n und hinauszuschauen, war unmÃglich: Muskeln aus
Eis verbanden seine RÄnder mit dem Mauerwerk, und die Scheiben waren bis zur
HÄlfte weiñ verweht. Ich sah nur, dañ Charousek scheinbar ganz friedlich
neben dem TrÃdler Wassertrum stand - sie muñten soeben ein GesprÄch
mitsammen gefØhrt haben - sah, wie die VerblØffung, die sich in ihrer beider
Mienen malte, wuchs und sie sprachlos offenbar den Wagen, der meinen Blicken
entzogen war, anstarrten.
Angelinas Gatte ist es, fuhr es mir durch den Kopf. - Sie selbst konnte
es nicht sein! Mit ihrer Equipage hier bei mir vorzufahren - in der
Hahnpañgasse! - vor aller Leute Augen! Es wÄre hellichter Wahnsinn gewesen.
- Aber was sollte ich zu ihrem Gatten sagen, wenn er's wÄre und mich auf den
Kopf zu fragte?
Leugnen, natØrlich leugnen.
Hastig legte ich mir die MÃglichkeiten zurecht: es kann nur ihr Gatte
sein. Er hat einen anonymen Brief bekommen, - von Wassertrum - dañ sie hier
gewesen sei zu einem Rendezvous, und sie hat eine Ausrede gebraucht:
wahrscheinlich, dañ sie eine Gemme oder sonst etwas bei mir bestellt habe. -
- - Da! wØtendes Klopfen an meiner TØr und - Angelina stand vor mir.
Sie konnte kein Wort hervorbringen, aber der Ausdruck ihres Gesichtes
verriet mir alles: sie brauchte sich nicht mehr zu verstecken. Das Lied war
aus.
Dennoch lehnte sich irgend etwas in mir auf gegen diese Annahme. Ich
brachte es nicht fertig, zu glauben, dañ das GefØhl, ihr helfen zu kÃnnen,
mich belogen haben sollte.
Ich fØhrte sie in meinen Lehnstuhl. Streichelte ihr stumm das Haar; und
sie verbarg, todmØde wie ein Kind, ihren Kopf an meiner Brust.
Wir hÃrten das Knistern der brennenden Scheite im Ofen und sahen, wie
der rote Schein Øber die Dielen huschte, aufflammte und erlosch - aufflammte
und erlosch - aufflammte und erlosch - - -
"Wo ist das Herz aus rotem Stein - - -" klang es in meinem Innern. Ich
fuhr auf: Wo bin ich! Wie lang sitzt sie schon hier?
Und ich forschte sie aus, - vorsichtig, leise, ganz leise, dañ sie
nicht aufwache und ich mit der Sonde die schmerzende Wunde nicht berØhre.
BruchstØckweise erfuhr ich, was ich zu wissen brauchte, und setzte es
mir zusammen wie ein Mosaik:
"Ihr Gatte weiñ - -?"
"Nein, noch nicht; er ist verreist."
Also um Dr. Saviolis Leben drehte sich's; - Charousek hatte es richtig
erraten. Und weil's um Saviolis Leben ging, und nicht mehr um ihres, war sie
hier. Sie denkt nicht mehr daran, irgend etwas zu verbergen, begriff ich.
Wassertrum war abermals bei Dr. Savioli gewesen. Hatte sich mit
Drohungen und Gewalt den Weg erzwungen bis zu seinem Krankenlager.
Und weiter! Weiter! Was wollte er von ihm?
Was er wollte? Sie hatte es halb erraten, halb erfahren: er wollte, dañ
- - dañ - er wollte, dañ sich Dr. Savioli - - ein Leid antue.
Sie kenne jetzt auch die GrØnde von Wassertrums wildem besinnungslosem
Hañ: "Dr. Savioli habe einst seinen Sohn, den Augenarzt Wassory, in den Tod
getrieben."
Sofort schlug ein Gedanke in mich ein wie der Blitz: hinunterlaufen,
dem TrÃdler alles verraten: dañ Charousek den Schlag gefØhrt hatte - aus dem
Hinterhalt - und nicht Savioli, der nur das Werkzeug war - - -. "Verrat!
Verrat!" heulte es mir ins Hirn, "du willst also den armen schwindsØchtigen
Charousek, der dir helfen wollte und ihr, der Rachsucht dieses Halunken
preisgeben?" - Und es zerriñ mich in blutende HÄlften. - Dann sprach ein
Gedanke eiskalt und gelassen die Losung aus: "Narr! Du hast es doch in der
Hand! Brauchst ja nur die Feile dort auf dem Tisch zu nehmen, hinunter zu
laufen und sie dem TrÃdler durch die Gurgel zu jagen, dañ die Spitze hinten
zum Genick herausschaut."
Mein Herz jauchzte einen Dankesschrei zu Gott.
Ich forschte weiter:
"Und Dr. Savioli?"
Kein Zweifel, dañ er Hand an sich legen wird, wenn sie ihn nicht
rettete. Die Krankenschwestern lieñen ihn nicht aus den Augen, hatten ihn
mit Morphium betÄubt, aber vielleicht erwacht er plÃtzlich - vielleicht
gerade jetzt - und - und - nein, nein, sie mØsse fort, dØrfe keine Sekunde
Zeit mehr versÄumen, - sie wolle ihrem Gatten schreiben, ihm alles
eingestehen, - solle er ihr das Kind nehmen, aber Savioli sei gerettet, denn
sie hÄtte Wassertrum damit die einzige Waffe aus der Hand geschlagen, die er
besÄñe und mit der er drohe.
Sie wolle das Geheimnis selbst enthØllen, ehe er es verraten kÃnne.
"Das werden Sie nicht tun, Angelina!" schrie ich und dachte an die
Feile und die Stimme versagte mir in jubelnder Freude Øber meine Macht.
Angelina wollte sich losreiñen: ich hielt sie fest.
"Nur noch eins: øberlegen Sie, wird Ihr Gatte denn dem TrÃdler so ohne
weiteres glauben?"
"Aber Wassertrum hat doch Beweise, offenbar meine Briefe, vielleicht
auch ein Bild von mir, - alles, was im Schreibtisch nebenan im Atelier
versteckt war."
Briefe? Bild? Schreibtisch? - ich wuñte nicht mehr, was ich tat: ich
riñ Angelina an meine Brust und kØñte sie. Auf den Mund, auf die Stirn, auf
die Augen.
Ihr blondes Haar lag wie ein goldner Schleier vor meinem Gesicht.
Dann hielt ich sie an ihren schmalen HÄnden und erzÄhlte ihr mit
fliegenden Worten, dañ der Todfeind Wassertrums - ein armer bÃhmischer
Student - die Briefe und alles in Sicherheit gebracht hÄtte und sie in
meinem Besitz seien und fest verwahrt.
Und sie fiel mir um den Hals und lachte und weinte in einem Atem. KØñte
mich. Rannte zur TØr. Kehrte wieder um und kØñte mich wieder.
Dann war sie verschwunden.
Ich stand wie betÄubt und fØhlte noch immer den Atem ihres Mundes an
meinem Gesicht.
Ich hÃrte wie die WagenrÄder Øber das Pflaster donnerten und den
rasenden Galopp der Hufe. Eine Minute spÄter war alles still. Wie ein Grab.
Auch in mir.
PlÃtzlich knarrte die TØr leise hinter mir, und Charousek stand im
Zimmer:
"Verzeihen Sie, Herr Pernath, ich habe lange geklopft, aber Sie
schienen es nicht zu hÃren."
Ich nickte nur stumm.
"Hoffentlich nehmen Sie nicht an, dañ ich mich mit Wassertrum versÃhnt
habe, weil Sie mich vorhin mit ihm sprechen sahen?" - Charouseks hohnisches
LÄcheln sagte mir, dañ er nur einen grimmigen Spañ machte. - "Sie mØssen
nÄmlich wissen: Das Gluck ist mir hold; die Kanaille da unten fÄngt an, mich
in ihr Herz zu schlieñen, Meister Pernath. - - Es ist eine seltsame Sache,
das mit der Stimme des Blutes", setzte er leise - halb fØr sich - hinzu.
Ich verstand nicht, was er damit meinen konnte, und nahm an, ich hÄtte
etwas ØberhÃrt. Die ausgestandene Erregung zitterte noch zu stark in mir.
"Er wollte mir einen Mantel schenken", fuhr Charousek laut fort. "Ich
habe natØrlich dankend abgelehnt. Mich brennt schon meine eigene Haut genug.
- Und dann hat er mir Geld aufgedrÄngt."
"Sie haben es angenommen?!", wollte es mir herausfahren, aber ich hielt
noch rasch meine Zunge im Zaum.
Die Wangen des Studenten bekamen kreisrunde rote Flecken:
"Das Geld habe ich selbstverstÄndlich angenommen."
Mir wurde ganz wirr im Kopf!
"- an - genommen?", stammelte ich.
"Ich hÄtte nie gedacht, dañ man auf Erden eine so reine Freude
empfinden kann!" - Charousek hielt einen Augenblick inne und schnitt eine
Fratze. - "Ist es nicht ein erhebendes GefØhl, im Haushalt der Natur
'MØtterchens Vorsehung' Ãkonomischen Finger allenthalben in Weisheit und
Umsicht walten zu sehen!?" - Er sprach wie ein Pastor und klimperte dabei
mit dem Geld in seiner Tasche, - "wahrlich, als hehre Pflicht empfinde ich
es, den Schatz, mir anvertraut von milder Hand, auf Heller und Pfennig
dereinst dem edelsten aller Zwecke zuzufØhren."
War er betrunken? Oder wahnsinnig?
Charousek Änderte plÃtzlich den Ton:
"Es liegt eine satanische Komik darin, dañ Wassertrum sich die - Arznei
selber bezahlt. Finden Sie nicht?"
Eine Ahnung dÄmmerte mir auf, was sich hinter Charouseks Rede verbarg,
und mir graute vor seinen fiebernden Augen.
"øbrigens lassen wir das jetzt, Meister Pernath. Erledigen wir erst die
laufenden GeschÄfte. Vorhin, die Dame, das war 'sie' doch? Was ist ihr denn
eingefallen, hier Ãffentlich vorzufahren?"
Ich erzÄhlte Charousek, was geschehen war.
"Wassertrum hat bestimmt keine Beweise in den HÄnden", unterbrach er
mich freudig, "sonst hÄtte er nicht heute morgen abermals das Atelier
durchsucht. - MerkwØrdig, dañ Sie ihn nicht gehÃrt haben!? Eine volle Stunde
lang war er drØben."
Ich staunte, woher er alles so genau wissen kÃnne, und sagte es ihm.
"Darf ich?" - als ErklÄrung nahm er sich eine Zigarette vom Tisch,
zØndete sie an und erlÄuterte: "Sehen Sie, wenn Sie jetzt die TØr Ãffnen,
bringt die Zugluft, die vom Stiegenhaus hereinweht, den Tabakrauch aus der
Richtung. Es ist das vielleicht das einzige Naturgesetz, das Herr Wassertrum
genau kennt, und fØr alle FÄlle hat er in der Strañenmauer des Ateliers -
das Haus gehÃrt ihm, wie Sie wissen - eine kleine, versteckte, offene Nische
anbringen lassen: eine Art Ventilation, und darin ein rotes FÄhnchen. Wenn
nun jemand das Zimmer betritt oder verlÄñt, das heiñt: die ZugtØr Ãffnet, so
merkt es Wassertrum unten an dem heftigen Flattern des FÄhnchens. Allerdings
weiñ ich es ebenfalls," setzte Charousek trocken hinzu, "wenn's mir drum zu
tun ist, und kann es von dem Kellerloch vis-Á-vis, in dem zu hausen ein
gnÄdiges Schicksal mir huldreichst gestattet, genau beobachten. - Der
niedliche Scherz mit der Ventilation ist zwar ein Patent des wØrdigen
Patriarchen, aber auch mir seit Jahren gelÄufig."
"Was fØr einen Øbermenschlichen Hañ Sie gegen ihn haben mØssen, dañ Sie
so jeden seiner Schritte belauern. Und noch dazu seit langem, wie Sie
sagen!" warf ich ein.
"Hañ?" Charousek lÄchelte krampfhaft. "Hañ? - Hañ ist kein Ausdruck.
Das Wort, das meine GefØhle gegen ihn bezeichnen kÃnnte, muñ erst geschaffen
werden. - Ich hasse, genaugenommen, auch gar nicht ihn. Ich hasse sein Blut.
Verstehen Sie das? Ich wittere wie ein wildes Tier, wenn auch nur ein
Tropfen von seinem Blut in den Adern eines Menschen flieñt, - und" - er biñ
die ZÄhne zusammen - "das kommt 'zuweilen' vor hier im Getto." UnfÄhig
weiter zu sprechen vor Aufregung lief er ans Fenster und starrte hinaus. -
Ich hÃrte wie er sein Keuchen unterdrØckte. Wir schwiegen beide eine Weile.
"Hallo, was ist denn das?" fuhr er plÃtzlich auf und winkte mir hastig:
"Rasch, rasch! Haben Sie nicht einen Operngucker oder so etwas?"
Wir spÄhten vorsichtig hinter den VorhÄngen hinunter:
Der taubstumme Jaromir stand vor dem Eingang des TrÃdlerladens und bot,
soviel wir aus seiner Zeichensprache erraten konnten, Wassertrum einen
kleinen blitzenden Gegenstand, den er in der Hand halb verbarg, zum Kauf an.
Wassertrum fuhr danach wie ein Geier und zog sich damit in seine HÃhle
zurØck.
Gleich darauf stØrzte er wieder hervor - totenblañ - und packte Jaromir
an der Brust: Es entspann sich ein heftiges Ringen. - Mit einem Mal lieñ
Wassertrum los und schien zu Øberlegen. Nagte wØtend an seiner gespaltenen
Oberlippe. Warf einen grØbelnden Blick zu uns herauf und zog dann Jaromir am
Arm friedlich in seinen Laden.
Wir warteten wohl eine Viertelstunde lang: sie schienen nicht fertig
werden zu kÃnnen mit ihrem Handel.
Endlich kam der Taubstumme mit befriedigter Miene wieder heraus und
ging seines Weges.
"Was halten Sie davon?", fragte ich. "Es scheint nichts Wichtiges zu
sein? Vermutlich hat der arme Bursche irgendeinen erbettelten Gegenstand
versilbert."
Der Student gab keine Antwort und setzte sich schweigend wieder an den
Tisch.
Offenbar legte auch er dem Geschehnis keine Bedeutung bei, denn er fuhr
nach einer Pause da fort, wo er stehen geblieben war:
"Ja. Also ich sagte, ich hasse sein Blut. - Unterbrechen Sie mich,
Meister Pernath, wenn ich wieder heftig werde. Ich will kalt bleiben. Ich
darf meine besten Empfindungen nicht so vergeuden. Es packt mich sonst
nachher wie ErnØchterung. Ein Mensch mit SchamgefØhl soll in kØhlen Worten
reden, nicht mit Pathos wie eine Prostituierte oder - oder ein Dichter. -
Seit die Welt steht, wÄr's niemand eingefallen, vor Leid die 'HÄnde zu
ringen', wenn nicht die Schauspieler diese Geste als besonders 'plastisch'
ausgetØftelt hÄtten."
Ich begriff, dañ er mit Absicht blind drauflos redete, um innerlich
Ruhe zu bekommen.
Es wollte ihm nicht recht gelingen. NervÃs lief er im Zimmer auf und
ab, fañte alle mÃglichen GegenstÄnde an und stellte sie zerstreut zurØck an
ihren Platz.
Dann war er mit einem Ruck wieder mitten in seinem Thema:
"Aus den kleinsten unwillkØrlichen Bewegungen eines Menschen verrÄt
sich mir dieses Blut. Ich kenne Kinder, die 'ihm' Ähnlich sehen und als
seine gelten, aber doch sind sie nicht vom selben Stamme - man kann mich
nicht tÄuschen. Jahrelang erfuhr ich nicht, dañ Dr. Wassory sein Sohn ist,
aber ich habe es - ich mÃchte sagen - gerochen.
Schon als kleiner Junge, als ich noch nicht ahnen konnte, in welchen
Beziehungen Wassertrum zu mir steht," - sein Blick ruhte eine Sekunde
forschend auf mir, - "besañ ich diese Gabe. Man hat mich mit FØñen getreten,
mich geschlagen, dañ es wohl keine Stelle an meinem KÃrper gibt, die nicht
wØñte, was rasender Schmerz ist, - hat mich hungern und dursten lassen, bis
ich halb wahnsinnig wurde und schimmlige Erde gefressen habe, aber niemals
konnte ich diejenigen hassen, die mich peinigten. Ich konnte einfach nicht.
Es war kein Platz mehr in mir fØr Hañ. - Verstehen Sie? Und doch war mein
ganzes Wesen getrÄnkt damit.
Nie hat mir Wassertrum auch nur das geringste angetan - ich will damit
sagen, dañ er mich jemals weder geschlagen oder beworfen, noch auch
irgendwie beschimpft hat, wenn ich mich als Gassenjunge unten herumtrieb:
ich weiñ das genau, - und doch richtete sich alles, was an Rachsucht und Wut
in mir kochte, gegen ihn. Nur gegen ihn!
MerkwØrdig ist, dañ ich ihm trotzdem nie als Kind einen Schabernack
gespielt habe. Wenn's die andern taten, zog ich mich sofort zurØck. Aber
stundenlang konnte ich im Torweg stehen und, hinter der HaustØr versteckt,
durch die Angelritzen sein Gesicht unverwandt anstieren, bis mir vor
unerklÄrlichem HañgefØhl schwarz vor den Augen wurde.
Damals, glaube ich, habe ich den Grundstein zu dem Hellsehen gelegt,
das sofort in mir aufwacht, wenn ich mit Wesen, ja sogar mit Dingen in
BerØhrung komme, die in Verbindung mit ihm stehen. Ich muñ wohl jede seiner
Bewegungen: seine Art, den Rock zu tragen und wie er Sachen anfañt, hustet
und trinkt, und all das Tausenderlei damals unbewuñt auswendig gelernt
haben, bis sich's mir in die Seele frañ, dañ ich Øberall die Spuren davon
auf den ersten Blick mit unfehlbarer Sicherheit als seine ErbstØcke erkennen
kann.
SpÄter wurde das manchmal fast zur Manie: ich warf harmlose GegenstÄnde
von mir, bloñ weil mich der Gedanke quÄlte, seine Hand kÃnne sie berØhrt
haben, - andere wieder waren mir ans Herz gewachsen; ich liebte sie wie
Freunde, die ihm BÃses wØnschten."
Charousek schwieg einen Moment. Ich sah, wie er geistesabwesend ins
Leere blickte. Seine Finger streichelten mechanisch die Feile auf dem Tisch.
"Als dann ein paar mitleidige Lehrer fØr mich gesammelt hatten und ich
Philosophie und Medizin studierte - auch nebenbei selbst denken lernte -, da
kam mir langsam die Erkenntnis, was Hañ ist:
Wir kÃnnen nur etwas so tief hassen, wie ich es tue, was ein Teil von
uns selbst ist.
Und wie ich spÄter dahinter kam, - nach und nach alles erfuhr: was
meine Mutter war - und - und noch sein muñ, wenn - wenn sie noch lebt, - und
dañ mein eigener Leib" - er wendete sich ab, damit ich sein Gesicht nicht
sehen sollte, - "voll ist von seinem eklen Blut - nun ja, Pernath, - warum
sollen Sie's nicht wissen: er ist mein Vater! - da wurde mir klar, wo die
Wurzel lag. - - - Zuweilen kommt's mir sogar wie ein geheimnisvoller
Zusammenhang vor, dañ ich schwindsØchtig bin und Blut spucken muñ: mein
KÃrper wehrt sich gegen alles, was von 'ihm' ist, und stÃñt es mit Abscheu
von sich.
Oft hat mich mein Hañ bis in den Traum begleitet und zu trÃsten gesucht
mit Geschichten von allen nur erdenklichen Foltern, die ich 'ihm' zufØgen
durfte, aber immer verscheuchte ich sie selber, weil sie den faden
Beigeschmack des - Unbefriedigtseins in mir hinterlieñen.
Wenn ich Øber mich selbst nachdenke und mich wundern muñ, dañ es so gar
niemanden und nichts auf der Welt gibt, was ich zu hassen, - ja nicht einmal
als antipathisch zu empfinden imstande wÄre, auñer 'ihn' und seinen Stamm, -
beschleicht mich oft das widerliche GefØhl: ich kÃnnte das sein, was man
einen 'guten Menschen' nennt. Aber zum GlØck ist es nicht so. - Ich sagte
Ihnen schon: es ist kein Platz mehr in mir.
Und glauben Sie nur ja nicht, dañ ein trauriges Schicksal mich
verbittert hat: (Was er meiner Mutter angetan hat, erfuhr ich Øberdies erst
in spÄteren Jahren) - ich habe einen Freudentag erlebt, der weit in den
Schatten stellt, was sonst einem Sterblichen vergÃnnt ist. Ich weiñ nicht,
ob Sie kennen, was innere, echte, heiñe FrÃmmigkeit ist, - ich hatte es bis
dahin auch nicht gekannt - als ich aber an jenem Tage, an dem Wassory sich
selbst ausgerottet hat, am Laden unten stand und sah, wie 'er' die Nachricht
bekam, - sie 'stumpfsinnig', wie ein Laie, der die echte BØhne des Lebens
nicht kennt, hÄtte glauben mØssen, - hinnahm, wohl eine Stunde lang
teilnahmslos stehen blieb, seine blutrote Hasenscharte nur ein ganz klein
biñchen hÃher Øber die ZÄhne gezogen als sonst und den Blick so gewiñ - - so
- so - so eigenartig nach innen gekehrt, - - - - da fØhlte ich den
Weihrauchduft von den Schwingen des Erzengels. - - Kennen Sie das Gnadenbild
der schwarzen Muttergottes in der Teinkirche? Dort warf ich mich nieder und
die Finsternis des Paradieses hØllte meine Seele ein." -
- - - Wie ich Charousek so dastehen sah, die groñen, trÄumerischen
Augen voll TrÄnen, da fielen mir Hillels Worte ein von der Unbegreiflichkeit
des dunklen Pfades, den die BrØder des Todes gehen.
Charousek fuhr fort:
"Die Äuñeren Umstande, die meinen Hañ 'rechtfertigen' oder in den
Gehirnen der amtlich besoldeten Richter begreiflich erscheinen lassen
kÃnnten, werden Sie vielleicht gar nicht interessieren: - Tatsachen sehen
sich an wie Meilensteine und sind doch nur leere Eierschalen. Sie sind das
aufdringliche Knallen der Champagnerpfropfen an den Tafeln der Protzen, das
nur der Schwachsinnige fØr das Wesentliche eines Gelages hÄlt. - Wassertrum
hat meine Mutter mit all den infernalischen Mitteln, die seinesgleichen
Gewohnheit sind, gezwungen, ihm zu Willen zu sein, - wenn es nicht noch viel
schlimmer war. Und dann - - nun ja - und dann hat er sie an - ein
Freudenhaus verkauft, - - - so etwas ist nicht schwer, wenn man PolizeirÄte
zu GeschÄftsfreunden hat, - aber nicht etwa, weil er ihrer ØberdrØssig
gewesen wÄre, o nein! Ich kenne die Schlupfwinkel seines Herzens: an dem
Tage hat er sie verkauft, wo er sich voll Schrecken bewuñt wurde, wie heiñ
er sie in Wirklichkeit liebte. So einer wie er handelt da scheinbar
widersinnig, aber immer gleich. Das Hamsterhafte in seinem Wesen quietscht
auf, sowie jemand kommt und kauft ihm irgend etwas ab aus seiner TrÃdlerbude
gegen noch so teures Geld: er empfindet nur den Zwang des 'HergebenmØssens'.
Er mÃchte den Begriff 'haben' am liebsten in sich hineinfressen und kÃnnte
er sich Øberhaupt ein Ideal ausdenken, so wÄr's das, sich dereinst in den
abstrakten Begriff 'Besitz' aufzulÃsen. - -
Und da ist es damals riesengroñ in ihm gewachsen bis zu einem Berg von
Angst: "seiner selbst nicht mehr sicher" zu sein, - nicht: etwas an Liebe
geben zu wollen, sondern geben zu mØssen: die Gegenwart eines Unsichtbaren
in sich zu ahnen, das seinen Willen oder das, von dem er mÃchte, dañ es sein
Wille sein sollte, heimlich in Fesseln schlug. - So war der Anfang. Was dann
folgte, geschah automatisch. Wie der Hecht mechanisch zubeiñen muñ, - ob er
will oder nicht - wenn ein blitzender Gegenstand zu rechter Zeit
vorØberschwimmt.
Das Verschachern meiner Mutter ergab sich fØr Wassertrum als natØrliche
Folge. Es befriedigte den Rest der in ihm schlummernden Eigenschaften: die
Gier nach Gold und die perverse Wonne an der Selbstqual. - - - Verzeihen
Sie, Meister Pernath," - Charouseks Stimme klang plÃtzlich so hart und
nØchtern, dañ ich erschrak, - "verzeihen Sie, dañ ich so furchtbar gescheit
daherrede, aber wenn man an der UniversitÄt ist, kommt einem eine Menge
vertrottelter BØcher unter die HÄnde; unwillkØrlich verfÄllt man dann in
eine teppenhafte Ausdrucksweise." -
Ich zwang mich ihm zu Gefallen zu einem LÄcheln; innerlich verstand ich
gar wohl, dañ er mit dem Weinen kÄmpfte.
Irgendwie muñ ich ihm helfen, Øberlegte ich, wenigstens seine bitterste
Not zu lindern versuchen, soweit das in meiner Macht steht. Ich nahm
unauffÄllig die Hundertguldennote, die ich noch zu Hause hatte, aus der
Kommodenschublade und steckte sie in die Tasche.
"Wenn Sie spÄter einmal in eine bessere Umgebung kommen und Ihren Beruf
als Arzt ausØben, wird Frieden bei Ihnen einziehen, Herr Charousek"; sagte
ich, um dem GesprÄch eine versÃhnliche Richtung zu geben, - "machen Sie bald
Ihr Doktorat?"
"DemnÄchst. Ich bin es meinen WohltÄtern schuldig. Zweck hat's ja
keinen, denn meine Tage sind gezÄhlt."
Ich wollte den Øblichen Einwand machen, dañ er doch wohl zu schwarz
sehe, aber erwehrte lÄchelnd ab:
"Es ist das beste so. Es muñ Øberdies kein VergnØgen sein, den
HeilkomÃdianten zu mimen und sich zu guterletzt noch als diplomierter
Brunnenvergifter einen Adelstitel zuzuziehen. - - Andererseits", setzte er
mit seinem galligen Humor hinzu, "wird mir leider jedes weitere segensreiche
Wirken hier im Diesseits-Getto ein fØr allemal abgeschnitten sein." Er griff
nach seinem Hut. "Jetzt will ich aber nicht langer stÃren. Oder wÄre noch
etwas zu besprechen in der Angelegenheit Savioli? Ich denke nicht. Lassen
Sie mich jedenfalls wissen, wenn Sie etwas Neues erfahren. Am besten, Sie
hÄngen einen Spiegel hier ans Fenster, als Zeichen, dañ ich Sie besuchen
soll. Zu mir in den Keller dØrfen Sie auf keinen Fall kommen: Wassertrum
wurde sofort Verdacht schÃpfen, dañ wir zusammenhalten. - Ich bin Øbrigens
sehr neugierig, was er jetzt tun wird, wo er gesehen hat, dañ die Dame zu
Ihnen gekommen ist. Sagen Sie ganz einfach, sie hÄtte Ihnen ein SchmuckstØck
zu reparieren gebracht, und wenn er zudringlich wird, spielen Sie eben den
Rabiaten."
Es wollte sich keine passende Gelegenheit ergeben, Charousek die
Banknote aufzudrÄngen; ich nahm daher das Modellierwachs wieder vom
Fensterbrett und sagte: "Kommen Sie, ich begleite Sie ein StØck die Treppen
hinunter. - Hillel erwartet mich", log ich.
Er stutzte:
"Sie sind mit ihm befreundet?"
"Ein wenig. Kennen Sie ihn? - - Oder miñtrauen Sie ihm", - ich muñte
unwillkØrlich lÄcheln - "vielleicht auch?"
"Da sei Gott vor!"
"Warum sagen Sie das so ernst?"
Charousek zÃgerte und dachte nach:
"Ich weiñ selbst nicht warum. Es muñ etwas Unbewuñtes sein: so oft ich
ihm auf der Strañe begegne, mÃchte ich am liebsten vom Pflaster
heruntertreten und das Knie beugen wie vor einem Priester, der die Hostie
trÄgt. - Sehen Sie, Meister Pernath, da haben Sie einen Menschen, der in
jedem Atom das Gegenteil von Wassertrum ist. Er gilt z. B. bei den Christen
hier im Viertel, die, wie immer, so auch in diesem Fall falsch informiert
sind, als Geizhals und heimlicher MillionÄr und ist doch unsagbar arm."
Ich fuhr entsetzt auf: "arm?"
"Ja, womÃglich noch armer als ich. Das Wort 'nehmen' kennt er, glaub'
ich, Øberhaupt nur aus BØchern; aber wenn er am Ersten des Monats aus dem
'Rathaus' kommt, dann laufen die jØdischen Bettler vor ihm davon, weil sie
wissen, er wØrde dem nÄchsten besten von ihnen seinen ganzen kÄrglichen
Gehalt in die Hand drØcken und ein paar Tage spÄter - samt seiner Tochter
selber verhungern. - Wenn's wahr ist, was eine uralte talmudische Legende
behauptet: dañ von den zwÃlf jØdischen StÄmmen zehn verflucht sind und zwei
hellig, so verkÃrpert er die zwei heiligen und Wassertrum alle zehn andern
zusammen. - Haben Sie noch nie bemerkt, wie Wassertrum sÄmtliche Farben
spielt, wenn Hillel an ihm vorØber geht? Interessant, sag' ich Ihnen! Sehen
Sie, solches Blut kann sich gar nicht vermischen; da kamen die Kinder tot
zur Welt. Vorausgesetzt, dañ die MØtter nicht schon frØher vor Entsetzen
stØrben. - Hillel ist Øbrigens der einzige, an den sich Wassertrum nicht
herantraut; - er weicht ihm aus wie dem Feuer. Vermutlich, weil Hillel das
Unbegreifliche, das vollkommen UnentrÄtselbare, fØr ihn bedeutet. Vielleicht
wittert er in ihm auch den Kabballsten."
Wir gingen bereits die Stiegen hinab.
"Glauben Sie, dañ es heutzutage noch Kabballsten gibt - dañ Øberhaupt
an der Kabbala etwas sein konnte?", fragte ich, gespannt, was er wohl
antworten wØrde, aber er schien nicht zugehÃrt zu haben.
Ich wiederholte meine Frage.
Hastig lenkte er ab und deutete auf eine TØr des Treppenhauses, die aus
Kistendeckeln zusammengenagelt war:
"Sie haben da neue Mitbewohner bekommen, eine zwar jØdische aber arme
Familie: den meschuggenen Musikanten Nephtali Schaffranek mit Tochter,
Schwiegersohn und Enkelkindern. Wenn's dunkel wird und er allein ist mit den
kleinen MÄdchen, kommt der Rappel Øber ihn: dann bindet er sie an den Daumen
zusammen, damit sie ihm nicht davonlaufen, zwÄngt sie in einen alten
HØhnerkÄfig und unterweist sie im 'Gesang', wie er es nennt, damit sie
spÄter ihren Lebensunterhalt selbst erwerben kÃnnen, - das heiñt, er lehrt
sie die verrØcktesten Lieder, die es gibt, deutsche Texte, BruchstØcke, die
er irgendwo aufgeschnappt hat und im DÄmmer seines Seelenzustandes fØr -
preuñische Schlachthymnen oder dergleichen hÄlt."
Wirklich tÃnte da eine sonderbare Musik leise auf den Gang heraus. Ein
Fiedelbogen kratzte fØrchterlich hoch und immerwÄhrend in ein und demselben
Ton die Umrisse eines Gassenhauers, und zwei fadendØnne Kinderstimmen sangen
dazu:
"Frau Pick,
Frau Hock,
Frau Kle - pe - tarsch,
se stehen beirenond
und schmusen allerhond - -"
Es war wie Wahnwitz und Komik zugleich, und ich muñte wider Willen
hellaut auflachen.
"Schwiegersohn Schaffranek - seine Frau verkauft auf dem Eiermarkt
Gurkensaft glÄschenweise an die Schuljugend - lÄuft den ganzen Tag in den
BØros herum", fuhr Charousek grimmig fort, "und erbettelt sich alte
Briefmarken. Die sortiert er dann, und wenn er welche darunter findet, die
zufÄllig nur am Rande gestempelt sind, so legt er sie aufeinander und
schneidet sie durch. Die ungestempelten HÄlften klebt er zusammen und
verkauft sie als neu. Anfangs blØhte das GeschÄft und warf manchmal fast
einen - Gulden im Tag ab, aber schlieñlich kamen die Prager jØdischen
Groñindustriellen dahinter - und machen es jetzt selber. Sie schÃpfen den
Rahm ab."
"WØrden Sie Not lindern, Charousek, wenn Sie ØberflØssiges Geld
hÄtten?" fragte ich rasch. - Wir standen vor Hillels TØr und ich klopfte an.
"Halten Sie mich fØr so gemein, dañ Sie glauben kÃnnen, ich tÄte es
nicht?", fragte er verblØfft zurØck.
Mirjams Schritte kamen nÄher, und ich wartete, bis sie die Klinke
niederdrØckte, dann schob ich ihm rasch die Banknote in die Tasche:
"Nein, Herr Charousek, ich halte Sie nicht dafØr, aber mich mØñten Sie
fØr gemein halten, wenn ich's unterlieñe."
Ehe er etwas erwidern konnte, hatte ich ihm die Hand geschØttelt und
die TØr hinter mir zugezogen. WÄhrend mich Mirjam begrØñte, lauschte ich,
was er tun wØrde.
Er blieb eine Weile stehen, dann schluchzte er leise auf und ging
langsam mit suchendem Schritt die Treppe hinunter. Wie jemand, der sich am
GelÄnder halten muñ. - - -
Es war das erste Mal, dañ ich Hillels Zimmer besuchte.
Es sah schmucklos aus wie ein GefÄngnis. Der Boden peinlich sauber und
mit weiñem Sand bestreut. Nichts an MÃbeln als zwei StØhle und ein Tisch und
eine Kommode. Ein Holzpostament je links und rechts an den WÄnden. - - -
Mirjam sañ mir gegenØber am Fenster, und ich bossierte an meinem
Modellierwachs.
"Muñ man denn ein Gesicht vor sich haben, um die ähnlichkeit zu
treffen?", fragte sie schØchtern und nur, um die Stille zu unterbrechen.
Wir wichen einander scheu mit den Blicken aus. Sie wuñte nicht, wohin
die Augen richten in ihrer Qual und Scham Øber die jammervolle Stube, und
mir brannten die Wangen von innerem Vorwurf, dañ ich mich nicht lÄngst darum
gekØmmert hatte, wie sie und ihr Vater lebten.
Aber irgend etwas muñte ich doch antworten!
"Nicht so sehr, um die ähnlichkeit zu treffen, als um zu vergleichen,
ob man innerlich auch richtig gesehen hat", - ich fØhlte, noch wÄhrend ich
sprach, wie grundfalsch das alles war, was ich sagte.
Jahrelang hatte ich den irrigen Grundsatz der Maler, man mØsse die
Äuñere Natur studieren, um kØnstlerisch schaffen zu kÃnnen, stumpfsinnig
nachgebetet und befolgt; erst, seit Hillel mich in jener Nacht erweckt, war
mir das innere Schauen aufgegangen: das wahre SehenkÃnnen hinter
geschlossenen Lidern, das sofort erlischt, wenn man die Augen aufschlÄgt, -
die Gabe, die sie alle zu haben glauben und die doch unter Millionen keiner
wirklich besitzt.
Wie konnte ich auch nur von der MÃglichkeit sprechen, die unfehlbare
Richtschnur der geistigen Vision an den groben Mitteln des Augenscheins
nachmessen zu wollen!
Mirjam schien ähnliches zu denken, nach dem Erstaunen in ihren Mienen
zu schlieñen.
"Sie dØrfen es nicht so wÃrtlich nehmen", entschuldigte ich mich.
Voll Aufmerksamkeit sah sie zu, wie ich mit dem Griffel die Form
vertiefte.
"Es muñ unendlich schwer sein, alles dann haargenau auf Stein zu
Øbertragen?"
"Das ist nur mechanische Arbeit. So ziemlich wenigstens."
Pause.
"Darf ich die Gemme sehen, wenn sie fertig ist?" fragte sie.
"Sie ist doch fØr Sie bestimmt, Mirjam."
"Nein, nein; das geht nicht, - - das - das - -", - ich sah, wie ihre
HÄnde nervÃs wurden.
"Nicht einmal diese Kleinigkeit wollen Sie von mir annehmen?",
unterbrach ich sie schnell, "ich wollte, ich dØrfte mehr fØr Sie tun."
Hastig wandte sie das Gesicht ab.
Was hatte ich da gesagt! Ich muñte sie aufs tiefste verletzt haben. Es
hatte geklungen, als wollte ich auf ihre Armut anspielen.
Konnte ich es noch beschÃnigen? Wurde es dann nicht weit schlimmer?
Ich nahm einen Anlauf:
"HÃren Sie mich ruhig an, Mirjam! Ich bitte Sie darum. - Ich schulde
Ihrem Vater so unendlich viel, - Sie kÃnnen das gar nicht ermessen - -"
Sie sah mich unsicher an; verstand offenbar nicht.
"-ja ja: unendlich viel. Mehr als mein Leben."
"Weil er Ihnen damals beistand, als Sie ohnmÄchtig waren? Das war doch
selbstverstÄndlich."
Ich fØhlte: sie wuñte nicht, welches Band mich mit ihrem Vater
verknØpfte. Vorsichtig sondierte ich, wie weit ich gehen durfte, ohne zu
verraten, was er ihr verschwieg.
"Weit hÃher als Äuñere Hilfe, dachte ich, ist die innere zu stellen. -
Ich meine die, die aus dem geistigen Einfluñ eines Menschen auf den andern
Øberstrahlt. - Verstehen Sie, was ich damit sagen will, Mirjam? - Man kann
jemand auch seelisch heilen, nicht nur kÃrperlich, Mirjam."
"Und das hat - -?"
"Ja, das hat Ihr Vater an mir getan!" - ich fañte sie an der Hand, -
"begreifen Sie nicht, dañ es mir da ein Herzenswunsch sein muñ, wenn schon
nicht ihm, so doch jemand, der ihm so nahesteht, wie Sie, irgendeine Freude
zu bereiten? - Haben Sie nur ein ganz klein wenig Vertrauen zu mir! - Gibt's
denn gar keinen Wunsch, den ich Ihnen erfØllen kÃnnte?"
Sie schØttelte den Kopf: "Sie glauben, ich fØhle mich unglØcklich
hier?"
"Gewiñ nicht. Aber vielleicht haben Sie zuweilen Sorgen, die ich Ihnen
abnehmen konnte? Sie sind verpflichtet - hÃren Sie! - verpflichtet, mich
daran teilnehmen zu lassen! Warum leben Sie denn beide hier in der finstern
traurigen Gasse, wenn Sie nicht mØñten? Sie sind noch so jung, Mirjam, und -
-"
"Sie leben doch selbst hier, Herr Pernath", unterbrach sie mich
lÄchelnd, "was fesselt Sie an das Haus?"
Ich stutzte. - Ja. Ja, das war richtig. Warum lebte ich eigentlich
hier? Ich konnte es mir nicht erklÄren, was fesselt dich an das Haus?
wiederholte ich mir geistesabwesend. Ich konnte keine ErklÄrung finden und
vergañ einen Augenblick ganz, wo ich war. - Dann stand ich plÃtzlich
entrØckt irgendwo hoch oben - in einem Garten - roch den zauberhaften Duft
von blØhenden Holunderdolden, - sah herab auf die Stadt - - -
"Habe ich eine Wunde berØhrt? Hab' ich Ihnen weh getan?", kam Mirjams
Stimme von weit, weit her zu mir.
Sie hatte sich Øber mich gebeugt und sah mir Ängstlich forschend ins
Gesicht.
Ich muñte wohl lange starr dagesessen haben, dañ sie so besorgt war.
Eine Weile schwankte es hin und her in mir, dann brach sich's plÃtzlich
gewaltsam Bahn, Øberflutete mich, und ich schØttete Mirjam mein ganzes Herz
aus.
Ich erzÄhlte ihr, wie einem lieben, alten Freund, mit dem man sein
ganzes Leben beisammen war und vor dem man kein Geheimnis hat, wie's um mich
stand und auf welche Weise ich aus einer ErzÄhlung Zwakhs erfahren hatte,
dañ ich in frØheren Jahren wahnsinnig gewesen und der Erinnerung an meine
Vergangenheit beraubt worden war, - wie in letzter Zeit Bilder in mir wach
geworden, die in jenen Tagen wurzeln muñten, immer hÄufiger und hÄufiger,
und dañ ich vor dem Moment zitterte, wo mir alles offenbar werden und mich
von neuem zerreiñen wØrde.
Nur, was ich mit ihrem Vater in Zusammenhang bringen muñte: - meine
Erlebnisse in den unterirdischen GÄngen und all das Øbrige, verschwieg ich
ihr.
Sie war dicht zu mir gerØckt und hÃrte mit einer tiefen atemlosen
Teilnahme zu, die mir unsÄglich wohl tat.
Endlich hatte ich einen Menschen gefunden, mit dem ich mich aussprechen
konnte, wenn mir meine geistige Einsamkeit zu schwer wurde. - Gewiñ wohl:
Hillel war ja noch da, aber fØr mich nur wie ein Wesen jenseits der Wolken,
das kam und verschwand wie ein Licht, an das ich nicht herankonnte, wenn ich
mich sehnte.
Ich sagte es ihr und sie verstand mich. Auch sie sah ihn so, trotzdem
er ihr Vater war.
Er hing mit unendlicher Liebe an ihr und sie an ihm - "und doch bin ich
wie durch eine Glaswand von ihm getrennt," vertraute sie mir an, "die ich
nicht durchbrechen kann. Solange ich denke, war es so. - Wenn ich ihn als
Kind im Traum an meinem Bette stehen sah, immer trug er das Gewand des
Hohenpriesters: die goldene Tafel des Moses mit den 12 Steinen darin auf der
Brust, und blaue leuchtende Strahlen gingen von seinen SchlÄfen aus. - Ich
glaube, seine Liebe ist von der Art, die Øbers Grab hinausgeht, und zu groñ,
als dañ wir sie fassen kÃnnten. - Das hat auch meine Mutter immer gesagt,
wenn wir heimlich Øber ihn sprachen." - - Sie schauderte plÃtzlich und
zitterte am ganzen Leib. Ich wollte aufspringen, aber sie hielt mich zurØck:
"Seien Sie ruhig, es ist nichts. Bloñ eine Erinnerung. Als meine Mutter
starb - nur ich weiñ, wie er sie geliebt hat, ich war damals noch ein
kleines MÄdchen, - glaubte ich vor Schmerz ersticken zu mØssen, und ich lief
zu ihm hin und krallte mich in seinen Rock und wollte aufschreien und konnte
doch nicht, weil alles gelÄhmt war in mir - und - und da - - - - mir lauft's
wieder eiskalt Øber den RØcken, wenn ich daran denke - sah er mich lÄchelnd
an, kØñte mich auf die Stirn und fuhr mir mit der Hand Øber die Augen. - - -
- Und von dem Moment an bis heute war jedes Leid, dañ ich meine Mutter
verloren hatte, wie ausgetilgt in mir. Nicht eine TrÄne konnte ich
vergieñen, als sie begraben wurde; ich sah die Sonne als strahlende Hand
Gottes am Himmel stehen und wunderte mich, warum die Menschen weinten. Mein
Vater ging hinter dem Sarge her, neben mir, und wenn ich aufblickte,
lÄchelte er jedesmal leise und ich fØhlte, wie das Entsetzen durch die Menge
fuhr, als sie es sahen."
"Und sind Sie glØcklich, Mirjam? Ganz glØcklich? Liegt nicht zugleich
etwas Furchtbares fØr Sie in dem Gedanken, ein Wesen zum Vater zu haben, das
hinausgewachsen ist Øber alles Menschentum?", fragte ich leise.
Mirjam schØttelte freudig den Kopf:
"Ich lebe wie in einem seligen Schlaf dahin. - Als Sie mich vorhin
fragten, Herr Pernath, ob ich nicht Sorgen hÄtte und warum wir hier wohnten,
muñte ich fast lachen. Ist denn die Natur schÃn? Nun ja, die BÄume sind grØn
und der Himmel ist blau, aber das alles kann ich mir viel schÃner
vorstellen, wenn ich die Augen schlieñe. Muñ ich denn, um sie zu sehen, auf
einer Wiese sitzen? - Und das biñchen Not und - und - und Hunger? Das wird
tausendfach aufgewogen durch die Hoffnung und das Warten."
"Das Warten?", fragte ich erstaunt.
"Das Warten auf ein Wunder. Kennen Sie das nicht? Nein? Da sind Sie
aber ein ganz, ganz armer Mensch. - Dañ das so wenige kennen?! Sehen Sie,
das ist auch der Grund, weshalb ich nie ausgehe und mit niemand verkehre.
Ich hatte wohl frØher ein paar Freundinnen - JØdinnen natØrlich, wie ich -,
aber wir redeten immer aneinander vorbei; sie verstanden mich nicht und ich
sie nicht. Wenn ich von Wundern sprach, glaubten sie anfangs, ich mache
Spañ, und als sie merkten, wie ernst es mir war und dañ ich auch unter
Wundern nicht das verstand, was die Deutschen mit ihren Brillen so
bezeichnen: das gesetzmÄñige Wachsen des Grases und dergleichen, sondern
eher das Gegenteil, - hÄtten sie mich am liebsten fØr verrØckt gehalten,
aber dagegen stand ihnen wieder im Wege, dañ ich ziemlich gelenkig bin im
Denken, hebrÄisch und aramÄisch gelernt habe, die Targumim und Midraschim
lesen kann, und was dergleichen NebensÄchlichkeiten mehr sind. Schlieñlich
fanden sie ein Wort, das Øberhaupt nichts mehr ausdrØckt: sie nannten mich
'Øberspannt'.
Wenn ich ihnen dann klarmachen wollte, dañ das Bedeutsame - das
Wesentliche - fØr mich in der Bibel und anderen heiligen Schriften das
Wunder und bloñ das Wunder sei und nicht Vorschriften Øber Moral und Ethik,
die nur versteckte Wege sein kÃnnen, um zum Wunder zu gelangen, - so wuñten
sie nur mit GemeinplÄtzen zu erwidern, denn sie scheuten sich, offen
einzugestehen, dañ sie aus den Religionsschriften nur das glaubten, was
ebensogut im bØrgerlichen Gesetzbuch stehen kÃnnte. Wenn sie das Wort
'Wunder' nur hÃrten, wurde ihnen schon unbehaglich. Sie verlÃren den Boden
unter den FØñen, sagten sie.
Als ob es etwas Herrlicheres geben kÃnnte, als den Boden unter den
FØñen zu verlieren!
Die Welt ist dazu da, um von uns kaputt gedacht zu werden, hÃrte ich
einmal meinen Vater sagen, - dann, dann erst fÄngt das Leben an. - Ich weiñ
nicht, was er mit dem 'Leben' meinte, aber ich fØhle zuweilen, dañ ich eines
Tages so wie: 'erwachen' werde. Wenn ich mir auch nicht vorstellen kann, in
welchen Zustand hinein. Und Wunder mØssen dem vorhergehen, denke ich mir
immer.
'Hast du denn schon welche erlebt, dañ du fortwÄhrend darauf wartest?'
fragten mich oft meine Freundinnen, und wenn ich verneinte, wurden sie
plÃtzlich froh und siegesgewiñ. Sagen Sie, Herr Pernath, kÃnnen Sie solche
Herzen verstehen? Dañ ich doch Wunder erlebt habe, wenn auch nur kleine, -
winzig kleine -", - Mirjams Augen glÄnzten, - "wollte ich ihnen nicht
verraten, - - -"
Ich hÃrte, wie FreudentrÄnen ihre Stimme fast erstickten.
"- aber Sie werden mich verstehen: oft, Wochen, ja Monate", - Mirjam
wurde ganz leise - "haben wir nur von Wundern gelebt. Wenn gar kein Brot
mehr im Hause war, aber auch nicht ein Bissen mehr, dann wuñte ich: jetzt
ist die Stunde da! - Und dann sañ ich hier und wartete und wartete, bis ich
vor Herzklopfen kaum mehr atmen konnte. Und - und dann, wenn's mich
plÃtzlich zog, lief ich hinunter und kreuz und quer durch die Strañen, so
rasch ich konnte, um rechtzeitig wieder im Hause zu sein, ehe mein Vater
heimkam. Und - und jedesmal fand ich Geld. Einmal mehr, einmal weniger, aber
immer soviel, dañ ich das NÃtigste einkaufen konnte. Oft lag ein Gulden
mitten auf der Strañe; ich sah ihn von weitem blitzen und die Leute traten
darauf, rutschten aus darØber, aber keiner bemerkte ihn. - Das machte mich
zuweilen so ØbermØtig, dañ ich gar nicht erst ausging, sondern nebenan in
der KØche den Boden durchsuchte wie ein Kind, ob nicht Geld oder Brot vom
Himmel gefallen sei."
- Ein Gedanke schoñ mir durch den Kopf, und ich muñte aus Freude
darØber lÄcheln. -
Sie sah es.
"Lachen Sie nicht, Herr Pernath", flehte sie. "Glauben Sie mir, ich
weiñ, dañ diese Wunder wachsen werden und dañ sie eines Tages -"
Ich beruhigte sie: "Aber ich lache doch nicht, Mirjam! Was denken Sie
denn! Ich bin unendlich glØcklich, dañ Sie nicht sind wie die andern, die
hinter jeder Wirkung die gewohnte Ursache suchen und bocken, wenn's - wir
rufen in solchen Fallen: Gott sei Dank! - einmal anders kommt."
Sie streckte mir die Hand hin:
"Und nicht wahr, Sie werden nie mehr sagen, Herr Pernath, dañ Sie mir -
oder uns - helfen wollen? Jetzt, wo Sie wissen, dañ Sie mir die MÃglichkeit,
ein Wunder zu erleben, rauben wØrden, wenn Sie es tÄten?"
Ich versprach es. Aber im Herzen machte ich einen Vorbehalt.
Da ging die TØr und Hillel trat ein.
Mirjam umarmte ihn; und er begrØñte mich. Herzlich und voll
Freundschaft, aber wieder mit dem kØhlen "Sie".
Auch schien etwas wie leise MØdigkeit oder Unsicherheit auf ihm zu
lasten. - Oder irrte ich mich?
Vielleicht kam es nur von der DÄmmerung, die in der Stube lag.
"Sie sind gewiñ hier, mich um Rat zu fragen", fing er an, als Mirjam
uns allein gelassen hatte, "in der Sache, die die fremde Dame betrifft - -?"
Ich wollte ihn verwundert unterbrechen, aber er fiel mir in die Rede:
"Ich weiñ es von dem Studenten Charousek. Ich sprach ihn auf der Gasse
an, weil er mir merkwØrdig verÄndert vorkam. Er hat mir alles erzÄhlt. In
der øberfØlle seines Herzens. Auch, dañ - Sie ihm Geld geschenkt haben." Er
sah mich durchdringend an und betonte jedes seiner Worte auf hÃchst seltsame
Weise, aber ich verstand nicht, was er damit wollte:
"Gewiñ, es hat dadurch ein paar Tropfen GlØck mehr vom Himmel geregnet
- und - und in diesem - Fall hat's vielleicht auch nicht geschadet, aber -,"
er dachte eine Weile nach, - "aber manchmal schafft man sich und anderen nur
Leid damit. Gar so leicht ist das Helfen nicht, wie Sie denken, mein lieber
Freund! Da wÄre es sehr, sehr einfach, die Welt zu erlÃsen. - Oder glauben
Sie nicht?"
"Geben Sie denn nicht auch den Armen? Oft alles, was Sie besitzen,
Hillel?", fragte ich.
Er schØttelte lÄchelnd den Kopf: "Mir scheint, Sie sind Øber Nacht ein
Talmudist geworden, dañ Sie eine Frage wieder mit einer Frage beantworten.
Da ist freilich schwer streiten."
Er hielt inne, als ob ich darauf antworten sollte, aber wiederum
verstand ich nicht, worauf er eigentlich wartete.
"øbrigens, um zu dem Thema zurØckzukommen", fuhr er in verÄndertem Tone
fort, "ich glaube nicht, dañ Ihrem SchØtzling - ich meine die Dame -
augenblicklich Gefahr droht. Lassen Sie die Dinge an sich herantreten. Es
heiñt zwar: 'der kluge Mann baut vor', aber der KlØgere, scheint mir, wartet
ab und ist auf alles gefañt. Vielleicht ergibt sich die Gelegenheit, dañ
Aaron Wassertrum mit mir zusammentrifft, aber das muñ dann von ihm ausgehen,
- ich tue keinen Schritt, er muñ herØberkommen. Ob zu Ihnen oder zu mir, ist
gleichgØltig - und dann will ich mit ihm reden. An ihm wird's sein, sich zu
entscheiden, ob er meinen Rat befolgen will oder nicht. Ich wasche meine
HÄnde in Unschuld."
Ich versuchte Ängstlich in seinem Gesicht zu lesen. So kalt und
eigentØmlich drohend hatte er noch nie gesprochen. Aber hinter diesem
schwarzen, tiefliegenden Auge schlief ein Abgrund.
"Es ist wie eine Glaswand zwischen ihm und uns", fielen mir Mirjams
Worte ein.
Ich konnte ihm nur wortlos die Hand drØcken und - gehen.
Er begleitete mich bis vor die TØre und, als ich die Treppe hinaufging
und mich noch einmal umdrehte, sah ich, dañ er stehen geblieben war und mir
freundlich nachwinkte, aber wie jemand, der noch gern etwas sagen mÃchte und
nicht kann.
Angst
Ich hatte die Absicht, mir Mantel und Stock zu holen und in die kleine
Wirtsstube "Zum alten Ungelt" essen zu gehen, wo allabendlich Zwakh,
Vrieslander und Prokop bis spÄt in die Nacht beisammen sañen und einander
verrØckte Geschichten erzÄhlten; aber kaum betrat ich mein Zimmer, da fiel
der Vorsatz von mir ab, - wie wenn mir HÄnde ein Tuch oder sonst etwas, was
ich am Leibe getragen, abgerissen hÄtten.
Es lag eine Spannung in der Luft, Øber die ich mir keine Rechenschaft
geben konnte, die aber trotzdem vorhanden war wie etwas Greifbares und sich
im Verlauf weniger Sekunden derart heftig auf mich Øbertrug, dañ ich vor
Unruhe anfangs kaum wuñte, was ich zuerst tun sollte: Licht anzØnden, hinter
mir abschlieñen, mich niedersetzen oder auf und ab gehen.
Hatte sich jemand in meiner Abwesenheit eingeschlichen und versteckt?
War's die Angst eines Menschen vor dem Gesehenwerden, die mich ansteckte?
War Wassertrum vielleicht hier?
Ich griff hinter die Gardinen, Ãffnete den Schrank, tat einen Blick ins
Nebenzimmer: - niemand.
Auch die Kassette stand unverrØckt an ihrem Platz.
Ob es nicht am besten war, ich verbrannte die Briefe kurz entschlossen,
um ein fØr allemal die Sorge um sie los zu sein?
Schon suchte ich nach dem SchlØssel in meiner Westentasche - aber muñte
es denn jetzt geschehen? Es blieb mir doch Zeit genug bis morgen frØh.
Erst Licht machen!
Ich konnte die StreichhÃlzer nicht finden.
War die TØr abgesperrt? - Ich ging ein paar Schritte zurØck. Blieb
wieder stehen.
Warum mit einemmal die Angst?
Ich wollte mir VorwØrfe machen, dañ ich feig sei: - die Gedanken
blieben stecken. Mitten im Satz.
Eine wahnwitzige Idee Øberfiel mich plÃtzlich: rasch, rasch auf den
Tisch steigen, einen Sessel packen und zu mir hinaufziehen und "dem" den
SchÄdel damit von oben herab einschlagen, das da auf dem Boden herumkroch, -
- wenn - wenn es in die NÄhe kam.
"Es ist doch niemand hier," sagte ich mir laut und Ärgerlich vor, "hast
du dich denn je im Leben gefØrchtet?"
Es half nichts. Die Luft, die ich einatmete, wurde dØnn und schneidend
wie äther.
Wenn ich irgendetwas gesehen hÄtte: das GrÄñlichste, was man sich
vorstellen kann, - im Nu wÄre die Furcht von mir gewichen.
Es kam nichts.
Ich bohrte meine Augen in alle Winkel:
Nichts.
øberall lauter wohlbekannte Dinge: MÃbel, Truhen, die Lampe, das Bild,
die Wanduhr - leblose, alte, treue Freunde.
Ich hoffte, sie wØrden sich vor meinen Blicken verÄndern und mir Grund
geben, eine SinnestÄuschung als Ursache fØr das wØrgende AngstgefØhl in mir
zu finden.
Auch das nicht. - Sie blieben ihrer Form starr getreu. Viel zu starr
fØr das herrschende Halbdunkel, als dañ es natØrlich gewesen wÄre.
"Sie stehen unter demselben Zwang wie du selbst", fØhlte ich. "Sie
trauen sich nicht, auch nur die leiseste Bewegung zu machen."
Warum tickt die Wanduhr nicht? -
Das Lauern ringsum trank jeden Laut.
Ich rØttelte am Tisch und wunderte mich, dañ ich das GerÄusch hÃren
konnte.
Wenn doch wenigstens der Wind ums Haus pfiffe! - Nicht einmal das! Oder
das Holz im Ofen aufknallen wollte: - das Feuer war erloschen.
Und immerwÄhrend dasselbe entsetzliche Lauern in der Luft - pausenlos,
lØckenlos, wie das Rinnen von Wasser.
Dieses vergebliche Auf-dem-Sprung-stehen aller meiner Sinne! Ich
verzweifelte daran, es je Øberdauern zu kÃnnen. - Der Raum voll Augen, die
ich nicht sehen, - voll von planlos wandernden HÄnden, die ich nicht greifen
konnte.
"Es ist das Entsetzen, das sich aus sich selbst gebiert, die lÄhmende
Schrecknis des unfañbaren Nicht-Etwas, das keine Form hat und unserm Denken
die Grenzen zerfriñt", begriff ich dumpf.
Ich stellte mich steif hin und wartete.
Wartete wohl eine Viertelstunde: vielleicht lieñ "es" sich verleiten
und schlich von rØckwÄrts an mich heran - und ich konnte es ertappen?!
Mit einem Ruck fuhr ich herum: wieder nichts.
Dasselbe markverzehrende "Nichts", das nicht war und doch das Zimmer
mit seinem grausigen Leben erfØllte.
Wenn ich hinausliefe? Was hinderte mich?
"Es wØrde mit mir gehen", wuñte ich sofort mit unabweisbarer
Sicherheit. Auch, dañ es mir nichts nØtzen kÃnnte, wenn ich Licht machte,
sah ich ein, - dennoch suchte ich so lange nach dem Feuerzeug, bis ich es
gefunden hatte.
Aber der Kerzendocht wollte nicht brennen und kam lang aus dem Glimmen
nicht heraus: die kleine Flamme konnte nicht leben und nicht sterben, und
als sie sich endlich doch ein schwindsØchtiges Dasein erkÄmpft hatte, blieb
sie glanzlos wie gelbes, schmutziges Blech. Nein, da war die Dunkelheit noch
besser.
Ich lÃschte wieder aus und warf mich angezogen Øbers Bett. ZÄhlte die
SchlÄge meines Herzens: eins, zwei, drei - vier ... bis tausend, und immer
von neuem - Stunden, Tage, Wochen, wie mir schien, bis meine Lippen trocken
wurden und das Haar sich mir strÄubte: keine Sekunde der Erleichterung.
Auch nicht eine einzige.
Ich fing an, mir Worte vorzusagen, wie sie mir gerade auf die Zunge
kamen: "Prinz", "Baum", "Kind", "Buch" - und sie krampfhaft zu wiederholen,
bis sie plÃtzlich als sinnlose, schreckhafte Laute aus barbarischer Vorzeit
nackt mir gegenØberstanden, und ich mit aller Kraft nachdenken muñte, in
ihre Bedeutung zurØckzufinden: P-r-i-n-z? - B-u-ch?
War ich nicht schon wahnsinnig? Oder gestorben? - Ich tastete an mir
herum.
Aufstehen!
Mich in den Sessel setzen!
Ich lieñ mich in den Lehnstuhl fallen.
Wenn doch endlich der Tod kÄme!
Nur dieses blutlose, furchtbare Lauern nicht mehr fØhlen! "Ich - will -
nicht - ich will - nicht!", schrie ich. "HÃrt ihr denn nicht?!"
Kraftlos fiel ich zurØck.
Konnte es nicht fassen, dañ ich immer noch lebte.
UnfÄhig, irgend etwas zu denken oder zu tun, stierte ich geradeaus vor
mich hin.
"Weshalb er mir nur die KÃrner so beharrlich hinreicht?", ebbte ein
Gedanke auf mich zu, zog sich zurØck und kam wieder. Zog sich zurØck. Kam
wieder.
Langsam wurde mir endlich klar, dañ ein seltsames Wesen vor mir stand -
vielleicht schon, seit ich hier sañ, dagestanden hatte - und mir die Hand
hinstreckte:
Ein graues, breitschultriges GeschÃpf, in der GrÃñe eines gedrungen
gewachsenen Menschen, auf einen spiralfÃrmig gedrehten Knotenstock aus
weiñem Holz gestØtzt.
Wo der Kopf hÄtte sitzen mØssen, konnte ich nur einen Nebelballen aus
fahlem Dunst unterscheiden.
Ein trØber Geruch nach Sandelholz und nassem Schiefer ging von der
Erscheinung aus.
Ein GefØhl vollkommenster Wehrlosigkeit raubte mir fast die Besinnung.
Was ich die ganze lange Zeit an nervenzernagender Qual mitgemacht, drÄngte
sich jetzt zu Todesschrecken zusammen und war in diesem Wesen zur Form
geronnen.
Mein Selbsterhaltungstrieb sagte mir, ich wØrde wahnsinnig werden vor
Entsetzen und Furcht, wenn ich das Gesicht des Phantoms sehen kÃnnte, -
warnte mich davor, schrie es mir in die Ohren - und doch zog es mich wie ein
Magnet, dañ ich den Blick von dem fahlen Nebelballen nicht wenden konnte und
darin forschte nach Augen, Nase und Mund.
Aber so sehr ich mich auch abmØhte: der Dunst blieb unbeweglich. Wohl
glØckte es mir, KÃpfe aller Art auf den Rumpf zu setzen, doch jedesmal wuñte
ich, dañ sie nur meiner Einbildungskraft entstammten.
Sie zerrannen auch stets - fast in derselben Sekunde, in der ich sie
geschaffen hatte.
Nur die Form eines Ägyptischen Ibiskopfs blieb noch am lÄngsten
bestehen.
Die Umrisse des Phantoms schleierten schemenhaft in der Dunkelheit,
zogen sich kaum merklich zusammen und dehnten sich wieder aus, wie unter
langsamen AtemzØgen, die die ganze Gestalt durchliefen, die einzige
Bewegung, die zu bemerken war. Statt der FØñe berØhrten Knochenstumpen den
Boden, von denen das Fleisch - grau und blutleer - auf Spannenbreite zu
wulstigen RÄndern emporgezogen war.
Regungslos hielt das GeschÃpf mir seine Hand hin.
Kleine KÃrner lagen dann. Bohnengroñ, von roter Farbe und mit schwarzen
Punkten am Rande.
Was sollte ich damit?!
Ich fØhlte dumpf: eine ungeheure Verantwortung lag auf mir - eine
Verantwortung, die weit hinausging Øber alles Irdische, - wenn ich jetzt
nicht das Richtige tat.
Zwei Waagschalen, jede belastet mit dem Gewicht des halben
WeltgebÄudes, schweben irgendwo im Reich der Ursachen, ahnte ich - auf
welche von beiden ich ein StÄubchen warf: die sank zu Boden.
Das war das furchtbare Lauern ringsum!, verstand ich. "Keinen Finger
rØhren!", riet mir mein Verstand, - "und wenn der Tod in alle Ewigkeit nicht
kommen sollte und mich erlÃsen aus dieser Qual." -
Auch dann hÄttest du deine Wahl getroffen: du hÄttest die KÃrner
abgelehnt, raunte es in mir. Hier gibt's kein ZurØck.
Hilfesuchend blickte ich um mich, ob mir denn kein Zeichen wurde, was
ich tun sollte. Nichts.
Auch in mir kein Rat, kein Einfall - alles tot, gestorben.
Das Leben von Myriaden Menschen wiegt leicht wie eine Feder in diesem
furchtbaren Augenblick, erkannte ich. - -
Es muñte bereits tiefe Nacht sein, denn ich konnte die WÄnde meines
Zimmers nicht mehr unterscheiden.
Nebenan im Atelier stampften Schritte; ich hÃrte, dañ jemand SchrÄnke
rØckte, Schubladen aufriñ und polternd zu Boden warf, glaubte Wassertrums
Stimme zu erkennen, wie er in seinem rÃchelnden Bañ wilde Fluche ausstieñ;
ich horchte nicht hin. Es war mir belanglos wie das Rascheln einer Maus. -
Ich schloñ die Augen:
Menschliche Antlitze zogen in langen Reihen an mir vorØber. Die Lider
zugedrØckt - starre Totenmasken: - mein eigenes Geschlecht, meine eigenen
Vorfahren.
Immer dieselbe SchÄdelbildung, wie auch der Typus zu wechseln schien,
so stand es auf aus seinen GrØften, - mit glattem gescheiteltem Haar,
gelocktem und kurz geschnittenem, mit AllongeperØcken und in Ringe
gezwÄngten SchÃpfen - durch Jahrhunderte heran, bis die ZØge mir bekannter
und bekannter wurden und in ein letztes Gesicht zusammenflossen: - das
Gesicht des Golem, mit dem die Kette meiner Ahnen abbrach.
Dann lÃste die Finsternis mein Zimmer in einen unendlichen leeren Raum
auf, in dessen Mitte ich mich auf meinem Lehnstuhl sitzen wuñte, vor mir der
graue Schatten wieder mit dem ausgestreckten Arm.
Und als ich die Augen aufschlug, standen in zwei sich schneidenden
Kreisen, die einen Achter bildeten, fremdartige Wesen um uns herum:
Die des einen Kreises gehØllt in GewÄnder mit violettem Schimmer, die
des anderen mit rÃtlich schwarzem. Menschen einer fremden Rasse, von hohem,
unnatØrlich schmÄchtigem Wuchs, die Gesichter hinter leuchtenden TØchern
verborgen.
Das Herzbeben in meiner Brust sagte mir, dañ der Zeitpunkt der
Entscheidung gekommen war. Meine Finger zuckten nach den KÃrnern: - und da
sah ich, wie ein Zittern durch die Gestalten des rÃtlichen Kreises ging. -
Sollte ich die KÃrner zurØckweisen?: Das Zittern ergriff den blÄulichen
Kreis; - ich blickte den Mann ohne Kopf scharf an; er stand da - in
derselben Stellung: regungslos wie frØher.
Sogar sein Atem hatte aufgehÃrt.
Ich hob den Arm, wuñte noch immer nicht, was ich tun sollte, und -
schlug auf die ausgestreckte Hand des Phantoms, dañ die KÃrner Øber den
Boden hinrollten.
Einen Moment, so jÄh wie ein elektrischer Schlag, entglitt mir das
Bewuñtsein, und ich glaubte in endlose Tiefen zu stØrzen, - dann stand ich
fest auf den FØñen.
Das graue GeschÃpf war verschwunden. Ebenso die Wesen des rÃtlichen
Kreises.
Die blÄulichen Gestalten hingegen hatten einen Ring um mich gebildet;
sie trugen eine Inschrift aus goldnen Hieroglyphen auf der Brust und hielten
stumm - es sah aus wie ein Schwur - zwischen Zeigefinger und Daumen die
roten KÃrner in die Hohe, die ich dem Phantom ohne Kopf aus der Hand
geschlagen hatte.
Ich hÃrte, wie drauñen Hagelschauer gegen die Fenster tobten und
brØllender Donner die Luft zerriñ:
Ein Wintergewitter in seiner ganzen besinnungslosen Wut raste Øber die
Stadt hinweg. Vom Fluñ her drÃhnten durch das Heulen des Sturms in
rhythmischen Intervallen die dumpfen KanonenschØsse, die das Brechen der
Eisdecke auf der Moldau verkØndeten. Die Stube loderte im Licht der
ununterbrochen aufeinanderfolgenden Blitze. Ich fØhlte mich plÃtzlich so
schwach, dañ mir die Knie zitterten und ich mich setzen muñte.
"Sei ruhig," sagte deutlich eine Stimme neben mir, "sei ganz ruhig, es
ist heute die Lelschimurim: die Nacht der BeschØtzung." -
AllmÄhlich lieñ das Unwetter nach, und der betÄubende LÄrm ging Øber in
das eintÃnige Trommeln der Schloñen auf die Dacher.
Die Mattigkeit in meinen Gliedern nahm derart zu, dañ ich nur mehr mit
stumpfen Sinnen und halb im Traum wahrnahm, was um mich her vorging:
Jemand aus dem Kreis sagte die Worte:
"Den ihr suchet, der ist nicht hier."
Die andern erwiderten etwas in einer fremden Sprache.
Hierauf sagte der erste wieder leise einen Satz, dann kam der Name
"Henoch"
vor, aber ich verstand das Øbrige nicht: der Wind trug das StÃhnen der
berstenden Eisschollen zu laut vom Flusse herØber.
Dann lÃste sich einer aus dem Kreis, trat vor mich hin, deutete auf die
Hieroglyphen auf seiner Brust - sie waren dieselben Buchstaben wie die der
Øbrigen - und fragte mich, ob ich sie lesen kÃnne.
Und als ich - lallend vor MØdigkeit, - verneinte, streckte er die
HandflÄche gegen mich aus, und die Schrift erschien leuchtend auf meiner
Brust in Lettern, die zuerst lateinisch waren:
CHABRAT ZEREH AUR BOCHER
und sich langsam in die mir unbekannten verwandelten. - - - Und ich
fiel in einen tiefen, traumlosen Schlaf, wie ich ihn seit jener Nacht, in
der Hillel mir die Zunge gelÃst, nicht mehr gekannt hatte.
Trieb
Wie im Fluge waren mir die Stunden der letzten Tage vergangen. Kaum,
dañ ich mir Zeit zu den Mahlzeiten lieñ.
Ein unwiderstehlicher Drang nach Äuñerer TÄtigkeit hatte mich von frØh
bis abends an meinen Arbeitstisch gefesselt.
Die Gemme war fertig geworden, und Mirjam hatte sich wie ein Kind
darØber gefreut.
Auch der Buchstabe "I" in dem Buche Ibbur war ausgebessert.
Ich lehnte mich zurØck und lieñ ruhevoll all die kleinen Geschehnisse
der heutigen Stunden an mir vorØberziehen:
Wie das alte Weib, das mich bediente, am Morgen nach dem Ungewitter zu
mir ins Zimmer gestØrzt kam mit der Meldung, die steinerne BrØcke sei in der
Nacht eingestØrzt. -
Seltsam: - EingestØrzt! Vielleicht gerade in der Stunde, wo ich die
KÃrner - - - nein, nein, nicht daran denken; es kÃnnte einen Anstrich von
NØchternheit bekommen, was damals geschehen war, und ich hatte mir
vorgenommen, es in meiner Brust begraben sein zu lassen, bis es von selbst
wieder erwachte, - nur nicht daran rØhren.
Wie lange war's her, da ging ich noch Øber die BrØcke, sah die
steinernen Statuen - und jetzt lag sie, die BrØcke, die Jahrhunderte
gestanden, in TrØmmern.
Es stimmte mich beinahe wehmØtig, dañ ich nie mehr meinen Fuñ auf sie
setzen sollte. Wenn man sie auch wieder aufbaute, war es doch nicht mehr die
alte, geheimnisvolle, steinerne BrØcke.
Stundenlang hatte ich, wÄhrend ich an der Gemme schnitt, darØber
nachdenken mØssen, und so selbstverstÄndlich, als hÄtte ich es nie vergessen
gehabt, war es lebendig in mir geworden: wie oft ich als Kind und auch in
spÄtern Jahren zu dem Bildnis der heiligen Luitgard und all den andern, die
jetzt begraben lagen in den tosenden Wassern, aufgeblickt.
Die vielen, kleinen lieben Dinge, die ich in meiner Jugend mein eigen
genannt, hatte ich wieder gesehen im Geiste - und meinen Vater und meine
Mutter und die Menge Schulkameraden. Nur an das Haus, wo ich gewohnt, konnte
ich mich nicht mehr erinnern.
Ich wuñte, es wØrde plÃtzlich, eines Tages, wenn ich es am wenigsten
erwartete, wieder vor mir stehen; und ich freute mich darauf.
Die Empfindung, dañ sich mit einemmal alles natØrlich und einfach in
mir abwickelte, war so behaglich.
Als ich vorgestern das Buch Ibbur aus der Kassette geholt hatte, - es
war so gar nichts Erstaunliches daran gewesen, dañ es aussah, nun, wie eben
ein altes, mit wertvollen Initialen geschmØcktes Pergamentbuch aussieht -
schien es mir ganz selbstverstÄndlich.
Ich konnte nicht begreifen, dañ es jemals gespenstisch auf mich gewirkt
hatte!
Es war in hebrÄischer Sprache geschrieben, vollkommen unverstÄndlich
fØr mich.
Wann wohl der Unbekannte es wieder holen kommen wurde?
Die Freude am Leben, die wÄhrend der Arbeit heimlich in mich eingezogen
war, erwachte von neuem in ihrer ganzen erquickenden Frische und
verscheuchte die Nachtgedanken, die mich hinterrØcks wieder Øberfallen
wollten.
Rasch nahm ich Angelinas Bild - ich hatte die Widmung, die darunter
stand, abgeschnitten - und kØñte es.
Es war das alles so tÃricht und widersinnig, aber warum nicht einmal
von - GlØck trÄumen, die glitzernde Gegenwart festhalten und sich daran
freuen, wie Øber eine Seifenblase?
Konnte denn nicht vielleicht doch in ErfØllung gehen, was mir da die
Sehnsucht meines Herzens vorgaukelte? War es so ganz und gar unmÃglich, dañ
ich Øber Nacht ein berØhmter Mann wurde? Ihr ebenbØrtig, wenn auch nicht an
Herkunft? Zumindest Dr. Savioli ebenbØrtig? Ich dachte an die Gemme Mirjams:
wenn mir noch andere so gelangen wie diese - kein Zweifei, selbst die ersten
KØnstler aller Zeiten hatten nie etwas Besseres geschaffen.
Und nur einen Zufall angenommen: der Gatte Angelinas stØrbe plÃtzlich?
Mir wurde heiñ und kalt: ein winziger Zufall - und meine Hoffnung, die
verwegenste Hoffnung, gewann Gestalt. An einem dØnnen Faden, der stØndlich
reiñen konnte, hing das GlØck, das mir dann in den Schoñ fallen mØñte.
War mir denn nicht schon tausendfach Wunderbareres geschehen? Dinge,
von denen die Menschheit gar nicht ahnte, dañ sie Øberhaupt existierten?
War es kein Wunder, dañ binnen weniger Wochen kØnstlerische FÄhigkeiten
in mir erwacht waren, die mich jetzt schon weit Øber den Durchschnitt
erhoben?
Und ich stand doch erst am Anfang des Weges!
Hatte ich denn kein Anrecht auf GlØck?
Ist denn Mystik gleichbedeutend mit Wunschlosigkeit?
Ich ØbertÃnte das: "Ja" in mir: - nur noch eine Stunde trÄumen - eine
Minute - ein kurzes Menschendasein!
Und ich trÄumte mit offenen Augen:
Die Edelsteine auf dem Tisch wuchsen und wuchsen und umgaben mich von
allen Seiten mit farbigen WasserfÄllen. BÄume aus Opal standen in Gruppen
beisammen und strahlten die Lichtwellen des Himmels, der blau schillerte wie
der FlØgel eines gigantischen Tropenschmetterlings, in FunkensprØhregen Øber
unabsehbare Wiesen voll heiñem Sommerduft.
Mich dØrstete, und ich kØhlte meine Glieder in dem eisigen Gischt der
BÄche, die Øber FelsblÃcke rauschten aus schimmerndem Perlmutter.
SchwØler Hauch strich Øber HÄnge, ØbersÄt mit BlØten und Blumen, und
machte mich trunken mit den GerØchen von Jasmin, Hyazinthen, Narzissen,
Seidelbast - - -
UnertrÄglich! UnertrÄglich! Ich verlÃschte das Bild. - Mich dØrstete.
Das waren die Qualen des Paradieses.
Ich riñ die Fenster auf und lieñ den Tauwind an meine Stirne wehen.
Es roch nach kommendem FrØhling - - -
Mirjam!
Ich muñte an Mirjam denken.
Wie sie sich vor Erregung an der Wand hatte halten mØssen, um nicht
umzufallen, als sie mir erzÄhlen gekommen, ein Wunder sei geschehen, ein
wirkliches Wunder: sie habe ein GoldstØck gefunden in dem Brotlaib, den der
BÄcker vom Gang aus durchs Gitter ins KØchenfenster gelegt. - - -
Ich griff nach meiner BÃrse. - Hoffentlich war es heute nicht schon zu
spÄt, und ich kam noch zurecht, ihr wieder einen Dukaten zuzuzaubern!
TÄglich hatte sie mich besucht, um mir Gesellschaft zu leisten, wie sie
es nannte, dabei aber fast nicht gesprochen, so erfØllt war sie von dem
"Wunder" gewesen. Bis in die tiefsten Tiefen hatte das Erlebnis sie
aufgewØhlt und, wenn ich mir vorstellte, wie sie manchmal plÃtzlich ohne
Äuñern Grund - nur unter dem Einfluñ ihrer Erinnerung - totenblañ geworden
war bis in die Lippen, schwindelte mir bei dem bloñen Gedanken, ich kÃnnte
in meiner Blindheit Dinge angerichtet haben, deren Tragweite bis ins
Grenzenlose ging.
Und wenn ich mir die letzten, dunklen Worte Hillels ins GedÄchtnis rief
und in Zusammenhang damit brachte, Øberlief es mich eiskalt.
Die Reinheit des Motivs war keine Entschuldigung fØr mich, - der Zweck
heiligt die Mittel nicht, das sah ich ein.
Und was, wenn Øberdies das Motiv: "helfen zu wollen" nur scheinbar
"rein" war? Hielt sich nicht vielleicht doch eine heimliche LØge dahinter
verborgen?: der selbstgefÄllige, unbewuñte Wunsch, in der Rolle des Helfers
zu schwelgen?
Ich fing an, irre an mir selbst zu werden.
Dañ ich Mirjam viel zu oberflÄchlich beurteilt hatte, war klar.
Schon als die Tochter Hillels muñte sie anders sein als andere MÄdchen.
Wie hatte ich nur so vermessen sein kÃnnen, auf solch tÃrichte Weise in
ein Innenleben einzugreifen, das vielleicht himmelhoch Øber meinem eigenen
stand!
Schon ihr Gesichtsschnitt, der hundertmal eher in die Zeit der sechsten
Ägyptischen Dynastie pañte und selbst fØr diese noch viel zu vergeistigt
war, als in die unsrige mit ihren Verstandesmenschentypen, hÄtte mich warnen
mØssen.
"Nur der ganz Dumme miñtraut dem Äuñern Schein", hatte ich irgendwo
einmal gelesen. - Wie richtig! Wie richtig!
Mirjam und ich waren jetzt gute Freunde; sollte ich ihr eingestehen,
dañ ich es gewesen war, der die Dukaten Tag fØr Tag ins Brot geschmuggelt
hatte?
Der Schlag kÄme zu plÃtzlich. WØrde sie betÄuben.
Ich durfte das nicht wagen, muñte behutsamer vorgehen.
Das "Wunder" irgendwie abschwÄchen? Statt das Geld ins Brot zu stecken,
es auf die Treppenstufe zu legen, dañ sie es finden muñte, wenn sie die TØr
aufmachte, und so weiter, und so weiter? Etwas Neues, weniger Schroffes
wØrde sich schon ausdenken lassen, irgendein Weg, der sie aus dem
Wunderbaren allmÄhlich wieder ins AlltÄgliche herØberlenkte, trÃstete ich
mich.
Ja! Das war das Richtige.
Oder den Knoten zerhauen? Ihren Vater einweihen und zu Rate ziehen? Die
SchamrÃte stieg mir ins Gesicht. Zu diesem Schritt blieb Zeit genug, wenn
alle andern Mittel versagten.
Nur gleich ans Werk gehen, keine Zeit versÄumen!
Ein guter Einfall kam mir: Ich muñte Mirjam zu etwas ganz
Absonderlichem bewegen, sie fØr ein paar Stunden aus der gewohnten Umgebung
reiñen, dañ sie andere EindrØcke bekam.
Wir wØrden einen Wagen nehmen und eine Spazierfahrt machen. Wer kannte
uns denn, wenn wir das Judenviertel mieden?
Vielleicht interessierte es sie, die eingestØrzte BrØcke zu
besichtigen?
Oder der alte Zwakh oder eine ihrer frØheren Freundinnen sollte mit ihr
fahren, wenn sie es ungeheuerlich finden wØrde, dañ ich mit dabei sei.
Ich war fest entschlossen, keinen Widerspruch gelten zu lassen. - - -
An der TØrschwelle rannte ich einen Mann beinahe Øber den Haufen.
Wassertrum!
Er muñte durchs SchlØsselloch hereingespÄht haben, denn er stand
gebØckt, als ich mit ihm zusammengestoñen war.
"Suchen Sie mich?", fragte ich barsch.
Er stammelte ein paar Worte der Entschuldigung in seinem unmÃglichen
Jargon; dann bejahte er.
Ich forderte ihn auf, nÄher zu treten und sich zu setzen, aber er blieb
am Tisch stehen und drehte krampfhaft mit der Hutkrempe. Eine tiefe
Feindseligkeit, die er vergebens vor mir verbergen wollte, spiegelte aus
seinem Gesicht und jeder seiner Bewegungen.
Noch nie hatte ich den Mann in so unmittelbarer NÄhe gesehen. Seine
grauenhafte HÄñlichkeit war es nicht, die einen so abstieñ; (sie machte mich
eher mitleidig gestimmt: er sah aus wie ein GeschÃpf, dem die Natur selbst
bei seiner Geburt voll Wut und Abscheu mit dem Fuñ ins Gesicht getreten
hatte) - etwas anderes, UnwÄgbares, das von ihm ausging, trug die Schuld
daran.
Das "Blut", wie Charousek es treffend bezeichnet hatte.
UnwillkØrlich wischte ich mir die Hand ab, die ich ihm bei seinem
Eintritt gereicht hatte.
So wenig auffÄllig ich es machte, er schien es doch bemerkt zu haben,
denn er muñte sich plÃtzlich mit Gewalt zwingen, das Aufflammen des Hasses
in seinen ZØgen zu unterdrØcken.
"HØbsch ham Se's hier", fing er endlich stockend an, als er sah, dañ
ich ihm nicht den Gefallen tat, das GesprÄch zu beginnen.
Im Widerspruch zu seinen Worten schloñ er dabei die Augen, vielleicht,
um meinem Blick nicht zu begegnen. Oder glaubte er, dañ es seinem Gesicht
einen harmloseren Ausdruck verleihen wØrde?
Man konnte ihm deutlich anhÃren, welche MØhe er sich gab, hochdeutsch
zu reden.
Ich fØhlte mich nicht zu einer Entgegnung verpflichtet und wartete, was
er weiter sagen wØrde.
In seiner Verlegenheit griff er nach der Feile, die - weiñ Gott wieso -
noch seit Charouseks Besuch auf dem Tisch lag, fuhr aber unwillkØrlich
sofort wie von einer Schlange gebissen zurØck. Ich staunte innerlich Øber
seine unterbewuñte seelische FeinfØhligkeit.
"Freilich, natØrlich, es gehÃrt zum GeschÄft, dañ man's fein hat,"
raffte er sich auf, zu sagen, "wenn man - so noble Besuche bekommt." Er
wollte die Augen aufschlagen, um zu sehen, welchen Eindruck die Worte auf
mich machten, hielt es aber offenbar noch fØr verfrØht und schloñ sie
schnell wieder.
Ich wollte ihn in die Enge treiben: "Sie meinen die Dame, die neulich
hier vorfuhr? Sagen Sie doch offen, wo Sie hinauswollen!"
Er zÃgerte einen Moment, dann packte er mich heftig am Handgelenk und
zerrte mich ans Fenster.
Die sonderbare, unmotivierte Art, mit der er es tat, erinnerte mich
daran, wie er vor einigen Tagen den taubstummen Jaromir unten in seine HÃhle
gerissen hatte.
Mit krummen Fingern hielt er mir einen blitzenden Gegenstand hin:
"Was glauben Sie, Herr Pernath, lañt sich da noch was machen?"
Es war eine goldene Uhr mit so stark verbeulten Deckeln, dañ es fast
aussah, als hÄtte sie jemand mit Absicht verbogen.
Ich nahm ein VergrÃñerungsglas: die Scharniere waren zur HÄlfte
abgerissen und innen - stand da nicht etwas eingraviert? Kaum mehr leserlich
und noch Øberdies mit einer Menge ganz frischer Schrammen zerkratzt. Langsam
entzifferte ich:
K-rl Zott-mann.
Zottmann? Zottmann? - Wo hatte ich diesen Namen doch gelesen? Zottmann?
Ich konnte mich nicht entsinnen. Zottmann?
Wassertrum schlug mir die Lupe beinahe aus der Hand:
"Im Werk is nix, da hab' ich schon selber geschaut. Aber mit'm GehÄuse,
da stinkt's."
"Braucht man nur gerade zu klopfen - hÃchstens ein paar LÃtstellen. Das
kann Ihnen ebensogut jeder beliebige Goldarbeiter machen, Herr Wassertrum."
"Ich leg' doch Wert darauf, dañ es eine solide Arbeit wird. Was man so
sagt: kØnstlerisch", unterbrach er mich hastig. Fast Ängstlich.
"Nun gut, wenn Ihnen derart viel daran liegt -"
"Viel daran liegt!" Seine Stimme schnappte Øber vor Eifer. "Ich will
sie doch selber tragen, die Uhr. Und wenn ich sie jemandem zeig', will ich
sagen kÃnnen: schauen Sie mal her, so arbeitet der Herr von Pernath."
Ich ekelte mich vor dem Kerl; er spuckte mir seine widerwÄrtigen
Schmeicheleien fÃrmlich ins Gesicht.
"Wenn Sie in einer Stunde wiederkommen, wird alles fertig sein."
Wassertrum wand sich in KrÄmpfen: "Das gibt's nicht. Das will ich
nicht. Drei Tag. Vier Tag. Die nÄchste Woche is Zeit genug. Das ganze Leben
mÃcht' ich mir VorwØrfe machen, dañ ich Ihnen gedrÄngt hab'."
Was wollte er nur, dañ er so auñer sich geriet? - Ich machte einen
Schritt ins Nebenzimmer und sperrte die Uhr in die Kassette. Angelinas
Photographie lag obenauf. Schnell schlug ich den Deckel wieder zu - fØr den
Fall, dañ Wassertrum mir nachblicken sollte.
Als ich zurØckkam, fiel mir auf, dañ er sich verfÄrbt hatte.
Ich musterte ihn scharf, lieñ aber meinen Verdacht sofort fallen:
UnmÃglich! Er konnte nichts gesehen haben.
"Also, dann vielleicht nÄchste Woche", sagte ich, um seinem Besuch ein
Ende zu machen.
Er schien mit einemmal keine Eile mehr zu haben, nahm einen Sessel und
setzte sich.
Im Gegensatz zu frØher hielt er seine Fischaugen jetzt beim Reden weit
offen und fixierte beharrlich meinen obersten Westenknopf.
Pause.
"Die Duksel hat Ihnen natØrlich gesagt, Sie sollen sich nix wissen
machen, wenn's heraus kommt. Waas?" sprudelte er plÃtzlich ohne jede
Einleitung auf mich los und schlug mit der Faust auf den Tisch.
Es lag etwas merkwØrdig Schreckhaftes in der Abgerissenheit, mit der er
von einer Sprechweise in die andere Øbergehen - von SchmeicheltÃnen
blitzartig ins Brutale springen konnte, und ich hielt es fØr sehr
wahrscheinlich, dañ die meisten Menschen, besonders Frauen, sich im
Handumdrehen in seiner Gewalt befinden muñten, wenn er nur die geringste
Waffe gegen sie besañ.
Ich wollte auffahren, ihn am Hals packen und vor die TØr setzen, war
mein erster Gedanke; dann Øberlegte ich, ob es nicht klØger sei, ihn
zuvÃrderst einmal grØndlich auszuhorchen.
"Ich verstehe wahrhaftig nicht, was Sie meinen, Herr Wassertrum;" - ich
bemØhte mich, ein mÃglichst dummes Gesicht zu machen - "Duksel? Was ist das:
Duksel?"
"Soll ich Ihnen vielleicht Deitsch lernen?", fuhr er mich grob an. "Die
Hand werden Sie aufheben mØssen bei Gericht, wenn's um die Wurscht geht.
Verstehen Sie mich?! Das sag ich Ihnen!" - Er fing an zu schreien: "Mir ins
Gesicht hinein werden Sie nicht abschwÃren, dañ 'sie' von da drØben" - er
deutete mit dem Daumen nach dem Atelier - "zu Ihnen heribber geloffen is mit
en Teppich an und - sonst nix!"
Die Wut stieg mir in die Augen; ich packte den Halunken an der Brust
und schØttelte ihn:
"Wenn Sie jetzt noch ein Wort in diesem Ton sagen, breche ich Ihnen die
Knochen im Leibe entzwei! Verstanden?"
Aschfahl sank er in den Stuhl zurØck und stotterte:
"Was is? Was is? Was wollen Sie? Ich mein' doch bloñ."
Ich ging ein paarmal im Zimmer auf und ab, um mich zu beruhigen.
Horchte nicht hin, was er alles zu seiner Entschuldigung herausgeiferte.
Dann setzte ich mich ihm dicht gegenØber, in der festen Absicht, die
Sache, soweit sie Angelina betraf, ein fØr allemal mit ihm ins reine zu
bringen und, sollte es im Frieden nicht gehen, ihn zu zwingen, endlich die
Feindseligkeiten zu erÃffnen und seine paar schwachen Pfeile vorzeitig zu
verschieñen.
Ohne seine Unterbrechungen im geringsten zu beachten, sagte ich ihm auf
den Kopf zu, dañ Erpressungen irgendwelcher Art - ich betonte das Wort -
miñglØcken mØñten, da er auch nicht eine einzige Anschuldigung mit Beweisen
erhÄrten kÃnnte und ich mich einer Zeugenschaft (angenommen, es wÄre
Øberhaupt im Bereiche der MÃglichkeit, dañ es je zu einer solchen kÄme) -
bestimmt zu entziehen wissen wØrde. Angelina stØnde mir viel zu nahe, als
dañ ich sie nicht in der Stunde der Not retten wØrde, koste es, was es
wolle, sogar einen Meineid!
Jede Muskel in seinem Gesicht zuckte, seine Hasenscharte zog sich bis
zur Nase auseinander, er fletschte die ZÄhne und kollerte wie ein Truthahn
mir immer wieder in die Rede hinein: "Will ich denn was von die Duksel? So
hÃren Sie doch zu!" - Er war auñer sich vor Ungeduld, dañ ich mich nicht
beirren lieñ. - "Um den Savioli is mir's zu tun, um den gottverfluchten
Hund, - den - den -", fuhr es ihm plÃtzlich brØllend heraus.
Er japste nach Luft. Rasch hielt ich inne: endlich war er dort, wo ich
ihn haben wollte, aber schon hatte er sich gefañt und fixierte wieder meine
Weste.
"HÃren Sie zu, Pernath;" er zwang sich, die kØhle, abwÄgende
Sprechweise eines Kaufmanns nachzuahmen, "Sie reden fort von der Duk - - von
der Dame. Gut! sie ist verheiratet. Gut: sie hat sich eingelassen mit dem -
mit dem jungen Lauser. Was hab' ich damit zu tun?" Er bewegte die HÄnde vor
meinem Gesicht hin und her, die Fingerspitzen zusammengedrØckt, als hielte
er eine Prise Salz darin - "soll sie sich das selber abmachen, die Duksel. -
Ich bin e Weltmann und Sie sin auch e Weltmann. Wir kennen doch das beide.
Waas? Ich will doch nur zu meinem Geld kommen. Verstehen Sie, Pernath?!"
Ich horchte erstaunt auf:
"Zu welchem Geld? Ist Ihnen denn Dr. Savioli etwas schuldig?"
Wassertrum wich aus:
"Abrechnungen hab' ich mit ihm. Das kommt doch auf eins heraus."
"Sie wollen ihn ermorden!" schrie ich.
Er sprang auf. Taumelte. Gluckste ein paarmal.
"Jawohl! Ermorden! Wie lange wollen Sie mir noch KomÃdie vorspielen!"
Ich deutete auf die TØr. "Schauen Sie, dañ Sie hinauskommen."
Langsam griff er nach seinem Hut, setzte ihn auf und wandte sich zum
Gehen. Dann blieb er noch einmal stehen und sagte mit einer Ruhe, deren ich
ihn nie fØr fÄhig gehalten hÄtte:
"Auch recht. Ich hab' Sie herauslassen wollen. Gut. Wenn nicht: Nicht.
Barmherzige Barbiere machen faule Wunden. Mein ZarbØchel ist voll. Wenn Sie
gescheit gewesen wÄren -: der Savioli is Ihnen doch nur im Weg?! Jetzt -
mach - ich - mit - Ihnen allen dreien" - er deutete mit einer Geste des
Erdrosselns an, womit er es meinte - "Preñcolleeh".
Seine Mienen drØckten eine so satanische Grausamkeit aus und er schien
seiner Sache so sicher zu sein, dañ mir das Blut in den Adern erstarrte. Er
muñte eine Waffe in HÄnden haben, von der ich nichts ahnte, die auch
Charousek nicht kannte. Ich fØhlte den Boden unter mir wanken.
"Die Feile! Die Feile!" hÃrte ich es in meinem Hirn flØstern. Ich
schÄtzte die Entfernung ab: ein Schritt bis zum Tisch - zwei Schritte bis zu
Wassertrum - - ich wollte zuspringen - - - da stand wie aus dem Boden
gewachsen Hillel auf der Schwelle.
Das Zimmer verschwamm vor meinen Augen.
Ich sah nur - wie durch Nebel -, dañ Hillel unbeweglich stehen blieb
und Wassertrum Schritt fØr Schritt bis an die Wand zurØckwich.
Dann hÃrte ich Hillel sagen:
"Sie kennen doch, Aaron, den Satz: Alle Juden sind BØrgen fØreinander?
Machen Sie's einem nicht zu schwer." - Er fØgte ein paar hebrÄische Worte
hinzu, die ich nicht verstand.
"Was haben Sie das netig, an der TØre zu schnØffeln?" geiferte der
TrÃdler mit bebenden Lippen.
"Ob ich gehorcht habe oder nicht, braucht Sie nicht zu kØmmern!" -
wieder schloñ Hillel mit einem hebrÄischen Satz, der diesmal wie eine
Drohung klang. Ich erwartete, dañ es zu einem Zank kommen wØrde, aber
Wassertrum antwortete nicht eine Silbe, Øberlegte einen Augenblick und ging
dann trotzig hinaus.
Gespannt blickte ich Hillel an. Er winkte mir zu, ich solle schweigen.
Offenbar wartete er auf irgend etwas, denn er horchte angestrengt auf den
Gang hinaus. Ich wollte die TØre schlieñen gehen: er hielt mich mit einer
ungeduldigen Handbewegung zurØck.
Wohl eine Minute verging, dann kamen die schleppenden Schritte des
TrÃdlers wieder die Stufen herauf. Ohne ein Wort zu sprechen ging Hillel
hinaus und machte ihm Platz.
Wassertrum wartete, bis er auñer HÃrweite war, dann knurrte er mich
verbissen an:
"Geben Se mer meine Uhr zorØck."
Weib
Wo nur Charousek blieb?
Beinahe 24 Stunden waren vergangen, und noch immer lieñ er sich nicht
blicken.
Sollte er das Zeichen vergessen haben, das wir verabredet hatten? Oder
sah er es vielleicht nicht?
Ich ging ans Fenster und richtete den Spiegel so, dañ der Sonnenstrahl,
der darauf schien, genau auf das vergitterte Guckloch seiner Kellerwohnung
fiel.
Das Eingreifen Hillels - gestern - hatte mich ziemlich beruhigt.
Bestimmt wØrde er mich gewarnt haben, wenn eine Gefahr im Anzug wÄre.
øberdies: Wassertrum konnte nichts von Belang mehr unternommen haben;
gleich, nachdem er mich verlassen hatte, war er in seinen Laden
zurØckgekehrt, - ich warf einen Blick hinunter: richtig, da lehnte er
unbeweglich hinter seinen Herdplatten, genau so, wie ich ihn schon
frØhmorgens gesehen - - -
UnertrÄglich, das ewige Warten!
Die milde FrØhlingsluft, die durch das offene Fenster aus dem
Nebenzimmer hereinstrÃmte, machte mich krank vor Sehnsucht.
Dies schmelzende Tropfen von den DÄchern! Und wie die feinen
WasserschnØre im Sonnenlicht glÄnzten!
Es zog mich hinaus an unsichtbaren FÄden. Voll Ungeduld ging ich in der
Stube auf und ab. Warf mich in einen Sessel. Stand wieder auf.
Dieses sØchtige Keimen einer Ungewissen Verliebtheit in meiner Brust,
es wollte nicht weichen.
Die ganze Nacht Øber hatte es mich gequÄlt. Einmal war es Angelina
gewesen, die sich an mich geschmiegt, dann wieder sprach ich scheinbar ganz
harmlos mit Mirjam, und kaum hatte ich das Bild zerrissen, kam abermals
Angelina und kØñte mich; ich roch den Duft ihres Haares, und ihr weicher
Zobelpelz kitzelte mich am Hals, rutschte von ihren entblÃñten Schultern -
und sie wurde zu Rosina, die mit trunkenen, halbgeschlossenen Augen tanzte -
im Frack - nackt; - - - und alles in einem Halbschlaf, der doch genau so
gewesen war wie Wachsein. Wie ein sØñes, verzehrendes, dÄmmeriges Wachsein.
Gegen Morgen stand dann mein DoppelgÄnger an meinem Bett, der
schattenhafte Habal Garmin, "der Hauch der Knochen", von dem Hillel
gesprochen, - und ich sah ihm an den Augen an: er war in meiner Macht, muñte
mir jede Frage beantworten, die ich ihm stellen wØrde nach irdischen oder
jenseitigen Dingen, und er wartete nur darauf, aber der Durst nach dem
Geheimnisvollen konnte nicht an gegen die SchwØle meines Blutes und
versickerte im dØrren Erdreich meines Verstandes. - Ich schickte das Phantom
weg, es solle zum Spiegelbild Angelinas werden, und es schrumpfte zusammen
zu dem Buchstaben "Aleph", wuchs wieder empor, stand da als das Koloñweib,
splitternackt, wie ich es einstens im Buche Ibbur gesehen, mit dem Pulse
gleich einem Erdbeben, und beugte sich Øber mich, und ich atmete den
betÄubenden Geruch ihres heiñen Fleisches ein.
Kam denn Charousek immer noch nicht? - Die Glocken sangen von den
KirchtØrmen.
Eine Viertelstunde wollte ich noch warten - dann aber hinaus! Durch
belebte Strañen voll festtÄgig gekleideter Menschen schlendern, mich in das
frohe Gewimmel mischen in den Stadtteilen der Reichen, schÃne Frauen sehen
mit koketten Gesichtern und schmalen HÄnden und FØñen.
Vielleicht begegnete ich dabei Charousek zufÄllig, entschuldigte ich
mich vor mir selbst.
Ich holte das altertØmliche Tarockspiel vom BØcherbord, um mir die Zeit
rascher zu vertreiben. -
Vielleicht lieñ sich aus den Bildern Anregung schÃpfen zum Entwurf
einer Kamee?
Ich suchte nach dem Pagad.
Nicht zu finden. Wo konnte er hingeraten sein?
Ich blÄtterte noch einmal die Karten durch und verlor mich in
Nachdenken Øber ihren verborgenen Sinn. Besonders der "Gehenkte", - was
konnte er nur bedeuten?:
Ein Mann hÄngt an einem Seil zwischen Himmel und Erde, den Kopf nach
abwÄrts, die Arme auf den RØcken gebunden, den rechten Unterschenkel Øber
das linke Bein verschrÄnkt, dañ es aussieht wie ein Kreuz Øber einem
verkehrten Dreieck?
UnverstÄndliches Gleichnis.
Da! - Endlich! Charousek kam.
Oder doch nicht?
Freudige øberraschung, es war Mirjam.
"Wissen Sie, Mirjam, dañ ich soeben zu Ihnen hinuntergehen wollte und
Sie bitten, eine Spazierfahrt mit mir zu machen?" Es war nicht ganz die
Wahrheit, aber ich machte mir weiter keine Gedanken darØber. - "Nicht wahr,
Sie schlagen es mir nicht ab?! Ich bin heute so unendlich froh im Herzen,
dañ Sie, gerade Sie, Mirjam, meiner Freude die Krone aufsetzen mØssen."
"- spazierenfahren?", wiederholte sie derart verblØfft, dañ ich laut
auflachen muñte.
"Ist denn der Vorschlag gar so wunderbar?"
"Nein, nein, aber - -," sie suchte nach Worten, "unerhÃrt merkwØrdig.
Spazierenfahren!"
"Durchaus nicht merkwØrdig, wenn Sie sich vorhalten, dañ es
Hunderttausende von Menschen tun - eigentlich ihr ganzes Leben nichts
anderes tun."
"Ja, andere Menschen!" gab sie, immer noch vollstÄndig Øberrumpelt, zu.
Ich fañte ihre beiden HÄnde:
"Was andere Menschen an Freude erleben dØrfen, mÃchte ich, dañ Sie,
Mirjam, in noch unendlich viel reicherem Mañe genieñen."
Sie wurde plÃtzlich leichenblañ, und ich sah an der starren Taubheit
ihres Blickes, woran sie dachte. Es gab mir einen Stich.
"Sie dØrfen es nicht immer mit sich herumtragen, Mirjam," redete ich
ihr zu, "das - das Wunder. Wollen Sie mir das nicht versprechen - aus - aus
Freundschaft?"
Sie hÃrte die Angst aus meinen Worten und blickte mich erstaunt an.
"Wenn es Sie nicht so angriffe, kÃnnte ich mich mit Ihnen freuen, aber
so? Wissen Sie, dañ ich tief besorgt bin um Sie, Mirjam? - Um - um - wie
soll ich nur sagen? - um Ihre seelische Gesundheit! Fassen Sie es nicht
wÃrtlich auf, aber -: ich wollte, das Wunder wÄre nie geschehen."
Ich erwartete, sie wØrde mir widersprechen, aber sie nickte nur in
Gedanken versunken.
"Es verzehrt Sie. Habe ich nicht recht, Mirjam?" Sie raffte sich auf:
"Manchmal mÃchte ich beinahe auch, es wÄre nicht geschehen."
Es klang wie ein Hoffnungsstrahl fØr mich. - "Wenn ich mir denken
soll," sie sprach ganz langsam und traumverloren, "dañ Zeiten kommen
kÃnnten, wo ich ohne solche Wunder leben mØñte - - -."
"Sie kÃnnen doch Øber Nacht reich werden und brauchen dann nicht mehr
-," fuhr ich ihr unbedacht in die Rede, hielt aber rasch inne, als ich das
Entsetzen in ihrem Gesicht bemerkte, - "ich meine: Sie kÃnnen plÃtzlich auf
natØrliche Weise Ihrer Sorgen enthoben werden, und die Wunder, die Sie dann
erleben, wØrden geistiger Art sein: - innere Erlebnisse."
Sie schØttelte den Kopf und sagte hart: "Innere Erlebnisse sind keine
Wunder. Erstaunlich genug, dañ es Menschen zu geben scheint, die Øberhaupt
keine haben. - Seit meiner Kindheit, Tag fØr Tag, Nacht fØr Nacht, erlebe
ich -" (sie brach mit einem Ruck ab, und ich erriet, dañ noch etwas anderes
in ihr war, von dem sie mir nie gesprochen hatte, vielleicht das Weben
unsichtbarer Geschehnisse, Ähnlich den meinigen) - "aber das gehÃrt nicht
hierher. Selbst, wenn einer aufstØnde und machte Kranke gesund durch
Handauflegen, ich kÃnnte es kein Wunder nennen. Erst, wenn der leblose Stoff
- die Erde - beseelt wird vom Geist und die Gesetze der Natur zerbrechen,
dann ist das geschehen, wonach ich mich sehne, seit ich denken kann. - Mir
hat einmal mein Vater gesagt: es gÄbe zwei Seiten der Kabbala: eine magische
und eine abstrakte, die sich niemals zur Deckung bringen lieñen. Wohl kÃnne
die magische die abstrakte an sich ziehen, aber nie und nimmer umgekehrt.
Die magische ist ein Geschenk, die andere kann errungen werden, wenn auch
nur mit Hilfe eines FØhrers." Sie nahm den ersten Faden wieder auf: "Das
Geschenk ist es, nach dem ich dØrste; was ich mir erringen kann, ist mir
gleichgØltig und wertlos wie Staub. Wenn ich mir denken soll, es kÃnnten
Zeiten kommen, sagte ich vorhin, wo ich wieder ohne diese Wunder leben
mØñte," - ich sah, wie sich ihre Finger krampften und Reue und Jammer
zerfleischten mich, - "ich glaube, ich sterbe jetzt schon angesichts der
bloñen MÃglichkeit."
"Ist das der Grund, weshalb auch Sie wØnschten, das Wunder wÄre nie
geschehen?", forschte ich.
"Nur zum Teil. Es ist noch etwas anderes da. Ich - ich - ", sie dachte
einen Augenblick nach, "war noch nicht reif dazu, ein Wunder in dieser Form
zu erleben. Das ist es. Wie soll ich es Ihnen erklÄren? Nehmen Sie einmal
an, bloñ als Beispiel, ich hÄtte seit Jahren jede Nacht ein und denselben
Traum, der sich immer weiter fortspinnt und in dem mich jemand - sagen wir:
ein Bewohner einer andern Welt - belehrt und mir nicht nur an einem
Spiegelbilde von mir selbst und seinen allmÄhlichen VerÄnderungen zeigt, wie
weit ich von der magischen Reife, ein 'Wunder' erleben zu kÃnnen, entfernt
bin, sondern: mir auch in Verstandesfragen, wie sie mich einmal tagsØber
beschÄftigen, derart Aufschluñ gibt, dañ ich es jederzeit nachprØfen kann.
Sie werden mich verstehen: Ein solches Wesen ersetzt einem an GlØck alles,
was sich auf Erden ausdenken lÄñt; es ist fØr mich die BrØcke, die mich mit
dem 'DrØben' verbindet, ist die Jakobsleiter, auf der ich mich Øber die
Dunkelheit des Alltags erheben kann ins Licht, - ist mir FØhrer und Freund,
und alle meine Zuversicht, dañ ich mich auf den dunkeln Wegen, die meine
Seele geht, nicht verirren kann in Wahnsinn und Finsternis, setze ich auf
'ihn', der mich noch nie belogen hat. - Da mit einem Mal, entgegen allem,
was er mir gesagt hat, kreuzt ein 'Wunder' mein Leben! Wem soll ich jetzt
glauben? War das, was mich die vielen Jahre Øber ununterbrochen erfØllt hat,
eine TÄuschung? Wenn ich daran zweifeln mØñte, ich stØrzte kopfØber in einen
bodenlosen Abgrund. - Und doch ist das Wunder geschehen! Ich wØrde
aufjauchzen vor Freude, wenn -"
"Wenn - - -?" unterbrach ich sie atemlos. Vielleicht sprach sie selbst
das erlÃsende Wort, und ich konnte ihr alles eingestehen.
"- wenn ich erfØhre, dañ ich mich geirrt habe, - dañ es gar kein Wunder
war! Aber ich weiñ so genau, wie ich weiñ, dañ ich hier sitze, ich ginge
zugrunde daran"; (mir blieb das Herz stehen) - "zurØckgerissen werden, vom
Himmel wieder herab mØssen auf die Erde? Glauben Sie, dañ das ein Mensch
ertragen kann?"
"Bitten Sie doch Ihren Vater um Hilfe", sagte ich ratlos vor Angst.
"Meinen Vater? Um Hilfe?" - sie blickte mich verstÄndnislos an - "wo es
nur zwei Wege fØr mich gibt, kann er da einen dritten finden? - - Wissen
Sie, was die einzige Rettung fØr mich wÄre? Wenn mir das geschÄhe, was Ihnen
geschehen ist. Wenn ich in dieser Minute alles, was hinter mir liegt: mein
ganzes Leben bis zum heutigen Tag - vergessen kÃnnte. - Ist es nicht
merkwØrdig: was Sie als UnglØck empfinden, wÄre fØr mich das hÃchste GlØck!"
Wir schwiegen beide noch eine lange Zeit. Dann ergriff sie plÃtzlich
meine Hand und lÄchelte. Beinahe frÃhlich.
"Ich will nicht, dañ Sie sich meinetwegen grÄmen;" - (sie trÃstete mich
- mich!) - "vorhin waren Sie so voll Freude und GlØck Øber den FrØhling
drauñen, und jetzt sind Sie die BetrØbnis selbst. Ich hÄtte Ihnen Øberhaupt
nichts sagen sollen. Reiñen Sie es aus Ihrem GedÄchtnis und denken Sie
wieder so heiter wie vorhin! - Ich bin ja so froh -"
"Sie? Froh? Mirjam?", unterbrach ich sie bitter.
Sie machte ein Øberzeugtes Gesicht: "Ja! Wirklich! Froh! Als ich zu
Ihnen heraufging, war ich so unbeschreiblich Ängstlich, - ich weiñ nicht
warum: ich konnte das GefØhl nicht loswerden, dañ Sie in einer groñen Gefahr
schweben", - ich horchte auf - "aber, statt mich darØber zu freuen, Sie
gesund und wohlauf zu treffen, habe ich Sie angeunkt und - -"
Ich zwang mich zur Lustigkeit: "und das kÃnnen Sie nur gutmachen, wenn
Sie mit mir ausfahren." (Ich bemØhte mich, so viel øbermut wie mÃglich in
meine Stimme zu legen:) "Ich mÃchte doch einmal sehen, Mirjam, ob es mir
nicht gelingt, Ihnen die trØben Gedanken zu verscheuchen. Sagen Sie, was Sie
wollen: Sie sind noch lange kein Ägyptischer Zauberer, sondern vorlÄufig nur
ein junges MÄdchen, dem der Tauwind noch manchen bÃsen Streich spielen
kann."
Sie wurde plÃtzlich ganz lustig:
"Ja, was ist denn das heute mit Ihnen, Herr Pernath? So hab' ich Sie
noch nie gesehen! - øbrigens 'Tauwind': bei uns JudenmÄdchen lenken
bekanntlich die Eltern den Tauwind, und wir haben nur zu gehorchen. Tuen es
natØrlich auch. Es steckt uns schon so im Blut. - Mir ja nicht", setzte sie
ernsthafter hinzu, "meine Mutter hat bÃs gestreikt, als sie den grÄñlichen
Aaron Wassertrum heiraten sollte."
"Was? Ihre Mutter? Den TrÃdler da unten?"
Mirjam nickte. "Gott sei Dank ist es nicht zustande gekommen. - FØr den
armen Menschen freilich war es ein vernichtender Schlag."
"Armer Mensch, sagen Sie?" fuhr ich auf. "Der Kerl ist ein Verbrecher."
Sie wiegte nachdenklich den Kopf: "Gewiñ, er ist ein Verbrecher. Aber
wer in einer solchen Haut steckt und kein Verbrecher wird, muñ ein Prophet
sein."
Ich rØckte neugierig nÄher;
"Wissen Sie Genaueres Øber ihn? Mich interessiert das. Aus ganz
besonderen - -"
"Wenn Sie einmal seinen Laden von innen gesehen hÄtten, Herr Pernath,
wØñten Sie sofort, wie es in seiner Seele ausschaut. Ich sage das, weil ich
als Kind sehr oft drin war. - Warum sehen Sie mich so erstaunt an? Ist denn
das so merkwØrdig? - Gegen mich war er immer freundlich und gØtig. Einmal
sogar, erinnere ich mich, schenkte er mir einen groñen blitzenden Stein, der
mir besonders unter seinen Sachen gefallen hatte. Meine Mutter sagte, es sei
ein Brillant, und ich muñte ihn natØrlich sofort zurØcktragen.
Erst wollte er ihn lange nicht wiedernehmen, aber dann riñ er ihn mir
aus der Hand und warf ihn voll Wut weit von sich. Ich habe aber dennoch
gesehen, wie ihm dabei die TrÄnen aus den Augen stØrzten; ich konnte auch
damals schon genug HebrÄisch, um zu verstehen, was er murmelte: 'Alles ist
verflucht, was meine Hand berØhrt.' - - Es war das letzte Mal, dañ ich ihn
besuchen durfte. Nie wieder hat er mich seitdem aufgefordert, zu ihm zu
kommen. Ich weiñ auch warum: HÄtte ich ihn nicht zu trÃsten versucht, wÄre
alles beim alten geblieben, so aber, weil er mir unendlich leid tat und ich
es ihm sagte, wollte er mich nicht mehr sehen. - - - Sie verstehen das
nicht, Herr Pernath? Es ist doch so einfach: er ist ein Besessener, - ein
Mensch, der sofort miñtrauisch, unheilbar miñtrauisch wird, wenn jemand an
sein Herz rØhrt. Er hÄlt sich fØr noch viel hÄñlicher, als er in
Wirklichkeit ist, - wenn das Øberhaupt mÃglich sein kann, und darin wurzelt
sein ganzes Denken und Handeln. Man sagt, seine Frau hÄtte ihn gern gehabt,
vielleicht war es mehr Mitleid als Liebe, aber immerhin glaubten es sehr
viele Leute. Der einzige, der vom Gegenteil tief durchdrungen war, war er.
øberall wittert er Verrat und Hañ.
Nur bei seinem Sohn machte er eine Ausnahme. Ob es daher kam, dañ er
ihn vom SÄuglingsalter an hatte heranwachsen sehen, also das Keimen jeder
Eigenschaft von Urbeginn in dem Kinde sozusagen miterlebte und daher nie zu
einem Punkte gelangte, wo sein Miñtrauen hÄtte einsetzen kÃnnen, oder ob es
im jØdischen Blute lag: alles, was an LiebesfÄhigkeit in ihm lebte, auf
seinen Nachkommen auszugieñen - in jener instinktiven Furcht unserer Rasse:
wir kÃnnten aussterben und eine Mission nicht erfØllen, die wir vergessen
haben, die aber dunkel in uns fortlebt, - wer kann das wissen!
Mit einer Umsicht, die beinahe an Weisheit grenzte, und bei einem
unbelesenen Menschen, wie er, wunderbar ist, leitete er die Erziehung seines
Sohnes. Mit dem Scharfsinn eines Psychologen rÄumte er dem Kinde jedes
Erlebnis aus dem Wege, das zur Entwicklung der GewissenstÄtigkeit hÄtte
beitragen kÃnnen, um ihm kØnftige seelische Leiden zu ersparen.
Er hielt ihm als Lehrer einen hervorragenden Gelehrten, der die Ansicht
verfocht, die Tiere seien empfindungslos und ihre SchmerzÄuñerung ein
mechanischer Reflex.
Aus jedem GeschÃpf so viel Freude und Genuñ fØr sich selbst
herauspressen, wie nur irgend mÃglich, und dann die Schale sofort als
nutzlos wegzuwerfen: das war ungefÄhr das Abc seines weitblickenden
Erziehungssystems.
Dañ das Geld als Standarte und SchlØssel zur 'Macht' dabei eine erste
Rolle spielte, kÃnnen Sie sich denken, Herr Pernath. Und so wie er selbst
den eigenen Reichtum sorgsam geheim hÄlt, um die Grenzen seines Einflusses
in Dunkel zu hØllen, so ersann er sich ein Mittel, seinem Sohn ähnliches zu
ermÃglichen, ihm aber gleichzeitig die Qual eines scheinbar Ärmlichen Lebens
zu ersparen: er durchtrÄnkte ihn mit der infernalischen LØge von der
'SchÃnheit', brachte ihm die Äuñere und innere GebÄrde der ästhetik bei,
lehrte ihn Äuñerlich: die Lilie auf dem Felde heucheln und innerlich ein
Aasgeier sein.
NatØrlich war das mit der 'SchÃnheit' wohl kaum eigene Erfindung von
ihm - vermutlich die 'Verbesserung' eines Ratschlags, den ihm ein Gebildeter
gegeben hatte.
Dañ ihn sein Sohn spÄter verleugnete, wo und wann er nur konnte, nahm
er niemals Øbel. Im Gegenteil, er machte es ihm zur Pflicht: denn seine
Liebe war selbstlos, und wie ich es schon einmal von meinem Vater sagte: -
von der Art, die Øbers Grab hinausgeht."
Mirjam schwieg einen Augenblick und ich sah ihr an, wie sie ihre
Gedanken stumm weiterspann, hÃrte es an dem verÄnderten Klang ihrer Stimme,
als sie sagte:
"Seltsame FrØchte wachsen auf dem Baume des Judentums."
"Sagen Sie, Mirjam," fragte ich, "haben Sie nie davon gehÃrt, dañ
Wassertrum eine Wachsfigur in seinem Laden stehen hat? Ich weiñ nicht mehr,
wer es mir erzÄhlt hat, - es war vielleicht nur ein Traum - -"
"Nein, nein, es ist schon richtig, Herr Pernath: eine lebensgroñe
Wachsfigur steht in der Ecke, in der er, mitten unter dem tollsten GerØmpel,
auf seinem Strohsack schlÄft. Er hat sie vor Jahren einem Schaubudenbesitzer
abgewuchert, heiñt es, bloñ weil sie einem MÄdchen - einer Christin -
Ähnlich sah, die angeblich einmal seine Geliebte gewesen sein soll."
"Charouseks Mutter!" drÄngte es sich mir auf.
"Ihren Namen wissen Sie nicht, Mirjam?"
Mirjam schØttelte den Kopf. "Wenn Ihnen daran liegt, - soll ich mich
erkundigen?"
"Ach Gott, nein, Mirjam; es ist mir vollkommen gleichgØltig", (ich sah
an ihren blitzenden Augen, dañ sie sich in Eifer geredet hatte. Sie durfte
nicht wieder zu sich kommen, nahm ich mir vor), "aber was mich viel mehr
interessiert, ist das Gebiet, von dem Sie vorhin flØchtig sprachen. Ich
meine das 'vom Tauwind'. - Ihr Vater wØrde Ihnen doch gewiñ nicht
vorschreiben, wen Sie heiraten sollen?"
Sie lachte lustig auf. "Mein Vater? Wo denken Sie hin!"
"Nun, das ist ein groñes GlØck fØr mich."
"Wieso?" fragte sie arglos.
"Weil ich dann noch Chancen habe."
Es war nur ein Scherz, und sie nahm es auch nicht anders hin, aber doch
sprang sie rasch auf und ging ans Fenster, um mich nicht sehen zu lassen,
dañ sie rot wurde.
Ich lenkte ein, um ihr aus der Verlegenheit zu helfen:
"Das eine bitte ich mir aus als alter Freund: Mich mØssen Sie
einwei