Bataillon. - - - No, was soll ich Ihnen sagen: Das Gesicht hatte er voller Warzen und krumme Beine wie ein Dachshund. Schon als JØngling kannte er nichts als Studium. Trockenes, entnervendes Studium. Von dem, was er sich durch Stundengeben mØhsam erwarb, muñte er noch seine kranke Mutter erhalten. Wie grØne Wiesen aussehen und Hecken und HØgel voll Blumen und WÄlder, erfuhr er, glaube ich, nur aus BØchern. Und wie wenig von Sonnenschein in Prags schwarze Gassen fÄllt, wissen Sie ja selbst. Sein Doktorat hatte er mit Auszeichnung gemacht; das war eigentlich selbstverstÄndlich. Nun, und mit der Zeit wurde er ein berØhmter Rechtsgelehrter. So berØhmt, dañ alle Leute - Richter und alte Advokaten - zu ihm fragen kamen, wenn sie irgend etwas nicht wuñten. Dabei lebte er Ärmlich wie ein Bettler in einer Dachkammer, deren Fenster hinaus auf den Teinhof schaute. So vergingen Jahre um Jahre und Dr. Hulberts Ruf als Leuchte seiner Wissenschaft wurde allmÄhlich Sprichwort im ganzen Lande. Dañ ein Mann wie er weichen Herzensempfindungen zugÄnglich sein konnte, zumal sein Haar schon anfing weiñ zu werden und sich niemand erinnerte, ihn je von etwas anderem als von Jurisprudenz sprechen gehort zu haben, hatte wohl keiner geglaubt. Doch gerade in solchen verschlossenen Herzen glØht die Sehnsucht am heiñesten. An dem Tage, als Dr. Hulbert das Ziel erreichte, das ihm wohl schon als HÃchstes seit seiner Studentenzeit vorgeschwebt hatte: - als nÄmlich Seine MajestÄt der Kaiser von Wien aus ihn zum Rector magnificus an unserer UniversitÄt ernannte, da ging es von Mund zu Mund, er habe sich mit einem jungen, bildschÃnen FrÄulein aus zwar armer, aber adliger Familie verlobt. Und wirklich schien von da an das Gluck bei Dr. Hulbert eingezogen zu sein. Wenn auch seine Ehe kinderlos blieb, so trug er doch seine junge Gattin auf HÄnden, und jeden Wunsch zu erfØllen, den er ihr nur irgend von den Augen abzulesen vermochte, war seine hÃchste Freude. In seinem Gluck vergañ er jedoch keineswegs, wie es wohl so mancher andere getan hatte, seine leidenden Mitmenschen. "Mir hat Gott meine Sehnsucht gestillt," soll er einmal gesagt haben, - "er hat mir ein Traumgesicht zur Wahrheit werden lassen, das wie ein Glanz vor mir hergegangen ist seit Kindheit an: er hat mir das lieblichste Wesen zu eigen gegeben, das die Erde tragt. Und so will ich, dañ ein Schimmer von diesem Gluck, soweit es in meiner Macht steht, auch auf andere fallt." - - - Und so kam es, dañ er sich bei Gelegenheit eines armen Studenten annahm wie seines eigenen Sohnes. Vermutlich in der ErwÄgung, wie wohl ihm selbst ein solch gutes Werk getan hatte, wÄre es ihm am eigenen Leib und Leben in den Tagen seiner kummervollen Jugendzeit passiert. Wie aber nun auf Erden manche Tat, die dem Menschen gut und edel scheint, Folgen nach sich zieht gleich der einer fluchwØrdigen, weil wir wohl doch nicht richtig unterscheiden kÃnnen zwischen dem, was giftigen Samen in sich tragt und was heilsamen, so begab es sich auch hier, dañ aus Dr. Hulberts mitleidsvollem Werk das bitterste Leid fØr ihn selbst sproñ. Die junge Frau entbrannte gar bald in heimlicher Liebe zu dem Studenten, und ein erbarmungsloses Schicksal wollte, dañ sie der Rektor gerade in dem Augenblicke, als er unerwartet nach Hause kam, um sie zum Zeichen seiner Liebe mit einem Strauñ Rosen als GeburtstagsprÄsent zu Øberraschen, in den Armen dessen antraf, auf den er Wohltat Øber Wohltat gehÄuft hatte. Man sagt, dañ die blaue Muttergottesblume fØr immer ihre Farbe verlieren kann, wenn der fahle, schweflige Schein eines Blitzes, der ein Hagelwetter verkØndet, plÃtzlich auf sie fÄllt; gewiñ ist, dañ die Seele des alten Mannes fØr immer erblindete an dem Tage, wo sein Gluck in Scherben ging. Am selben Abend noch sañ er, er, der bis dahin nicht gewuñt, was UnmÄñigkeit ist, hier beim "Loisitschek" - fast bewuñtlos vom Fusel - bis zum Morgengrauen. Und der "Loisitschek" wurde seine HeimstÄtte fØr den Rest seines zerstÃrten Lebens. Im Sommer schlief er irgendwo auf dem Schutt eines Neubaus, im Winter hier auf den hÃlzernen BÄnken. Den Titel eines Professors und Doktors beider Rechte belieñ man ihm stillschweigend. Niemand hatte das Herz dazu, gegen ihn, den einst berØhmten Gelehrten, den Vorwurf zu erheben, dañ man ärgernis nÄhme an seinem Wandel. AllmÄhlich sammelte sich um ihn, was an lichtscheuem Gesindel in der Judenstadt sein Wesen trieb, und so kam es zur GrØndung jener seltsamen Gemeinschaft, die man noch heutigentags "das Bataillon" nennt. Dr. Hulberts umfassende Gesetzeskenntnis wurde das Bollwerk fØr alle die, denen die Polizei zu scharf auf die Finger sah. War irgendein entlassener StrÄfling daran zu verhungern, schickte ihn Dr. Hulbert splitternackt hinaus auf den Altstadter Ring - und das Amt auf der sogenannten "Fischbanka" sah sich genÃtigt, einen Anzug beizustellen. Sollte eine unterstandslose Dirne aus der Stadt gewiesen werden, so heiratete sie schnell einen Strolch, der bezirkszustÄndig war, und wurde dadurch ansÄssig. Hundert solcher Auswege wuñte Dr. Hulbert, und seinem Rate gegenØber stand die Polizei machtlos da. - Was diese Ausgestoñenen der menschlichen Gesellschaft "verdienten", Øbergaben sie getreulich auf Heller und Kreuzer der gemeinsamen Kassa, aus der der nÃtige Lebensunterhalt bestritten wurde. Niemals lieñ sich auch nur einer die geringste Unehrlichkeit zuschulden kommen. Mag sein, dañ angesichts dieser eisernen Disziplin der Name "das Bataillon" entstand. PØnktlich am ersten Dezember, wo sich der Tag des UnglØcks jÄhrte, das den alten Mann betroffen hatte, fand jedesmal nachts beim "Loisitschek" eine seltsame Feier statt. Kopf an Kopf gedrÄngt standen sie hier: Bettler, Vagabunden, ZuhÄlter und Dirnen, Trunkenbolde und Lumpensammler, und eine lautlose Stille herrschte wie beim Gottesdienst. - Und dann erzÄhlte ihnen Dr. Hulbert dort von der Ecke aus, wo jetzt die beiden Musikanten sitzen, gerade unter dem KrÃnungsbilde Seiner MajestÄt des Kaisers, seine Lebensgeschichte: - wie er sich emporgerungen, den Doktortitel erworben und spÄter Rektor magnificus geworden war. Wenn er zu der Stelle kam, wo er mit dem Busch Rosen in der Hand ins Zimmer seiner jungen Frau trat, - zur Feier ihres Geburtstages und zugleich zum GedÄchtnis jener Stunde, da er dereinst um sie anhalten gekommen und sie seine liebe Braut geworden war, - da versagte ihm jedesmal die Stimme, und weinend sank er am Tisch zusammen. Dann geschah es wohl zuweilen, dañ irgendein liederliches Frauenzimmer ihm verschÄmt und heimlich, damit es keiner sehen sollte, eine halbwelke Blume in die Hand legte. Von den ZuhÃrern rØhrte sich dann noch lange Zeit keiner. Zum Weinen sind diese Menschen zu hart, aber an ihren Kleidern blickten sie herunter und drehten unsicher die Finger. Eines Morgens fand man Dr. Hulbert tot auf einer Bank unten an der Moldau. Er wird, denke ich, erfroren sein. Sein LeichenbegÄngnis sehe ich noch heute vor mir. Das "Bataillon" hatte sich fast zerfleischt, um alles so prunkvoll wie mÃglich zu gestalten. Voran ging der Pedell der UniversitÄt in vollem Ornat: in den HÄnden das purpurne Kissenpolster mit der gØldenen Kette darauf und hinter dem Leichenwagen in unabsehbarer Reihe - - das "Bataillon" barfuñ, schmutzstarrend, zerlumpt und zerfetzt. Einer von ihnen hatte sein Letztes verkauft und ging daher: Leib, Beine und Arme mit Lagen aus altem Zeitungspapier umwickelt und umbunden. So erwiesen sie ihm die letzte Ehre. Auf seinem Grabe, drauñen im Friedhof, steht ein weiñer Stein, darein sind drei Figuren gemeiñelt: Der Heiland gekreuzigt zwischen zwei RÄubern. Von unbekannter Hand gestiftet. Man munkelt, Dr. Hulberts Frau habe das Denkmal errichtet. - - - Im Testament des toten Rechtsgelehrten aber war ein Legat vorgesehen, danach bekommt jeder vom "Bataillon" mittags "beim Loisitschek" umsonst eine Suppe; zu diesem Zwecke hÄngen hier am Tisch die LÃffel an den Ketten, und die ausgehÃhlten Mulden in der Tischplatte sind die Teller. Um 12 Uhr kommt die Kellnerin und spritzt mit einer groñen, blechernen Spritze die BrØhe hinein und, wenn sich einer nicht ausweisen kann als "vom Bataillon", so zieht sie die Suppe mit der Spritze wieder zurØck. Von diesem Tisch aus machte die Gepflogenheit als Witz die Runde durch die ganze Welt." 0x01 graphic Der Eindruck eines Tumultes im Lokal weckte mich aus meiner Lethargie. Die letzten SÄtze, die Zwakh gesprochen, wehten Øber mein Bewuñtsein hinweg. Ich sah noch, wie er seine HÄnde bewegte, um das Vor- und ZurØckschieben eines Spritzenkolbens klarzumachen, dann jagten die Bilder, die sich rings um uns abrollten, so rasch und automatenhaft und dennoch mit so gespenstischer Deutlichkeit an meinem Auge vorØber, dañ ich in Momenten ganz mich selbst vergañ und mir wie ein Rad vorkam in einem lebendigen Uhrwerk. Das Zimmer war ein einziges MenschengewØhl geworden. Oben auf der Estrade: dutzende Herren in schwarzen FrÄcken. Weiñe Manschetten, blitzende Ringe. Eine Dragoneruniform mit RittmeisterschnØren. Im Hintergrund ein Damenhut mit lachsfarbigen Strauñenfedern. Durch die StÄbe des GelÄnders stierte das verzerrte Gesicht Loisas hinauf. Ich sah: er konnte sich kaum aufrecht halten. Auch Jaromir war da und schaute unverwandt hinauf, mit dem RØcken dicht, ganz dicht, an der Seitenwand, als presse ihn eine unsichtbare Hand dagegen. Die Gestalten hielten plÃtzlich im Tanzen inne: der Wirt muñte ihnen etwas zugerufen haben, was sie erschreckt hatte. Die Musik spielte noch, aber leise; sie traute sich nicht mehr recht. Sie zitterte; man fØhlte es deutlich. Und doch lag der Ausdruck hÄmischer wilder Freude in dem Gesicht des Wirtes. - - - - In der EingangstØr steht mit einem Mal der PolizeikommissÄr in Uniform. Er hatte die Arme ausgebreitet, um niemand hinauszulassen. Hinter ihm ein Kriminalschutzmann. "Wird also doch hier getanzt? Trotz Verbotes? Ich sperre die Spelunke. Sie kommen mit, Wirt! Und was hier ist, marsch auf die Wachstube!" Es klingt wie Kommandos. Der VierschrÃtige gibt keine Antwort, aber das hÄmische Grinsen bleibt in seinen ZØgen. Bloñ starrer ist es geworden. Die Harmonika hat sich verschluckt und pfeift nur noch. Auch die Harfe zieht den Schwanz ein. Die Gesichter sind plÃtzlich alle im Profil zu sehen: sie glotzen erwartungsvoll hinauf auf die Estrade. Und da kommt eine vornehme schwarze Gestalt gelassen die paar Stufen herab und geht langsam auf den KommissÄr zu. Die Augen des Kriminalschutzmannes hÄngen gebannt an den heranschlendernden schwarzen Lackschuhen. Der Kavalier ist einen Schritt vor dem Polizeibeamten stehen geblieben und lÄñt den Blick gelangweilt ihm von Kopf bis zu den FØñen und wieder zurØck schweifen. Die andern jungen Adligen oben auf der Estrade haben sich Øber das GelÄnder gebeugt und verbeiñen das Lachen hinter ihren grauseidenen TaschentØchern. Der Dragonerrittmeister klemmt ein GoldstØck ins Auge und spuckt einem MÄdchen, das unter ihm lehnt, seinen Zigarettenstummel ins Haar. Der PolizeikommissÄr hat sich verfÄrbt und starrt in der Verlegenheit immerwÄhrend auf die Perle in der Hemdbrust des Aristokraten. Er kann den gleichgØltigen, glanzlosen Blick dieses glattrasierten, unbeweglichen Gesichtes mit der Hakennase nicht ertragen. Er bringt ihn aus der Ruhe. Schmettert ihn nieder. Die Totenstille im Lokal wird immer quÄlender. "So sehen die Ritterstatuen aus, die mit gefalteten HÄnden auf den SteinsÄrgen liegen in den gotischen Kirchen", flØstert der Maler Vrieslander mit einem Blick auf den Kavalier. Da bricht der Aristokrat endlich das Schweigen: "äh - Hm." - - - er kopiert die Stimme des Wirtes: "JÄ, jÄ, das sin mir GÄstÄh - da schaut man." Ein schallendes Gejohle explodiert im Lokal, dañ die GlÄser klirren; die Strolche halten sich den Bauch vor Lachen. Eine Flasche fliegt an die Wand und zerschellt. Der vierschrÃtige Wirt meckert uns erlÄuternd und ehrfurchtsvoll zu: "Seine Durchlaucht Exzellenz FØrst Ferri AthenstÄdt." Der FØrst hat dem Beamten eine Visitkarte hingehalten. Der ärmste nimmt sie, salutiert wiederholt und schlÄgt die Hacken zusammen. Es wird von neuem still, die Menge lauscht atemlos, was weiter geschehen wird. Der Kavalier spricht wieder: "Die Damen und Herren, die Sie hier versammelt sehen, - Äh - sind meine lieben GÄste." Seine Durchlaucht deutet mit einer nachlÄssigen Armbewegung auf das Gesindel, "wØnschen Sie, Herr KommissÄr, - Äh - vielleicht vorgestellt zu werden?" Der KommissÄr verneint mit erzwungenem LÄcheln, stottert verlegen etwas von "leidiger PflichterfØllung" und rafft sich schlieñlich zu den Worten auf: "Ich sehe ja, dañ es hier anstÄndig zugeht." Das bringt Leben in den Dragonerrittmeister: er eilt in den Hintergrund auf den Damenhut mit der Strauñenfeder zu und zerrt im nÄchsten Augenblick unter dem Jubel der jungen Adligen - Rosina am Arm herunter in den Saal. Sie schwankt vor Trunkenheit und hÄlt die Augen geschlossen. Der groñe, kostbare Hut sitzt ihr schief, und sie hat nichts an als lange rosa StrØmpfe und - einen Herrenfrack auf dem bloñen KÃrper. Ein Zeichen: Die Musik fallt ein wie rasend - - - "Rititit - Rititit" - - - und schwemmt den gurgelnden Schrei fort, den der taubstumme Jaromir, als er Rosina gesehen, an der Wand drØben ausgestoñen hat. - - Wir wollen gehen. Zwakh ruft nach der Kellnerin. Der allgemeine LÄrm verschlingt seine Worte. Die Szenen vor mir werden phantastisch wie ein Opiumrausch. Der Rittmeister hÄlt die halbnackte Rosina im Arm und dreht sich langsam mit ihr im Takt. Die Menge hat respektvoll Platz gemacht. Dann murmelt es von den BÄnken: "Der Loisitschek, der Loisitschek", die HÄlse werden lang und zu dem tanzenden Paar gesellt sich ein zweites noch seltsameres. Ein weibisch aussehender Bursche in rosa Trikots, mit langem blondem Haar bis zu den Schultern, Lippen und Wangen geschminkt wie eine Dirne und die Augen niedergeschlagen in koketter Verwirrung, - hÄngt schmachtend an der Brust des FØrsten AthenstÄdt. Ein sØñlicher Walzer quillt aus der Harfe. Wilder Ekel vor dem Leben schnØrt mir die Kehle zusammen. Mein Blick sucht voll Angst die Ture: der KommissÄr steht dort abgewendet, um nichts zu sehen, und flØstert hastig mit dem Kriminalschutzmann, der etwas einsteckt. Es klirrt wie Handschellen. Die beiden spÄhen hinØber auf den blatternarbigen Loisa, der einen Augenblick sich zu verstecken sucht und dann gelÄhmt - das Gesicht kalkweiñ und verzerrt vor Entsetzen - stehen bleibt. Ein Bild zuckt in der Erinnerung vor mir auf und erlischt sofort: Das Bild, wie "Prokop lauscht, wie ich es vor einer Stunde gesehen, - Øber das Kanalgitter gebeugt - und ein Todesschrei gellt aus der Erde empor." 0x01 graphic Ich will rufen und kann nicht. Kalte Finger greifen mir in den Mund und biegen mir die Zunge nach unten gegen die VorderzÄhne, dañ es wie ein Klumpen meinen Gaumen erfØllt und ich kein Wort hervorbringen kann. Ich kann die Finger nicht sehen, weiñ, dañ sie unsichtbar sind, und doch empfinde ich sie wie etwas KÃrperliches. Und klar steht es in meinem Bewuñtsein: sie gehÃren zu der gespenstischen Hand, die mir in meinem Zimmer in der Hahnpañgasse das Buch "Ibbur" gegeben hat. "Wasser, Wasser!" schreit Zwakh neben mir. Sie halten mir den Kopf und leuchten mir mit einer Kerze in die Pupillen. "In seine Wohnung schaffen, Arzt holen - der Archivar Hillel kennt sich aus in solchen Dingen - - zu ihm bringen!" beraten sie murmelnd. Dann liege ich starr wie eine Leiche auf einer Bahre und Prokop und Vrieslander tragen mich hinaus. Wach Zwakh war vor uns die Treppen hinaufgelaufen, und ich hÃrte, wie Mirjam, die Tochter des Archivars Hillel, ihn Ängstlich ausfragte und er sie zu beruhigen trachtete. Ich gab mir keine MØhe hinzuhorchen, was sie miteinander sprachen, und erriet mehr, als ich es in Worten verstand, dañ Zwakh erzÄhlte, mir sei ein Unfall zugestoñen und sie kÄmen bitten, mir die erste Hilfe zu leisten und mich wieder zu Bewuñtsein zu bringen. Noch immer konnte ich kein Glied rØhren, und die unsichtbaren Finger hielten meine Zunge; aber mein Denken war fest und sicher und das GefØhl des Grauens hatte von mir abgelassen. Ich wuñte genau, wo ich war und was mit mir geschah, und empfand es nicht einmal als absonderlich, dañ man mich wie einen Toten hinauftrug, samt der Bahre im Zimmer Schemajah Hillels niedersetzte und - allein lieñ. Eine ruhige, natØrliche Zufriedenheit, wie man sie beim Heimkommen nach einer langen Wanderung genieñt, erfØllte mich. Es war finster in der Stube, und mit verschwimmenden Umrissen hoben sich die Fensterrahmen in Kreuzesformen von dem mattleuchtenden Dunst ab, der von der Gasse heraufschimmerte. Alles kam mir selbstverstÄndlich vor und ich wunderte mich weder darØber, dañ Hillel mit einem jØdischen siebenflammigen Sabbatleuchter eintrat, noch, dañ er mir gelassen "guten Abend" wØnschte wie jemandem, dessen Kommen er erwartet hatte. Was ich die ganze Zeit, die ich im Hause wohnte, nie als etwas Besonderes bemerkt hatte, - trotzdem wir einander oft drei- bis viermal in der Woche auf den Stiegen begegnet waren, - fiel mir plÃtzlich stark an ihm auf, wie er so hin und her ging, einige GegenstÄnde auf der Kommode zurechtrØckte und schlieñlich mit dem Leuchter einen zweiten, gleichfalls siebenflammigen anzØndete. NÄmlich: sein Ebenmañ an Leib und Gliedern und der schmale, feine Schnitt des Gesichtes mit dem edlen Stirnaufbau. Er konnte, wie ich jetzt beim Schein der Kerzen sah, nicht Älter sein als ich: hÃchstens 45 Jahre zÄhlen. "Du bist um einige Minuten frØher gekommen", - begann er nach einer Weile - "als anzunehmen war, sonst hÄtte ich die Lichter schon vorher angezØndet." - Er deutete auf die beiden Leuchter, trat an die Bahre und richtete seine dunklen, tiefliegenden Augen, wie es schien, auf jemand, der mir zu HÄupten stand oder kniete, den ich aber nicht zu sehen vermochte. Dabei bewegte er seine Lippen und sprach lautlos einen Satz. Sofort lieñen die unsichtbaren Finger meine Zunge los und der Starrkrampf wich von mir. Ich richtete mich auf und blickte hinter mich: Niemand auñer Schemajah Hillel und mir war im Zimmer. Sein "Du" und die Bemerkung, dañ er mich erwartet habe, hatten also mir gegolten!? Viel befremdender als diese beiden UmstÄnde an sich wirkte es auf mich, dañ ich nicht imstande war, auch nur die geringste Verwunderung darØber zu empfinden. Hillel erriet offenbar meine Gedanken, denn er lÄchelte freundlich, wobei er mir von der Bahre aufstehen half und mit der Hand auf einen Sessel wies, und sagte: "Es ist auch nichts Wunderbares dabei. Schreckhaft wirken nur die gespenstischen Dinge - die Kischuph - auf den Menschen; das Leben kratzt und brennt wie ein hÄrener Mantel, aber die Sonnenstrahlen der geistigen Welt sind mild und erwÄrmend." Ich schwieg, da mir nichts einfiel, was ich ihm hÄtte erwidern sollen. Er schien auch keine Gegenrede erwartet zu haben, setzte sich mir gegenØber und fuhr gelassen fort: "Auch ein silberner Spiegel, hÄtte er Empfindung, litte nur Schmerzen, wenn er poliert wird. Glatt und glÄnzend geworden, gibt er alle Bilder wieder, die auf ihn fallen, ohne Leid und Erregung." "Wohl dem Menschen", setzte er leise hinzu, "der von sich sagen kann: Ich bin geschliffen." - Einen Augenblick versank er in Nachdenken, und ich hÃrte ihn einen hebrÄischen Satz murmeln: "LischuosÉcho Kiwisi Adoschem." Dann drang seine Stimme wieder klar an mein Ohr: "Du bist zu mir gekommen in tiefem Schlaf und ich habe dich wach gemacht. Im Psalm David heiñt es: "Da sprach ich in mir selbst: jetzt fange ich an: Die Rechte Gottes ist es, welche diese VerÄnderung gemacht hat." Wenn die Menschen aufstehen von ihren LagerstÄtten, so wÄhnen sie, sie hÄtten den Schlaf abgeschØttelt, und wissen nicht, dañ sie ihren Sinnen zum Opfer fallen und die Beute eines neuen viel tieferen Schlafes werden, als der war, dem sie soeben entronnen sind. Es gibt nur ein wahres Wachsein und das ist das, dem Du dich jetzt nÄherst. Sprich den Menschen davon und sie werden sagen, Du seist krank, denn sie kÃnnen dich nicht verstehen. Darum ist es zwecklos und grausam, ihnen davon zu reden. Sie fahren dahin wie ein Strom - Und sind wie ein Schlaf, Gleichwie ein Gras, das doch bald welk wird - Das des Abends abgehauen wird und verdorret." 0x01 graphic "Wer war der Fremde, der mich in meiner Kammer aufgesucht hat und mir das Buch "Ibbur" gab? Habe ich ihn im Wachen oder im Traum gesehen?", wollte ich fragen, doch Hillel antwortete mir, noch ehe ich den Gedanken in Worte fassen konnte: "Nimm an, der Mann, der zu Dir kam und den Du den Golem nennst, bedeute die Erweckung des Toten durch das innerste Geistesleben. Jedes Ding auf Erden ist nichts als ein ewiges Symbol in Staub gekleidet! Wie denkst Du mit dem Auge? Jede Form, die Du siehst, denkst Du mit dem Auge. Alles, was zur Form geronnen ist, war vorher ein Gespenst." Ich fØhlte, wie Begriffe, die bisher in meinem Hirn verankert gewesen, sich losrissen und gleich Schiffen ohne Steuer hinaustrieben in ein uferloses Meer. Ruhevoll fuhr Hillel fort: "Wer aufgeweckt worden ist, kann nicht mehr sterben; Schlaf und Tod sind dasselbe." "- - kann nicht mehr sterben?" - Ein dumpfer Schmerz ergriff mich. "Zwei Pfade laufen nebeneinander hin: der Weg des Lebens und der Weg des Todes. Du hast das Buch "Ibbur" genommen und darin gelesen. Deine Seele ist schwanger geworden vom Geist des Lebens", hÃrte ich ihn reden. "Hillel, Hillel, lañ mich den Weg gehen, den alle Menschen gehen: den des Sterbens!", schrie alles wild in mir auf. Schemajah Hillels Gesicht wurde starr vor Ernst. "Die Menschen gehen keinen Weg, weder den des Lebens, noch den des Todes. Sie treiben daher wie Spreu im Sturm. Im Talmud steht: "Ehe Gott die Welt schuf, hielt er den Wesen einen Spiegel vor; darin sahen sie die geistigen Leiden des Daseins und die Wonnen, die darauf folgten. Da nahmen die einen die Leiden auf sich. Die anderen aber weigerten sich, und diese strich Gott aus dem Buche der Lebenden." Du aber gehst einen Weg und hast ihn aus freiem Willen beschritten, - wenn Du es jetzt auch selbst nicht mehr weiñt: Du bist berufen von dir selbst. GrÄm' dich nicht: allmÄhlich, wenn das Wissen kommt, kommt auch die Erinnerung. Wissen und Erinnerung sind dasselbe." Der freundliche, fast liebenswØrdige Ton, in den Hillels Rede ausgeklungen war, gab mir meine Ruhe wieder, und ich fØhlte mich geborgen wie ein krankes Kind, das seinen Vater bei sich weiñ. Ich blickte auf und sah, dañ mit einemmal viele Gestalten im Zimmer waren und uns im Kreis umstanden: einige in weiñen SterbegewÄndern, wie sie die alten Rabbiner trugen, andere mit dreieckigem Hut und Silberschnallen an den Schuhen - aber Hillel fuhr mir mit der Hand Øber die Augen, und die Stube war wieder leer. Dann geleitete er mich hinaus zur Treppe und gab mir eine brennende Kerze mit, damit ich mir hinaufleuchten kÃnne in mein Zimmer. 0x01 graphic Ich legte mich zu Bett und wollte schlafen, aber der Schlummer kam nicht, und ich geriet stattdessen in einen sonderbaren Zustand, der weder TrÄumen war, noch Wachen, noch Schlafen. Das Licht hatte ich ausgelÃscht, aber trotzdem war alles in der Stube so deutlich, dañ ich jede einzelne Form genau unterscheiden konnte. Dabei fØhlte ich mich vollkommen behaglich und frei von der gewissen qualvollen Unruhe, die einen foltert, wenn man sich in Ähnlicher Verfassung befindet. Nie vorher in meinem Leben wÄre ich imstande gewesen, so scharf und prÄzis zu denken wie eben jetzt. Der Rhythmus der Gesundheit durchstrÃmte meine Nerven und ordnete meine Gedanken in Reih' und Glied wie eine Armee, die nur auf meine Befehle wartete. Ich brauchte bloñ zu rufen, und sie traten vor mich und erfØllten, was ich wØnschte. Eine Gemme, die ich in den letzten Wochen aus Aventurinstein zu schneiden versucht hatte, - ohne damit zurechtzukommen, da sich die vielen zerstreuten Flimmer in dem Mineral niemals mit den GesichtszØgen decken wollten, die ich mir vorgestellt, - fiel mir ein, und im Nu sah ich die LÃsung vor mir und wuñte genau, wie ich den Stichel zu fØhren hatte, um der Struktur der Masse gerecht zu werden. Ehedem Sklave einer Horde phantastischer EindrØcke und Traumgesichter, von denen ich oft nicht gewuñt: waren es Ideen oder GefØhle, sah ich mich jetzt plÃtzlich als Herr und KÃnig im eigenen Reich. Rechenexempel, die ich frØher nur mit ächzen und auf dem Papier hÄtte bewÄltigen kÃnnen, fØgten sich mir mit einem Mal im Kopf spielend zum Resultat. Alles mit Hilfe einer neuen, in mir erwachten FÄhigkeit, das zu sehen und festzuhalten, was ich gerade brauchte: Ziffern, Formen, GegenstÄnde oder Farben. Und wenn es sich um Fragen handelte, die durch derlei Werkzeuge nicht zu lÃsen waren: - philosophische Probleme und Ähnliches -, so trat an Stelle des inneren Sehens das GehÃr, wobei die Stimme Schemajah Hillels die Rolle des Sprechers Øbernahm. Erkenntnisse seltsamster Art wurden mir zuteil. Was ich tausendmal im Leben achtlos als bloñes Wort an meinem Ohr hatte vorØbergehen lassen, stand wertgetrÄnkt bis in die tiefste Faser vor mir; was ich "auswendig" gelernt, "erfañte" ich mit einem Schlag als mein "Eigen"tum. Der Wortbildung Geheimnisse, die ich nie geahnt, lagen nackt vor mir. Die "hohen" Ideale der Menschheit, die vordem mit kommerzienrÄtlich biederer Miene, die Pathosbrust mit Orden bekleckst, mich von oben herab behandelt hatten, - demØtig nahmen sie jetzt die Maske von der Fratze und entschuldigten sich: sie seien selber ja nur Bettler, aber immerhin KrØcken fØr - einen noch frecheren Schwindel. TrÄumte ich nicht vielleicht doch? Hatte ich etwa gar nicht mit Hillel gesprochen? Ich griff nach dem Sessel neben meinem Bett. Richtig: dort lag die Kerze, die mir Schemajah mitgegeben hatte; und selig wie ein kleiner Junge in der Christfestnacht, der sich Øberzeugt hat, dañ der wundervolle Hampelmann wirklich und leibhaftig vorhanden ist, wØhlte ich mich wieder in die Kissen. Und wie ein SpØrhund drang ich weiter vor in das Dickicht der geistigen RÄtsel, die mich rings umgaben. Zuerst versuchte ich zu dem Punkt in meinem Leben zurØckzugelangen, bis zu dem meine Erinnerung reichte. Nur von dort aus - glaubte ich - kÃnnte es mir mÃglich sein, jenen Teil meines Daseins zu Øberblicken, der fØr mich, durch eine seltsame FØgung des Schicksals in Finsternis gehØllt lag. Aber wie sehr ich mich auch bemØhte, ich kam nicht weiter, als dañ ich mich wie einst in dem dØsteren Hofe unseres Hauses stehen sah und durch den Torbogen den TrÃdlerladen des Aaron Wassertrum unterschied - als ob ich ein Jahrhundert lang als Gemmenschneider in diesem Hause gewohnt hÄtte, immer gleich alt und ohne jemals ein Kind gewesen zu sein! Schon wollte ich es als hoffnungslos aufgeben, weiter zu schØrfen in den SchÄchten der Vergangenheit, da begriff ich plÃtzlich mit leuchtender Klarheit, dañ in meiner Erinnerung wohl die breite Heerstrañe der Geschehnisse mit dem gewissen Torbogen endete, nicht aber eine Menge winzig schmaler Fuñsteige, die wohl bisher den Hauptpfad stÄndig begleitet hatten, von mir jedoch nicht beachtet worden waren. "Woher", schrie es mir fast in die Ohren, "hast du denn die Kenntnisse, dank derer du jetzt dein Leben fristest? Wer hat dich Gemmenschneiden gelehrt - und Gravieren und all das andere? Lesen, schreiben, sprechen - und essen - und gehen, atmen, denken und fØhlen?" Sofort griff ich den Rat meines Innern auf. Systematisch ging ich mein Leben zurØck. Ich zwang mich in verkehrter aber ununterbrochener Reihenfolge zu Øberlegen: was ist soeben geschehen, was war der Ausgangspunkt dazu, was lag vor diesem und so weiter? Wieder war ich bei dem gewissen Torbogen angelangt - - jetzt! Jetzt! Nur ein kleiner Sprung ins Leere und der Abgrund, der mich von dem Vergessen trennte, muñte Øberflogen sein - da trat ein Bild vor mich, das ich auf der RØckwanderung meiner Gedanken Øbersehen hatte: Schemajah Hillel fuhr mir mit der Hand Øber die Augen - genau wie vorhin unten in seinem Zimmer. Und weggewischt war alles. Sogar der Wunsch, weiter zu forschen. Nur eins stand fest als bleibender Gewinn: die Erkenntnis: die Reihe der Begebenheiten im Leben ist eine Sackgasse, so breit und gangbar sie auch zu sein scheint. Die schmalen, verborgenen Steige sind's, die in die verlorene Heimat zurØckfØhren: das, was mit feiner, kaum sichtbarer Schrift in unserem KÃrper eingraviert ist, und nicht die scheuñliche Narbe, die die Raspel des Äuñeren Lebens hinterlañt, - birgt die LÃsung der letzten Geheimnisse. So, wie ich zurØckfinden kÃnnte in die Tage meiner jugend, wenn ich in der Fibel das Alphabet in verkehrter Folge vornÄhme von Z bis A, um dort anzulangen, wo ich in der Schule zu lernen begonnen, - so, begriff ich, muñte ich auch wandern kÃnnen in die andere ferne Heimat, die jenseits allen Denkens liegt. Eine Weltkugel an Arbeit wÄlzte sich auf meine Schultern. Auch Herkules trug eine Zeitlang das GewÃlbe des Himmels auf seinem Haupte, fiel mir ein, und versteckte Bedeutung schimmerte mir aus der Sage entgegen. Und wie Herkules wieder loskam durch eine List, indem er den Riesen Atlas bat: "Lañ mich nur einen Bausch von Stricken um den Kopf binden, damit mir die entsetzliche Last nicht das Gehirn zersprengt", so gÄbe es vielleicht einen dunklen Weg - dÄmmerte mir - von dieser Klippe weg. Ein tiefer Argwohn, der FØhrerschaft meiner Gedanken weiter blind zu vertrauen, beschlich mich plÃtzlich. Ich legte mich gerade und verschloñ mit den Fingern Augen und Ohren, um nicht abgelenkt zu werden durch die Sinne. Um jeden Gedanken zu tÃten. Doch mein Wille zerschellte an dem ehernen Gesetz: Ich konnte immer nur einen Gedanken durch einen anderen vertreiben, und starb der eine, schon mÄstete sich der nÄchste an seinem Fleische. Ich flØchtete in den brausenden Strom meines Blutes, aber die Gedanken folgten mir auf dem Fuñ; ich verbarg mich im HÄmmerwerk meines Herzens: nur eine kleine Weile, und sie hatten mich entdeckt. Abermals kam mir da Hillels freundliche Stimme zu Hilfe und sagte: "Bleib auf deinem Weg und wanke nicht! Der SchlØssel zur Kunst des Vergessens gehÃrt unseren BrØdern, die den Pfad des Todes wandeln; du aber bist geschwÄngert vom Geiste des - Lebens." Das Buch Ibbur erschien vor mir, und zwei Buchstaben flammten darin auf: der eine, der das erzene Weib bedeutete, mit dem Pulsschlag, mÄchtig, gleich einem Erdbeben, - der andere in unendlicher Ferne: der Hermaphrodit auf dem Thron von Perlmutter, auf dem Haupte die Krone aus rotem Holz. Dann fuhr Schemajah Hillel ein drittes Mal mit der Hand Øber meine Augen, und ich schlummerte ein. Schnee "Mein lieber und verehrter Meister Pernath! Ich schreibe Ihnen diesen Brief in fliegender Eile und hÃchster Angst. Bitte, vernichten Sie ihn sofort, nachdem Sie ihn gelesen haben, - oder besser noch, bringen Sie ihn mir samt Kuvert mit. - Ich hÄtte keine Ruhe sonst. Sagen Sie keiner Menschenseele, dañ ich Ihnen geschrieben habe. Auch nicht, wohin Sie heute gehen werden! Ihr ehrliches gutes Gesicht hat mir - "neulich" - (Sie werden durch diese kurze Anspielung auf ein Ereignis, dessen Zeuge Sie waren, erraten, wer Ihnen diesen Brief schreibt, denn ich fØrchte mich, meinen Namen darunter zu setzen) - so viel Vertrauen eingeflÃñt, und weiter, dañ Ihr lieber, seliger Vater mich als Kind unterrichtet hat, - alles das gibt mir den Mut, mich an Sie, als vielleicht den einzigen Menschen, der noch helfen kann, zu wenden. Ich flehe Sie an, kommen Sie heute, abends um 5 Uhr, in die Domkirche auf dem Hradschin." Eine Ihnen bekannte Dame. 0x01 graphic Wohl eine Viertelstunde lang sañ ich da und hielt den Brief in der Hand. Die seltsame, weihevolle Stimmung, die mich von gestern nacht her umfangen gehalten, war mit einem Schlag gewichen, - weggeweht von dem frischen Windhauch eines neuen irdischen Tages. Ein junges Schicksal kam lÄchelnd und verheiñungsvoll - ein FrØhlingskind - auf mich zu. Ein Menschenherz suchte Hilfe bei mir. - Bei mir! Wie sah meine Stube plÃtzlich so anders aus! Der wurmstichige, geschnitzte Schrank blickte so zufrieden drein, und die vier Sessel kamen mir vor wie alte Leute, die um den Tisch herumsitzen und behaglich kichernd Tarock spielen. Meine Stunden hatten einen Inhalt bekommen, einen Inhalt voll Reichtum und Glanz. So sollte der morsche Baum noch FrØchte tragen? Ich fØhlte, wie mich eine lebendige Kraft durchrieselte, die bisher schlafen gelegen in mir - verborgen gewesen in den Tiefen meiner Seele, verschØttet von dem GerÃll, das der Alltag hÄuft, wie eine Quelle losbricht aus dem Eis, wenn der Winter zerbricht. Und ich wuñte so gewiñ, wie ich den Brief in der Hand hielt, dañ ich wØrde helfen kÃnnen, um was es auch ginge. Der Jubel in meinem Herzen gab mir die Sicherheit. Wieder und wieder las ich die Stelle: "und weiter, dañ Ihr lieber seliger Vater mich als Kind unterrichtet hat - - -"; - mir stand der Atem still. Klang das nicht wie Verheiñung: "Heute noch wirst du mit mir im Paradiese sein?" Die Hand, die sich mir hinstreckte, Hilfe suchend, hielt mir das Geschenk entgegen: die RØckerinnerung, nach der ich dØrstete, - wØrde mir das Geheimnis offenbaren, den Vorhang heben helfen, der sich hinter meiner Vergangenheit geschlossen hatte! "Ihr lieber seliger Vater" - -, wie fremdartig die Worte klangen, als ich sie mir vorsagte! - Vater! - Einen Augenblick sah ich das mØde Gesicht eines alten Mannes mit weiñem Haar in dem Lehnstuhl neben meiner Truhe auftauchen - fremd, ganz fremd und doch so schauerlich bekannt; - - dann kamen meine Augen wieder zu sich, und die Hammerlaute meines Herzens schlugen die greifbare Stunde der Gegenwart. Erschreckt fuhr ich auf: hatte ich die Zeit vertrÄumt? Ich blickte auf die Uhr: Gott sei Lob, erst halb fØnf. Ich ging in meine Schlafkammer nebenan, holte Hut und Mantel und schritt die Treppen hinab. Was kØmmerte mich heute das Geraune der dunklen Winkel, die bÃsartigen, engherzigen, verdrossenen Bedenken, die immer von ihnen aufstiegen: "Wir lassen dich nicht, - du bist unser, - wir wollen nicht, dañ du dich freust - das wÄre noch schÃner, Freude hier im Haus!" Der feine, vergiftete Staub, der sich sonst aus allen diesen GÄngen und Ecken her um mich gelegt mit wØrgenden HÄnden: heute wich er vor dem lebendigen Hauch meines Mundes. Einen Augenblick blieb ich stehen an Hillels TØr. Sollte ich eintreten? Eine heimliche Scheu hielt mich ab zu klopfen. Mir war so ganz anders heute, - so, als dØrfe ich gar nicht hinein zu ihm. Und schon trieb mich die Hand des Lebens vorwÄrts, die Stiegen hinab. - - Die Gasse lag weiñ im Schnee. Ich glaube, dañ viele Leute mich gegrØñt haben; ich erinnere mich nicht, ob ich ihnen gedankt. Immer wieder fØhlte ich an die Brust, ob ich den Brief auch bei mir trØge: Es ging eine WÄrme von der Stelle aus. - - 0x01 graphic Ich wanderte durch die Bogen der gequaderten LaubengÄnge auf dem AltstÄdter Ring und an dem Erzbrunnen vorbei, dessen barockes Gitter voll Eiszapfen hing, hinØber Øber die steinerne BrØcke mit ihren Heiligenstatuen und dem Standbild des Johannes von Nepomuk. Unten schÄumte der Fluñ voll Hañ gegen die Fundamente. Halb im Traum fiel mein Blick auf den gehÃhlten Sandstein der heiligen Luitgard mit "den Qualen der Verdammten" darin: dicht lag der Schnee auf den Lidern der BØñenden und den Ketten an ihren betend erhobenen HÄnden. Torbogen nahmen mich auf und entlieñen mich, PalÄste zogen langsam an mir vorØber, mit geschnitzten, hochmØtigen Portalen, darinnen LÃwenkÃpfe in bronzene Ringe bissen. Auch hier Øberall Schnee, Schnee. Weich, weiñ wie das Fell eines riesigen EisbÄren. Hohe, stolze Fenster, die Simse beglitzert und vereist, schauten teilnahmslos zu den Wolken empor. Ich wunderte mich, wie der Himmel so voll ziehender VÃgel war. Als ich die unzÄhligen Granitstufen emporstieg zum Hradschin, jede so breit, wie wohl vier Menschenleiber lang sind, versank Schritt um Schritt die Stadt mit ihren DÄchern und Giebeln vor meinem Sinn. - - - 0x01 graphic Schon schlich die DÄmmerung die HÄuserreihen entlang, da trat ich auf den einsamen Platz, aus dessen Mitte der Dom aufragt zum Thron der Engel. Fuñstapfen - die RÄnder mit Krusten aus Eis - fØhrten hin zum Nebentor. Von irgendwo aus einer fernen Wohnung klangen leise, verlorene TÃne eines Harmoniums in die Abendstille hinaus. Wie TrÄnentropfen der Schwermut fielen sie in die Verlassenheit. Ich hÃrte hinter mir das Seufzen des Schlagpolsters, wie die KirchentØre mich aufnahm, dann stand ich im Dunkel, und der goldene Altar blinkte in starrer Ruhe herØber zu mir durch den grØnen und blauen Schimmer sterbenden Lichtes, das durch die farbigen Fenster auf die BetstØhle niedersank. Funken sprØhten aus roten, glÄsernen Ampeln. Welker Duft von Wachs und Weihrauch. Ich lehnte mich in eine Bank. Mein Blut ward seltsam still in diesem Reich der Regungslosigkeit. Ein Leben ohne Herzschlag erfØllte den Raum - ein heimliches, geduldiges Warten. Die silbernen Reliquienschreine lagen im ewigen Schlaf. Da! - Aus weiter, weiter Ferne drang das GerÄusch von Pferdehufen gedÄmpft, kaum merklich an mein Ohr, wollte nÄher kommen und verstummte. Ein matter Schall, wie wenn ein Wagenschlag zufÄllt. - - - 0x01 graphic Das Rauschen eines seidenen Kleides war auf mich zugekommen, und eine zarte, schmale Damenhand hatte leicht meinen Arm berØhrt. "Bitte, bitte, gehen wir doch dort neben den Pfeiler; es widerstrebt mir, hier in den BetstØhlen von den Dingen zu sprechen, die ich Ihnen sagen muñ." Die weihevollen Bilder ringsum zerrannen zu nØchterner Klarheit. Der Tag hatte mich plÃtzlich angefañt. "Ich weiñ gar nicht, wie ich Ihnen danken soll, Meister Pernath, dañ Sie mir zuliebe bei dem schlechten Wetter den langen Weg hier herauf gemacht haben." Ich stotterte ein paar banale Worte. "- - Aber ich wuñte keinen andern Ort, wo ich sicherer vor Nachforschung und Gefahr bin, als diesen. Hierher, in den Dom, ist uns gewiñ niemand nachgegangen." Ich zog den Brief hervor und reichte ihn der Dame. Sie war fast ganz vermummt in einen kostbaren Pelz, aber schon am Klang ihrer Stimme hatte ich sie wiedererkannt als dieselbe, die damals voll Entsetzen vor Wassertrum in mein Zimmer in der Hahnpañgasse flØchtete. Ich war auch nicht erstaunt darØber, denn ich hatte niemand anderen erwartet. Meine Augen hingen an ihrem Gesicht, das in der DÄmmerung der Mauernische wohl noch blasser schien, als es in Wirklichkeit sein mochte. Ihre SchÃnheit benahm mir fast den Atem, und ich stand wie gebannt. Am liebsten wÄre ich vor ihr niedergefallen und hÄtte ihre FØñe gekØñt, dañ sie es war, der ich helfen sollte, dañ sie mich dazu erwÄhlt hatte. 0x01 graphic "Vergessen Sie, ich bitte Sie von Herzen darum, - wenigstens solange wir hier sind - die Situation, in der Sie mich damals gesehen haben", sprach sie gepreñt weiter, "ich weiñ auch gar nicht, wie Sie Øber solche Dinge denken - -" "Ich bin ein alter Mann geworden, aber kein einziges Mal in meinem Leben war ich so vermessen, dañ ich mich Richter gedØnkt hÄtte Øber meine Mitmenschen", war das einzige, was ich hervorbrachte. "Ich danke Ihnen, Meister Pernath", sagte sie warm und schlicht. "Und jetzt hÃren Sie mich geduldig an, ob Sie mir in meiner Verzweiflung nicht helfen oder wenigstens einen Rat geben kÃnnen." - Ich fØhlte, wie eine wilde Angst sie packte, und hÃrte ihre Stimme zittern. - "Damals - - im Atelier - - - damals brach die schreckliche Gewiñheit Øber mich herein, dañ jener grauenhafte Oger mir mit Vorbedacht nachgespØrt hat. - Schon durch Monate war mir aufgefallen, dañ, wohin ich auch immer ging, - ob allein, oder mit meinem Gatten, oder mit - - - mit - mit Dr. Savioli, - stets das entsetzliche Verbrechergesicht dieses TrÃdlers irgendwo in der NÄhe auftauchte. Im Schlaf und im Wachen verfolgten mich seine schielenden Augen. Noch macht sich ja kein Zeichen bemerkbar, was er vorhat, aber um so qualvoller drosselt mich nachts die Angst: wann wirft er mir die Schlinge um den Hals! Anfangs wollte mich Dr. Savioli damit beruhigen, was denn so ein armseliger TrÃdler wie dieser Aaron Wassertrum Øberhaupt vermÃchte - schlimmsten Falles kÃnnte es sich nur um eine geringfØgige Erpressung oder dergleichen handeln, aber jedesmal wurden seine Lippen weiñ, wenn der Name Wassertrum fiel. Ich ahne: Dr. Savioli hÄlt mir etwas geheim, um mich zu beruhigen, - irgend etwas Furchtbares, was ihn oder mich das Leben kosten kann. Und dann erfuhr ich, was er mir sorgsam verheimlichen wollte: dañ ihn der TrÃdler mehrere Male des Nachts in seiner Wohnung besucht hat! - Ich weiñ es, ich spØre es in jeder Faser meines KÃrpers: es geht etwas vor, das sich langsam um uns zusammenzieht wie die Ringe einer Schlange. - Was hat dieser MÃrder dort zu suchen? Warum kann Dr. Savioli ihn nicht abschØtteln? Nein, nein, ich sehe das nicht lÄnger mit an; ich muñ etwas tun. Irgend etwas, ehe es mich in den Wahnsinn treibt." Ich wollte ihr ein paar Worte des Trostes entgegnen, aber sie lieñ mich nicht zu Ende sprechen. "Und in den letzten Tagen nahm der Alp, der mich zu erwØrgen droht, immer greifbarere Formen an. Dr. Savioli ist plÃtzlich erkrankt, - ich kann mich nicht mehr mit ihm verstÄndigen - darf ihn nicht besuchen, wenn ich nicht stØndlich gewÄrtigen soll, dañ meine Liebe zu ihm entdeckt wird -; er liegt in Delirien, und das einzige, was ich erkunden konnte, ist, dañ er sich im Fieber von einem Scheusal verfolgt wÄhnt, dessen Lippen von einer Hasenscharte gespalten sind: - Aaron Wassertrum! Ich weiñ, wie mutig Dr. Savioli ist; um so entsetzlicher - kÃnnen Sie sich das vorstellen? - wirkt es auf mich, ihn jetzt gelÄhmt vor einer Gefahr, die ich selbst nur wie die dunkle NÄhe eines grauenhaften WØrgengels empfinde, zusammengebrochen zu sehen. Sie werden sagen, ich sei feige, und warum ich mich denn nicht offen zu Dr. Savioli bekenne, alles von mir wØrfe, wenn ich ihn doch so liebe -: alles, Reichtum, Ehre, Ruf und so weiter, aber -" sie schrie es fÃrmlich heraus, dañ es widerhallte von den Chorgalerien, - "ich kann nicht! - Ich hab' doch mein Kind, mein liebes, blondes, kleines MÄdel! Ich kann doch mein Kind nicht hergeben! - Glauben Sie denn, mein Mann lieñe es mir?! Da, da, nehmen Sie das, Meister Pernath" - sie riñ im Wahnwitz ein TÄschchen auf, das vollgestopft war mit PerlenschnØren und Edelsteinen - "und bringen Sie es dem Verbrecher; - ich weiñ, er ist habsØchtig - er soll sich alles holen, was ich besitze, aber mein Kind soll er mir lassen. - Nicht wahr, er wird schweigen? - So reden Sie doch um Jesu Christi willen, sagen Sie nur ein Wort, dañ Sie mir helfen wollen!" Es gelang mir mit grÃñter MØhe, die Rasende wenigstens so weit zu beruhigen, dañ sie sich auf eine Bank niederlieñ. Ich sprach zu ihr, wie es mir der Augenblick eingab. Wirre, zusammenhanglose SÄtze. Gedanken jagten dabei in meinem Hirn, so dañ ich selbst kaum verstand, was mein Mund redete, - Ideen phantastischer Art, die zusammenbrachen, kaum dañ sie geboren waren. Geistesabwesend haftete mein Blick auf einer bemalten MÃnchsstatue in der Wandnische. Ich redete und redete. AllmÄhlich verwandelten sich die ZØge der Statue, die Kutte wurde ein fadenscheiniger øberzieher mit hochgeklapptem Kragen, und ein jugendliches Gesicht mit abgezehrten Wangen und hektischen Flecken wuchs daraus empor. Ehe ich die Vision verstehen konnte, war der MÃnch wieder da. Meine Pulse schlugen zu laut. Die unglØckliche Frau hatte sich Øber meine Hand gebeugt und weinte still. Ich gab ihr von der Kraft, die in mich eingezogen war in der Stunde, als ich den Brief gelesen hatte, und mich jetzt abermals ØbermÄchtig erfØllte, und ich sah, wie sie langsam daran genas. "Ich will Ihnen sagen, warum ich mich gerade an Sie gewendet habe, Meister Pernath", fing sie nach langem Schweigen leise wieder an. "Es waren ein paar Worte, die Sie mir einmal gesagt haben - und die ich nie vergessen konnte die vielen Jahre hindurch - -" Vor vielen Jahren? Mir gerann das Blut. "- - Sie nahmen Abschied von mir - ich weiñ nicht mehr, weshalb und wieso, ich war ja noch ein Kind, - und Sie sagten so freundlich und doch so traurig: 'Es wird wohl nie die Zeit kommen, aber gedenken Sie meiner, wenn Sie je im Leben nicht aus noch ein wissen. Vielleicht gibt mir Gott der Herr, dañ ich es dann sein darf, der Ihnen hilft.' - Ich habe mich damals abgewendet und rasch meinen Ball in den Springbrunnen fallen lassen, damit Sie meine TrÄnen nicht sehen sollten. Und dann wollte ich Ihnen das rote Korallenherz schenken, das ich an einem Seidenband um den Hals trug, aber ich schÄmte mich, weil das gar so lÄcherlich gewesen wÄre." - - - Erinnerung! - Die Finger des Starrkrampfes tasteten nach meiner Kehle. Ein Schimmer wie aus einem vergessenen, fernen Land der Sehnsucht trat vor mich - unvermittelt und schreckhaft: Ein kleines MÄdchen in weiñem Kleid und ringsum die dunkle Wiese eines Schloñparks, von alten Ulmen umsÄumt. Deutlich sah ich es wieder vor mir. - - 0x01 graphic Ich muñte mich verfÄrbt haben; ich merkte es an der Hast, mit der sie fortfuhr: "Ich weiñ ja, dañ Ihre Worte damals nur der Stimmung des Abschieds entsprangen, aber sie waren mir oft ein Trost und - und ich danke Ihnen dafØr." Mit aller Kraft biñ ich die ZÄhne zusammen und jagte den heulenden Schmerz, der mich zerfetzte, in die Brust zurØck. Ich verstand: Eine gnÄdige Hand war es gewesen, die die Riegel vor meiner Erinnerung zugeschoben hatte. Klar stand jetzt in meinem Bewuñtsein geschrieben, was ein kurzer Schimmer aus alten Tagen herØbergetragen: Eine Liebe, die fØr mein Herz zu stark gewesen, hatte fØr Jahre mein Denken zernagt, und die Nacht des Irrsinns war damals der Balsam fØr meinen wunden Geist geworden. AllmÄhlich senkte sich die Ruhe des Erstorbenseins Øber mich und kØhlte die TrÄnen hinter meinen Augenlidern. Der Hall von Glocken zog ernst und stolz durch den Dom, und ich konnte freudig lÄchelnd der in die Augen sehen, die gekommen war, Hilfe bei mir zu suchen. 0x01 graphic Wieder hÃrte ich das dumpfe Fallen des Wagenschlags und das Trappen der Hufe. - - - 0x01 graphic Durch nachtblauglitzernden Schnee ging ich hinab in die Stadt. Die Laternen staunten mich an mit zwinkernden Augen, und aus geschichteten Bergen von TannenbÄumen raunte es von Flitter und silbernen NØssen und vom kommenden Christfest. Auf dem Rathausplatz an der MariensÄule murmelten bei Kerzenglanz die alten Bettelweiber mit den grauen KopftØchern der Muttergottes ihren Rosenkranz. Vor dem dunklen Eingang zur Judenstadt hockten die Buden des Weihnachtsmarktes. Mitten darin, mit rotem Tuch bespannt, leuchtete grell, von schwelenden Fackeln beschienen, die offene BØhne eines Marionettentheaters. Zwakhs Policcinell in Purpur und Violett, die Peitsche in der Hand und daran an der Schnur einen TotenschÄdel, ritt klappernd auf hÃlzernem Schimmel Øber die Bretter. In Reihen fest aneinander gedrÄngt starrten die Kleinen - die PelzmØtzen tief Øber die Ohren gezogen - mit offenem Munde hinauf und lauschten gebannt den Versen des Prager Dichters Oskar Wiener, die mein Freund Zwakh da drinnen im Kasten sprach: "Ganz vorne schritt ein Hampelmann, Der Kerl war mager wie ein Dichter Und hatte bunte Lappen an Und torkelte und schnitt Gesichter." - - - 0x01 graphic Ich bog in die Gasse ein, die schwarz und winklig auf den Platz mØndete. Dicht, Kopf an Kopf, stand lautlos eine Menschenmenge da in der Finsternis vor einem Anschlagzettel. Ein Mann hatte ein Streichholz angezØndet, und ich konnte einige Zeilen bruchstØckweise lesen. Mit dumpfen Sinnen nahm mein Bewuñtsein ein paar Worte auf: Vermiñt! 1000 fl Belohnung älterer Herr... schwarz gekleidet... ......... Signalement: ... fleischiges, glattrasiertes Gesicht...... ...... Haarfarbe: weiñ......... .. Polizeidirektion... Zimmer Nr.... Wunschlos, teilnahmslos, ein lebender Leichnam, ging ich langsam hinein in die lichtlosen HÄuserreihen. Eine Handvoll winziger Sterne glitzerte auf dem schmalen, dunklen Himmelsweg Øber den Giebeln. Friedvoll schweiften meine Gedanken zurØck in den Dom, und die Ruhe meiner Seele wurde noch beseligender und tiefer, da drang vom Platz herØber, schneidend klar - als stØnde sie dicht an meinem Ohr - die Stimme des Marionettenspielers durch die Winterluft: "Wo ist das Herz aus rotem Stein? Es hing an einem Seidenbande Und funkelte im FrØhrotschein." - - - Spuk Bis tief in die Nacht hatte ich ruhelos mein Zimmer durchmessen und mir das Gehirn zermartert, wie ich "ihr" Hilfe bringen kÃnnte. Oft war ich nahe daran gewesen, hinunter zu Schemajah Hillel zu gehen, ihm zu erzÄhlen, was mir anvertraut worden, und ihn um Rat zu bitten. Aber jedesmal verwarf ich den Entschluñ. Er stand im Geist so riesengroñ vor mir, dañ es eine Entweihung schien, ihn mit Dingen, die das Äuñere Leben betrafen, zu behelligen, dann wieder kamen Momente, wo mich brennende Zweifel befielen, ob ich in Wirklichkeit alles das erlebt hÄtte, was nur eine kurze Spanne Zeit zurØcklag und doch so seltsam verblañt schien, verglichen mit den lebenstrotzenden Erlebnissen des verflossenen Tages. Hatte ich nicht doch getrÄumt? Durfte ich - ein Mensch, dem das UnerhÃrte geschehen war, dañ er seine Vergangenheit vergessen hatte, - auch nur eine Sekunde lang als Gewiñheit annehmen, wofØr als einziger Zeuge bloñ meine Erinnerung die Hand aufhob? Mein Blick fiel auf die Kerze Hillels, die immer noch auf dem Sessel lag. Gott sei Dank, wenigstens das eine stand fest: ich war mit ihm in persÃnlicher BerØhrung gewesen! Sollte ich nicht ohne Besinnen hinunterlaufen zu ihm, seine Knie umfassen und wie Mensch zu Mensch ihm klagen, dañ ein unsÄgliches Weh an meinem Herzen frañ? Schon hielt ich die Klinke in der Hand, da lieñ ich wieder los; ich sah voraus, was kommen wØrde: Hillel wØrde mir mild Øber die Augen fahren und - - - nein, nein, nur das nicht! Ich hatte kein Recht, Linderung zu begehren. "Sie" vertraute auf mich und meine Hilfe, und wenn die Gefahr, in der sie sich fØhlte, mir in Momenten auch klein und nichtig erscheinen mochte, - sie empfand sie sicherlich als riesengroñ! Hillel um Rat zu bitten, blieb morgen Zeit - ich zwang mich, kalt und nØchtern zu denken; - ihn jetzt - mitten in der Nacht zu stÃren? - es ging nicht an. So wØrde nur ein VerrØckter handeln. Ich wollte die Lampe anzØnden; dann lieñ ich es wieder sein: der Abglanz des Mondlichts fiel von den DÄchern gegenØber herein in mein Zimmer und gab mehr Helle, als ich brauchte. Und ich fØrchtete, die Nacht kÃnnte noch langsamer vergehen, wenn ich Licht machte. Es lag so viel Hoffnungslosigkeit in dem Gedanken, die Lampe anzuzØnden, nur um den Tag zu erwarten, - eine leise Angst sagte mir, der Morgen rØcke dadurch in unerlebbare Ferne. Ich trat ans Fenster: Wie ein gespenstischer, in der Luft schwebender Friedhof lagen die Reihen verschnÃrkelter Giebel dort oben - Leichensteine mit verwitterten Jahreszahlen, getØrmt Øber die dunklen ModergrØfte, diese "WohnstÄtten", darein sich das Gewimmel der Lebenden HÃhlen und GÄnge genagt. Lange stand ich so und starrte hinauf, bis ich mich leise, ganz leise zu wundern begann, warum ich denn nicht aufschrÄke, wo doch ein GerÄusch von verhaltenen Schritten durch die Mauern neben mir deutlich an mein Ohr drang. Ich horchte hin: Kein Zweifel, wieder ging da ein Mensch. Das kurze ächzen der Dielen verriet, wie seine Sohle zÃgernd schlich. Mit einem Schlage war ich ganz bei mir. Ich wurde fÃrmlich kleiner, so preñte sich alles in mir zusammen unter dem Druck des Willens, zu hÃren. Jedes Zeitempfinden gerann zu Gegenwart. Noch ein rasches Knistern, das vor sich selbst erschrak und hastig abbrach. Dann Totenstille. Jene lauernde, grauenhafte Stille, die ihr eigener VerrÄter ist und Minuten ins Ungeheuerliche wachsen macht. Regungslos stand ich, das Ohr an die Wand gedrØckt, das drohende GefØhl in der Kehle, dañ drØben einer stand, genauso wie ich und dasselbe tat. Ich lauschte und lauschte: Nichts. Der Atelierraum nebenan schien wie abgestorben. Lautlos - auf den Zehenspitzen - stahl ich mich an den Sessel bei meinem Bett, nahm Hillels Kerze und zØndete sie an. Dann Øberlegte ich: Die eiserne SpeichertØre drauñen auf dem Gang, die zum Atelier Saviolis fØhrte, ging nur von drØben aufzuklinken. Aufs Geratewohl ergriff ich ein hakenfÃrmiges StØck Draht, das unter meinen Graviersticheln auf dem Tische lag: derlei SchlÃsser springen leicht auf. Schon beim ersten Druck auf die Riegelfeder! Und was wØrde dann geschehen? Nur Aaron Wassertrum konnte es sein, der da nebenan spionierte, - vielleicht in KÄsten wØhlte, um neue Waffen und Beweise in die Hand zu bekommen, legte ich mir zurecht. Ob es viel nØtzen wØrde, wenn ich dazwischen trat? Ich besann mich nicht lang: handeln, nicht denken! Nur dies furchtbare Warten auf den Morgen zerfetzen! Und schon stand ich vor der eisernen BodentØre, drØckte dagegen, schob vorsichtig den Haken ins Schloñ und horchte. Richtig: Ein schleifendes GerÄuch drinnen im Atelier, wie wenn jemand eine Schublade aufzieht. Im nÄchsten Augenblick schnellte der Riegel zurØck. Ich konnte das Zimmer Øberblicken und sah, obwohl es fast finster war und meine Kerze mich nur blendete, wie ein Mann in langem schwarzem Mantel entsetzt vor einem Schreibtisch aufsprang, - eine Sekunde lang unschlØssig, wohin sich wenden, - eine Bewegung machte, als wolle er auf mich losstØrzen, sich dann den Hut vom Kopf riñ und hastig damit sein Gesicht bedeckte. "Was suchen Sie hier!" wollte ich rufen, doch der Mann kam mir zuvor: "Pernath! Sie sind's? Gotteswillen! Das Licht weg!" Die Stimme kam mir bekannt vor, war aber keinesfalls die des TrÃdlers Wassertrum. Automatisch blies ich die Kerze aus. Das Zimmer lag halbdunkel da - nur von dem schimmrigen Dunst, der aus der Fensternische hereindrang, matt erhellt - genau wie meines, und ich muñte meine Augen aufs Äuñerste anstrengen, ehe ich in dem abgezehrten, hektischen Gesicht, das plÃtzlich Øber dem Mantel auftauchte, die ZØge des Studenten Charousek erkennen konnte. "Der MÃnch!" drÄngte es sich mir auf die Zunge und ich verstand mit einem Mal die Vision, die ich gestern im Dom gehabt! Charousek! Das war der Mann, an den ich mich wenden sollte! - Und ich hÃrte seine Worte wieder, die er damals im Regen unter dem Torbogen gesagt hatte: "Aaron Wassertrum wird es schon erfahren, dañ man mit vergifteten, unsichtbaren Nadeln durch Mauern stechen kann. Genau an dem Tage, an dem er Dr. Savioli an den Hals will." Hatte ich an Charousek einen Bundesgenossen? Wuñte er ebenfalls, was sich zugetragen? Sein Hiersein zu so ungewÃhnlicher Stunde lieñ fast darauf schlieñen, aber ich scheute mich, die direkte Frage an ihn zu richten. Er war ans Fenster geeilt und spÄhte hinter dem Vorhang hinunter auf die Gasse. Ich erriet: er fØrchtete, Wassertrum kÃnne den Lichtschein meiner Kerze wahrgenommen haben. "Sie denken gewiñ, ich sei ein Dieb, dañ ich nachts hier in einer fremden Wohnung herumsuche, Meister Pernath," fing er nach langem Schweigen mit unsicherer Stimme an, "aber ich schwÃre Ihnen - -" Ich fiel ihm sofort in die Rede und beruhigte ihn. Und um ihm zu zeigen, dañ ich keinerlei Miñtrauen gegen ihn hegte, in ihm vielmehr einen Bundesgenossen sah, erzÄhlte ich ihm mit kleinen EinschrÄnkungen, die ich fØr nÃtig hielt, welche Bewandtnis es mit dem Atelier habe, und dañ ich fØrchte, eine Frau, die mir nahestehe, sei in Gefahr, den erpresserischen GelØsten des TrÃdlers in irgendwelcher Art zum Opfer zu fallen. Aus der hÃflichen Weise, mit der er mir zuhÃrte, ohne mich mit Fragen zu unterbrechen, entnahm ich, dañ er das meiste bereits wuñte, wenn auch vielleicht nicht in Einzelheiten. "Es stimmt schon", sagte er grØbelnd, als ich zu Ende gekommen war. "Habe ich mich also doch nicht geirrt! Der Kerl will Savioli an die Gurgel fahren, das ist klar, aber offenbar hat er noch nicht genug Material beisammen. Weshalb wØrde er sich sonst noch hier immerwÄhrend herumdrØcken! Ich ging nÄmlich gestern, sagen wir mal: 'zufÄllig' durch die Hahnpañgasse," erklarte er, als er meine fragende Miene bemerkte, "da fiel mir auf, dañ Wassertrum erst lange - scheinbar unbefangen - vor dem Tor unten auf und ab schlenderte, dann aber, als er sich unbeobachtet glaubte, rasch ins Haus bog. Ich ging ihm sofort nach und tat so, als wollte ich Sie besuchen, das heiñt, ich klopfte bei Ihnen an, und dabei Øberraschte ich ihn, wie er drauñen an der eisernen BodentØr mit einem SchlØssel herumhantierte. NatØrlich gab er es augenblicklich auf, als ich kam, und klopfte ebenfalls als Vorwand bei Ihnen an. Sie schienen Øbrigens nicht zu Hause gewesen zu sein, denn es Ãffnete niemand. Als ich mich dann vorsichtig in der Judenstadt erkundigte, erfuhr ich, dañ jemand, der nach den Schilderungen nur Dr. Savioli sein konnte, hier heimlich ein Absteigequartier besÄñe. Da Dr. Savioli schwerkrank liegt, reimte ich mir das Øbrige zurecht. Sehen Sie: und das da habe ich aus den Schubladen zusammengesucht, um Wassertrum fØr alle FÄlle zuvorzukommen", schloñ Charousek und deutete auf ein Paket Briefe auf dem Schreibtisch; "es ist alles, was ich an SchriftstØcken finden konnte. Hoffentlich ist sonst nichts mehr vorhanden. Wenigstens habe ich in sÄmtlichen Truhen und SchrÄnken gestÃbert, so gut das in der Finsternis ging." Meine Augen durchforschten bei seiner Rede das Zimmer und blieben unwillkØrlich auf einer FalltØre am Boden haften. Ich entsann mich dabei dunkel, dañ Zwakh mir irgendwann erzÄhlt hatte, ein geheimer Zugang fØhre von unten herauf ins Atelier. Es war eine viereckige Platte mit einem Ring daran als Griff. "Wo sollen wir die Briefe aufheben?", fing Charousek wieder an. "Sie, Herr Pernath, und ich sind wohl die einzigen im ganzen Getto, die Wassertrum harmlos vorkommen, - warum gerade ich, das - hat - seine - besonderen - GrØnde", - (ich sah, dañ sich seine ZØge in wildem Hañ verzerrten, wie er so den letzten Satz fÃrmlich zerbiñ -) "und Sie halt er fØr - -" Charousek erstickte das Wort "verrØckt" mit einem raschen, erkØnstelten Husten, aber ich erriet, was er hatte sagen wollen. Es tat mir nicht weh; das GefØhl, "ihr" helfen zu kÃnnen, machte mich so glØckselig, dañ jede Empfindlichkeit ausgelÃscht war. Wir kamen schlieñlich Øberein, das Paket bei mir zu verstecken, und gingen hinØber in meine Kammer. 0x01 graphic Charousek war lÄngst fort, aber immer noch konnte ich mich nicht entschlieñen, zu Bette zu gehen. Eine gewisse innere Unzufriedenheit nagte an mir und hielt mich davon ab. Irgend etwas sollte ich noch tun, fØhlte ich, aber was? was? Einen Plan fØr den Studenten entwerfen, was weiter zu geschehen hÄtte? Das allein konnte es nicht sein. Charousek lieñ den TrÃdler sowieso nicht aus den Augen, darØber bestand kein Zweifel. Ich schauderte, wenn ich an den Hañ dachte, der aus seinen Worten geweht hatte. Was ihm Wassertrum wohl angetan haben mochte? Die seltsame innere Unruhe in mir wuchs und brachte mich fast zur Verzweiflung. Ein Unsichtbares, Jenseitiges rief nach mir, und ich verstand nicht. Ich kam mir vor wie ein Gaul, der dressiert wird, das Reiñen am ZØgel spØrt und nicht weiñ, welches KunststØck er machen soll, den Willen seines Herrn nicht erfañt. Hinuntergehen zu Schemajah Hillel? Jede Faser in mir verneinte. Die Vision des MÃnchs in der Domkirche, auf dessen Schultern gestern der Kopf Charouseks aufgetaucht war als Antwort auf eine stumme Bitte um Rat, gab mir Fingerzeig genug, von nun an dumpfe GefØhle nicht ohne weiteres zu verachten. Geheime KrÄfte keimten in mir auf seit geraumer Zeit, das war gewiñ: ich empfand es zu ØbermÄchtig, als dañ ich auch nur den Versuch gemacht hÄtte, es wegzuleugnen. Buchstaben zu empfinden, sie nicht nur mit den Augen in BØchern zu lesen, - einen Dolmetsch in mir selbst aufzustellen, der mir Øbersetzt, was die Instinkte ohne Worte raunen, darin muñ der SchlØssel liegen, sich mit dem eigenen Innern durch klare Sprache zu verstÄndigen, begriff ich. "Sie haben Augen und sehen nicht; sie haben Ohren und hÃren nicht", fiel mir eine Bibelstelle wie eine ErklÄrung dazu ein. "SchlØssel, SchlØssel, SchlØssel", wiederholten mechanisch meine Lippen, derweilen mir der Geist jene sonderbaren Ideen vorgaukelte, bemerkte ich plÃtzlich. "SchlØssel, SchlØssel - -?" Mein Blick fiel auf den krummen Draht in meiner Hand, der mir vorhin zum ãffnen der SpeichertØre gedient hatte, und eine heiñe Neugier, wohin wohl die viereckige FalltØr aus dem Atelier fØhren kÃnnte, peitschte mich auf. Und ohne zu Øberlegen, ging ich nochmals hinØber in Saviolis Atelier und zog an dem Griffring der FalltØre, bis es mir schlieñlich gelang, die Platte zu heben. Zuerst nichts als Dunkelheit. Dann sah ich: Schmale, steile Stufen liefen hinab in tiefste Finsternis. Ich stieg hinunter. Eine Zeitlang tastete ich mich mit den HÄnden die Mauern entlang, aber es wollte kein Ende nehmen: Nischen, feucht von Schimmel und Moder, - Windungen, Ecken und Winkel, - GÄnge geradeaus, nach links und nach rechts, Reste einer alten HolztØre, Wegteilungen und dann wieder Stufen, Stufen, Stufen hinauf und hinab. Matter, erstickender Geruch nach Schwamm und Erde Øberall. Und noch immer kein Lichtstrahl. - Wenn ich nur Hillels Kerze mitgenommen hÄtte! Endlich flacher, ebener Weg. Aus dem Knirschen unter meinen FØñen schloñ ich, dañ ich auf trockenem Sand dahinschritt. Es konnte nur einer jener zahllosen GÄnge sein, die scheinbar ohne Zweck und Ziel unter dem Getto hinfØhren bis zum Fluñ. Ich wunderte mich nicht: die halbe Stadt stand doch seit unvordenklichen Zeiten auf solchen unterirdischen LÄuften, und die Bewohner Prags hatten von jeher triftigen Grund, das Tageslicht zu scheuen. Das Fehlen jeglichen GerÄuschs zu meinen HÄupten sagte mir, dañ ich mich immer noch in der Gegend des Judenviertels, das nachts wie ausgestorben ist, befinden muñte, obwohl ich schon eine Ewigkeit gewandert war. Belebtere Strañen oder PlÄtze Øber mir hÄtten sich durch fernes Wagenrasseln verraten. Eine Sekunde lang wØrgte mich die Furcht: was, wenn ich im Kreise herumging!? In ein Loch stØrzte, mich verletzte, ein Bein brach und nicht mehr weiter gehen konnte?! Was geschah dann mit ihren Briefen in meiner Kammer? Sie muñten unfehlbar Wassertrum in die HÄnde fallen. Der Gedanke an Schemajah Hillel, mit dem ich vag den Begriff eines Helfers und FØhrers verknØpfte, beruhigte mich unwillkØrlich. Vorsichtshalber ging ich aber doch langsamer und tastenden Schrittes und hielt den Arm in die HÃhe, um nicht unversehens mit dem Kopf anzurennen, falls der Gang niedriger wØrde. Von Zeit zu Zeit, dann immer Ãfter stieñ ich oben mit der Hand an, und endlich senkte sich das Gestein so tief herab, dañ ich mich bØcken muñte, um durchzukommen. PÃtzlich fuhr ich mit dem erhobenen Arm in einen leeren Raum. Ich blieb stehen und starrte hinauf. Nach und nach schien es mir, als falle von der Decke ein leiser, kaum merklicher Schimmer von Licht. MØndete hier ein Schacht, vielleicht aus irgendeinem Keller herunter? Ich richtete mich auf und tastete mit beiden HÄnden in KopfeshÃhe um mich herum: die ãffnung war genau viereckig und ausgemauert. AllmÄhlich konnte ich darin als Abschluñ die schattenhaften Umrisse eines wagerechten Kreuzes unterscheiden, und endlich gelang es mir, seine StÄbe zu erfassen, mich daran emporzuziehen und hindurchzuzwÄngen. Ich stand jetzt auf dem Kreuz und orientierte mich. Offenbar endeten hier die øberbleibsel einer eisernen Wendeltreppe, wenn mich das GefØhl meiner Finger nicht tÄuschte? Lang, unsagbar lang muñte ich tappen, bis ich die zweite Stufe finden konnte, dann klomm ich empor. Es waren im ganzen acht Stufen. Eine jede fast in MannshÃhe Øber der andern. Sonderbar: die Treppe stieñ oben gegen eine Art horizontalen GetÄfels, das aus regelmÄñigen, sich schneidenden Linien den Lichtschein herabschimmern lieñ, den ich schon weiter unten im Gang bemerkt hatte! Ich duckte mich, so tief ich konnte, um aus etwas weiterer Entfernung besser unterscheiden zu kÃnnen, wie die Linien verliefen, und sah zu meinem Erstaunen, dañ sie genau die Form eines Sechsecks, wie man es auf den Synagogen findet, bildeten. Was mochte das nur sein? PlÃtzlich kam ich dahinter: es war eine FalltØr, die an den Kanten Licht durchlieñ! Eine FalltØr aus Holz in Gestalt eines Sternes. Ich stemmte mich mit den Schultern gegen die Platte, drØckte sie aufwÄrts und stand im nÄchsten Moment in einem Gemach, das von grellem Mondschein erfØllt war. Es war ziemlich klein, vollstÄndig leer bis auf einen Haufen Gerumpel in der Ecke und hatte nur ein einziges, stark vergittertes Fenster. Eine TØre oder sonst einen Zugang mit Ausnahme dessen, den ich soeben benØtzt, vermochte ich nicht zu entdecken, so genau ich auch die Mauern immer wieder von neuem absuchte. Die GitterstÄbe des Fensters standen zu eng, als dañ ich den Kopf hÄtte durchstecken kÃnnen, so viel aber sah ich: Das Zimmer befand sich ungefÄhr in der HÃhe eines dritten Stockwerks, denn die HÄuser gegenØber hatten nur zwei Etagen und lagen wesentlich tiefer. Das eine Ufer der Strañe unten war fØr mich noch knapp sichtbar, aber infolge des blendenden Mondlichts, das mir voll ins Gesicht schien, in tiefe Schlagschatten getaucht, die es mir unmÃglich machten, Einzelheiten zu unterscheiden. Zum Judenviertel muñte die Gasse unbedingt gehÃren, denn die Fenster drØben waren sÄmtlich vermauert oder aus Simsen im Bau angedeutet, und nur im Getto kehren die HÄuser einander so seltsam den RØcken. Vergebens quÄlte ich mich ab herauszubringen was das wohl fØr ein sonderbares Bauwerk sein mochte, in dem ich mich befand. Sollte es vielleicht ein aufgelassenes SeitentØrmchen der griechischen Kirche sein? Oder gehÃrte es irgendwie zur Altneusynagoge? Die Umgebung stimmte nicht. Wieder sah ich mich im Zimmer um: nichts, was mir auch nur den kleinsten Aufschluñ gegeben hÄtte. - Die WÄnde und die Decke waren kahl, Bewurf und Kalk lÄngst abgefallen und weder NagellÃcher, noch NÄgel, die verraten hÄtten, dañ der Raum einst bewohnt gewesen. Der Boden lag fuñhoch bedeckt mit Staub, als hÄtte ihn seit Jahrzehnten kein lebendes Wesen betreten. Das GerØmpel in der Ecke zu durchsuchen, ekelte ich mich. Es lag in tiefer Finsternis, und ich konnte nicht unterscheiden, woraus es bestand. Dem Äuñeren Eindruck nach schienen es Lumpen zu einem KnÄuel geballt. Oder waren es ein paar alte, schwarze Handkoffer? Ich tastete mit dem Fuñ hin, und es gelang mir, mit dem Absatz einen Teil davon in die NÄhe des Lichtstreifens zu ziehen, den der Mond quer Øbers Zimmer warf. Es schien wie ein breites, dunkles Band, das sich da langsam aufrollte. Ein blitzender Punkt wie ein Auge! Ein Metallknopf vielleicht? AllmÄhlich wurde mir klar: ein ärmel von sonderbarem, altmodischem Schnitt hing da aus dem BØndel heraus. Und eine kleine weiñe Schachtel, oder dergleichen lag darunter, lockerte sich unter meinem Fuñ und zerfiel in eine Menge fleckiger Schichten. Ich gab ihr einen leichten Stoñ: Ein Blatt flog ins Helle. Ein Bild? Ich bØckte mich: ein Pagad! Was mir eine weiñe Schachtel geschienen, war ein Tarockspiel. Ich hob es auf. Konnte es etwas LÄcherlicheres geben: Ein Kartenspiel hier an diesem gespenstischen Ort! MerkwØrdig, dañ ich mich zum LÄcheln zwingen muñte. Ein leises GefØhl von Grauen beschlich mich. Ich suchte nach einer banalen ErklÄrung, wie die Karten wohl hierhergekommen sein kÃnnten, und zÄhlte dabei mechanisch das Spiel. Es war vollstÄndig: 78 StØck. Aber schon wÄhrend des ZÄhlens fiel mir etwas auf: Die BlÄtter waren wie aus Eis. Eine lÄhmende KÄlte ging von ihnen aus, und wie ich das Paket geschlossen in der Hand hielt, konnte ich es kaum mehr loslassen: so erstarrt waren meine Finger. Wieder haschte ich nach einer nØchternen ErklÄrung: Mein dØnner Anzug, die lange Wanderung ohne Mantel und Hut in den unterirdischen GÄngen, die grimmige Winternacht, die SteinwÄnde, der entsetzliche Frost, der mit dem Mondlicht durchs Fenster hereinfloñ: - sonderbar genug, dañ ich erst jetzt anfing zu frieren. Die Erregung, in der ich mich die ganze Zeit befunden, muñte mich darØber hinweggetÄuscht haben. - Ein Schauer nach dem andern jagte mir Øber die Haut. Schicht um Schicht drangen sie tiefer, immer tiefer in meinen KÃrper ein. Ich fØhlte mein Skelett zu Eis werden und wurde mir jedes einzelnen Knochens bewuñt wie kalter Metallstangen, an denen mir das Fleisch festfror. Kein Umherlaufen half, kein Stampfen mit den FØñen und nicht das Schlagen mit den Armen. Ich biñ die ZÄhne zusammen, um ihr Klappern nicht zu hÃren. Das ist der Tod, sagte ich mir, der dir die kalten HÄnde auf den Scheitel legt. Und ich wehrte mich wie ein Rasender gegen den betÄubenden Schlaf des Erfrierens, der, wollig und erstickend, mich wie mit einem Mantel einhØllen kam. Die Briefe, in meiner Kammer - ihre Briefe! brØllte es in mir auf: man wird sie finden, wenn ich hier sterbe. Und sie hofft auf mich! Hat ihre Rettung in meine HÄnde gelegt! - Hilfe! - Hilfe! Hilfe! - Und ich schrie durch das Fenstergitter hinunter auf die Ãde Gasse, dañ es widerhallte: Hilfe, Hilfe, Hilfe! Warf mich zu Boden und sprang wieder auf. Ich durfte nicht sterben, durfte nicht! ihretwegen, nur ihretwegen! Und wenn ich Funken aus meinen Knochen schlagen sollte, um mich zu erwÄrmen. Da fiel mein Blick auf die Lumpen in der Ecke, und ich stØrzte darauf zu und zog sie mit schlotternden HÄnden Øber meine Kleider. Es war ein zerschlissener Anzug aus dickem, dunklem Tuch von uraltmodischem, seltsamem Schnitt. Ein Geruch nach Moder ging von ihm aus. Dann kauerte ich mich in dem gegenØberliegenden Mauerwinkel zusammen und spØrte meine Haut langsam, langsam wÄrmer werden. Nur das schauerliche GefØhl des eigenen, eisigen Gerippes in mir wollte nicht weichen. Regungslos sañ ich da und lieñ meine Augen wandern: die Karte, die ich zuerst gesehen, - der Pagad, - lag noch immer inmitten des Zimmers in dem Lichtstreifen. Unverwandt muñte ich sie anstarren. Sie schien, soweit ich auf die Entfernung hin erkennen konnte, in Wasserfarben ungeschickt von Kinderhand gemalt, und stellte den hebrÄischen Buchstaben Aleph dar, in Form eines Mannes, altfrÄnkisch gekleidet, den grauen Spitzbart kurz geschnitten und den linken Arm erhoben, wÄhrend der andere abwÄrts deutete. Hatte das Gesicht des Mannes nicht eine seltsame ähnlichkeit mit meinem, dÄmmerte mir ein Verdacht auf? - Der Bart - er pañte so gar nicht zu einem Pagad, - - ich kroch auf die Karte zu und warf sie in die Ecke zu dem Rest des GerØmpels, um den quÄlenden Anblick los zu sein. Dort lag sie jetzt und schimmerte - ein grauweiñer, unbestimmter Fleck - zu mir herØber aus dem Dunkel. Mit Gewalt zwang ich mich zu Øberlegen, was ich zu beginnen hÄtte, um wieder in meine Wohnung zu kommen: Den Morgen abwarten! Unten die VorØbergehenden vom Fenster aus anrufen, damit sie mir von auñen mit einer Leiter Kerzen oder eine Laterne heraufbrÄchten! - Ohne Licht die endlosen, sich ewig kreuzenden GÄnge zurØckzufinden, wØrde mir nie gelingen, empfand ich als beklemmende Gewiñheit. - Oder, falls das Fenster zu hoch lÄge, dañ sich jemand vom Dach mit einem Strick - -? Gott im Himmel, wie ein Blitzstrahl durchfuhr es mich: jetzt wuñte ich, wo ich war: Ein Zimmer ohne Zugang - nur mit einem vergitterten Fenster - das altertØmliche Haus in der Altschulgasse, das jeder mied! - schon einmal vor vielen Jahren hatte sich ein Mensch an einem Strick vom Dach herabgelassen, um durchs Fenster zu schauen, und der Strick war gerissen und - Ja: ich war in dem Haus, in dem der gespenstische Golem jedesmal verschwand! Ein tiefes Grauen, gegen das ich mich vergeblich wehrte, das ich nicht einmal mehr durch die Erinnerung an die Briefe niederkÄmpfen konnte, lÄhmte jedes Weiterdenken und mein Herz fing an, sich zu krampfen. Hastig sagte ich mir vor mit steifen Lippen, es sei nur der Wind, der da so eisig aus der Ecke herØberwehte, sagte es mir vor, schneller und schneller, mit pfeifendem Atem - es half nicht mehr: dort drØben der weiñliche Fleck - die Karte - sie quoll auf zu blasigem Klumpen, tastete sich hin zum Rande des Mondstreifens und kroch wieder zurØck in die Finsternis. - Tropfende Laute - halb gedacht, geahnt, halb wirklich - im Raum und doch auñerhalb um mich herum und doch anderswo, - tief im eigenen Herzen und wieder mitten im Zimmer - erwachten: GerÄusche, wie wenn ein Zirkel fÄllt und mit der Spitze im Holz stecken bleibt! Immer wieder: Der weiñliche Fleck - - - der weiñliche Fleck - -! Eine Karte, eine erbÄrmliche, dumme, alberne Spielkarte ist es, schrie ich mir ins Hirn hinein - - - umsonst - - jetzt hat er sich dennoch - dennoch Gestalt erzwungen - der Pagad - und hockt in der Ecke und stiert herØber zu mir mit meinem eigenen Gesicht. 0x01 graphic Stunden und Stunden kauerte ich da - unbeweglich - in meinem Winkel, ein frosterstarrtes Gerippe in fremden, modrigen Kleidern! - Und er drØben: ich selbst. Stumm und regungslos. So starrten wir uns in die Augen, - einer das grÄñliche Spiegelbild des andern. - - - Ob er es auch sieht, wie sich die Mondstrahlen mit schneckenhafter TrÄgheit Øber den Boden hinsaugen und wie Zeiger eines unsichtbaren Uhrwerks in der Unendlichkeit die Wand emporkriechen und fahler und fahler werden? - Ich bannte ihn fest mit meinem Blick und es half ihm nichts, dañ er sich auflÃsen wollte in dem MorgendÄmmerschein, der ihm vom Fenster her zu Hilfe kam. Ich hielt ihn fest. Schritt vor Schritt habe ich mit ihm gerungen um mein Leben - um das Leben, das mein ist, weil es nicht mehr mir gehÃrt. - - Und wie er kleiner und kleiner wurde und sich bei Tagesgrauen wieder in sein Kartenblatt verkroch, da stand ich auf, ging hinØber zu ihm und steckte ihn in die Tasche - den Pagad. 0x01 graphic Immer noch war die Gasse unten Ãd und menschenleer. Ich durchstÃberte die Zimmerecke, die jetzt im stumpfen Morgenlichte lag: Scherben, dort eine rostige Pfanne, morsche Fetzen, ein Flaschenhals. Tote Dinge und doch so merkwØrdig bekannt. Und auch die Mauern - wie die Risse und SprØnge dann deutlich wurden! - wo hatte ich sie nur gesehen? Ich nahm das KartenpÄckchen zur Hand - es dÄmmerte mir auf: hatte ich die nicht einst selbst bemalt? Als Kind? Vor langer, langer Zeit? Es war ein uraltes Tarockspiel. Mit hebrÄischen Zeichen. - Nummer 12 muñ der "Gehenkte" sein, Øberkam's mich wie halbe Erinnerung. - Mit dem Kopf abwÄrts? Die Arme auf dem RØcken? - Ich blÄtterte nach: Da! Da war er. Dann wieder, halb Traum, halb Gewiñheit, tauchte ein Bild vor mir auf: Ein geschwÄrztes Schulhaus, bucklig, schief, ein mØrrisches HexengebÄude, die linke Schulter hochgezogen, die andere mit einem Nebenhaus verwachsen. - - - Wir sind mehrere halbwØchsige Jungen - ein verlassener Keller ist irgendwo - - - Dann sah ich an meinem KÃrper herab und wurde wieder irre: Der altmodische Anzug war mir vÃllig fremd. Der LÄrm eines holpernden Karrens schreckte mich auf, doch als ich hinabblickte: Keine Menschenseele. Nur ein Fleischerhund stand versonnen an einem Eckstein. Da! Endlich! Stimmen! menschliche Stimmen! Zwei alte Weiber kamen langsam die Strañe dahergetrottet, und ich zwÄngte den Kopf halb durch das Gitter und rief sie an. Mit offenem Mund glotzten sie in die HÃhe und berieten sich. Aber als sie mich sahen, stieñen sie ein gellendes Geschrei aus und liefen davon. Sie haben mich fØr den Golem gehalten, begriff ich. Und ich erwartete, dañ ein Zusammenlauf von Menschen entstehen wØrde, denen ich mich verstÄndlich machen kÃnnte, aber wohl eine Stunde verging, und nur hie und da spÄhte unten vorsichtig ein blasses Gesicht herauf zu mir, um sofort in Todesschreck wieder zurØckzufahren. Sollte ich warten, bis vielleicht nach Stunden oder gar erst morgen Polizisten kamen - die Staatsfalotten, wie Zwakh sie zu nennen pflegte? Nein, lieber wollte ich einen Versuch machen, die unterirdischen GÄnge ein StØck weit auf ihre Richtung hin zu untersuchen. Vielleicht fiel jetzt bei Tag durch Ritzen im Gestein eine Spur von Licht hinab? Ich kletterte die Leiter hinunter, setzte den Weg, den ich gestern gekommen war, fort - Øber ganze Halden zerbrochener Ziegelsteine und durch versunkene Keller - erklomm eine Treppenruine und stand plÃtzlich - - im Hausflur des schwarzen Schulhauses, das ich vorhin wie im Traum gesehen. Sofort stØrzte eine Flutwelle von Erinnerungen auf mich ein: BÄnke, bespritzt mit Tinte von oben bis unten, Rechenhefte, plÄrrender Gesang, ein Junge, der MaikÄfer in der Klasse loslÄñt, LesebØcher mit zerquetschten Butterbroten darin und der Geruch nach Orangenschalen. Jetzt wuñte ich mit Gewiñheit: Ich war einst als Knabe hier gewesen. - Aber ich lieñ mir keine Zeit nachzudenken und eilte heim. Der erste Mensch, der mir in der Salnitergasse begegnete, war ein verwachsener alter Jude mit weiñen SchlÄfenlocken. Kaum hatte er mich erblickt, bedeckte er sein Gesicht mit den HÄnden und heulte laut hebrÄische Gebete herunter. Auf den LÄrm hin muñten wahrscheinlich viele Leute aus ihren HÃhlen gestØrzt sein, denn es brach ein unbeschreibliches Gezeter hinter mir los. Ich drehte mich um und sah ein wimmelndes Heer totenblasser, entsetzenverzerrter Gesichter sich mir nachwÄlzen. Erstaunt blickte ich an mir herunter und verstand: - ich trug noch immer die seltsam mittelalterlichen Kleider von nachts her Øber meinem Anzug, und die Leute glaubten, den "Golem" vor sich zu haben. Rasch lief ich um die Ecke hinter ein Haustor und riñ mir die modrigen Fetzen vom Leibe. Gleich darauf raste die Menge mit geschwungenen StÃcken und geifernden MÄulern schreiend an mir vorØber. Licht Einigemal im Lauf des Tages hatte ich an Hillels TØre geklopft; - es lieñ mir keine Ruhe: ich muñte ihn sprechen und fragen, was alle diese seltsamen Erlebnisse bedeuteten; aber immer hieñ es, er sei noch nicht zu Hause. Sowie er heimkÄme vom jØdischen Rathaus, wollte mich seine Tochter sofort verstÄndigen. - Ein sonderbares MÄdchen Øbrigens, diese Mirjam! Ein Typus, wie ich ihn noch nie gesehen. Eine SchÃnheit, so fremdartig, dañ man sie im ersten Moment gar nicht fassen kann, - eine SchÃnheit, die einen stumm macht, wenn man sie ansieht, und ein unerklÄrliches GefØhl, so etwas, wie leise Mutlosigkeit in einem erweckt. Nach Proportionsgesetzen, die seit Jahrtausenden verlorengegangen sein mØssen, ist dieses Gesicht geformt, grØbelte ich mir zurecht, wie ich es so im Geiste wieder vor mir sah. Und ich dachte nach, welchen Edelstein ich wÄhlen mØñte, um es als Gemme festzuhalten und dabei den kØnstlerischen Ausdruck richtig zu wahren: Schon an dem rein äuñerlichen; dem blauschwarzen Glanz des Haares und der Augen, der alles Øbertraf, worauf ich auch riet, scheiterte es. - Wie erst die unirdische Schmalheit des Gesichtes sinn- und visionsgemÄñ in eine Kamee bannen, ohne sich in die stumpfsinnige ähnlichkeitsmacherei der kanonischen "Kunst"richtung festzurennen! Nur durch ein Mosaik lieñ es sich lÃsen, erkannte ich klar, aber was fØr Material wÄhlen? Ein Menschenleben gehÃrte dazu, das passende zusammen zu finden. - - Wo nur Hillel blieb! Ich sehnte mich nach ihm wie nach einem lieben, alten Freunde. MerkwØrdig, wie er mir in den wenigen Tagen - und ich hatte ihn doch, genaugenommen, nur ein einziges Mal im Leben gesprochen, - ins Herz gewachsen war. Ja, richtig: die Briefe - ihre Briefe - wollte ich doch besser verstecken. Zu meiner Beruhigung, falls ich wieder einmal lÄnger von zu Hause fort sein sollte. Ich nahm sie aus der Truhe: - in der Kassette wØrden sie sicherer aufbewahrt sein. Eine Photographie glitt zwischen den Briefen heraus. Ich wollte nicht hinschauen, aber es war zu spÄt. Den Brokatstoff um die bloñen Schultern gelegt - so wie ich 'sie' das erste Mal gesehen, als sie in mein Zimmer flØchtete aus Saviolis Atelier - blickte sie mir in die Augen. Ein wahnsinniger Schmerz bohrte sich in mich ein. Ich las die Widmung unter dem Bilde, ohne die Worte zu erfassen, und den Namen: Deine Angelina. 0x01 graphic Angelina!!! Wie ich den Namen aussprach, zerriñ der Vorhang, der meine Jugendjahre vor mir verbarg, von oben bis unten. Vor Jammer glaubte ich zusammenbrechen zu mØssen. Ich krallte die Finger in die Luft und winselte, - biñ mich in die Hand: - - nur wieder blind sein, Gott im Himmel, - den Scheintot weiterleben, wie bisher, flehte ich. Das Weh stieg mir in den Mund. - Quoll. - Schmeckte seltsam sØñ, - wie Blut. - - Angelina!! 0x01 graphic Der Name kreiste in meinen Adern und wurde - zu unertrÄglicher gespenstischer Liebkosung. Mit einem gewaltsamen Ruck riñ ich mich zusammen und zwang mich - mit knirschenden ZÄhnen - das Bild anzustarren, bis ich langsam Herr darØber wurde! Herr darØber! Wie heute nacht Øber das Kartenblatt. 0x01 graphic Endlich: Schritte! MÄnnertritte. Er kam! Voll Jubel eilte ich zur TØr und riñ sie auf. Schemajah Hillel stand Strauñen und hinter ihm - ich machte mir leise VorwØrfe, dañ ich es als EnttÄuschung empfand - mit roten BÄckchen und runden Kinderaugen: der alte Zwakh. "Wie ich zu meiner Freude sehe, sind Sie wohlauf, Meister Pernath", fing Hillel an. Ein kaltes "Sie"? Frost. Schneidender, ertÃtender Frost lag plÃtzlich im Zimmer. BetÄubt, mit halbem Ohr, hÃrte ich hin, was Zwakh, atemlos vor Aufregung, auf mich losplapperte: "Wissen Sie schon, der Golem geht wieder um? Neulich erst sprachen wir davon, wissen Sie noch, Pernath? Die ganze Judenstadt ist auf. Vrieslander hat ihn selbst gesehen, den Golem. Und wieder hat es, wie immer, mit einem Mord begonnen" - Ich horchte erstaunt auf: Ein Mord? Zwakh schØttelte mich: "Ja, wissen Sie denn von gar nichts, Pernath? Unten hÄngt doch groñmÄchtig ein Polizeiaufruf an den Ecken: den dicken Zottmann, den 'Freimaurer' - na, ich meine doch den Lebensversicherungsdirektor Zottmann, - soll man ermordet haben. Der Loisa - hier im Haus - ist bereits verhaftet. Und die rote Rosina: spurlos verschwunden. - Der Golem - der Golem - es ist ja haarstrÄubend." Ich gab keine Antwort und suchte in Hillels Augen: warum blickte er mich so unverwandt an? Ein verhaltenes LÄcheln zuckte plÃtzlich um seine Mundwinkel. Ich verstand. Es galt mir. Am liebsten wÄre ich ihm um den Hals gefallen vor jauchzender Freude. Auñer mir in meinem EntzØcken, lief ich planlos im Zimmer umher. Was zuerst bringen? GlÄser? Eine Flasche Burgunder? (Ich hatte doch nur eine.) Zigarren? - Endlich fand ich Worte: "Aber warum setzt ihr euch denn nicht?!" - Rasch schob ich meinen beiden Freunden Sessel unter. - - - Zwakh fing an, sich zu Ärgern: "Warum lÄcheln Sie denn immerwÄhrend, Hillel? Glauben Sie vielleicht nicht, dañ der Golem spukt? Mir scheint. Sie glauben Øberhaupt nicht an den Golem?" "Ich wØrde nicht an ihn glauben, selbst wenn ich ihn hier im Zimmer vor mir sÄhe", antwortete Hillel gelassen mit einem Blick auf mich. - Ich verstand den Doppelsinn, der aus seinen Worten klang. Zwakh hielt erstaunt im Trinken inne: "Das Zeugnis von Hunderten von Menschen gilt Ihnen nichts, Hillel? - Aber warten Sie nur, Hillel, denken Sie an meine Worte: Mord auf Mord wird es jetzt in der Judenstadt geben! Ich kenne das. Der Golem zieht eine unheimliche Gefolgschaft hinter sich her." "Die HÄufung gleichartiger Ereignisse ist nichts Wunderbares", erwiderte Hillel. Er sprach im Gehen, trat ans Fenster und blickte durch die Scheiben hinab auf den TrÃdlerladen - "Wenn der Tauwind weht, rØhrt sich's in den Wurzeln. In den sØñen wie, in den giftigen." Zwakh zwinkerte mir lustig zu und deutete mit dem Kopf nach Hillel. "Wenn der Rabbi nur reden wollte, der kÃnnte uns Dinge erzÄhlen, dañ einem die Haare zu Berge stØnden", warf er halblaut hin. Schemajah drehte sich um. "Ich bin nicht 'Rabbi', wenn ich auch den Titel tragen darf. Ich bin nur ein armseliger Archivar im jØdischen Rathaus und fØhre die Register Øber die Lebendigen und die Toten." Eine verborgene Bedeutung lag in seiner Rede, fØhlte ich. Auch der Marionettenspieler schien es unterbewuñt zu empfinden, - er wurde still, und eine Zeitlang sprach keiner von uns ein Wort. "HÃren Sie mal, Rabbi -, verzeihen Sie: 'Herr Hillel', wollte ich sagen", - fing Zwakh nach einer Weile wieder an, und seine Stimme klang auffallend ernst, "ich wollte Sie schon lange etwas fragen. Sie brauchen mir ja nicht drauf zu antworten, wenn Sie nicht mÃgen, oder nicht dØrfen - - -" Schemajah trat an den Tisch und spielte mit dem Weinglas - er trank nicht; vielleicht verbot es ihm das jØdische Ritual. "Fragen Sie ruhig, Herr Zwakh." "- - Wissen Sie etwas Øber die jØdische Geheimlehre, die Kabbala, Hillel?" "Nur wenig." "Ich habe gehÃrt, es soll ein Dokument geben, aus dem man die Kabbala lernen kann: den 'Sohar' - -" "Ja, den Sohar - das Buch des Glanzes." "Sehen Sie, da hat man's", schimpfte Zwakh los. "Ist es nicht eine himmelschreiende Ungerechtigkeit, dañ eine Schrift, die angeblich die SchlØssel zum VerstÄndnis der Bibel und zur GlØckseligkeit enthÄlt -" Hillel unterbrach ihn: "- nur einige SchlØssel." "Gut, immerhin einige! - also, dañ diese Schrift infolge ihres hohen Wertes und ihrer Seltenheit wieder nur den Reichen zugÄnglich ist? In einem einzigen Exemplar, das noch dazu im Londoner Museum steckt, wie ich mir habe erzÄhlen lassen? Und Øberdies chaldÄisch, aramÄisch, hebrÄisch - oder was weiñ ich wie - geschrieben? - Habe ich zum Beispiel je im Leben Gelegenheit gehabt, diese Sprachen zu lernen oder nach London zu kommen?" "Haben Sie denn alle Ihre WØnsche so heiñ auf dieses Ziel gerichtet?" fragte Hillel mit leisem Spott. "Offen gestanden - nein", gab Zwakh einigermañen verwirrt zu. "Dann sollten Sie sich nicht beklagen", sagte Hillel trocken, "wer nicht nach dem Geist schreit mit allen Atomen seines Leibes, - wie ein Erstickender nach Luft, - der kann die Geheimnisse Gottes nicht schauen." "Es sollte trotzdem ein Buch geben, in dem sÄmtliche SchlØssel zu den RÄtseln der anderen Welt stehen, nicht nur einige", schoñ es mir durch den Kopf, und meine Hand spielte automatisch mit dem Pagad, den ich immer noch in der Tasche trug, aber ehe ich die Frage in Worte kleiden konnte, hatte Zwakh sie bereits ausgesprochen. Hillel lÄchelte wieder sphinxhaft: "Jede Frage, die ein Mensch tun kann, ist im selben Augenblick beantwortet, in dem er sie geistig gestellt hat." "Verstehen Sie, was er damit meint?", wandte sich Zwakh an mich. Ich gab keine Antwort und hielt den Atem an, um kein Wort von Hillels Rede zu verlieren. Schemajah fuhr fort: "Das ganze Leben ist nichts anderes als formgewordene Fragen, die den Keim der Antwort in sich tragen - und Antworten, die schwanger gehen mit Fragen. Wer irgend etwas anderes drin sieht, ist ein Narr." Zwakh schlug mit der Faust auf den Tisch: "Jawohl: Fragen, die jedesmal anders lauten, und Antworten, die jeder anders versteht." "Gerade darauf kommt es an", sagte Hillel freundlich. "Alle Menschen Øber einen LÃffel zu - kurieren, ist lediglich Vorrecht der ärzte. Der Fragende erhÄlt die Antwort, die ihm not tut: sonst ginge nicht die Kreatur den Weg ihrer Sehnsucht. Glauben Sie denn, unsere jØdischen Schriften sind bloñ aus WillkØr nur in Konsonanten geschrieben? - Jeder hat sich selbst die geheimen Vokale dazu zu finden, die ihm den nur fØr ihn allein bestimmten Sinn erschlieñen, - soll nicht das lebendige Wort zum toten Dogma erstarren." Der Marionettenspieler wehrte heftig ab: "Das sind Worte, Rabbi, Worte! Pagad Ultimo will ich heiñen, wenn ich daraus klug werde." Pagad!! - Das Wort schlug in mich ein wie der Blitz. Ich fiel vor Entsetzen beinahe vom Stuhl. Hillel wich meinen Augen aus. "Pagad ultimo? Wer weiñ, ob Sie nicht wirklich so heiñen, Herr Zwakh!" - schlug Hillels Rede wie aus weiter Ferne an mein Ohr. "Man soll seiner Sache niemals allzu sicher sein. - øbrigens, da wir gerade von Karten sprechen: Herr Zwakh, spielen Sie Tarock?" "Tarock? NatØrlich. Von Kindheit an." "Dann wundert's mich, wieso Sie nach einem Buche fragen kÃnnen, in dem die ganze Kabbala steht, wo Sie es doch selbst Tausende Male in der Hand gehabt haben." "Ich? In der Hand gehabt? Ich?" - Zwakh griff sich an den Kopf. "Jawohl, Sie! Ist es Ihnen niemals aufgefallen, dañ das Tarockspiel 22 TrØmpfe hat, - genausoviel, wie das hebrÄische Alphabet Buchstaben? Zeigen unsere bÃhmischen Karten nicht zum øberfluñ noch Bilder dazu, die offenkundig Symbole sind: Der Narr, der Tod, der Teufel, das Letzte Gericht? - Wie laut, lieber Freund, wollen Sie eigentlich, dañ Ihnen das Leben die Antworten in die Ohren schreien soll? - - Was Sie allerdings nicht zu wissen brauchen, ist, dañ 'Tarok' oder 'Tarot' soviel bedeutet wie die jØdische 'Tora' = das Gesetz, oder das altÄgyptische 'Tarut' = 'die Befragte', und in der uralten Zendsprache das Wort: 'tarisk' = 'ich verlange die Antwort'. - Aber die Gelehrten sollten es wissen, bevor sie die Behauptung aufstellen, das Tarock stamme aus der Zeit Karls des Sechsten. - Und so, wie der Pagad die erste Karte im Spiel ist, so ist der Mensch die erste Figur in seinem eignen Bilderbuch, sein eigner DoppelgÄnger: - - der hebrÄische Buchstabe Aleph, der, nach der Form des Menschen gebaut, mit der einen Hand zum Himmel zeigt und mit der andern abwÄrts: das heiñt also: 'So wie es oben ist, ist es auch unten; so wie es unten ist, ist es auch oben.' - Darum sagte ich vorhin: Wer weiñ, ob Sie wirklich Zwakh heiñen und nicht: 'Pagad' - berufen Sie's nicht," - Hillel blickte mich dabei unverwandt an, und ich ahnte, wie sich unter seinen Worten ein Abgrund immer neuer Bedeutung auftat - "berufen Sie's nicht, Herr Zwakh! Man kann da in finstere GÄnge geraten, aus denen noch keiner zurØckfand, der nicht - einen Talisman bei sich trug. Die øberlieferung erzÄhlt, dañ einmal drei MÄnner hinabgestiegen seien ins Reich der Dunkelheit, der eine wurde wahnsinnig, der zweite blind, nur der dritte, Rabbi ben Akiba, kam heil wieder heim und sagte, er sei sich selbst begegnet. Schon so mancher, werden Sie sagen, ist sich selbst begegnet, z. B. Goethe, gewÃhnlich auf einer BrØcke, oder sonst einem Steig, der von einem Ufer eines Flusses zum andern fØhrt, - hat sich selbst ins Auge geblickt und ist nicht wahnsinnig geworden. Aber dann war's eben nur eine Spiegelung des eigenen Bewuñtseins und nicht der wahre DoppelgÄnger: nicht das, was man 'den Hauch der Knochen', den 'Habal Garmin' nennt, von dem es heiñt: Wie er in die Grube fuhr, unverweslich, im Gebein, so wird er auferstehn am Tage des Letzten Gerichts." - Hillels Blick bohrte sich immer tiefer in meine Augen - "Unsere GroñmØtter sagen von ihm: 'er wohnt hoch Øber der Erde in einem Zimmer ohne TØre, nur mit einem Fenster, von dem aus eine VerstÄndigung mit den Menschen unmÃglich ist. Wer ihn zu bannen und zu - - verfeinern versteht, der wird gut Freund mit sich selbst." - - - Was schlieñlich das Tarock betrifft, so wissen Sie so gut wie ich: FØr jeden Spieler liegen die Karten anders, wer aber die TrØmpfe richtig verwendet, der gewinnt die Partie - - -. Aber kommen Sie jetzt, Herr Zwakh! Gehen wir, Sie trinken sonst Meister Pernaths ganzen Wein aus, und es bleibt nichts mehr Øbrig fØr ihn selbst." Not Eine Flockenschlacht tobte vor meinem Fenster. Regimenterweise jagten die Schneesterne - winzige Soldaten in weiñen, zottigen MÄntelchen - hintereinander her an den Scheiben vorØber - minutenlang - immer in derselben Richtung, wie auf gemeinsamer Flucht vor einem ganz besonders bÃsartigen Gegner. Dann hatten sie das Davonlaufen mit einemmal dick satt, schienen aus rÄtselhaften GrØnden einen Wutanfall zu bekommen und sausten wieder zurØck, bis ihnen von oben und unten neue feindliche Armeen in die Flanken fielen und alles in ein heilloses Gewirbel auflÃsten. Monate schien mir zurØckzuliegen, was ich an Seltsamem erst vor kurzem erlebt hatte, und wÄren nicht tÄglich einigemal immer neue krause GerØchte Øber den Golem zu mir gedrungen, die alles wieder frisch aufleben lieñen, ich glaube, ich hÄtte mich in Augenblicken des Zweifels verdÄchtigen kÃnnen, das Opfer eines seelischen DÄmmerzustandes gewesen zu sein. Aus den bunten Arabesken, die die Ereignisse um mich gewoben, stach in schreienden Farben hervor, was mir Zwakh Øber den noch immer unaufgeklÄrten Mord an dem sogenannten "Freimaurer" erzÄhlt hatte. Den blatternarbigen Loisa damit in Zusammenhang zu bringen, wollte mir nicht recht einleuchten, obwohl ich einen dunklen Verdacht nicht abschØtteln konnte, - fast unmittelbar darauf, als Prokop in jener Nacht aus dem Kanalgitter ein unheimliches GerÄusch gehÃrt zu haben geglaubt, hatten wir den Burschen beim "Loisitschek" gesehen. Allerdings lag kein Anlañ vor, den Schrei unter der Erde, der Øberdies geradesogut eine SinnestÄuschung gewesen sein konnte, als Hilferuf eines Menschen zu deuten. - - - Das SchneegestÃber vor meinen Augen blendete mich und ich fing an, alles in tanzenden Streifen zu sehen. Ich lenkte meine Aufmerksamkeit wieder auf die Gemme vor mir. Das Wachsmodell, das ich von Mirjams Gesicht entworfen hatte, muñte sich vortrefflich auf den blÄulich leuchtenden Mondstein da Øbertragen lassen. - Ich freute mich: es war ein angenehmer Zufall, dañ sich etwas so Geeignetes unter meinem Mineralienvorrat gefunden hatte. Die tiefschwarze Matrix von Hornblende gab dem Stein gerade das richtige Licht und die Konturen pañten so genau, als habe ihn die Natur eigens geschaffen, ein bleibendes Abbild von Mirjams feinem Profil zu werden. Anfangs war meine Absicht gewesen, eine Kamee daraus zu schneiden, die den Ägyptischen Gott Osiris darstellen sollte, und die Vision des Hermaphroditen aus dem Buche Ibbur, die ich mir jederzeit mit auffallender Deutlichkeit ins GedÄchtnis zurØckrufen konnte, regte mich kØnstlerisch stark an, aber allmÄhlich entdeckte ich nach den ersten Schnitten eine solche ähnlichkeit mit der Tochter Schemajah Hillels, dañ ich meinen Plan umstieñ. - - - - Das Buch Ibbur! - ErschØttert legte ich den Stahlgriffel weg. Unfañbar, was in der kurzen Spanne Zeit in mein Leben getreten war! Wie jemand, der sich plÃtzlich in eine unabsehbare SandwØste versetzt sieht, wurde ich mir mit einem Schlage der tiefen, riesengroñen Einsamkeit bewuñt, die mich von meinen Nebenmenschen trennte. Konnte ich je mit einem Freund - Hillel ausgenommen - davon reden, was ich erlebt? Wohl war mir in den stillen Stunden der verflossenen NÄchte die Erinnerung wiedergekehrt, dañ mich all meine Jugendjahre - von frØher Kindheit angefangen - ein unsagbarer Durst nach dem Wunderbaren, dem jenseits aller Sterblichkeit Liegenden, bis zur Todespein gefoltert hatte, aber die ErfØllung meiner Sehnsucht war wie ein Gewittersturm gekommen und erdrØckte den Jubelaufschrei meiner Seele mit ihrer Wucht. Ich zitterte vor dem Augenblick, wo ich zu mir selbst kommen und das Geschehene in seiner vollen markverbrennenden Lebendigkeit als Gegenwart empfinden muñte. Nur jetzt sollte es noch nicht kommen! Erst den Genuñ auskosten: Unaussprechliches an Glanz auf sich zukommen zu sehen! Ich hatte es doch in meiner Macht! Brauchte nur hinØber zu gehen in mein Schlafzimmer und die Kassette aufzusperren, in der das Buch Ibbur, das Geschenk der Unsichtbaren, lag! Wie lang war's her, da hatte es meine Hand berØhrt, als ich Angelinas Briefe dazuschloñ! 0x01 graphic Dumpfes DrÃhnen drauñen, wie von Zeit zu Zeit der Wind die angehÄuften Schneemassen von den DÄchern hinab vor die HÄuser warf, gefolgt von Pausen tiefer Stille, da die Flockendecke auf dem Pflaster jeden Laut verschlang. Ich wollte weiterarbeiten, - da plÃtzlich stahlscharfe HufschlÄge unten die Gasse entlang, dañ man's fÃrmlich Funken sprØhen sah. Das Fenster zu Ãffne