen. Das ist nicht mein Gesicht, wollte ich entsetzt aufschreien, wollte es betasten, doch meine Hand folgte meinem Willen nicht und senkte sich in die Tasche und holte ein Buch hervor. Ganz so, wie er es vorhin getan hatte. - Da plÃtzlich sitze ich wieder ohne Hut, ohne Mantel, am Tische und bin ich. Ich, ich. Athanasius Pernath. Grausen und Entsetzen schØttelten mich, mein Herz raste zum Zerspringen, und ich fØhlte: gespenstische Finger, die soeben noch in meinem Gehirn herumgetastet, haben von mir abgelassen. Noch spØrte ich im Hinterkopf die kalten Spuren ihrer BerØhrung. - Nun wuñte ich, wie der Fremde war, und ich hÄtte ihn wieder in mir fØhlen kÃnnen, - jeden Augenblick - wenn ich nur gewollt hÄtte; aber sein Bild mir vorzustellen, dañ ich es vor mir sehen wØrde Auge in Auge - das vermochte ich noch immer nicht und werde es auch nie kÃnnen. Es ist wie ein Negativ, eine unsichtbare Hohlform, erkannte ich, deren Linien ich nicht erfassen kann - in die ich selber hineinschlØpfen muñ, wenn ich mir ihrer Gestalt und ihres Ausdrucks im eigenen Ich bewuñt werden will - - In der Schublade meines Tisches stand eine eiserne Kassette; - in diese wollte ich das Buch sperren und erst, wenn der Zustand der geistigen Krankheit von mir gewichen sein wØrde, wollte ich es wieder hervorholen und an die Ausbesserung des zerbrochenen Initialen "I" gehen. Und ich nahm das Buch vom Tisch. Da war mir, als hÄtte ich es gar nicht angefañt; ich griff die Kassette an: dasselbe GefØhl. Als mØñte das Tastempfinden eine lange, lange Strecke voll tiefer Dunkelheit durchlaufen, ehe es in meinem Bewuñtsein mØndete, als seien die Dinge durch eine jahresgroñe Zeitschicht von mir entfernt und gehÃrten einer Vergangenheit an, die lÄngst an mir vorØbergezogen! 0x01 graphic Die Stimme, die nach mir suchend in der Finsternis kreist, um mich mit dem fettigen Stein zu quÄlen, ist an mir vorbeigekommen und hat mich nicht gesehen. Und ich weiñ, dañ sie aus dem Reiche des Schlafes stammt. Aber was ich erlebt, das war wirkliches Leben, - darum konnte sie mich nicht sehen und sucht vergeblich nach mir, fØhle ich. Prag Neben mir stand der Student Charousek, den Kragen seines dØnnen, fadenscheinigen øberziehers aufgeschlagen, und ich hÃrte, wie ihm vor KÄlte die ZÄhne aufeinanderschlugen. Er kann sich den Tod holen in diesem zugigen, eisigen Torbogen, sagte ich mir, und ich forderte ihn auf, mit hinØber in meine Wohnung zu kommen. Er aber lehnte ab. "Ich danke Ihnen, Meister Pernath," murmelte er frÃstelnd, "leider habe ich nicht mehr so viel Zeit Øbrig; - ich muñ eilends in die Stadt. - Auch wØrden wir bis auf die Haut nañ, wenn wir jetzt auf die Gasse treten wollten - schon nach wenigen Schritten! - - Der Platzregen will nicht schwÄcher werden!" Die Wasserschauer fegten Øber die DÄcher hin und liefen an den Gesichtern der HÄuser herunter wie ein TrÄnenstrom. Wenn ich den Kopf ein wenig vorbog, konnte ich da drØben im vierten Stock mein Fenster sehen, das, vom Regen Øberrieselt, aussah, als seien seine Scheiben aufgeweicht, - undurchsichtig und hÃckerig geworden wie Hausenblase. Ein gelber Schmutzbach floñ die Gasse herab, und der Torbogen fØllte sich mit VorØbergehenden, die alle das Nachlassen des Unwetters abwarten wollten. "Dort schwimmt ein Brautbukett", sagte plÃtzlich Charousek und deutete auf einen Strauñ aus welken Myrten, der in dem Schmutzwasser vorbeigetrieben kam. DarØber lachte jemand hinter uns laut auf. Als ich mich umdrehte, sah ich, dañ es ein alter, vornehm gekleideter Herr mit weiñem Haar und einem aufgedunsenen, krÃtenartigen Gesicht gewesen war. Charousek blickte ebenfalls einen Augenblick zurØck und brummte etwas vor sich hin. Unangenehmes ging von dem Alten aus; - ich wandte meine Aufmerksamkeit von ihm ab und musterte die miñfarbigen HÄuser, die da vor meinen Augen wie verdrossene alte Tiere im Regen nebeneinander hockten. Wie unheimlich und verkommen sie alle aussahen! Ohne øberlegung hingebaut standen sie da, wie Unkraut, das aus dem Boden dringt. An eine niedrige, gelbe Steinmauer, den einzigen standhaltenden øberrest eines frØheren, langgestreckten GebÄudes, hat man sie angelehnt - vor zwei, drei Jahrhunderten, wie es eben kam, ohne RØcksicht auf die Øbrigen zu nehmen. Dort ein halbes, schiefwinkliges Haus mit zurØckspringender Stirn; - ein andres daneben: vorstehend wie ein Eckzahn. Unter dem trØben Himmel sahen sie aus, als lÄgen sie im Schlaf, und man spØlte nichts von dem tØckischen, feindseligen Leben, das zuweilen von ihnen ausstrahlt, wenn der Nebel der Herbstabende in den Gassen liegt und ihr leises, kaum merkliches Mienenspiel verbergen hilft. In dem Menschenalter, das ich nun hier wohne, hat sich der Eindruck in mir festgesetzt, den ich nicht loswerden kann, als ob es gewisse Stunden des Nachts und im frØhesten Morgengrauen fØr sie gÄbe, wo sie erregt eine lautlose, geheimnisvolle Beratung pflegen. Und manchmal fÄhrt da ein schwaches Beben durch ihre Mauern, das sich nicht erklÄren lÄñt, GerÄusche laufen Øber ihre DÄcher und fallen in den Regenrinnen nieder, - und wir nehmen sie mit stumpfen Sinnen achtlos hin, ohne nach ihrer Ursache zu forschen. Oft trÄumte mir, ich hÄtte diese HÄuser belauscht in ihrem spukhaften Treiben und mit angstvollem Staunen erfahren, dañ sie die heimlichen, eigentlichen Herren der Gasse seien, sich ihres Lebens und FØhlens entÄuñern und es wieder an sich ziehen kÃnnen, - es tagsØber den Bewohnern, die hier hausen, borgen, um es in kommender Nacht mit Wucherzinsen wieder zurØckzufordern. Und lasse ich die seltsamen Menschen, die in ihnen wohnen wie Schemen, wie Wesen - nicht von MØttern geboren, - die in ihrem Denken und Tun wie aus StØcken wahllos zusammengefØgt scheinen, im Geiste an mir vorØberziehen, so bin ich mehr denn je geneigt zu glauben, dañ solche TrÄume in sich dunkle Wahrheiten bergen, die mir im Wachsein nur noch wie EindrØcke von farbigen MÄrchen in der Seele fortglimmen. Dann wacht in mir heimlich die Sage von dem gespenstischen Golem, jenem kØnstlichen Menschen, wieder auf, den einst hier im Getto ein kabbalakundiger Rabbiner aus dem Elemente formte und ihn zu einem gedankenlosen automatischen Dasein berief, indem er ihm ein magisches Zahlenwort hinter die ZÄhne schob. Und wie jener Golem zu einem Lehmbild in derselben Sekunde erstarrte, in der die geheime Silbe des Lebens aus seinem Munde genommen ward, so mØñten auch, dØnkt mich, alle diese Menschen entseelt in einem Augenblick zusammenfallen, lÃschte man irgendeinen winzigen Begriff, ein nebensÄchliches Streben, vielleicht eine zwecklose Gewohnheit bei dem einen, bei einem andern gar nur ein dumpfes Warten auf etwas gÄnzlich Unbestimmtes, Haltloses - in ihrem Hirn aus. Was ist dabei fØr ein immerwÄhrendes, schreckhaftes Lauern in diesen GeschÃpfen! Niemals sieht man sie arbeiten, diese Menschen, und dennoch sind sie frØh beim ersten Leuchten des Morgens wach und warten mit angehaltenem Atem - wie auf ein Opfer, das doch nie kommt. Und hat es wirklich einmal den Anschein, als trÄte jemand in ihren Bereich, irgendein Wehrloser, an dem sie sich bereichern kÃnnten, dann fÄllt plÃtzlich eine lÄhmende Angst Øber sie her, scheucht sie in ihre Winkel zurØck und lÄñt sie von jeglichem Vorhaben zitternd abstehen. Niemand scheint schwach genug, dañ ihnen noch so viel Mut bliebe, sich seiner zu bemÄchtigen. "Entartete, zahnlose Raubtiere, von denen die Kraft und die Waffe genommen ist", sagte Charousek zÃgernd und sah mich an. - Wie konnte er wissen, woran ich dachte? - So stark facht man zuweilen seine Gedanken an, dañ sie imstande sind, auf das Gehirn des Nebenstehenden Øberzuspringen wie sprØhende Funken, fØhlte ich. "- - - wovon sie nur leben mÃgen?" sagte ich nach einer Weile. "Leben? Wovon? Mancher unter ihnen ist ein MillionÄr!" Ich blickte Charousek an. Was konnte er damit meinen! Der Student aber schwieg und sah nach den Wolken. FØr einen Augenblick hatte das Stimmengemurmel in dem Torbogen gestockt, und man hÃrte bloñ das Zischen des Regens. Was er nur damit sagen will: "Mancher unter ihnen ist ein MillionÄr!?" Wieder war es, als hÄtte Charousek meine Gedanken erraten. Er wies nach dem TrÃdlerladen neben uns, an dem das Wasser den Rost des EisengerØmpels in flieñenden, braunroten PfØtzen vorbeispØlte. "Aaron Wassertrum! Er zum Beispiel ist MillionÄr, - fast ein Drittel der Judenstadt ist sein Besitz. Wissen Sie es denn nicht, Herr Pernath?!" Mir blieb fÃrmlich der Atem im Mund stecken. "Aaron Wassertrum! Der TrÃdler Aaron Wassertrum MillionÄr?!" "Oh, ich kenne ihn genau", fuhr Charousek verbissen fort, und als hÄtte er nur darauf gewartet, dañ ich ihn frage. "Ich kannte auch seinen Sohn, den Dr. Wassory. Haben Sie nie von ihm gehÃrt? Von Dr. Wassory, dem - berØhmten - Augenarzt? - Vor einem Jahr noch hat die ganze Stadt begeistert von ihm gesprochen, - von dem groñen - - Gelehrten. Niemand wuñte damals, dañ er seinen Namen abgelegt und frØher Wassertrum geheiñen. - Er spielte sich gerne auf den weitabgewandten Mann der Wissenschaft hinaus, und wenn einmal auf Herkunft die Rede kam, warf er bescheiden und tiefbewegt so mit halben Worten hin, dañ sein Vater noch aus dem Getto stamme, - sich aus den niedrigsten AnfÄngen heraus unter Kummer aller Art und unsÄglichen Sorgen empor ans Licht habe arbeiten mØssen. Ja! Unter Kummer und Sorgen! Unter wessen Kummer und unsÄglichen Sorgen aber und mit welchen Mitteln, das hat er nicht dazu gesagt! Ich aber weiñ, was es mit dem Getto fØr eine Bewandtnis hat!" Charousek fañte meinen Arm und schØttelte ihn heftig. "Meister Pernath, ich bin so arm, dañ ich es selbst kaum mehr begreife; ich muñ halbnackt gehen wie ein Vagabund, sehen Sie her, und ich bin doch Student der Medizin, - bin doch ein gebildeter Mensch!" Er riñ seinen øberzieher auf und ich sah zu meinem Entsetzen, dañ er weder Hemd noch Rock anhatte und den Mantel Øber der nackten Haut trug. "Und so arm war ich bereits, als ich diese Bestie, diesen allmÄchtigen, angesehenen Dr. Wassory zu Fall brachte, - und noch heute ahnt keiner, dañ ich, ich der eigentliche Urheber war. Man meint in der Stadt, ein gewisser Dr. Savioli sei es gewesen, der seine Praktiken ans Tageslicht gezogen und ihn dann zum Selbstmord getrieben hat. - Dr. Savioli war nichts als mein Werkzeug, sage ich Ihnen. Ich allein habe den Plan erdacht und das Material zusammengetragen, habe die Beweise geliefert und leise und unmerklich Stein um Stein in dem GebÄude Dr. Wassorys gelockert, bis der Zustand erreicht war, wo kein Geld der Erde, keine List des Gettos mehr vermocht hÄtten, den Zusammenbruch, zu dem es nur noch eines unmerklichen Anstoñes bedurfte, abzuwenden. Wissen Sie, so - so wie man Schach spielt. Gerade so wie man Schach spielt. Und niemand weiñ, dañ ich es war! Den TrÃdler Aaron Wassertrum, den lÄñt wohl manchmal eine furchtbare Ahnung nicht schlafen, dañ einer, den er nicht kennt, der immer in seiner NÄhe ist und den er doch nicht fassen kann, - ein anderer als Dr. Savioli - die Hand im Spiele gehabt haben mØsse. Wiewohl Wassertrum einer von jenen ist, deren Augen durch Mauern zu schauen vermÃgen, so fañt er es doch nicht, dañ es Gehirne gibt, die auszurechnen imstande sind, wie man mit langen, unsichtbaren, vergifteten Nadeln durch solche Mauern stechen kann, an Quadern, an Gold und Edelsteinen vorbei, um die verborgene Lebensader zu treffen." Und Charousek schlug sich vor die Stirn und lachte wild. "Aaron Wassertrum wird es bald erfahren; genau an dem Tage, an dem er Dr. Savioli an den Hals will! Genau an demselben Tage! Auch diese Schachpartie habe ich ausgerechnet bis zum letzten Zug. - Diesmal wird es ein KÃnigslÄufergambit sein. Da gibt es keinen einzigen Zug bis zum bittern Ende, gegen den ich nicht eine verderbliche Entgegnung wØñte. Wer sich mit mir in ein solches KÃnigslÄufergambit einlÄñt, der hÄngt in der Luft, sage ich Ihnen, wie eine hilflose Marionette an feinen FÄden, - an FÄden, die ich zupfe, - hÃren Sie wohl, die ich zupfe, und mit dessen freiem Willen ist's dahin." Der Student redete wie im Fieber, und ich sah ihm entsetzt ins Gesicht. "Was haben Ihnen Wassertrum und sein Sohn denn getan, dañ Sie so voll Hañ sind?" Charousek wehrte heftig ab: "Lassen wir das - fragen Sie lieber, was Dr. Wassory den Hals gebrochen hat! - Oder wØnschen Sie, dañ wir ein andres Mal darØber sprechen? - Der Regen hat nachgelassen. Vielleicht wollen Sie nach Hause gehen?" Er senkte seine Stimme, wie jemand, der plÃtzlich ganz ruhig wird. Ich schØttelte den Kopf. "Haben Sie jemals gehÃrt, wie man heutzutage den grØnen Star heilt? - Nicht? - So muñ ich Ihnen das deutlich machen, damit Sie alles genau verstehen, Meister Pernath! HÃren Sie zu: Der 'grØne Star' also ist eine bÃsartige Erkrankung des Augeninnern, die mit Erblinden endet, und es gibt nur ein Mittel, dem Fortschreiten des øbels Einhalt zu tun, nÄmlich die sogenannte Iridektomie, die darin besteht, dañ man aus der Regenbogenhaut des Auges ein keilfÃrmiges StØckchen herauszwickt. Die unvermeidlichen Folgen davon sind wohl greuliche Blendungserscheinungen, die fØrs ganze Leben bleiben; der Prozeñ des Erblindens jedoch ist meistens aufgehalten. Mit der Diagnose des grØnen Stars hat es aber eine eigene Bewandtnis. Es gibt nÄmlich Zeiten, besonders bei Beginn der Krankheit, wo die deutlichsten Symptome scheinbar ganz zurØcktreten, und in solchen FÄllen darf ein Arzt, obwohl er keine Spur einer Krankheit finden kann, dennoch niemals mit Bestimmtheit sagen, dañ sein VorgÄnger, der andrer Meinung gewesen, sich notwendigerweise geirrt haben mØsse. Hat aber einmal die erwÄhnte Iridektomie, die sich natØrlich genauso an einem gesunden Auge wie an einem kranken ausfØhren lÄñt, stattgefunden, so kann man unmÃglich mehr feststellen, ob frØher wirklich grØner Star vorgelegen hat oder nicht. Und auf diese und noch andere UmstÄnde hatte Dr. Wassory einen scheuñlichen Plan aufgebaut. UnzÄhlige Male - besonders an Frauen - konstatierte er grØnen Star, wo harmlose SehstÃrungen vorlagen, nur um zu einer Operation zu kommen, die ihm keine MØhe machte und viel Geld eintrug. Da endlich hatte er vollkommen Wehrlose in der Hand; da gehÃrte zum AusplØndern auch keine Spur von Mut mehr! Sehen Sie, Meister Pernath, da war das degenerierte Raubtier in jene Lebensbedingungen versetzt, wo es auch ohne Waffe und Kraft seine Opfer zerfleischen konnte. Ohne etwas aufs Spiel zu setzen! - Begreifen Sie?! Ohne das geringste wagen zu mØssen! Durch eine Menge fauler VerÃffentlichungen in FachblÄttern hatte sich Dr. Wassory in den Ruf eines hervorragenden Spezialisten zu setzen verstanden und sogar seinen Kollegen, die viel zu arglos und anstÄndig waren, um ihn zu durchschauen, Sand in die Augen zu streuen gewuñt. Ein Strom von Patienten, die alle bei ihm Hilfe suchten, war die natØrliche Folge. Kam nun jemand mit geringfØgigen SehstÃrungen zu ihm und lieñ sich untersuchen, so ging Dr. Wassory sofort mit tØckischer PlanmÄñigkeit zu Werke. Zuerst stellte er das Øbliche KrankenverhÃr an, notierte aber geschickt immer nur, um fØr alle FÄlle gedeckt zu sein, jene Antworten, die eine Deutung auf grØnen Star zulieñen. Und vorsichtig sondierte er, ob nicht schon eine frØhere Diagnose vorlÄge. GesprÄchsweise lieñ er einflieñen, dañ ein dringender Ruf aus dem Auslande behufs wichtiger wissenschaftlicher Mañnahmen an ihn ergangen sei und er daher schon morgen verreisen mØsse. - Bei der Augenspiegelung mit elektrischen Lichtstrahlen, die er sodann vornahm, bereitete er dem Kranken absichtlich so viel Schmerzen wie mÃglich. Alles mit Vorbedacht! Alles mit Vorbedacht! Wenn das VerhÃr vorØber und die Øbliche bange Frage des Patienten, ob Grund zur BefØrchtung vorhanden sei, erfolgt war, da tat Wassory seinen ersten Schachzug. Er setzte sich dem Kranken gegenØber, lieñ eine Minute verstreichen und sprach dann gemessen und mit sonorer Stimme den Satz: "Erblindung beider Augen ist bereits in der allernÄchsten Zeit wohl unvermeidlich!" 0x01 graphic Die Szene, die naturgemÄñ folgte, war entsetzlich. Oft fielen die Leute in Ohnmacht, weinten und schrien und warfen sich in wilder Verzweiflung zu Boden. Das Augenlicht verlieren, heiñt alles verlieren. Und wenn der wiederum Øbliche Moment eintrat, wo das arme Opfer die Knie Dr. Wassorys umklammerte und flehte, ob es denn auf Gottes Erde gar keine Hilfe mehr gÄbe, da tat die Bestie den zweiten Schachzug und verwandelte sich selbst in jenen - Gott, der helfen konnte! Alles, alles in der Welt ist wie ein Schachzug, Meister Pernath! - Schleunigste Operation, sagte Dr. Wassory dann nachdenklich, sei das einzige, was vielleicht Rettung bringen kÃnne, und mit einer wilden, gierigen Eitelkeit, die plÃtzlich Øber ihn kam, erging er sich mit einem Redeschwall in weitschweifigem Ausmalen dieses und jenes Falles, die alle mit dem vorliegenden eine ungemein groñe ähnlichkeit gehabt hÄtten, - wie unzÄhlige Kranke ihm allein die Erhaltung des Augenlichts verdankten und dergleichen mehr. Er schwelgte fÃrmlich in dem GefØhl, fØr eine Art hÃheren Wesens gehalten zu werden, in dessen HÄnde das Wohl und Wehe seines Mitmenschen gelegt ist. Das hilflose Opfer aber sañ, das Herz voll brennender Fragen, gebrochen vor ihm, Angstschweiñ auf der Stirne, und wagte ihm nicht einmal in die Rede zu fallen, aus Furcht: ihn - den einzigen, der noch Hilfe bringen konnte - zu erzØrnen. Und mit den Worten, dañ er zur Operation leider erst in einigen Monaten schreiten kÃnne, wenn er von seiner Reise wieder zurØck sei, schloñ Dr. Wassory seine Rede. Hoffentlich - man solle in solchen FÄllen immer das Beste hoffen - sei es dann nicht zu spÄt, sagte er. NatØrlich sprangen dann die Kranken entsetzt auf, erklÄrten, dañ sie unter gar keinen UmstÄnden auch nur einen Tag lÄnger warten wollten, und baten flehentlich um Rat, wer von den andern AugenÄrzten in der Stadt sonst wohl als Operateur in Betracht kommen kÃnnte. Da war der Augenblick gekommen, wo Dr. Wassory den entscheidenden Schlag fØhrte. Er ging in tiefem Nachdenken auf und ab, legte seine Stirn in Falten des Grams und lispelte schlieñlich bekØmmert, ein Eingriff seitens eines andern Arztes bedinge leider eine abermalige Bespiegelung des Auges mit elektrischem Licht, und das mØsse - der Patient wisse ja selbst, wie schmerzhaft es sei - wegen der blendenden Strahlen geradezu verhÄngnisvoll wirken. Ein andrer Arzt also, ganz abgesehen davon, dañ so manchem von ihnen gerade in der Iridektomie die nÃtige øbung fehle - dØrfe, eben weil er wiederum von neuem untersuchen mØsse, gar nicht vor Ablauf lÄngerer Zeit, bis sich die Sehnerven wieder erholt hÄtten, zu einem chirurgischen Eingriff schreiten." Charousek ballte die FÄuste. "Das nennen wir in der Schachsprache 'Zugzwang', lieber Meister Pernath! - - Was weiter folgte, war wiederum Zugzwang, - ein erzwungener Zug nach dem andern. Halb wahnsinnig vor Verzweiflung beschwor nun der Patient den Dr. Wassory, er mÃge doch Erbarmen haben, einen Tag nur seine Abreise verschieben und die Operation selber vornehmen. - Es handle sich doch um mehr als um schnellen Tod, die grauenhafte, folternde Angst, jeden Augenblick erblinden zu mØssen, sei ja das Schrecklichste, was es geben kÃnne. Und je mehr das Scheusal sich strÄubte und jammerte: ein Aufschub seiner Reise kÃnne ihm unabsehbaren Schaden bringen, desto hÃhere Summen boten freiwillig die Kranken. Schien schlieñlich die Summe Dr. Wassory hoch genug, gab er nach und fØgte bereits am selben Tage, ehe noch ein Zufall seinen Plan aufdecken konnte, den Bedauernswerten an beiden gesunden Augen jenen unheilbaren Schaden zu, jenes immerwÄhrende GefØhl des Geblendetseins, das das Leben zu stetiger Qual gestalten muñte, die Spuren des Schurkenstreiches aber ein fØr allemal verwischte. Durch solche Operationen an gesunden Augen vermehrte Dr. Wassory nicht nur seinen Ruhm und seinen Ruf als unvergleichlicher Arzt, dem es noch jedesmal gelungen sei, die drohende Erblindung aufzuhalten, - es befriedigte gleichzeitig seine mañlose Geldgier und frÃnte seiner Eitelkeit, wenn die ahnungslosen, an KÃrper und VermÃgen geschÄdigten Opfer zu ihm wie zu einem Helfer aufsahen und ihn als Retter priesen. Nur ein Mensch, der mit allen Fasern im Getto und seinen zahllosen, unscheinbaren, jedoch unØberwindlichen Hilfsquellen wurzelte und von Kindheit an gelernt hat, auf der Lauer zu liegen wie eine Spinne, der jeden Menschen in der Stadt kannte und bis ins kleinste seine Beziehungen und VermÃgensverhÄltnisse erriet und durchschaute, - nur ein solcher - "Halbhellseher" mÃchte man es beinahe nennen, - konnte jahrelang derartige Scheuñlichkeiten verØben. Und wÄre ich nicht gewesen, bis heute triebe er sein Handwerk noch, wØrde es bis ins hohe Alter weiterbetrieben haben, um schlieñlich als ehrwØrdiger Patriarch im Kreise seiner Lieben, angetan mit hohen Ehren, kØnftigen Geschlechtern ein leuchtendes Vorbild, seinen Lebensabend zu genieñen, bis - bis endlich auch Øber ihn das groñe Verrecken hinweggezogen wÄre. Ich aber wuchs ebenfalls im Getto auf, und auch mein Blut ist mit jener AtmosphÄre hÃllischer List gesÄttigt, und so vermochte ich ihn zu Fall zu bringen, - so wie die Unsichtbaren einen Menschen zu Fall bringen, - wie aus heiterm Himmel heraus ein Blitz trifft. Dr. Savioli, ein junger deutscher Arzt, hat das Verdienst der Entlarvung, - ihn schob ich vor und hÄufte Beweis auf Beweis, bis der Tag anbrach, wo der Staatsanwalt seine Hand nach Dr. Wassory ausstreckte. Da beging die Bestie Selbstmord! - Gesegnet sei die Stunde! Als hÄtte mein DoppelgÄnger neben ihm gestanden und ihm die Hand gefØhrt, nahm er sich das Leben mit jener Phiole Amylnitrit, die ich absichtlich in seinem Ordinationszimmer bei der Gelegenheit hatte stehenlassen, als ich selbst ihn einmal verleitet, auch an mir die falsche Diagnose des grØnen Stars zu stellen, - absichtlich und mit dem glØhenden Wunsche, dañ es dieses Amylnitrit sein mÃchte, das ihm den letzten Stoñ geben sollte. Der Gehirnschlag hÄtte ihn getroffen, hieñ es in der Stadt. Amylnitrit tÃtet, eingeatmet, wie Gehirnschlag. Aber lange konnte das GerØcht nicht aufrechterhalten werden." 0x01 graphic Charousek starrte plÃtzlich geistesabwesend, als habe er sich in ein tiefes Problem verloren, vor sich hin, dann zuckte er mit der Achsel nach der Richtung, wo Aaron Wassertrums TrÃdlerladen lag. "Jetzt ist er allein," murmelte er, "ganz allein mit seiner Gier und - und - und mit der Wachspuppe!" 0x01 graphic Mir schlug das Herz bis zum Hals. Ich sah Charousek voll Entsetzen an. War er wahnsinnig? Es muñten Fieberphantasien sein, die ihn diese Dinge erfinden lieñen. Gewiñ, gewiñ! Er hat alles erfunden, getrÄumt! Es kann nicht wahr sein, was er da Øber den Augenarzt Grauenhaftes erzÄhlt hat. Er ist schwindsØchtig, und die Fieber des Todes kreisen in seinem Hirn. Und ich wollte ihn mit ein paar scherzenden Worten beruhigen, seine Gedanken in eine freundliche Richtung lenken. Da fuhr, noch ehe ich die Worte fand, wie ein Blitz in meine Erinnerung das Gesicht Wassertrums mit der gespaltenen Oberlippe, wie es damals in mein Zimmer mit runden Fischaugen durch die aufgerissene TØr hereingeschaut hatte. Dr. Savioli! Dr. Savioli! - ja, ja, so war auch der Name des jungen Mannes gewesen, den mir der Marionettenspieler Zwakh flØsternd anvertraut als den des vornehmen Zimmerherrn, der von ihm das Atelier gemietet hatte. Dr. Savioli! - Wie ein Schrei tauchte es in meinem Innern auf. Eine Reihe nebelhafter Bilder zuckte durch meinen Geist, jagte sich mit schreckhaften Vermutungen, die auf mich einstØrmten. Ich wollte Charousek fragen, ihm voll Angst rasch alles erzÄhlen, was ich damals erlebt, da sah ich, dañ ein heftiger Hustenanfall sich seiner bemÄchtigt hatte und ihn fast umwarf. Ich konnte nur noch unterscheiden, wie er sich mØhsam mit den HÄnden an der Mauer stØtzend in den Regen hinaustappte und mir einen flØchtigen Gruñ zunickte. Ja, ja, er hat recht, er sprach nicht im Fieber, - fØhlte ich, - das unfañbare Gespenst des Verbrechens ist es, das durch diese Gassen schleicht Tag und Nacht und sich zu verkÃrpern sucht. Es liegt in der Luft, und wir sehen es nicht. PlÃtzlich schlÄgt es sich nieder in einer Menschenseele, - wir ahnen es nicht, - da, dort, und ehe wir es fassen kÃnnen, ist es gestaltlos geworden und alles lÄngst vorØber. Und nur noch dunkle Worte Øber irgendein entsetzliches Geschehnis kommen an uns heran. Mit einem Schlage begriff ich diese rÄtselhaften GeschÃpfe, die rings um mich wohnten, in ihrem innersten Wesen: sie treiben willenlos durchs Dasein von einem unsichtbaren magnetischen Strom belebt - - so, wie vorhin das Brautbukett in dem schmutzigen Rinnsal vorØberschwamm. Mir war, als starrten die HÄuser alle mit tØckischen Gesichtern voll namenloser Bosheit auf mich herØber, - die Tore: aufgerissene schwarze MÄuler, aus denen die Zungen ausgefault waren, - Rachen, die jeden Augenblick einen gellenden Schrei ausstoñen konnten, so gellend und hañerfØllt, dañ es uns bis ins Innerste erschrecken mØñte. Was hatte zum Schluñ noch der Student Øber den TrÃdler gesagt? - Ich flØsterte mir seine Worte vor: - Aaron Wassertrum sei jetzt allein mit seiner Gier und - - seiner Wachspuppe. Was kann er nur mit der Wachspuppe gemeint haben? Es muñ ein Gleichnis gewesen sein, beschwichtigte ich mich, - eines jener krankhaften Gleichnisse, mit denen er einen zu Øberfallen pflegt, die man nicht versteht, und die einen, wenn sie spÄter unerwartet sichtbar werden, so tieferschrecken kÃnnen wie die Dinge von ungewohnter Form, auf die plÃtzlich ein greller Lichtstreif fÄllt. Ich holte tief Atem, um mich zu beruhigen und den furchtbaren Eindruck, den mir Charouseks ErzÄhlung verursacht hatte, abzuschØtteln. Ich sah die Leute genauer an, die mit mir in dem Hausflur warteten: Neben mir stand jetzt der dicke Alte. Derselbe, der vorhin so widerlich gelacht hatte. Er hatte einen schwarzen Gehrock an und Handschuhe und starrte mit vorquellenden Augen unverwandt auf den Torbogen des Hauses gegenØber. Sein glattrasiertes Gesicht mit den breiten, gemeinen ZØgen zuckte vor Erregung. UnwillkØrlich folgte ich seinen Blicken und bemerkte, dañ sie wie gebannt an der rothaarigen Rosina hingen, die drØben jenseits der Gasse stand, ihr immerwÄhrendes LÄcheln um die Lippen. Der Alte war bemØht, ihr Zeichen zu geben, und ich sah, dañ sie es wohl wuñte, aber sich benahm, als verstØnde sie nicht. Endlich hielt es der Alte nicht lÄnger aus, watete auf den Fuñspitzen hinØber und hØpfte mit lÄcherlicher ElastizitÄt wie ein groñer schwarzer Gummiball Øber die PfØtzen. Man schien ihn zu kennen, denn ich hÃrte allerhand Glossen fallen, die darauf hinzielten. Ein Strolch hinter mir, ein rotes, gestricktes Tuch um den Hals, mit blauer MilitÄrmØtze, die Virginia hinter dem Ohr, machte mit grinsendem Mund Anspielungen, die ich nicht verstand. Ich begriff nur, dañ sie den Alten in der Judenstadt den "Freimaurer" nannten und in ihrer Sprache mit diesem Spitznamen jemand bezeichnen wollten, der sich an halbwØchsigen MÄdchen zu vergehen pflegt, aber durch intime Beziehungen zur Polizei vor jeder Strafe sicher ist. - - - Dann waren das Gesicht Rosinas und der Alte drØben im Dunkel des Hausflures verschwunden. Punsch Wir hatten das Fenster geÃffnet, um den Tabakrauch aus meinem kleinen Zimmer strÃmen zu lassen. Der kalte Nachtwind blies herein und wehte an die zottigen MÄntel, die an der TØre hingen, dañ sie leise hin und her schwankten. "Prokops wØrdige Haupteszierde mÃchte am liebsten davonfliegen", sagte Zwakh und deutete auf des Musikers groñen Schlapphut, der die breite Krempe bewegte wie schwarze FlØgel. Josua Prokop zwinkerte lustig mit den Augenlidern. "Er will," sagte er, "er will wahrscheinlich - - -" "Er will zum 'Loisitschek' zur Tanzmusik", nahm ihm Vrieslander das Wort vorweg. Prokop lachte und schlug mit der Hand den Takt zu den KlÄngen, die die dØnne Winterluft her Øber die DÄcher trug. Dann nahm er meine alte, zerbrochene Gitarre von der Wand, tat, als zupfe er die zerbrochenen Saiten und sang mit kreischendem Falsett und gespreizter Betonung in Rotwelsch ein wunderliches Lied: "An Bein-del von Ei-sen recht alt "An Stran-zen net gar a so kalt "Messinung, a' RÄucherl und Rohn "und immerrr nurr putz-en - - - 0x01 graphic "Wie groñartig er mit einem Mal die Gaunersprache beherrscht!" und Vrieslander lachte laut auf und brummte mit: "Und stok-en sich Aufzug und Pfiff "Und schmallern an eisernes G'sØff. "Juch, - "Und Handschuhkren, Harom net san - - 0x01 graphic "Dieses kuriose Lied schnarrt jeden Abend beim 'Loisitschek' der meschuggene Nephtali Schaffranek mit dem grØnen Augenschirm, und ein geschminktes Weibsbild spielt Harmonika und grÃlt den Text dazu", erklÄrte mir Zwakh. "Sie sollten auch einmal mit uns in diese Schenke gehen, Meister Pernath. SpÄter vielleicht, wenn wir mit dem Punsch zu Ende sind, - was meinen Sie? Zur Feier Ihres heutigen Geburtstages?" "Ja, ja, kommen Sie nachher mit uns", sagte Prokop und klinkte das Fenster zu, - "man muñ so etwas gesehen haben." Dann tranken wir den heiñen Punsch und hingen unsern Gedanken nach. Vrieslander schnitzte an einer Marionette. "Sie haben uns fÃrmlich von der Auñenwelt abgeschnitten, Josua," unterbrach Zwakh die Stille, "seit Sie das Fenster geschlossen haben, hat niemand mehr ein Wort gesprochen." "Ich dachte nur darØber nach, als vorhin die MÄntel so flogen, wie seltsam es ist, wenn der Wind leblose Dinge bewegt," antwortete Prokop schnell, wie um sich wegen seines Schweigens zu entschuldigen: "Es sieht gar so wunderlich aus, wenn GegenstÄnde plÃtzlich zu flattern anheben, die sonst immer tot daliegen. Nicht? - Ich sah einmal auf einem menschenleeren Platz zu, wie groñe Papierfetzen, - ohne dañ ich vom Winde etwas spØrte, denn ich stand durch ein Haus gedeckt, - in toller Wut im Kreise herumjagten und einander verfolgten, als hÄtten sie sich den Tod geschworen. Einen Augenblick spÄter schienen sie sich beruhigt zu haben, aber plÃtzlich kam wieder eine wahnwitzige Erbitterung Øber sie, und in sinnlosem Grimm rasten sie umher, drÄngten sich in einen Winkel zusammen, um von neuem besessen auseinander zu stieben und schlieñlich hinter einer Ecke zu verschwinden. Nur eine dicke Zeitung konnte nicht mitkommen; sie blieb auf dem Pflaster liegen und klappte hañerfØllt auf und zu, als sei ihr der Atem ausgegangen und als schnappe sie nach Luft. Ein dunkler Verdacht stieg damals in mir auf: was, wenn am Ende wir Lebewesen auch so etwas ähnliches wÄren wie solche Papierfetzen? - Ob nicht vielleicht ein unsichtbarer, unbegreiflicher "Wind" auch uns hin und her treibt und unsre Handlungen bestimmt, wÄhrend wir in unserer Einfalt glauben unter eigenem, freiem Willen zu stehen? Wie, wenn das Leben in uns nichts anderes wÄre als ein rÄtselhafter Wirbelwind? Jener Wind, von dem die Bibel sagt: Weiñt du, von wannen er kommt und wohin er geht? - - - TrÄumen wir nicht auch zuweilen, wir griffen in tiefes Wasser und fingen silberne Fische, und nichts anderes ist geschehen, als dañ ein kalter Luftzug unsere HÄnde traf?" "Prokop, Sie sprechen in Worten wie Pernath, was ist's mit Ihnen?" sagte Zwakh und sah den Musiker miñtrauisch an. "Die Geschichte vom Buch Ibbur, die vorhin erzÄhlt wurde, - schade, dañ Sie so spÄt kamen und sie nicht mit anhÃrten, - hat ihn so nachdenklich gestimmt", meinte Vrieslander. "Eine Geschichte von einem Buche?" "Eigentlich von einem Menschen, der ein Buch brachte und seltsam aussah. - Pernath weiñ nicht, wie er heiñt, wo er wohnt, was er wollte, und obwohl sein Aussehen sehr auffallend gewesen sein soll, lasse es sich doch nicht recht schildern." Zwakh horchte auf. *"Das ist sehr merkwØrdig," sagte er nach einer Pause, "war der Fremde vielleicht bartlos, und hatte er schrÄgstehende Augen?" "Ich glaube," antwortete ich, "das heiñt, ich - ich - weiñ es ganz bestimmt. Kennen Sie ihn denn?" Der Marionettenspieler schØttelte den Kopf. "Er erinnerte mich nur an den 'Golem'." Der Maler Vrieslander lieñ sein Schnitzmesser sinken: "Golem? - Ich habe schon so viel davon reden hÃren. Wissen Sie etwas Øber den Golem, Zwakh?" "Wer kann sagen, dañ er Øber den Golem etwas wisse?", antwortete Zwakh und zuckte die Achseln. "Man verweist ihn ins Reich der Sage, bis sich eines Tages in den Gassen ein Ereignis vollzieht, das ihn plÃtzlich wieder aufleben lÄñt. Und eine Zeitlang spricht dann jeder von ihm, und die GerØchte wachsen ins Ungeheuerliche. Werden so Øbertrieben und aufgebauscht, dañ sie schlieñlich an der eigenen UnglaubwØrdigkeit zugrunde gehen. Der Ursprung der Geschichte reicht wohl ins siebzehnte Jahrhundert zurØck, sagt man. Nach verlorengegangenen Vorschriften der Kabbala soll ein Rabbiner da einen kØnstlichen Menschen - den sogenannten Golem - verfertigt haben, damit er ihm als Diener helfe die Glocken in der Synagoge lÄuten, und allerhand grobe Arbeit tue. Es sei aber doch kein richtiger Mensch daraus geworden und nur ein dumpfes, halbbewuñtes Vegetieren habe ihn belebt. Wie es heiñt, auch das nur tagsØber und kraft des Einflusses eines magischen Zettels, der ihm hinter den ZÄhnen stak und die freien siderischen KrÄfte des Weltalls herabzog. Und als eines Abends vor dem Nachtgebet der Rabbiner das Siegel aus dem Munde des Golem zu nehmen versÄumt, da wÄre dieser in Tobsucht verfallen, in der Dunkelheit durch die Gassen gerast und hÄtte zerschlagen, was ihm in den Weg gekommen. Bis der Rabbi sich ihm entgegengeworfen und den Zettel vernichtet habe. Und da sei das GeschÃpf leblos niedergestØrzt. Nichts blieb von ihm Øbrig als die zwerghafte Lehmfigur, die heute noch drØben in der Altneusynagoge gezeigt wird." "Derselbe Rabbiner soll einmal auch zum Kaiser auf die Burg berufen worden sein und die Schemen der Toten beschworen und sichtbar gemacht haben," warf Prokop ein, "moderne Forscher behaupten, er habe sich dazu einer Laterna magica bedient." "Jawohl, keine ErklÄrung ist abgeschmackt genug, dañ sie bei den Heutigen nicht Beifall fÄnde," fuhr Zwakh unbeirrt fort. - "Eine Laterna magica!! Als ob Kaiser Rudolf, der sein ganzes Leben solchen Dingen nachging, einen so plumpen Schwindel nicht auf den ersten Blick hÄtte durchschauen mØssen! Ich kann freilich nicht wissen, worauf sich die Golemsage zurØckfØhren lÄñt, dañ aber irgend etwas, was nicht sterben kann, in diesem Stadtviertel sein Wesen treibt und damit zusammenhÄngt, dessen bin ich sicher. Von Geschlecht zu Geschlecht haben meine Vorfahren hier gewohnt, und niemand kann wohl auf mehr erlebte und ererbte Erinnerungen an das periodische Auftauchen des Golem zurØckblicken als gerade ich!" Zwakh hatte plÃtzlich aufgehÃrt zu reden, und man fØhlte mit ihm, wie seine Gedanken in vergangene Zeiten zurØckwanderten. Wie er, den Kopf aufgestØtzt, dort am Tische sañ und beim Scheine der Lampe seine roten, jugendlichen BÄckchen fremdartig von dem weiñen Haar abstachen, verglich ich unwillkØrlich im Geiste seine ZØge mit den maskenhaften Gesichtern seiner Marionetten, die er mir so oft gezeigt. Seltsam, wie Ähnlich ihnen der alte Mann doch sah! Derselbe Ausdruck und derselbe Gesichtsschnitt! Manche Dinge der Erde kÃnnen nicht loskommen voneinander, fØhlte ich, und wie ich Zwakhs einfaches Schicksal an mir vorØberziehen lieñ, da schien es mir mit einemmal gespenstisch und ungeheuerlich, dañ ein Mensch wie er, obschon er eine bessere Erziehung als seine Vorfahren genossen hatte und Schauspieler hÄtte werden sollen, plÃtzlich wieder zu dem schÄbigen Marionettenkasten zurØckkehren konnte, um nun abermals auf die JahrmÄrkte zu ziehen und dieselben Puppen, die schon seiner VorvÄter kØmmerliches Erwerbsmittel gewesen, von neuem ihre ungelenken Verbeugungen machen und schlÄfrigen Erlebnisse vorfØhren zu lassen. Er vermag es nicht, sich von ihnen zu trennen, begriff ich; sie leben mit von seinem Leben, und als er fern von ihnen war, da haben sie sich in Gedanken verwandelt, haben in seinem Hirn gewohnt und ihn rast- und ruhelos gemacht, bis er wieder heimkehrte. Darum hÄlt er sie jetzt so liebevoll und kleidet sie stolz in Flitter. "Zwakh, wollen Sie uns nicht weitererzÄhlen?" forderte Prokop den Alten auf und sah fragend nach Vrieslander und mir hin, ob auch wir gleichen Wunsches seien. "Ich weiñ nicht, wo ich anfangen soll," meinte der Alte zÃgernd, "die Geschichte mit dem Golem lÄñt sich schwer fassen. So wie Pernath vorhin sagte: er wisse genau, wie jener Unbekannte ausgesehen habe, und doch kÃnne er ihn nicht schildern. UngefÄhr alle dreiunddreiñig Jahre wiederholt sich ein Ereignis in unsern Gassen, das gar nichts besonders Aufregendes an sich trÄgt und dennoch ein Entsetzen verbreitet, fØr das weder eine ErklÄrung noch eine Rechtfertigung ausreicht: Immer wieder begibt es sich nÄmlich, dañ ein vollkommen fremder Mensch, bartlos, von gelber Gesichtsfarbe und mongolischem Typus, aus der Richtung der Altschulgasse her, in altmodische, verschossene Kleider gehØllt, gleichmÄñigen und eigentØmlich stolpernden Ganges, so, als wolle er jeden Augenblick vornØber fallen, durch die Judenstadt schreitet und plÃtzlich - unsichtbar wird. GewÃhnlich biegt er in eine Gasse und ist dann verschwunden. Ein andermal heiñt es, er habe auf seinem Wege einen Kreis beschrieben und sei zu dem Punkte zurØckgekehrt, von dem er ausgegangen: einem uralten Hause in der NÄhe der Synagoge. Einige Aufgeregte wiederum behaupten, sie hÄtten ihn um eine Ecke auf sich zukommen sehen. Wiewohl er ihnen aber ganz deutlich entgegengeschritten, sei er dennoch, genau wie jemand, dessen Gestalt sich in weiter Ferne verliert, immer kleiner und kleiner geworden und - schlieñlich ganz verschwunden. Vor Sechsundsechzig Jahren nun muñ der Eindruck, den er hervorgebracht, besonders tief gegangen sein, denn ich erinnere mich - ich war noch ein ganz kleiner Junge -, dañ man das GebÄude in der Altschulgasse damals von oben bis unten durchsuchte. Es wurde auch festgestellt, dañ wirklich in diesem Hause ein Zimmer mit Gitterfenster vorhanden ist, zu dem es keinen Zugang gibt. Aus allen Fenstern hatte man WÄsche gehÄngt, um von der Gasse aus einen Augenschein zu gewinnen, und war auf diese Weise der Tatsache auf die Spur gekommen. Da es anders nicht zu erreichen gewesen, hatte sich ein Mann an einem Strick vom Dache herabgelassen, um hineinzusehen. Kaum aber war er in die NÄhe des Fensters gelangt, da riñ das Seil, und der UnglØckliche zerschmetterte sich auf dem Pflaster den SchÄdel. Und als spÄter der Versuch nochmals wiederholt werden sollte, gingen die Ansichten Øber die Lage des Fensters derart auseinander, dañ man davon abstand. Ich selber begegnete dem 'Golem' das erste Mal in meinem Leben vor ungefÄhr dreiunddreiñig Jahren. Er kam in einem sogenannten Durchhause auf mich zu, und wir rannten fast aneinander. Es ist mir heute noch unbegreiflich, was damals in mir vorgegangen sein muñ. Man trÄgt doch um Gottes willen nicht immerwÄhrend, tagaus tagein die Erwartung mit sich herum, man werde dem Golem begegnen. In jenem Augenblick aber, bestimmt - ganz bestimmt, noch ehe ich seiner ansichtig werden konnte, schrie etwas in mir gellend auf: der Golem! Und im selben Moment stolperte jemand aus dem Dunkel des Torflures hervor, und jener Unbekannte ging an mir vorØber. Eine Sekunde spÄter drang eine Flut bleicher, aufgeregter Gesichter mir entgegen, die mich mit Fragen bestØrmten, ob ich ihn gesehen hÄtte. Und als ich antwortete, da fØhlte ich, dañ sich meine Zunge wie aus einem Krampfe lÃste, von dem ich vorher nichts gespØrt hatte. Ich war fÃrmlich Øberrascht, dañ ich mich bewegen konnte, und deutlich kam mir zum Bewuñtsein, dañ ich mich, wenn auch nur den Bruchteil eines Herzschlags lang - in einer Art Starrkrampf befunden haben muñte. øber all das habe ich oft und lange nachgedacht, und mich dØnkt, ich komme der Wahrheit am nÄchsten, wenn ich sage: Immer einmal in der Zeit eines Menschenalters geht blitzschnell eine geistige Epidemie durch die Judenstadt, befÄllt die Seelen der Lebenden zu irgendeinem Zweck, der uns verhØllt bleibt, und lÄñt wie eine Luftspiegelung die Umrisse eines charakteristischen Wesens erstehen, das vielleicht vorjahrhunderten hier gelebt hat und nach Form und Gestaltung dØrstet. Vielleicht ist es mitten unter uns, Stunde fØr Stunde, und wir nehmen es nicht wahr. HÃren wir doch auch den Ton einer schwirrenden Stimmgabel nicht, bevor sie das Holz berØhrt und es mitschwingen macht. Vielleicht ist es nur so etwas wie ein seelisches Kunstwerk, ohne innewohnendes Bewuñtsein, - ein Kunstwerk, das entsteht, wie ein Kristall nach stets sich gleichbleibendem Gesetz aus dem Gestaltlosen herauswÄchst. Wer weiñ das? Wie in schwØlen Tagen die elektrische Spannung sich bis zur UnertrÄglichkeit steigert und endlich den Blitz gebiert, kÃnnte es da nicht sein, dañ auch auf die stetige AnhÄufung jener niemals wechselnden Gedanken, die hier im Getto die Luft vergiften, eine plÃtzliche, ruckweise Entladung folgen muñ? - eine seelische Explosion, die unser Traumbewuñtsein ans Tageslicht peitscht, um - dort den Blitz der Natur - hier ein Gespenst zu schaffen, das in Mienen, Gang und Gehaben, in allem und jedem das Symbol der Massenseele unfehlbar offenbaren mØñte, wenn man die geheime Sprache der Formen nur richtig zu deuten verstØnde? Und wie mancherlei Erscheinungen das Einschlagen des Blitzes ankØnden, so verraten auch hier gewisse grauenhafte Vorzeichen das drohende Hereinbrechen jenes Phantoms ins Reich der Tat. Der abblÄtternde Bewurf einer alten Mauer nimmt eine Gestalt an, die einem schreitenden Menschen gleicht; und in Eisblumen am Fenster bilden sich ZØge starrer Gesichter. Der Sand vom Dache scheint anders zu fallen als sonst und drÄngt dem argwÃhnischen Beobachter den Verdacht auf, eine unsichtbare Intelligenz, die sich lichtscheu verborgen hÄlt, werfe ihn herab und Øbe sich in heimlichen Versuchen, allerlei seltsame Umrisse hervorzubringen. - Ruht das Auge auf eintÃnigem Geflecht oder den Unebenheiten der Haut, bemÄchtigt sich unser die unerfreuliche Gabe, Øberall mahnende, bedeutsame Formen zu sehen, die in unsern TrÄumen ins Riesengroñe auswachsen. Und immer zieht sich durch solche schemenhaften Versuche der angesammelten Gedankenherden, die WÄlle der AlltÄglichkeit zu durchnagen, fØr uns wie ein roter Faden die qualvolle Gewiñheit, dañ unser eigenstes Inneres mit Vorbedacht und gegen unsern Willen ausgesogen wird, nur damit die Gestalt des Phantoms plastisch werden kÃnne. Wie ich nun vorhin Pernath bestÄtigen hÃrte, dañ ihm ein Mensch begegnet sei, bartlos, mit schiefgestellten Augen, da stand der "Golem" vor mir, wie ich ihn damals gesehen. Wie aus dem Boden gewachsen stand er vor mir. Und eine gewisse dumpfe Furcht, es stehe wieder etwas UnerklÄrliches nahe bevor, befiel mich einen Augenblick lang; dieselbe Angst, die ich schon einmal in meinen Kinderjahren verspØrt, als die ersten spukhaften äuñerungen des Golem ihre Schatten vorauswarfen. Sechsundsechzig Jahre ist das wohl jetzt her und knØpft sich an einen Abend, an dem der BrÄutigam meiner Schwester zu Besuch gekommen war, und in der Familie der Tag der Hochzeit festgesetzt werden sollte. Es wurde damals Blei gegossen - zum Scherz - und ich stand mit offenem Munde dabei und begriff nicht, was das zu bedeuten habe, - in meiner wirren, kindlichen Vorstellung brachte ich es in Zusammenhang mit dem Golem, von dem ich meinen Groñvater oft hatte erzÄhlen hÃren, und bildete mir ein, jeden Augenblick mØsse die TØr aufgehen und der Unbekannte eintreten. Meine Schwester leerte dann den LÃffel mit dem flØssigen Metall in das Wasserschaff und lachte mich, der ich aufgeregt zusah, lustig an. Mit welken, zitternden HÄnden holte mein Groñvater den blitzenden Bleiklumpen heraus und hielt ihn ans Licht. Gleich darauf entstand eine allgemeine Erregung. Man redete laut durcheinander; ich wollte mich hinzudrÄngen, aber man wehrte mich ab. SpÄter, als ich Älter geworden, erzÄhlte mir mein Vater, es wÄre damals das geschmolzene Metall zu einem kleinen, ganz deutlichen Kopf erstarrt gewesen, - glatt und rund, wie nach einer Form gegossen, und von unheimlicher ähnlichkeit mit den ZØgen des "Golem", dañ sich alle entsetzt hÄtten. Oft sprach ich mit dem Archivar Schemajah Hillel, der die Requisiten der Altneusynagoge in Verwahrung hat und auch die gewisse Lehmfigur aus Kaiser Rudolfs Zeiten, darØber. Er hat sich mit Kabbala befañt und meint, jener Erdklumpen mit den menschlichen Gliedmañen sei vielleicht nichts anderes als ein ehemaliges Vorzeichen, ganz so wie in meinem Fall der bleierne Kopf. Und der Unbekannte, der da umgehe, mØsse das Phantasie- oder Gedankenbild sein, das jener mittelalterliche Rabbiner zuerst lebendig gedacht habe, ehe er es mit Materie bekleiden konnte, und das nun in regelmÄñigen Zeitabschnitten, bei den gleichen astrologischen Sternstellungen, unter denen es erschaffen worden - wiederkehre, vom Triebe nach stofflichem Leben gequÄlt. Auch Hillels verstorbene Frau hatte den "Golem" von Angesicht zu Angesicht erblickt und ebenso wie ich gefØhlt, dañ man sich im Starrkrampf befindet, solange das rÄtselhafte Wesen in der NÄhe weilt. Sie sagte, sie sei felsenfest Øberzeugt gewesen, dañ es damals nur ihre eigene Seele habe sein kÃnnen, die - aus dem KÃrper getreten - ihr einen Augenblick gegenØbergestanden und mit den ZØgen eines fremden GeschÃpfes ins Gesicht gestarrt hÄtte. Trotz eines furchtbaren Grauens, das sich ihrer damals bemÄchtigt, habe sie doch keine Sekunde die Gewiñheit verlassen, dañ jener andere nur ein StØck ihres eignen Innern sein konnte." - 0x01 graphic "Es ist unglaublich", murmelte Prokop in Gedanken verloren. Auch der Maler Vrieslander schien ganz in GrØbeln versunken. Da klopfte es an die TØre und das alte Weib, das mir des Abends Wasser bringt und was ich sonst noch nÃtig habe, trat ein, stellte den tÃnernen Krug auf den Boden und ging stillschweigend wieder hinaus. Wir alle hatten aufgeblickt und sahen wie erwacht im Zimmer umher, aber noch lange Zeit sprach niemand ein Wort. Als sei ein neuer Einfluñ mit der Alten zur TØr hereingeschlØpft, an den man sich erst gewÃhnen muñte. "Ja! Die rothaarige Rosina, das ist auch so ein Gesicht, das man nicht loswerden kann und aus den Winkeln und Ecken immer wieder auftauchen sieht", sagte plÃtzlich Zwakh ganz unvermittelt. "Dieses erstarrte, grinsende LÄcheln kenne ich nun schon ein ganzes Menschenleben. Erst die Groñmutter, dann die Mutter! - Und stets das gleiche Gesicht, kein Zug anders! Derselbe Name Rosina; - es ist immer eine die Auferstehung der andern." "Ist Rosina nicht die Tochter des TrÃdlers Aaron Wassertrum?" fragte ich. "Man spricht so", meinte Zwakh, - - "Aaron Wassertrum aber hat manchen Sohn und manche Tochter, von denen man nicht weiñ. Auch bei Rosinas Mutter wuñte man nicht, wer ihr Vater gewesen, - auch nicht, was aus ihr geworden ist. - Mit fØnfzehn Jahren hatte sie ein Kind geboren und war seitdem nicht mehr aufgetaucht. Ihr Verschwinden hing mit einem Mord zusammen, soweit ich mich entsinnen kann, der ihretwegen in diesem Hause begangen wurde. Wie jetzt ihre Tochter, spukte damals sie den halbwØchsigen Jungen im Kopfe. Einer von ihnen lebt noch, - ich sehe ihn Ãfter, - doch sein Name ist mir entfallen. Die andern sind bald gestorben, und ich meine, sie hat sie alle frØhzeitig under die Erde gebracht. Ich erinnere mich aus jener Zeit Øberhaupt nur noch an kurze Episoden, die wie verblichene Bilder durch mein GedÄchtnis treiben. So hat es damals einen halbblÃdsinnigen Menschen gegeben, der nachts von Schenke zu Schenke zog und den GÄsten gegen ein paar Kreuzer Silhouetten aus schwarzem Papier schnitt. Und wenn man ihn betrunken machte, geriet er in eine unsÄgliche Traurigkeit, und unter TrÄnen und Schluchzen schnitzelte er, ohne aufzuhÃren, immer das gleiche scharfe MÄdchenprofil, bis sein ganzer Papiervorrat verbraucht war. Aus ZusammenhÄngen zu schlieñen, die ich lÄngst vergessen, hatte er - fast ein Kind noch - eine gewisse Rosina, wohl die Groñmutter der heutigen, so heftig geliebt, dañ er den Verstand darØber verlor. Wenn ich die Jahre zurØckzÄhle, kann es keine andere als die Groñmutter der jetzigen Rosina gewesen sein." - - - Zwakh schwieg und lehnte sich zurØck. Das Schicksal in diesem Haus irrt im Kreise umher und kehrt immer wieder zum selben Punkt zurØck, fuhr es mir durch den Sinn, und ein hÄñliches Bild, das ich einmal mit angesehen - eine Katze mit verletzter GehirnhÄlfte im Kreise herumtaumelnd - trat vor mein Auge. 0x01 graphic "Jetzt kommt der Kopf", hÃrte ich plÃtzlich den Maler Vrieslander mit heller Stimme sagen. Und er nahm einen runden Holzklotz aus der Tasche und begann an ihm zu schnitzen. Eine schwere MØdigkeit legte sich mir Øber die Augen, und ich rØckte meinen Lehnstuhl aus dem Lichtschein in den Hintergrund. Das Wasser fØr den Punsch brodelte im Kessel, und Josua Prokop fØllte wiederum die GlÄser. Leise, ganz leise klangen die KlÄnge der Tanzmusik durch das geschlossene Fenster; - manchmal verstummten sie vollends, dann wiederum wachten sie ein wenig auf, wie sie der Wind unterwegs verlor oder zu uns von der Gasse emportrug. Ob ich denn nicht anstoñen wolle, fragte mich nach einer Weile der Musiker. Ich aber gab keine Antwort, - so vollkommen war mir der Wille, mich zu bewegen, abhanden gekommen, dañ ich gar nicht auf den Gedanken, den Mund zu Ãffnen, verfiel. Ich dachte ich schliefe, so steinern war die innere Ruhe, die sich meiner bemÄchtigt hatte. Und ich muñte hinØber auf Vrieslanders funkelndes Messer blinzeln, das ruhelos aus dem Holz kleine SpÄne biñ, - um die Gewiñheit zu erlangen, dañ ich wach sei. In weiter Ferne brummte Zwakhs Stimme und erzÄhlte wieder allerlei wunderliche Geschichten Øber Marionetten und krause MÄrchen, die er fØr seine Puppenspiele erdacht. Auch von Dr. Savioli war die Rede und von der vornehmen Dame, der Gattin eines Adeligen, die in das versteckte Atelier heimlich zu Savioli zu Besuch komme. Und wiederum sah ich im Geiste Aaron Wassertrums hÃhnische, triumphierende Miene. - Ob ich Zwakh nicht mitteilen sollte, was sich damals ereignet hatte, Øberlegte ich, - dann hielt ich es nicht der MØhe fØr wert und fØr belanglos. Auch wuñte ich, dañ mein Wille versagen wØrde, wollte ich jetzt den Versuch machen zu sprechen. PlÃtzlich sahen die drei am Tisch aufmerksam zu mir herØber, und Prokop sagte ganz laut: "Er ist eingeschlafen", - so laut, dañ es fast klang, als ob es eine Frage sein sollte. Sie redeten mit gedÄmpfter Stimme weiter, und ich erkannte, dañ sie von mir sprachen. Vrieslanders Schnitzmesser tanzte hin und her und fing das Licht auf, das von der Lampe niederfloñ, und der spiegelnde Schein brannte mir in den Augen. Es fiel ein Wort wie: "irr sein", und ich horchte auf die Rede, die in der Runde ging. "Gebiete, wie das vom 'Golem' sollte man vor Pernath nie berØhren," sagte Josua Prokop vorwurfsvoll, "als er vorhin von dem Buche Ibbur erzÄhlte, schwiegen wir still und fragten nicht weiter. Ich mÃchte wetten, er hat alles nur getrÄumt." Zwakh nickte: "Sie haben ganz recht. Es ist, wie wenn man mit offenem Lichte eine verstaubte Kammer betreten wollte, in der morsche TØcher Decke und WÄnde bespannen und der dØrre Zunder der Vergangenheit fuñhoch den Boden bedeckt; ein flØchtiges BerØhren nur und schon schlÄgt das Feuer aus allen Ecken." "War Pernath lange im Irrenhaus? Schade um ihn, er kann doch erst vierzig sein", sagte Vrieslander. "Ich weiñ es nicht, ich habe auch keine Vorstellung, woher er stammen mag und was frØher sein Beruf gewesen ist. Aussehen tut er ja wie ein altfranzÃsischer Edelmann mit seiner schlanken Gestalt und dem Spitzbart. Vor vielen vielen Jahren hat mich ein befreundeter alter Arzt gebeten, ich mÃchte mich seiner ein wenig annehmen und ihm eine kleine Wohnung hier in diesen Gassen, wo sich niemand um ihn kØmmern und mit Fragen nach frØheren Zeiten beunruhigen wØrde, aussuchen." - Wieder sah Zwakh bewegt zu mir herØber. - "Seit jener Zeit lebt er hier, bessert AntiquitÄten aus und schneidet Gemmen und hat sich damit einen kleinen Wohlstand gegrØndet. Es ist ein GlØck fØr ihn, dañ er alles, was mit seinem Wahnsinn zusammenhÄngt, vergessen zu haben scheint. Fragen Sie ihn beileibe nur niemals nach Dingen, die die Vergangenheit in seiner Erinnerung wachrufen kÃnnten, - wie oft hat mir das der alte Arzt ans Herz gelegt! Wissen Sie, Zwakh, sagte er immer, wir haben so eine gewisse Methode; wir haben seine Krankheit mit vieler MØhe eingemauert, mÃchte ich's nennen, - so wie man eine UnglØcksstÄtte einfriedet, weil sich an sie eine traurige Erinnerung knØpft." - - - Die Rede des Marionettenspielers war auf mich zugekommen wie ein SchlÄchter auf ein wehrloses Tier und preñte mir mit rohen, grausamen HÄnden das Herz zusammen. Von jeher hatte eine dumpfe Qual an mir genagt, - ein Ahnen, als wÄre mir etwas genommen worden und als hÄtte ich in meinem Leben eine lange Strecke Wegs an einem Abgrunde hin durchschritten wie ein Schlafwandler. Und nie war es mir gelungen, die Ursache zu ergrØnden. Jetzt lag des RÄtsels LÃsung offen vor mir und brannte mich unertrÄglich wie eine bloñgelegte Wunde. Mein krankhafter Widerwillen, der Erinnerung an verflossene Ereignisse nachzuhÄngen, - dann der seltsame, von Zeit zu Zeit immer wiederkehrende Traum, ich sei in ein Haus mit einer Flucht mir unzugÄnglicher GemÄcher gesperrt, - das beÄngstigende Versagen meines GedÄchtnisses in Dingen, die meine Jugendzeit betrafen, - alles das fand mit einem Male seine furchtbare ErklÄrung: ich war wahnsinnig gewesen und man hatte Hypnose angewandt, hatte das - "Zimmer" verschlossen, das die Verbindung zu jenen GemÄchern meines Gehirns bildete, und mich zum Heimatlosen inmitten des mich umgebenden Lebens gemacht. Und keine Aussicht, die verlorene Erinnerung je wieder zu gewinnen! Die Triebfedern meines Denkens und Handelns liegen in einem andern, vergessenen Dasein verborgen, begriff ich, - nie wØrde ich sie erkennen kÃnnen: eine verschnittene Pflanze bin ich, ein Reis, das aus einer fremden Wurzel sproñt. GelÄnge es mir auch, den Eingang in jenes verschlossene "Zimmer" zu erzwingen, mØñte ich nicht abermals den Gespenstern, die man darein gebannt, in die HÄnde fallen?! Die Geschichte von dem Golem, die Zwakh vor einer Stunde erzÄhlte, zog mir durch den Sinn, und plÃtzlich erkannte ich einen riesengroñen, geheimnisvollen Zusammenhang zwischen dem sagenhaften Gemach ohne Zugang, in dem jener Unbekannte wohnen sollte, und meinem bedeutungsvollen Traum. Ja! auch in meinem Falle "wØrde der Strick reiñen", wollte ich versuchen, in das vergitterte Fenster meines Innern zu blicken. Der seltsame Zusammenhang wurde mir immer deutlicher und nahm etwas unbeschreiblich Erschreckendes fØr mich an. Ich fØhlte: es sind da Dinge - unfañbare - zusammengeschmiedet und laufen wie blinde Pferde, die nicht wissen wohin der Weg fØhrt, nebeneinander her. Auch im Getto: ein Zimmer, ein Raum, dessen Eingang niemand finden kann, - ein schattenhaftes Wesen, das darin wohnt und nur zuweilen durch die Gassen tappt, um Grauen und Entsetzen unter die Menschen zu tragen! - - - Immer noch schnitzte Vrieslander an dem Kopfe, und das Holz knirschte unter der Klinge des Messers. Es tat mir fast weh, wie ich es hÃrte, und ich sah hin, ob es denn nicht bald zu Ende sei. Wie der Kopf sich in des Malers Hand hin und her wandte, war es, als habe er Bewuñtsein und spÄhe von Winkel zu Winkel. Dann ruhten seine Augen lange auf mir, befriedigt, dañ sie mich endlich gefunden. Auch ich vermochte meine Blicke nicht mehr abzuwenden und starrte unverwandt auf das hÃlzerne Antlitz. Eine Weile schien das Messer des Malers zÃgernd etwas zu suchen, dann ritzte es entschlossen eine Linie ein, und plÃtzlich gewannen die ZØge des Holzklotzes schreckhaftes Leben. Ich erkannte das gelbe Gesicht des Fremden, der mir damals das Buch gebracht. Dann konnte ich nichts mehr unterscheiden, der Anblick hatte nur eine Sekunde gedauert, und ich spØrte, dañ mein Herz zu schlagen aufhÃrte und Ängstlich flatterte. Dennoch blieb ich mir - wie damals - des Gesichtes bewuñt. Ich war es selber geworden und lag auf Vrieslanders Schoñ und spÄhte umher. Meine Augen wanderten im Zimmer umher, und eine fremde Hand bewegte meinen SchÄdel. Dann sah ich mit einem Male Zwakhs aufgeregte Miene und hÃrte seine Worte: Um Gottes willen, das ist ja der Golem! Und ein kurzes Ringen entstand, und man wollte Vrieslander mit Gewalt das Schnitzwerk entreiñen, doch der wehrte sich und rief lachend: "Was wollt ihr, es ist doch ganz und gar miñlungen." Und er wand sich los, Ãffnete das Fenster und warf den Kopf auf die Gasse hinunter. Da schwand mein Bewuñtsein, und ich tauchte in eine tiefe Finsternis, die von schimmernden GoldfÄden durchzogen war, und als ich, wie es mir schien, nach einer langen, langen Zeit erwachte, da erst hÃrte ich das Holz klappernd auf das Pflaster fallen. - - - 0x01 graphic "Sie haben so fest geschlafen, dañ Sie nicht merkten, wie wir Sie schØttelten," - sagte Josua Prokop zu mir, "der Punsch ist aus, und Sie haben alles versÄumt." Der heiñe Schmerz Øber das, was ich vorhin mitangehÃrt, Øbermannte mich wieder, und ich wollte aufschreien, dañ ich nicht getrÄumt habe, als ich ihnen von dem Buche Ibbur erzÄhlte - und es aus der Kassette nehmen und ihnen zeigen kÃnne. Aber diese Gedanken kamen nicht zu Wort und konnten die Stimmung allgemeinen Aufbruches, die meine GÄste ergriffen hatte, nicht durchdringen. Zwakh hÄngte mir mit Gewalt den Mantel und und rief: "Kommen Sie nur mit zum Loisitschek, Meister Pernath, es wird Ihre Lebensgeister erfrischen." Nacht Willenlos hatte ich mich von Zwakh die Treppe hinunterfØhren lassen. Ich spØrte den Geruch des Nebels, der von der Strañe ins Haus drang, deutlicher und deutlicher werden. Josua Prokop und Vrieslander waren einige Schritte vorausgegangen, und man hÃrte, wie sie drauñen vor dem Torweg mitsammen sprachen. "Er muñ rein in das Kanalgitter gefallen sein. Es ist doch zum Teufelholen." Wir traten hinaus auf die Gasse, und ich sah, wie Prokop sich bØckte und die Marionette suchte. "Freut mich, dañ du den dummen Kopf nicht finden kannst", brummte Vrieslander. Er hatte sich an die Mauer gestellt und sein Gesicht leuchtete grell auf und erlosch wieder in kurzen Intervallen - wie er das Feuer eines Streichholzes zischend in seine kurze Pfeife sog. Prokop machte eine heftig abwehrende Bewegung mit dem Arm und beugte sich noch tiefer hinab. Er kniete beinahe auf dem Pflaster: "Still doch! HÃrt ihr denn nichts?" Wir traten an ihn heran. Er deutete stumm auf das Kanalgitter und legte horchend die Hand ans Ohr. Eine Weile standen wir unbeweglich und lauschten in den Schacht hinab. Nichts. "Was war's denn?" flØsterte endlich der alte Marionettenspieler; doch sofort packte ihn Prokop heftig beim Handgelenk. Einen Augenblick - kaum einen Herzschlag lang - hatte es mir geschienen, als klopfte da unten eine Hand gegen eine Eisenplatte - fast unhÃrbar. Wie ich eine Sekunde spÄter darØber nachdachte, war alles vorbei; nur in meiner Brust hallte es wie ein Erinnerungsecho weiter und lÃste sich langsam in ein unbestimmtes GefØhl des Grauens auf. Schritte, die die Gasse heraufkamen, verscheuchten den Eindruck. "Gehen wir; was stehen wir da herum!" mahnte Vrieslander. Wir schritten die HÄuserreihe entlang. Prokop folgte nur widerwillig. "Meinen Hals mÃcht ich wetten, da unten hat jemand geschrien in Todesangst." Niemand von uns antwortete ihm, aber ich fØhlte, dañ etwas wie leise dÄmmernde Angst uns die Zunge in Fesseln hielt. Bald darauf standen wir vor einem rotverhÄngten Schenkenfenster. "SALON LOISITSCHEK". "Heinte groñes Konzehr" stand auf einem Pappendeckel geschrieben, dessen Rand mit verblichenen Photographien von Frauenzimmern bedeckt war. Ehe noch Zwakh die Hand auf die Klinke legen konnte, Ãffnete sich die EingangstØr nach innen, und ein vierschrÃtiger Kerl mit gewichstem schwarzem Haar, ohne Kragen - eine grØnseidene Krawatte um den bloñen Hals geschlungen und die Frackweste mit einem Klumpen aus SchweinszÄhnen geschmØckt - empfing uns mit BØcklingen. "JÄ, jÄ, das sin mir GÄstÄh. - - - Pane Schaffranek, rasch einen Tusch!" setzte er, Øber die Schulter in das von Menschen ØberfØllte Lokal gewendet, hastig seinem Willkommensgruñ hinzu. Ein klimperndes GerÄusch, wie wenn eine Ratte Øber Klaviersaiten liefe, war die Antwort. "JÄ, jÄ, das sin mir GÄstÄh, das sin mir GÄstÄh. Da schaut man", murmelte der VierschrÃtige immerwÄhrend eifrig vor sich hin, wÄhrend er uns aus den MÄnteln half. "Ja, ja, heinte ist der ganze verehrliche Hochadel des Landes bei mir versammelt", beantwortete er triumphierend Vrieslanders erstaunte Miene, als im Hintergrund auf einer Art Estrade, die durch GelÄnder und eine zweistufige Treppe vom vorderen Teil der Schenke getrennt war, ein paar vornehme junge Herren in Abendtoilette sichtbar wurden. Schwaden beiñenden Tabakrauches lagerten Øber den Tischen, hinter denen die langen HolzbÄnke an den WÄnden vollbesetzt von zerlumpten Gestalten waren: Dirnen von den Schanzen, ungekÄmmt, schmutzig, barfuñ, die festen BrØste kaum verhØllt von miñfarbigen UmhÄngetØchern, ZuhÄlter daneben mit blauen MilitÄrmØtzen und Zigaretten hinter dem Ohr, ViehhÄndler mit haarigen FÄusten und schwerfÄlligen Fingern, die bei jeder Bewegung eine stumme Sprache der Niedertracht redeten, vazierende Kellner mit frechen Augen und blatternarbige Kommis mit karierten Hosen. "Ich stell' ich Ihnen spanische Plente umadum, damit Sie schÃn ungestÃrt sein", krÄchzte die feiste Stimme des VierschrÃtigen, und eine Rollwand, beklebt mit kleinen, tanzenden Chinesen, schob sich langsam vor den Ecktisch, an den wir uns gesetzt hatten. Schnarrende KlÄnge einer Harfe machten das Stimmengewirr im Zimmer verlÃschen. Eine Sekunde eine rhythmische Pause. Totenstille, als hielte alles den Atem an. Mit erschreckender Deutlichkeit hÃrte man plÃtzlich wie die eisernen GasstÄbe fauchend die flachen herzfÃrmigen Flammen aus ihren MØndern in die Luft bliesen - - dann fiel die Musik Øber das GerÄusch her und verschlang es. Als wÄren sie soeben erst entstanden, tauchten da zwei seltsame Gestalten aus dem Tabakqualm vor meinem Blick empor. Mit langem, wallendem, weiñen Prophetenbart, ein schwarzseidenes KÄppchen - wie es die alten jØdischen FamilienvÄter tragen - auf dem Kahlkopf, die blinden Augen milchblÄulich und glÄsern - starr zur Decke gerichtet - sañ dort ein Greis, bewegte lautlos die Lippen und fuhr mit dØrren Fingern wie mit Geierkrallen in die Saiten einer Harfe. Neben ihm in speckglÄnzendem, schwarzen Taffetkleid, Jettschmuck und Jettkreuz an Hals und Armen - ein Sinnbild erheuchelter BØrgermoral - ein schwammiges Weibsbild, die Ziehharmonika auf dem Schoñ. Ein wildes Gestolper von KlÄngen drÄngte sich aus den Instrumenten, dann sank die Melodie ermattet zur bloñen Begleitung herab. Der Greis hatte ein paarmal in die Luft gebissen und riñ den Mund weit auf, dañ man die schwarzen Zahnstumpen sehen konnte. Langsam aus der Brust herauf rang sich ihm, von seltsamen hebrÄischen RÃchellauten begleitet, ein wilder Bañ: "Roo - n - te, blau - we Stern - -" "Rititit" (schrillte das Weibsbild dazwischen und schnappte sofort die keifigen Lippen zusammen, als habe sie schon zuviel gesagt) "Roonte blaue Steern HÃrndlach ess i' ach geern"; "Rititit" "Rotboart, Grienboart allerlaj Stern" - - "Rititit, rititit." 0x01 graphic Die Paare traten zum Tanze an. "Es ist das Lied vom 'chomezigen Borchu'", erklÄrte uns lÄchelnd der Marionettenspieler und schlug leise mit dem ZinnlÃffel, der sonderbarerweise mit einer Kette am Tisch befestigt war, den Takt. "Vor wohl hundert Jahren oder mehr noch hatten zwei BÄckergesellen, Rotbart und GrØnbart, am Abend des 'Schabbes Hagodel' das Brot - Sterne und HÃrnchen - vergiftet, um ein ausgiebiges Sterben in der Judenstadt hervorzurufen; aber der 'Meschores' - der Gemeindediener - war infolge gÃttlicher Erleuchtung noch rechtzeitig draufgekommen und konnte die beiden Verbrecher der Stadtpolizei Øberliefern. Zur Erinnerung an die wundersame Errettung aus Todesgefahr dichteten damals die 'Landonim' und 'Bocherlech' jenes seltsame Lied, das wir hier jetzt als Bordellquadrille hÃren." "Rititit - Rititit" "Roote blaue Steern - - - -" immer hohler und fanatischer erscholl das Gebell des Greises. PlÃtzlich wurde die Melodie konfuser und ging allmÄhlich in den Rhythmus des bÃhmischen "Schlapak" - eines schleifenden Schiebetanzes - Øber, bei dem die Paare die schwitzigen Wangen innig aneinander preñten. "So recht. Bravo. äh da! fang, hep, hep!" rief von der Estrade ein schlanker, junger Kavalier im Frack, das Monokel im Auge, dem Harfenisten zu, griff in die Westentasche und warf ein SilberstØck in der Richtung. Es erreichte sein Ziel nicht: ich sah noch, wie es Øber das TanzgewØhl hinblitzte; da war es plÃtzlich verschwunden. Ein Strolch - sein Gesicht kam mir so bekannt vor; ich glaube, es muñ derselbe gewesen sein, der neulich bei dem Regenguñ neben Charousek gestanden - hatte seine Hand hinter dem Busentuch seiner TÄnzerin, wo er sie bisher hartnÄckig ruhen gehabt, hervorgezogen - ein Griff in die Luft mit affenhafter Geschwindigkeit, ohne auch nur einen Takt der Musik auszulassen, und die MØnze war geschnappt. Nicht ein Muskel zuckte im Gesicht des Burschen auf, nur zwei, drei Paare in der NÄhe grinsten leise. "Wahrscheinlich einer vom 'Bataillon', nach der Geschicklichkeit zu schlieñen", sagte Zwakh lachend. "Meister Pernath hat sicherlich noch nie etwas vom 'Bataillon' gehÃrt", fiel Vrieslander auffallend rasch ein und zwinkerte heimlich dem Marionettenspieler zu, dañ ich es nicht sehen sollte. - Ich verstand gar wohl: es war wie vorhin, oben auf meinem Zimmer. Sie hielten mich fØr krank. Wollten mich aufheitern. Und Zwakh sollte etwas erzÄhlen. Irgend etwas. Wie mich der gute Alte so mitleidig ansah, stieg es mir heiñ vom Herzen in die Augen. Wenn er wØñte, wie weh mir sein Mitleid tat! Ich ØberhÃrte die ersten Worte, mit denen der Marionettenspieler seine Worte einleitete, - ich weiñ nur, mir war, als verblute ich langsam. Mir wurde immer kÄlter und starrer, wie vorhin, als ich als hÃlzernes Gesicht auf Vrieslanders Schoñ gelegen hatte. Dann war ich plÃtzlich mitten drin in der ErzÄhlung, die mich fremdartig umfing, - einhØllte, wie ein lebloses StØck aus einem Lesebuch. Zwakh begann: "Die ErzÄhlung vom Rechtsgelehrten Dr. Hulbert und seinem