m, lieñ ich ihn nicht mehr
aus dem Auge.
Des Nachts horchte ich an den Verschlagbrettern seines Ladens, denn
jede Minute konnte die Entscheidung fallen. -
Ich glaube, durch Mauern hindurch wØrde ich das ersehnte schnalzende
GerÄusch gehÃrt haben, wenn er den StÃpsel aus der Giftflasche gezogen
hÄtte.
Es fehlte vielleicht nur eine Stunde, und mein Lebenswerk war
vollbracht.
Da griff ein Unberufener ein und ermordete ihn. Mit einer Feile.
Lassen Sie sich das NÄhere von Wenzel erzÄhlen, mir wird es zu bitter,
alles das niederschreiben zu mØssen.
Nennen Sie es Aberglaube, - aber, wie ich sah, dañ Blut vergossen
worden war - die Dinge im Laden waren befleckt davon, - kam es mir vor, als
sei mir seine Seele entwischt.
Etwas in mir, - ein feiner, untrØglicher Instinkt - sagt mir, dañ es
nicht dasselbe ist, ob ein Mensch von fremder Hand stirbt oder von eigener:
- dañ Wassertrum sein Blut mit sich in die Erde hÄtte nehmen mØssen, dann
erst wÄre meine Mission erfØllt gewesen. - Jetzt, wo es anders gekommen ist,
fØhle ich mich als Ausgestoñener, als ein Werkzeug, das nicht wØrdig
befunden wurde in der Hand des Todesengels.
Aber ich will mich nicht auflehnen. Mein Hañ ist von der Art, die Øbers
Grab hinaus geht, und noch habe ich ja mein eigenes Blut, das ich vergieñen
kann, wie ich will, damit es dem seinigen nachgehe im Reich der Schatten auf
Schritt und Tritt. - - -
Jeden Tag, seit sie Wassertrum verscharrt haben, sitze ich drauñen bei
ihm auf dem Friedhof und horche in meine Brust hinein, was ich tun soll.
Ich glaube, ich weiñ es bereits, aber ich will noch warten, bis das
innere Wort, das zu mir spricht, klar wird wie eine Quelle. - Wir Menschen
sind unrein, und oft bedarf es langen Fastens und Wachens, bis wir das
FlØstern unserer Seele verstehen. - - -
In der verflossenen Woche wurde mir offiziell vom Gericht mitgeteilt,
dañ mich Wassertrum zum Universalerben eingesetzt hat.
Dañ ich fØr mich keinen Kreuzer davon anrØhre, brauche ich Ihnen wohl
nicht zu versichern, Herr Pernath. - Ich werde mich hØten, 'ihm' - fØr
'drØben' eine Handhabe zu geben.
Die HÄuser, die er besessen hat, lasse ich versteigern, die
GegenstÄnde, die er berØhrt hat, werden verbrannt, und was an Geld und
Geldeswert sich dann ergibt, fÄllt nach meinem Tode zu einem Drittel Ihnen
zu. -
Ich sehe im Geiste, wie Sie aufspringen und protestieren, aber ich kann
Sie beruhigen. Was Sie bekommen, ist Ihr rechtmÄñiges Eigentum mit Zinsen
und Zinseszinsen. Schon lange wuñte ich, dañ Wassertrum vor Jahren Ihren
Vater und seine Familie um alles gebracht hat, - erst jetzt bin ich in der
Lage, es aktenmÄñig nachweisen zu kÃnnen.
Ein zweites Drittel wird unter die zwÃlf Mitglieder des "Bataillons"
verteilt, die den Dr. Hulbert noch persÃnlich gekannt haben. Ich will, dañ
jeder von ihnen reich wird und Zutritt bekommt zur Prager - "guten
Gesellschaft".
Das letzte Drittel gehÃrt zu gleichen Teilen den nÄchsten sieben
RaubmÃrdern des Landes, die mangels zureichender Beweise freigesprochen
werden mØssen.
Ich bin das dem Ãffentlichen ärgernis schuldig.
So. Das wÄre wohl alles.
Und jetzt, mein lieber, lieber Freund, leben Sie wohl und gedenken Sie
zuweilen
Ihres
aufrichtigen und dankbaren
Innocenz Charousek."
Tief erschØttert legte ich den Brief aus der Hand. Ich konnte mich
nicht freuen Øber die Nachricht von meiner bevorstehenden Enthaftung.
Charousek! Armer Mensch! Wie ein Bruder kØmmerte er sich um mein
Schicksal. Bloñ, weil ich ihm einst 100 fl geschenkt hatte. Wenn ich ihm nur
einmal noch die Hand drØcken kÃnnte!
Ich fØhlte: ja, er hatte recht; der Tag wØrde nie kommen.
Ich sah ihn vor mir: seine flackernden Augen, die schwindsØchtigen
Schultern, die hohe, noble Stirn.
Vielleicht, dañ alles ganz anders gekommen wÄre, wenn eine hilfreiche
Hand rechtzeitig in dies verdorrte Leben eingegriffen hÄtte.
Noch einmal las ich den Brief durch.
Wieviel Methode in Charouseks Irrsinn lag! Ob er Øberhaupt irrsinnig
war?
Ich schÄmte mich beinahe, diesen Gedanken auch nur einen Augenblick
geduldet zu haben.
Sagten seine Anspielungen nicht genug? Er war ein Mensch wie Hillel,
wie Mirjam, wie ich selbst; ein Mensch, Øber den die eigene Seele Gewalt
gewonnen hatte, - den sie durch die wilden Schluchten und KlØfte des Lebens
emporfØhrte in die Firnenwelt eines unbetreten Landes.
Er, der doch ein ganzes Leben auf Mord gesonnen, stand er nicht reiner
da, als irgendeiner von denen, die naserØmpfend umhergehen und angelernte
Gebote eines unbekannten, mythischen Propheten zu befolgen vorgeben?
Er hielt das Gebot, das ihm ein ØbermÄchtiger Trieb diktierte, ohne an
eine "Belohnung" hier oder jenseits auch nur zu denken.
Was er getan hatte, war es etwas anderes als frÃmmste PflichterfØllung
in des Wortes verborgenster Bedeutung?
"Feig, hinterlistig, mordgierig, krank, eine problematische - eine
Verbrechernatur" - ich hÃrte fÃrmlich, wie das Urteil der Menge Øber ihn
lauten muñte, wenn sie mit ihren blinden Stallaternen in seine Seele
hineinzuleuchten kÄme, - dieser geifernden Menge, die nie und nimmer
begreifen wird, dañ die giftige Herbstzeitlose tausendfach schÃner und edler
ist als der nØtzliche Schnittlauch. - - -
Wieder ging das TØrschloñ drauñen, und ich hÃrte, dañ man einen
Menschen hereinschob.
Ich drehte mich nicht einmal um, so sehr war ich erfØllt von dem
Eindruck des Briefes.
Kein Wort Øber Angelina, nichts von Hillel stand darin.
Freilich: Charousek muñte in grÃñter Eile geschrieben haben, die
Schrift verriet es mir.
Ob mir wohl noch ein Brief von ihm heimlich Øberbracht werden wØrde?
Ich hoffte heimlich auf den morgigen Tag, auf den gemeinsamen Rundgang
der Gefangenen im Hof. - Da war es noch am leichtesten, dañ mir irgendeiner
vom "Bataillon" etwas zusteckte.
Eine leise Stimme schreckte mich aus meinen GrØbeleien:
"WØrden Sie gestatten, mein Herr, dañ ich mich Ihnen vorstelle? Mein
Name ist Laponder. Amadeus Laponder".
Ich drehte mich um.
Ein kleiner, schmÄchtiger, noch ziemlich junger Mann in gewÄhlter
Kleidung, nur ohne Hut, wie alle Untersuchungsgefangenen, verbeugte sich
korrekt vor mir.
Er war glattrasiert wie ein Schauspieler, und seine groñen, hellgrØn
glÄnzenden, mandelfÃrmigen Augen hatten das EigentØmliche an sich, dañ, so
geradeaus sie auch auf mich gerichtet waren, sie mich doch nicht zu sehen
schienen. - Es lag so etwas wie - Geistesabwesenheit darin.
Ich murmelte meinen Namen und verbeugte mich ebenfalls und wollte mich
wieder umdrehen, konnte aber lange den Blick von dem Menschen nicht wenden,
so fremdartig wirkte er auf mich mit dem pagodenhaften LÄcheln, das die
aufwÄrts gezogenen Mundwinkel der feingeschwungenen Lippen bestÄndig seinem
Gesicht aufdrØckten.
Er sah fast aus wie eine chinesische Buddhastatue aus Rosenquarz, mit
seiner faltenlosen, durchsichtigen Haut, der mÄdchenhaft schmalen Nase und
den zarten NØstern.
"Amadeus Laponder, Amadeus Laponder", wiederholte ich vor mich hin.
"Was er wohl begangen haben mag?"
Mond
"Waren Sie schon beim VerhÃr", fragte ich nach einer Weile.
"Ich komme soeben von dort. - Hoffentlich werde ich Sie hier nicht
lange inkommodieren mØssen", antwortete Herr Laponder liebenswØrdig.
"Armer Teufel," dachte ich mir, "er ahnt nicht, was einem
Untersuchungsgefangenen bevorsteht."
Ich wollte ihn langsam vorbereiten:
"Man gewÃhnt sich allmÄhlich an das Stillsitzen, wenn einmal die
ersten, schlimmsten Tage vorØber sind." - - -
Er machte ein verbindliches Gesicht.
Pause.
"Hat das VerhÃr lange gedauert, Herr Laponder?"
Er lÄchelte zerstreut:
"Nein. Ich wurde bloñ gefragt, ob ich gestÄndig sei, und muñte das
Protokoll unterschreiben."
"Sie haben unterschrieben, dañ Sie gestÄndig sind?" fuhr es mir heraus.
"Allerdings."
Er sagte es, als ob es sich von selbst verstØnde.
Es kann nichts Schlimmes sein, legte ich mir zurecht, weil er so gar
keine Aufregung zeigt. Wahrscheinlich eine Herausforderung zum Duell oder
etwas ähnliches.
"Ich bin leider schon so lange hier, dañ es mir wie ein Menschenleben
vorkommt"; - ich seufzte unwillkØrlich, und er machte sofort eine
teilnehmende Miene. "Ich wØnsche Ihnen, dañ Sie das nicht mitzumachen
brauchen, Herr Laponder. Nach allem, was ich sehe, werden Sie bald auf
freiem Fuñ sein."
"Wie man's nimmt", antwortete er ruhig, aber es klang wie ein
versteckter Doppelsinn.
"Sie glauben nicht?", fragte ich lÄchelnd. Er schØttelte den Kopf.
"Wie soll ich das verstehen? - Was haben Sie denn gar so Schreckliches
begangen? Verzeihen Sie, Herr Laponder, es ist nicht Neugierde von mir, -
lediglich Teilnahme, dañ ich frage."
Er zÃgerte einen Augenblick, dann sagte er, ohne mit der Wimper zu
zucken:
"Lustmord."
Mir war, als hÄtte er mich mit einem Stock Øber den Kopf geschlagen.
Vor Abscheu und Grausen konnte ich keinen Ton herausbringen.
Er schien es zu bemerken und blickte diskret zur Seite, aber nicht das
leiseste Minenspiel in seinem automatenhaft lÄchelnden Gesicht verriet, dañ
er Øber mein plÃtzlich verÄndertes Benehmen verletzt gewesen wÄre.
Wir wechselten kein Wort weiter und blickten stumm aneinander vorbei. -
- -
Als ich mich nach Einbruch der Dunkelheit niederlegte, folgte er
sogleich meinem Beispiel, entkleidete sich, hÄngte sorgsam seine Kleider an
den Wandnagel, streckte sich aus und schien, nach seinen ruhigen, tiefen
AtemzØgen zu schlieñen, unmittelbar darauf fest eingeschlafen zu sein.
Die ganze Nacht konnte ich nicht zur Ruhe kommen.
Das bestÄndige GefØhl, ein solches Scheusal in meiner nÄchsten NÄhe zu
haben und dieselbe Luft mit ihm atmen zu mØssen, war mir so grÄñlich und
aufregend, dañ die EindrØcke des Tages, Charouseks Brief und all das erlebte
Neue tief in den Hintergrund traten.
Ich hatte mich so gelegt, dañ ich den MÃrder bestÄndig im Auge behielt,
denn ich wØrde es nicht haben ertragen kÃnnen, ihn hinter mir zu wissen.
Die Zelle war vom Schimmer des Mondes matt durchdÄmmert, und ich konnte
sehen, dañ Laponder regungslos, fast starr, dalag.
Seine ZØge hatten etwas Leichenhaftes bekommen, und der halbgeÃffnete
Mund erhÃhte diesen Eindruck.
Viele Stunden hindurch Änderte er nicht ein einziges Mal seine Lage.
Erst spÄt nach Mitternacht, als ein dØnner Mondstrahl auf sein Gesicht
fiel, kam eine leise Unruhe Øber ihn und er bewegte unaufhÃrlich die Lippen,
wie jemand, der im Schlaf spricht. Es schien immer dasselbe Wort zu sein, -
ein zweisilbiger Satz vielleicht, - so wie:
"Lañ mich. Lañ mich, Lañ mich."
Die nÄchsten paar Tage vergingen, ohne dañ ich Notiz von ihm genommen
hÄtte, und auch er brach niemals das Schweigen.
Sein Benehmen blieb nach wie vor gleich liebenswØrdig. Sooft ich auf
und ab gehen wollte, sah er es mir sofort an und zog hÃflich, wenn er auf
der Pritsche sañ, die FØñe zurØck, um mir nicht im Wege zu sein.
Ich fing an, mir VorwØrfe wegen meiner Schroffheit zu machen, konnte
aber den Abscheu vor ihm beim besten Willen nicht loswerden.
So sehr ich gehofft hatte, mich an seine NÄhe gewÃhnen zu kÃnnen, - es
ging nicht.
Selbst in den NÄchten hielt es mich wach. Kaum eine Viertelstunde
verbrachte ich im Schlaf.
Abend fØr Abend wiederholte sich haargenau derselbe Vorgang: Er wartete
respektvoll, bis ich mich ausstreckte, zog dann seine Kleider aus, legte sie
pedantisch in Falten, hÄngte sie auf, und so weiter und so weiter.
Eines Nachts - es mochte um die zweite Stunde sein - stand ich
schlaftrunken vor MØdigkeit wieder auf dem Wandbrett, starrte in den
Vollmond, dessen Strahlen sich wie glitzerndes ãl auf dem kupfernen Gesicht
der Turmuhr spiegelten, und dachte voll Trauer an Mirjam.
Da hÃrte ich plÃtzlich leise ihre Stimme hinter mir.
Sofort war ich wach, Øberwach, - fuhr herum und horchte.
Eine Minute verging.
Schon glaubte ich, ich hÄtte mich getÄuscht, da kam es wieder. Ich
konnte die Worte nicht genau verstehen, aber es klang wie:
"Frag' mich. Frag' mich."
Es war bestimmt Mirjams Stimme.
Schlotternd vor Aufregung stieg ich, so leise ich konnte, herab und
trat an das Bett Laponders.
Das Mondlicht schien voll auf sein Gesicht, und ich konnte deutlich
unterscheiden, dañ er die Lider offen hatte, doch nur das Weiñe der AugÄpfel
war sichtbar.
An der Starre der Wangenmuskeln sah ich, dañ er im Tiefschlaf lag.
Nur die Lippen bewegten sich wieder wie neulich. Und allmÄhlich
verstand ich die Worte, die hinter seinen ZÄhnen hervordrangen:
"Frag' mich. Frag' mich."
Die Stimme war der von Mirjam tÄuschend Ähnlich.
"Mirjam? Mirjam?" rief ich unwillkØrlich, dÄmpfte aber sofort den Ton,
um den SchlÄfer nicht zu erwecken.
Ich wartete, bis sein Gesicht wieder starr geworden war, dann
wiederholte ich leise:
"Mirjam? Mirjam?"
Sein Mund formte ein kaum vernehmbares, aber doch deutliches:
"Ja."
Ich legte mein Ohr dicht an seine Lippen. Nach einer Weile hÃrte ich
Mirjams Stimme flØstern - so unverkennbar ihre Stimme, dañ mir KÄlteschauer
Øber die Haut liefen.
Ich trank die Worte so gierig, dañ ich nur den Sinn begriff. Sie sprach
von Liebe zu mir und von dem unsagbaren GlØck, dañ wir uns endlich gefunden
hÄtten - und uns nie wieder trennen wØrden - hastig - ohne Pause, wie
jemand, der fØrchtet, unterbrochen zu werden und jede Sekunde ausnØtzen
will.
Dann wurde die Stimme stockend - erlosch zeitweilig ganz.
"Mirjam?" fragte ich, bebend vor Angst und mit eingezogenem Atem,
"Mirjam, bist du gestorben?"
Lange keine Antwort.
Dann fast unverstÄndlich:
"Nein. - Ich lebe. - Ich schlafe."
Nichts mehr.
Ich lauschte und lauschte.
Vergebens.
Nichts mehr.
Vor Ergriffenheit und Zittern muñte ich mich auf die Kante der Pritsche
stØtzen, um nicht vornØber auf Laponder zu fallen.
Die TÄuschung war so vollstÄndig gewesen, dañ ich Mirjam momentelang
tatsÄchlich vor mir liegen zu sehen glaubte und alle meine Kraft
zusammennehmen muñte, um nicht einen Kuñ auf die Lippen des MÃrders zu
drØcken.
"Henoch! Henoch!" - hÃrte ich ihn plÃtzlich lallen, dann immer klarer
und artikulierter: "Henoch! Henoch!"
Sofort erkannte ich Hillel.
"Bist du es, Hillel?"
Keine Antwort.
Ich erinnerte mich, gelesen zu haben, dañ man Schlafenden, um sie zum
Reden zu bringen, die Fragen nicht ins Ohr stellen dØrfe, sondern gegen das
Nervengeflecht in der Magengrube richten mØsse.
Ich tat es:
"Hillel?"
"Ja, ich hÃre dich!"
"Ist Mirjam gesund? Weiñt du alles?" fragte ich schnell.
"Ja. Ich weiñ alles. Wuñte es lÄngst. - Sei ohne Sorge, Henoch, und
fØrchte dich nicht!"
"Kannst du mir verzeihen, Hillel?"
"Ich sage dir doch: sei ohne Sorge."
"Werden wir uns bald wiedersehen?" - Ich fØrchtete, die Antwort nicht
mehr verstehen zu kÃnnen; schon der letzte Satz war nur noch gehaucht
worden.
"Ich hoffe es. Ich will warten - auf dich - wenn ich kann - dann muñ
ich - Land -"
"Wohin? In welches Land?" - ich fiel beinahe auf Laponder - "In welches
Land? In welches Land?"
"- Land - Gad - sØdlich - PalÄstina -"
Die Stimme erstarb.
Hundert Fragen schÃssen mir in der Verwirrung durch den Kopf: Warum
nennt er mich Henoch? Zwakh, Jaromir, die Uhr, Vrieslander, Angelina,
Charousek.
"Leben Sie wohl und gedenken Sie meiner zuweilen", kam es plÃtzlich
wieder laut und deutlich von den Lippen des MÃrders. Diesmal in Charouseks
Tonfall, aber Ähnlich so, als hÄtte ich selbst es gesagt.
Ich erinnerte mich: es war wÃrtlich der Schluñsatz aus Charouseks
Brief. -
Das Gesicht Laponders lag bereits im Dunkel. Das Mondlicht fiel auf die
Kopfenden des Strohsacks. In einer Viertelstunde muñte es aus der Zelle
verschwunden sein.
Ich stellte Frage auf Frage, bekam aber keine Antwort mehr:
Der MÃrder lag unbeweglich da wie eine Leiche und hatte die Lider
geschlossen.
Ich machte mir die heftigsten VorwØrfe, alle die Tage Øber in Laponder
nur den Verbrecher und niemals den Menschen gesehen zu haben. -
Nach dem, was ich soeben erlebt, war er offenbar ein Somnambuler - ein
GeschÃpf, das unter dem Einfluñ des Vollmonds stand.
Vielleicht hatte er den Lustmord in einer Art DÄmmerzustand begangen.
Bestimmt sogar. -
Jetzt, wo der Morgen graute, war die Starrheit aus seinen ZØgen
gewichen und hatte dem Ausdruck seligen Friedens Platz gemacht.
So ruhig kann ein Mensch doch nicht schlummern, der einen Mord auf dem
Gewissen hat, sagte ich mir.
Ich konnte den Moment, wo er aufwachen wØrde, kaum erwarten.
Ob er wohl wØñte, was geschehen war?
Endlich schlug er die Augen auf, begegnete meinem Blick und sah zur
Seite.
Sofort trat ich zu ihm und ergriff seine Hand: "Verzeihen Sie mir, Herr
Laponder, dañ ich bisher so unfreundlich zu Ihnen gewesen bin. Es war das
Ungewohnte, das -"
"Seien Sie Øberzeugt, mein Herr, ich begreife vollkommen," unterbrach
er mich lebhaft, "dañ es ein scheuñliches GefØhl sein muñ, mit einem
LustmÃrder beisammen zu sein."
"Reden Sie nicht mehr davon", bat ich. "Es ist mir heute nacht so
mancherlei durch den Kopf gegangen, und ich werde den Gedanken nicht los,
Sie kÃnnten vielleicht - - -" ich suchte nach Worten.
"Sie halten mich fØr krank", half er mir heraus.
Ich bejahte: "Ich glaube es aus gewissen Anzeichen schlieñen zu dØrfen.
Ich - ich - darf ich Ihnen eine direkte Frage stellen, Herr Laponder?"
"Ich bitte darum."
"Es klingt etwas merkwØrdig, - aber - wØrden Sie mir sagen, was Sie
heute getrÄumt haben?"
Er schØttelte lÄchelnd den Kopf: "Ich trÄume nie."
"Aber Sie haben aus dem Schlaf gesprochen."
Er blickte Øberrascht auf. Dachte eine Weile nach. Dann sagte er
bestimmt:
"Das kann nur geschehen sein, wenn Sie mich etwas gefragt haben." - Ich
gab es zu. "Denn wie gesagt, ich trÄume nie. Ich - ich wandere", setzte er
nach einer Pause halblaut hinzu.
"Sie wandern? Wie soll ich das verstehen?"
Er schien nicht recht mit der Sprache heraus zu wollen, und ich hielt
es fØr angezeigt, ihm die GrØnde zu nennen, die mich bewogen hatten, in ihn
zu dringen, und erzÄhlte ihm in Umrissen, was nachts geschehen war.
"Sie kÃnnen sich fest darauf verlassen," sagte er ernst, als ich zu
Ende war, "dañ alles auf Richtigkeit beruht, was ich im Schlaf gesprochen
habe. Wenn ich vorhin bemerkte, dañ ich nicht trÄume, sondern 'wandere', so
meine ich damit, dañ mein Traumleben anders beschaffen ist als das - sagen
wir: normaler Menschen. Nennen Sie es, wenn Sie wollen, ein Austreten aus
dem KÃrper. - - So war ich z. B. heute nacht in einem hÃchst sonderbaren
Zimmer, zu dem der Eingang von unten herauf durch eine FalltØr fØhrte."
"Wie sah es aus?" fragte ich rasch. "War es unbewohnt? Leer?"
"Nein; es standen MÃbel darin; aber nicht viele. Und ein Bett, in dem
ein junges MÄdchen schlief - oder wie scheintot lag, - und ein Mann sañ
neben ihr und hielt seine Hand Øber ihre Stirn." - Laponder schilderte die
Gesichter der beiden. Kein Zweifel, es waren Hillel und Mirjam.
Ich wagte vor Spannung kaum zu atmen.
"Bitte, erzÄhlen Sie weiter. War sonst noch jemand im Zimmer?"
"Sonst noch jemand? Warten Sie - - - nein: sonst war niemand mehr im
Zimmer. Ein siebenflammiger Leuchter brannte auf dem Tisch. - Dann ging ich
eine Wendeltreppe hinunter."
"Sie war zerbrochen?" fiel ich ein.
"Zerbrochen? Nein, nein; sie war ganz in Ordnung. Und von ihr zweigte
seitlich eine Kammer ab, darin sañ ein Mann mit silbernen Schnallen an den
Schuhen und von fremdartigem Typus, wie ich noch nie einen Menschen gesehen
habe: von gelber Gesichtsfarbe und mit schrÄgstehenden Augen; - er war
vornØber gebeugt und schien auf etwas zu warten. Auf einen Auftrag
vielleicht."
"Ein Buch - ein altes groñes Buch haben Sie nirgends gesehen?",
forschte ich.
Er rieb sich die Stirn:
"Ein Buch sagen Sie? - Ja. Sehr richtig: ein Buch lag auf dem Boden. Es
war aufgeschlagen, ganz aus Pergament, und mit einem groñen, goldenen 'A'
fing die Seite an."
"Mit einem 'I', meinen Sie wohl?"
"Nein, mit einem 'A'."
"Wissen Sie das bestimmt? War es nicht ein 'I'?"
"Nein, es war bestimmt ein 'A'."
Ich schØttelte den Kopf und fing an zu zweifeln. Offenbar hatte
Laponder im Halbschlaf in meinem Vorstellungsinhalt gelesen und alles wirr
durcheinander gebracht: Hillel, Mirjam, den Golem, das Buch Ibbur und den
unterirdischen Gang.
"Haben Sie die Gabe zu 'wandern', wie Sie es nennen, schon lang?",
fragte ich.
"Seit meinem 21. Jahr - - -", er stockte, schien nicht gern davon zu
reden; da nahm seine Miene plÃtzlich den Ausdruck grenzenlosen Erstaunens
an, und er starrte auf meine Brust, als ob er dort etwas sÄhe.
Ohne auf meine Verwunderung zu achten, ergriff er hastig meine Hand und
bat - fast flehentlich:
"Um Himmels willen, sagen Sie mir alles. Es ist heute der letzte Tag,
den ich bei Ihnen verbringen darf. Vielleicht schon in einer Stunde werde
ich abgeholt, um mein Todesurteil anzuhÃren - -."
Ich unterbrÄche ihn entsetzt:
"Dann mØssen Sie mich mitnehmen als Zeugen! Ich werde beschwÃren, dañ
Sie krank sind. - Sie sind mondsØchtig. Es darf nicht sein, dañ man Sie
hinrichtet, ohne Ihren Geisteszustand untersucht zu haben. So nehmen Sie
doch Vernunft an!"
Er wehrte nervÃs ab: "Das ist doch so nebensÄchlich, - bitte, sagen Sie
mir alles!"
"Aber was soll ich Ihnen denn sagen? - Reden wir doch lieber von Ihnen
und - -"
"Sie mØssen, ich weiñ das jetzt, gewisse, seltsame Dinge erlebt haben,
die mich nah angehen, - nÄher als Sie ahnen kÃnnen; - - ich bitte Sie, sagen
Sie mir alles!", flehte er.
Ich konnte es nicht fassen, dañ ihn mein Leben mehr interessierte als
seine eigenen, doch wahrhaftig genØgend dringenden Angelegenheiten; um ihn
aber zu beruhigen, erzÄhlte ich ihm alles, was mir an Unbegreiflichem
geschehen war.
Bei jedem grÃñeren Abschnitt nickte er zufrieden, wie jemand, der eine
Sache bis zum Grund durchschaut.
Als ich zu der Stelle kam, wo die Erscheinung ohne Kopf vor mir
gestanden und mir die schwarzroten KÃrner hingehalten hatte, konnte er es
kaum erwarten, den Schluñ zu erfahren.
"Also, aus der Hand geschlagen haben Sie sie ihm", murmelte er sinnend.
"Ich hÄtte nie gedacht, dañ es einen dritten 'Weg' geben kÃnnte.
"Es war das kein dritter Weg", sagte ich, "es war derselbe, wie wenn
ich die KÃrner abgelehnt hÄtte."
Er lÄchelte.
"Glauben Sie nicht, Herr Laponder?"
"Wenn Sie sie abgelehnt hÄtten, wÄren Sie wohl auch den 'Weg des
Lebens' gegangen, aber die KÃrner, die magische KrÄfte bedeuten, wÄren nicht
zurØckgeblieben. - So sind sie auf den Boden gerollt, wie Sie sagen. Das
heiñt: sie sind hiergeblieben und werden von Ihren Vorfahren so lange
gehØtet, bis die Zeit des Keimens da ist. Dann werden die KrÄfte, die in
Ihnen jetzt noch schlummern, lebendig werden."
Ich verstand nicht: "Von meinen Vorfahren werden die KÃrner behØtet?"
"Sie mØssen es teilweise symbolisch auffassen, was Sie erlebt haben",
erklÄrte Laponder. "Der Kreis der blÄulich strahlenden Menschen, der Sie
umstand, war die Kette der ererbten 'Iche', die jeder von einer Mutter
Geborene mit sich herumschleppt. Die Seele ist nichts 'Einzelnes', - sie
soll es erst werden, und das nennt man dann: 'Unsterblichkeit'; Ihre Seele
ist noch zusammengesetzt aus vielen 'Ichen' - so, wie ein Ameisenstaat aus
vielen Ameisen; Sie tragen die seelischen Reste vieler tausend Vorfahren in
sich: - die HÄupter Ihres Geschlechtes. Bei allen Wesen ist es so. Wie
kÃnnte denn ein Huhn, das aus einem Ei kØnstlich erbrØtet wurde, sich
sogleich die richtige Nahrung suchen, wenn nicht die Erfahrung von
Jahrmillionen in ihm stÄke? - Das Vorhandensein des 'Instinkts' verrÄt die
Gegenwart der Vorfahren im Leib und in der Seele. - Aber, verzeihen Sie, ich
wollte Sie nicht unterbrechen."
Ich erzÄhlte zu Ende. Alles. Auch das, was Mirjam Øber den
"Hermaphroditen" gesagt hatte.
Als ich innehielt und aufblickte, bemerkte ich, dañ Laponder weiñ
geworden war wie der Kalk an der Wand und TrÄnen Øber seine Wangen liefen.
Rasch stand ich auf, tat, als sÄhe ich es nicht, und ging in der Zelle
auf und nieder, um abzuwarten, bis er sich beruhigt haben wØrde.
Dann setzte ich mich ihm gegenØber und bot meine ganze Beredsamkeit
auf, ihn zu Øberzeugen, wie dringend nÃtig es wÄre, den Richtern gegenØber
auf seinen krankhaften Geisteszustand hinzuweisen.
"Wenn Sie wenigstens den Mord nicht eingestanden hÄtten!", schloñ ich.
"Aber ich muñte doch! Man hat mich auf mein Gewissen gefragt", sagte er
naiv.
"Halten Sie denn eine LØge fØr schlimmer als - als einen Lustmord?",
fragte ich verblØfft.
"Im allgemeinen vielleicht nicht, in meinem Fall gewiñ. - Sehen Sie:
als ich vom Untersuchungsrichter gefragt wurde, ob ich gestØnde, hatte ich
die Kraft, die Wahrheit zu sagen. Es stand also in meiner Wahl, zu lØgen
oder nicht zu lØgen. - Als ich den Lustmord beging - - bitte, ersparen Sie
mir die Details: es war so grÄñlich, dañ ich die Erinnerung nicht wieder
aufleben lassen mÃchte - - als ich den Lustmord beging, da hatte ich keine
Wahl. Wenn ich auch bei vollkommen klarem Bewuñtsein handelte, so hatte ich
dennoch keine Wahl: irgend etwas, dessen Vorhandensein in mir ich nie geahnt
hatte, wachte auf und war stÄrker als ich. Glauben Sie, wenn ich die Wahl
gehabt haben wØrde, ich hÄtte gemordet? - Nie habe ich getÃtet - nicht
einmal das kleinste Tier, - und jetzt wÄre ich es schon gar nicht mehr
imstande.
Nehmen Sie an, es wÄre Menschengesetz: zu morden, und auf die
Unterlassung stØnde der Tod - Ähnlich, wie es im Krieg der Fall ist, -
augenblicklich hÄtte ich mir den Tod verdient. - Weil mir keine Wahl bliebe.
Ich kÃnnte ganz einfach nicht morden. Damals, als ich den Lustmord beging,
lag die Sache umgekehrt."
"Um so mehr, wo Sie sich jetzt quasi als ein anderer fØhlen, mØssen Sie
alles aufbieten, dem Richterspruch zu entgehen!", wandte ich ein.
Laponder machte eine abwehrende Handbewegung: "Sie irren! Die Richter
haben von ihrem Standpunkt aus ganz recht. Sollen sie einen Menschen wie
mich vielleicht frei umherlaufen lassen? Damit morgen oder Øbermorgen wieder
das Unheil losbricht?"
"Nein; aber in einer Heilanstalt fØr Geisteskranke sollte man Sie
internieren. Das ist es doch, was ich sage!"
"Wenn ich irrsinnig wÄre, hÄtten Sie recht", erwiderte Laponder
gleichmØtig. "Aber ich bin nicht irrsinnig. Ich bin etwas ganz anderes, -
etwas, was dem Irrsinn sehr Ähnlich sieht, aber gerade das Gegenteil ist.
Bitte, hÃren Sie zu. Sie werden mich sogleich verstehen. - - - Was Sie mir
vorhin von dem Phantom ohne Kopf - ein Symbol natØrlich: dieses Phantom; den
SchlØssel kÃnnen Sie leicht finden, wenn Sie darØber nachdenken - erzÄhlten,
ist mir einst genauso passiert. Nur habe ich die KÃrner angenommen. Ich gehe
also den 'Weg des Todes'! - FØr mich ist das Heiligste, das ich denken kann:
meine Schritte vom Geistigen in mir lenken zu lassen. Blind, vertrauensvoll,
wohin der Weg auch fØhren mag: ob zum Galgen oder zum Thron, ob zur Armut
oder zum Reichtum. Niemals habe ich gezÃgert, wenn die Wahl in meine Hand
gelegt war.
Darum habe ich auch nicht gelogen, als die Wahl in meiner Hand lag.
Kennen Sie die Worte des Propheten Micha:
"Es ist dir gesagt, Mensch, was gut ist,
und was der Herr von dir fordert,"?
WØrde ich gelogen haben, hÄtte ich eine Ursache geschaffen, weil ich
die Wahl hatte; - - als ich den Mord beging, schuf ich keine Ursache; nur
die Wirkung einer in mir schlummernden, lÄngst gelegten Ursache, Øber die
ich keine Gewalt mehr besañ, wurde frei.
Also sind meine HÄnde rein.
Dadurch, dañ das Geistige in mir mich zum MÃrder werden lieñ, hat es
eine Hinrichtung an mir vollzogen; dadurch, dañ mich die Menschen an den
Galgen knØpfen, wird mein Schicksal losgelÃst von dem ihrigen: - ich komme
zur Freiheit."
Er ist ein Heiliger, fØhlte ich, und das Haar strÄubte sich mir vor
Schauder Øber meine eigene Kleinheit.
"Sie haben mir erzÄhlt, dañ Sie durch den hypnotischen Eingriff eines
Arztes in Ihr Bewuñtsein lange die Erinnerung an Ihre Jugendzeit vergessen
hatten", fuhr er fort. "Es ist das das Kennzeichen - das Stigma - aller
derer, die von der 'Schlange des geistigen Reiches' gebissen sind. Es
scheint fast, als mØñten in uns zwei Leben aufeinandergepfropft werden, wie
ein Edelreis auf den wilden Baum, ehe das Wunder der Erweckung geschehen
kann; - was sonst durch den Tod getrennt wird, geschieht hier durch
ErlÃschen der Erinnerung - manchmal nur durch eine plÃtzliche innere Umkehr.
Bei mir war es so, dañ ich scheinbar ohne Äuñere Ursache in meinem 21.
Jahr eines Morgens wie verÄndert erwachte. Was mir bis dahin lieb gewesen,
erschien mir mit einemmal gleichgØltig: Das Leben kam mir dumm vor wie eine
Indianergeschichte und verlor an Wirklichkeit; die TrÄume wurden zu
Gewiñheit - zu apodiktischer, beweiskrÄftiger Gewiñheit, verstehen Sie wohl:
zu beweiskrÄftiger, realer Gewiñheit, und das Leben des Tages wurde zum
Traum.
Alle Menschen kÃnnten das, wenn sie den SchlØssel hÄtten. Und der
SchlØssel liegt einzig und allein darin, dañ man sich seiner 'Ichgestalt',
sozusagen seiner Haut, im Schlaf bewuñt wird, - die schmale Ritze findet,
durch die sich das Bewuñtsein zwÄngt zwischen Wachsein und Tiefschlaf.
Darum sagte ich vorhin: 'ich wandere' und nicht: 'ich trÄume'.
Das Ringen nach der Unsterblichkeit ist ein Kampf um das Zepter gegen
die uns innewohnenden KlÄnge und Gespenster; und das Warten auf das
KÃnigwerden des eigenen 'Ichs' ist das Warten auf den Messias.
Der schemenhafte Habal Garmin, den Sie gesehen haben, der 'Hauch der
Knochen' der Kabbala, das war der KÃnig. Wenn er gekrÃnt sein wird, dann -
reiñt der Strick entzwei, mit dem Sie durch die Äuñeren Sinne und den
Schornstein des Verstandes an die Welt gebunden sind.
Wieso es kommen konnte, dañ ich trotz meinem Losgetrenntsein vom Leben
Øber Nacht zum LustmÃrder werden konnte, fragen Sie mich? Der Mensch ist wie
ein Glasrohr, durch das bunte Kugeln laufen: bei fast allen im Leben nur die
eine. Ist die Kugel rot, heiñt der Mensch: 'schlecht'. Ist sie gelb, dann
ist der Mensch: 'gut'. Laufen zwei hintereinander - eine rote und eine
gelbe, dann hat 'man' einen 'ungefestigten' Charakter. Wir von der 'Schlange
Gebissenen', machen in einem Leben durch, was sonst an der ganzen Rasse in
einem Weltenalter geschieht: die farbigen Kugeln rasen hintereinander her
durch das Glasrohr, und wenn sie zu Ende sind - - dann sind wir Propheten, -
sind die Spiegel Gottes geworden."
Laponder schwieg.
Lange konnte ich kein Wort sprechen. Seine Rede hatte mich fast
betÄubt.
"Weshalb fragten Sie mich vorhin so Ängstlich nach meinen Erlebnissen,
wo Sie doch so viel, viel hÃher stehen als ich?", fing ich endlich wieder
an.
"Sie irren," sagte Laponder, "ich stehe weit unter Ihnen. - Ich fragte
Sie, weil ich fØhlte, dañ Sie den SchlØssel besitzen, der mir noch fehlte."
"Ich? Einen SchlØssel. O Gott!"
"Jawohl Sie! Und Sie haben ihn mir gegeben. - Ich glaube nicht, dañ es
einen glØcklicheren Menschen auf Erden gibt, als ich es heute bin."
Drauñen entstand ein GerÄusch; die Riegel wurden zurØckgeschoben, -
Laponder achtete kaum darauf:
"Das mit dem Hermaphroditen war der SchlØssel. Jetzt habe ich die
Gewiñheit. Schon deshalb bin ich froh, dañ man mich holen kommt, denn bald
bin ich am Ziel."
Vor TrÄnen konnte ich Laponders Gesicht nicht mehr unterscheiden, ich
hÃrte nur das LÄcheln in seiner Stimme.
"Und jetzt: Leben Sie wohl, Herr Pernath, und denken Sie: das, was man
morgen aufhenkt, sind nur meine Kleider; Sie haben mir das SchÃnste
erÃffnet, - das Letzte, was ich noch nicht wuñte. Jetzt geht's zur Hochzeit
- - -," er stand auf und folgte dem GefangenwÄrter - "es hÄngt mit dem
Lustmord eng zusammen", waren die letzten Worte, die ich hÃrte und nur
dunkel begriff.
Sooft seit jener Nacht der Vollmond am Himmel stand, glaubte ich immer
wieder Laponders schlafendes Gesicht auf der grauen Leinwand des Bettes
liegen zu sehen.
In den nÄchsten Tagen, nachdem er weggefØhrt worden war, hatte ich ein
HÄmmern und Zimmern aus dem Hinrichtungshof heraufdrÃhnen hÃren, das
manchmal bis zum Morgengrauen dauerte.
Ich erriet, was es bedeutete, und hielt mir stundenlang die Ohren zu
vor Verzweiflung.
Monat um Monat verfloñ. Ich sah, wie der Sommer zerrann, am Krankwerden
des kØmmerlichen Laubs im Hof; roch es an dem pelzigen Hauch, der aus den
Mauern drang.
Wenn mein Blick bei den RundgÄngen auf den sterbenden Baum fiel und das
eingewachsene Glasbild der Heiligen in seiner Rinde, zog ich unwillkØrlich
jedesmal den Vergleich, wie tief sich auch Laponders Gesicht in mich
eingegraben hatte. BestÄndig trug ich es in mir herum, dieses Buddhagesicht
mit der faltenlosen Haut und dem seltsamen, immerwÄhrenden LÄcheln.
Ein einziges Mal noch - im September - hatte mich der
Untersuchungsrichter holen lassen und miñtrauisch gefragt, wie ich es
begrØnden kÃnne, dañ ich bei dem Bankschalter gesagt, ich mØsse dringend
verreisen, und warum ich in den Stunden vor meiner Verhaftung so unruhig
gewesen wÄre und meine sÄmtlichen Edelsteine zu mir gesteckt hÄtte.
Auf meine Antwort, ich sei mit der Absicht umgegangen, mir das Leben zu
nehmen, hatte es wieder hinter dem Schreibtisch hÃhnisch gemeckert. -
Bis dahin war ich allein in meiner Zelle gewesen und konnte meinen
Gedanken, meiner Trauer um Charousek, der, wie ich fØhlte, lÄngst tot sein
muñte, und Laponder und meiner Sehnsucht nach Mirjam nachhÄngen.
Dann kamen wieder neue Gefangene: diebische Kommis mit verlebten
Gesichtern, dickwanstige Bankkassierer, - "Waisenkinder", wie der schwarze
VÕssatka sie genannt haben wØrde, - und verpesteten mir die Luft und die
Stimmung.
Eines Tages gab einer von ihnen voll EntrØstung zum besten, dañ vor
geraumer Zeit ein Lustmord in der Stadt geschehen sei. Zum GlØck hÄtte man
den TÄter sogleich erwischt und kurzen Prozeñ mit ihm gemacht.
"Laponder hat er geheiñen, der Schuft, der gottserbÄrmliche", schrie
ein Kerl mit einer Raubtierschnauze, der wegen Kindsmiñhandlung zu - 14
Tagen GefÄngnis verurteilt worden war, dazwischen. "Auf frischer Tat
habn's'n g'fañt. Die Lampen is umg'fallen bei dem Krawall und's Zimmer is
ausbrennt. Die Leich' von dem MÄdel is dabei so verkohlt, dañ mer bis zum
heutigen Tage noch nÃt hat rausbringen kÃnnen, wer sie eigentlich war.
Schwarze Haar hat's g'habt und a schmal's G'sicht, dÃs is alls, was mer
weiñ. Und der Laponder hat net ums Verrecken rausg'rØckt mit ihrem Namen. -
Wann's nach mir gangen wÄr, i hÄtt ihm d'Haut ab'zogen und Pfeffer drauf
g'streut. - DÃs san halt die feinen Herren! MÃrder san's, alle z'samm. - - -
- Als ob's net anderne Mittel g'nua gebet, wann aner a MÄdel los sein wØll",
setzte er mit zynischem LÄcheln hinzu.
Die Wut kochte in mir, und am liebsten hÄtte ich den Halunken zu Boden
geschlagen.
Nacht fØr Nacht schnarchte er in dem Bett, auf dem Laponder gelegen.
Ich atmete auf, als er endlich freigelassen wurde.
Aber selbst da war ich ihn noch nicht los: seine Rede hatte sich wie
ein Pfeil mit Widerhaken in mich eingebohrt.
Fast bestÄndig, hauptsÄchlich in der Dunkelheit, nagte jetzt in mir der
grausige Verdacht, Mirjam kÃnnte das Opfer Laponders gewesen sein.
Je mehr ich dagegen ankÄmpfte, desto tiefer verstrickte ich mich in dem
Gedanken, bis er beinahe zur fixen Idee wurde.
Manchmal, besonders wenn der Mond grell durchs Gitter schien, wurde es
besser: ich konnte mir die Stunden, die ich mit Laponder verlebt, dann
lebendig machen, und das tiefe GefØhl fØr ihn verscheuchte mir die Qual, -
aber nur zu oft kamen die grÄñlichen Minuten wieder, wo ich Mirjam ermordet
und verkohlt im Geiste vor mir sah und glaubte, vor Angst den Verstand
verlieren zu mØssen.
Die schwachen Anhaltspunkte, die ich fØr meinen Verdacht hatte,
verdichteten sich in solchen Zeiten zu einem geschlossenen Ganzen, - zu
einem GemÄlde voll unbeschreiblich entsetzenerregender Einzelheiten.
Anfang November gegen 10 Uhr abends, es war bereits stockfinster und
die Verzweiflung in mir hatte einen derartigen HÃhepunkt erreicht, dañ ich
mich, um nicht laut aufzuschreien, in meinen Strohsack verbiñ wie ein
verdurstendes Tier, Ãffnete plÃtzlich der GefangenwÄrter die Zelle und
forderte mich auf, mit ihm zum Untersuchungsrichter zu kommen. Ich fØhlte
mich so schwach, dañ ich mehr taumelte als ging.
Die Hoffnung, jemals dieses schreckliche Haus verlassen zu dØrfen, war
lÄngst in mir gestorben.
Ich machte mich darauf gefañt, wieder eine kalte Frage gestellt zu
bekommen, das stereotype Gemecker hinter dem Schreibtisch zu hÃren und dann
zurØck in die Finsternis zu mØssen.
Der Herr Baron Leisetreter war bereits nach Hause gegangen und nur ein
alter, buckliger Schreiber mit Spinnenfingern stand im Zimmer.
Dumpf wartete ich, was mit mir geschehen wØrde.
Es fiel mir auf, dañ der GefangenwÄrter mit hereingekommen war und mir
gutmØtig zublinzelte, aber ich war viel zu niedergeschlagen, als dañ ich mir
Øber die Bedeutung alles dessen hÄtte klarwerden kÃnnen.
"Die Untersuchung hat ergeben", fing der Schreiber an, meckerte, stieg
auf einen Sessel und kramte erst lange auf dem BØcherbord nach
SchriftstØcken, ehe er fortfuhr: "hat ergeben, dañ der in Frage kommende
Karl Zottmann vor seinem Tode anlÄñlich einer heimlichen Zusammenkunft mit
der unverehelichten ehemaligen Prostituierten Rosina Metzeles, die damaliger
Zeit den Spitznamen 'die rote Rosina' fØhrte, dann spÄter von einem
taubstummen, nunmehr unter polizeilicher Aufsicht stehenden
Silhubettenschneider namens Jaromir KwÂñnitschka aus dem Weinsalon 'Kautsky'
losgekauft wurde und seit einigen Monaten mit Seiner Durchlaucht dem FØrsten
Ferri AthenstÄdt im gemeinsamen, wilden Konkubinate als Maiteresse lebt, von
hinterlistiger Hand in ein unterirdisches, aufgelassenes KellergewÃlbe des
Hauses Nummer conscriptionis 21873, gebrochen durch rÃmisch III, der
Hahnpañgasse, laufende Numero sieben, gelockt, dortselbst eingeschlossen und
sich selbst, beziehungsweise dem Tode durch Verhungern oder Erfrieren
Øberlassen wurde. - - Der obenerwÄhnte Zottmann nÄmlich", erklÄrte der
Schreiber mit einem Blick Øber die Brille hinweg und blÄtterte ein paarmal
um.
"Die Untersuchung hat weiters ergeben, dañ der obenerwÄhnte Karl
Zottmann allem Anscheine nach - nach eingetretenem Ableben - seiner
sÄmtlichen bei ihm getragenen Habseligkeiten, insbesondere seiner sub
faszikel rÃmisch P gebrochen durch 'BÄh' beigeschlossenen doppelmanteligen
Taschenuhr" - der Schreiber hob die Uhr an der Kette in die HÃhe - "beraubt
wurde. Der eidesstattlichen Aussage des Silhubettenschnitzers Jaromir
KwÂñnitschka, verwaisten Sohnes des vor 17 Jahren verstorbenen
HostienbÄckers gleichen Namens: die Uhr im Bette seines inzwischen flØchtig
gegangenen Bruders Loisa gefunden und an den AltwarenhÄndler und mehrfachen,
inzwischen aus dem Leben geschiedenen RealitÄtenbesitzer Aaron Wassertrum
gegen Inempfangnahme von Geldeswert verÄuñert zu haben, konnte mangels
GlaubwØrdigkeit kein Gewicht beigelegt werden.
Die Untersuchung hat weiters ergeben, dañ die Leiche des erwÄhnten Karl
Zottmann in der rØckwÄrtigen Hosentasche zur Zeit ihrer Auffindung ein
Notizbuch bei sich trug, in der sie vermutlich bereits einige Tage vor
erfolgtem Ableben mehrere den Tatbestand erhellende und die Ergreifung des
TÄters durch die k. k. BehÃrden erleichternde Eintragungen vorgenommen
hatte.
Das Augenmerk einer hohen k. und k. Staatsanwaltschaft wurde demzufolge
auf den nunmehr durch die Zottmannschen letztwilligen Notizen dringend
verdÄchtig gewordenen Loisa KwÂñnitschka, zurzeit flØchtig, gelenkt und
unter einem verfØgt, die Untersuchungshaft gegen Athanasius Pernath,
Gemmenschneider, dermalen noch unbescholten, aufzuheben, und das Verfahren
gegen ihn einzustellen.
Prag im Juli
gezeichnet
Dr. Freiherr von Leisetreter."
Der Boden schwankte unter meinen FØñen, und ich verlor eine Minute das
Bewuñtsein.
Als ich erwachte, sañ ich auf einem Stuhl, und der GefangenwÄrter
klopfte mir freundlich auf die Schulter.
Der Schreiber war vollkommen ruhig geblieben, schnupfte, schneuzte sich
und sagte zu mir:
"Die Verlesung der VerfØgung hat sich bis heute hinausgezogen, weil Ihr
Name mit einem 'PÄh' beginnt und naturgemÄñ im Alphabet erst gegen Schluñ
vorkommen kann." - Dann las er weiter:
"øberdies ist der Athanasius Pernath, Gemmenschneider, in Kenntnis zu
setzen, dañ ihm laut testamentarischer VerfØgung des im Mai mit Tod
abgegangenen stud. med. Innocenz Charousek ein Drittel von dessen gesamter
Verlassenschaft ins Erbe zugefallen ist, und ist er zur Unterfertigung des
Protokolls hiermit anzuhalten."
Der Schreiber hatte bei dem letzten Wort die Feder eingetunkt und fing
an zu schmieren.
Ich erwartete gewohnheitsmÄñig, dañ er meckern wØrde, aber er meckerte
nicht.
"Innocenz Charousek", murmelte ich ihm wie geistesabwesend nach.
Der GefangenwÄrter beugte sich Øber mich und flØsterte mir ins Ohr:
"Kurz vor seinem Tode war er bei mir, der Herr Dr. Charousek, und hat
sich nach Ihnen erkundigt. Er lÄñt Sie viel-vielmals grØñen, hat er g'sagt.
Ich hab's natØrlich damals nicht ausrichten dØrfen. Es ist streng verboten.
Ein schreckliches Ende hat er Øbrigens genommen, der Herr Dr. Charousek. Er
hat sich selbst entleibt. Man hat ihn tot auf dem GrabhØgel des Aaron
Wassertrum, auf der Brust liegend, gefunden. - Er hat zwei tiefe LÃcher in
die Erde gegraben gehabt, sich die Pulsadern aufgeschnitten und dann die
Arme in die LÃcher gesteckt. So ist er verblutet. Er ist wahrscheinlich
wahnsinnig gewesen, der Herr Dr. Char - - -"
Der Schreiber schob gerÄuschvoll seinen Stuhl zurØck und reichte mir
die Feder zum Unterschreiben.
Dann richtete er sich stolz auf und sagte genau im Tonfall seines
freiherrlichen Vorgesetzten:
"GefangenwÄrter, fØhren Sie den Mann hinaus."
Wie vor langer, langer Zeit hatte wiederum der Mann mit SÄbel und
Unterhosen im Torzimmer seine KaffeemØhle vom Schoñ genommen; nur dañ er
mich diesmal nicht untersuchte und mir meine Edelsteine, das Portemonnaie
mit den zehn Gulden darin, meinen Mantel und alles Øbrige zurØckgab. - - -
Dann stand ich auf der Strañe.
"Mirjam! Mirjam! Jetzt endlich naht das Widersehen!" - Ich unterdrØckte
einen Schrei wildesten EntzØckens.
Es muñte Mitternacht sein. Der Vollmond schwebte glanzlos wie ein
fahler Messingteller hinter Dunstschleiern.
Das Pflaster war mit einer zÄhen Schicht von Schmutz bedeckt.
Ich wankte auf eine Droschke zu, die im Nebel aussah wie ein
zusammengebrochenes vorsintflutliches Ungeheuer. Meine Beine versagten fast
den Dienst; ich hatte das Gehen verlernt und taumelte - auf empfindungslosen
Sohlen wie ein RØckenmarkskranker. - -
"Kutscher, fahren Sie mich, so rasch Sie kÃnnen, in die Hahnpañgasse 7!
- Haben Sie mich verstanden?: - Hahnpañgasse 7."
Frei
Nach wenigen Metern Fahrt blieb die Droschke stehn.
"HahnpañgassÄ, gnÄ' Herr?"
"Ja, ja, nur rasch."
Wieder fuhr der Wagen ein StØck weiter. Wieder blieb er stehen.
"Um Himmels willen, was gibt's denn?"
"HahnpañgassÄØ, gnÄ' Herr?"
"Ja, ja. Ja doch."
"In die HahnpañgassÄ kann me doch nicht fahrrÄhn!"
"Warum denn nicht?"
"Ise sich doch ieberall Pflaste aufgrissen, Judenstadt wirde sich doch
assaniert."
"Also fahren Sie eben, soweit Sie kÃnnen, aber jetzt rasch gefÄlligst."
Die Droschke machte einen einzigen Galoppsprung und stolperte dann
gemÄchlich weiter.
Ich lieñ die klapprigen Fenster herunter und sog mit gierigen Lungen
die Nachtluft ein.
Alles war mir so fremd geworden, so unbegreiflich neu: die HÄuser, die
Strañen, die geschlossenen LÄden. Ein weiñer Hund trabte einsam und
miñgelaunt auf dem nassen Trottoir vorØber. Ich sah ihm nach. - Wie
sonderbar!! Ein Hund! Ich hatte ganz vergessen, dañ es solche Tiere gab. -
Vor Freude kindisch rief ich ihm nach: "Aber, aber! Wie kann man nur so
verdrossen sein." - - -
Was Hillel wohl sagen wØrde!? - Und Mirjam?
Nur noch wenige Minuten und ich war bei ihnen. Nicht eher wollte ich
aufhÃren, an ihre TØr zu klopfen, bis ich sie aus den Federn getrieben.
Jetzt war ja alles gut - all der Jammer dieses Jahres vorØber! -
WØrde das ein Weihnachten werden!
Diesmal durfte ich es nicht verschlafen, wie das letztemal.
Einen Augenblick lahmte mich wieder das alte Entsetzen: die Worte des
StrÄflings mit der Raubtierschnauze fielen mir ein. Das verbrannte Gesicht -
der Lustmord - aber nein, nein! - Ich schØttelte es gewaltsam ab: nein,
nein, es konnte, es konnte nicht sein. - Mirjam lebte! Ich hatte doch ihre
Stimme aus Laponders Mund gehÃrt.
Nur noch eine Minute - eine halbe - - und dann -
Die Droschke hielt vor einem TrØmmerhaufen. Barrikaden aus
Pflastersteinen Øberall!
Rote Laternen brannten darauf.
Beim Schein von Fackeln grub und schaufelte ein Heer von Arbeitern.
Halden von Schutt und Mauerbrocken versperrten den Weg. Ich kletterte
umher, versank bis ans Knie.
Das hier, das muñte doch die Hahnpañgasse sein?!
MØhsam orientierte ich mich. Nichts als Ruinen ringsum.
Stand denn da nicht das Haus, in dem ich gewohnt hatte?
Die Vorderseite war eingerissen.
Ich kletterte auf einen ErdhØgel; tief unter mir lief ein schwarzer,
gemauerter Gang die ehemalige Gasse entlang. Ich schaute empor: wie riesige
Bienenzellen hingen die bloñgelegten WohnrÄume nebeneinander in der Luft,
halb vom Fackelschein, halb von dem trØben Mondlicht beschienen.
Das dort oben, das muñte mein Zimmer sein - ich erkannte es an der
Bemalung der WÄnde.
Nur noch ein Streifen davon war Øbrig.
Und daranstoñend das Atelier - Saviolis. Mir wurde plÃtzlich ganz leer
im Herzen. Wie seltsam! Das Atelier! - Angelina! - - So weit, so unabsehbar
fern lag das alles hinter mir!
Ich drehte mich um: von dem Haus, in dem Wassertrum gewohnt, kein Stein
mehr auf dem andern. Alles dem Erdboden gleichgemacht: der TrÃdlerladen, die
Kellerwohnung Charouseks - - - alles, alles.
"Der Mensch geht dahin wie ein Schatten" - fiel mir ein Satz ein, den
ich einmal irgendwo gelesen.
Ich fragte einen Arbeiter, ob er nicht wisse, wo die Leute jetzt
wohnten, die hier ausgezogen seien; ob er vielleicht den Archivar Schemajah
Hillel kenne.
"Nix daitsch", war die Antwort.
Ich schenkte dem Mann einen Gulden: er verstand zwar sofort deutsch,
konnte mir aber keine Auskunft geben.
Auch von seinen Kameraden niemand.
Vielleicht, dañ beim "Loisitschek" etwas zu erfahren wÄre?
Der "Loisitschek" sei gesperrt, hieñ es, das Haus wØrde renoviert.
Also irgend jemand in der Nachbarschaft wecken! - Ging das nicht?
"Weit a breit wohnt sich keine Katz," sagte der Arbeiter; "weil ise
behÄrdlich verbotten. Von wÄgen Typhus."
"Der 'Ungelt'? Der wird doch offen haben?"
"Ungelt ise sich geschlossen."
"Bestimmt?"
"Bestimmt!"
Aufs Geratewohl nannte ich ein paar Namen von HÃcklern und
Tabaktrafikantinnen, die in der NÄhe gewohnt hatten; dann die Namen Zwakh,
Vrieslander, Prokop - -
Bei allen schØttelte der Mann den Kopf.
"Vielleicht kennen Sie den Jaromir KwÂñnitschka?"
Der Arbeiter horchte auf.
"Jaromir? Ise sich taubstumm?"
Ich jubelte. Gott sei Dank. Wenigstens ein Bekannter.
"Ja, er ist taubstumm. Wo wohnt er?"
"Schneid 'e sich Bildeln aus? Aus schwarzem Pappjir?"
"Ja. Er ist es schon. Wo kann ich ihn wohl treffen?"
So umstÄndlich wie mÃglich bezeichnete mir der Mann ein NachtcafÊhaus
in der inneren Stadt und fing sofort wieder an zu schaufeln.
øber eine Stunde lang watete ich durch Schuttfelder, balancierte Øber
schwankende Bretter und kroch unter Querbalken durch, die die Strañen
versperrten. Das ganze Judenviertel war eine einzige SteinwØste, als hÄtte
ein Erdbeben die Stadt zerstÃrt.
Atemlos vor Aufregung, schmutzbedeckt und mit zerrissenen Schuhen fand
ich mich endlich aus dem Labyrinth heraus.
Ein paar HÄuserreihen, und ich stand vor der gesuchten Spelunke.
"Cafe Chaos" stand darØber geschrieben.
Ein menschenleeres, winziges Lokal, das kaum genØgend Platz lieñ fØr
die paar Tische, die an die WÄnde gerØckt waren.
In der Mitte auf einem dreibeinigen Billard schlief ein Kellner und
schnarchte.
Ein Marktweib, mit einem GemØsekorb vor sich, sañ in der Ecke und
nickte Øber einem Glase Caj.
Endlich geruhte der Kellner aufzustehen und mich zu fragen, was ich
wØnschte. Bei dem frechen Blick, mit dem er mich vom Kopf bis zu Fuñ
musterte, kam mir erst zum Bewuñtsem, wie abgerissen ich aussehen muñte.
Ich warf einen Blick in den Spiegel und entsetzte mich: ein fremdes,
blutleeres Gesicht, faltig, grau wie Kitt, mit struppigem Bart und wirrem,
langem Haar starrte mir entgegen.
Ob der Silhouettenschneider Jaromir nicht dagewesen sei, fragte ich und
bestellte schwarzen Kaffee.
"Woañ net, wo er so lang bleibt", war die gegÄhnte Antwort.
Dann legte sich der Kellner wieder auf das Billard und schlief weiter.
Ich nahm das "Prager Tagblatt" von der Wand und - wartete.
Die Buchstaben liefen wie Ameisen Øber die Seiten, und ich begriff
nicht ein einziges Wort von dem, was ich las.
Die Stunden vergingen, und hinter den Scheiben zeigte sich bereits das
verdÄchtige tiefe Dunkelblau, das den Einbruch der MorgendÄmmerung fØr ein
Lokal mit Gasbeleuchtung anzeigt.
Hie und da spÄhten ein paar Schutzleute mit grØnlich schillernden
FederbØschen herein und gingen in langsamem, schwerem Schritt wieder weiter.
Drei ØbernÄchtig aussehende Soldaten traten ein.
Ein Strañenkehrer nahm einen Schnaps.
Endlich, endlich: Jaromir.
Er hatte sich so verÄndert, dañ ich ihn anfangs gar nicht
wiedererkannte: die Augen erloschen, die VorderzÄhne ausgefallen, das Haar
schØtter und tiefe HÃhlen hinter den Ohren.
Ich war so froh, nach so langer Zeit wieder ein bekanntes Gesicht zu
sehen, dañ ich aufsprang, ihm entgegenging und seine Hand fañte.
Er benahm sich auñerordentlich scheu und blickte immerwÄhrend nach der
TØre. Durch alle mÃglichen Gesten suchte ich ihm begreiflich zu machen, dañ
ich mich freute, ihn getroffen zu haben. - Er schien es mir lange nicht zu
glauben.
Aber, was fØr Fragen ich auch stellte, stets die gleiche hilflose
Handbewegung des Nichtverstehens bei ihm.
Wie konnte ich mich nur verstÄndlich machen?!
Halt! Eine Idee!
Ich lieñ mir einen Bleistift geben und zeichnete nacheinander die
Gesichter von Zwakh, Vrieslander und Prokop auf.
"Was? Alle nicht mehr in Prag?"
Er fuchtelte lebhaft in der Luft herum, machte die GebÄrde des
GeldzÄhlens, marschierte mit den Fingern Øber den Tisch, schlug sich auf den
HandrØcken. Ich erriet: alle drei hatten wahrscheinlich von Charousek Geld
bekommen und zogen jetzt als kaufmÄnnische Kompagnie mit dem vergrÃñerten
Marionettentheater durch die Welt.
"Und Hillel? Wo wohnt er jetzt?" - Ich zeichnete sein Gesicht, ein Haus
dazu und ein Fragezeichen.
Das Fragezeichen verstand Jaromir nicht; - er konnte nicht lesen, aber
er begriff, was ich wollte, - nahm ein Streichholz, warf es scheinbar in die
HÃhe und lieñ es nach Taschenspielerart geschickt verschwinden.
Was bedeutete das? Hillel sollte auch verreist sein?
Ich zeichnete das jØdische Rathaus auf.
Der Taubstumme schØttelte heftig den Kopf.
"Hillel ist also nicht mehr dort?"
"Nein!" (KopfschØtteln.)
"Wo ist er denn?"
Wieder das Spiel mit dem Streichholz.
"Er meint halt, dañ der Herr weg ist, und niem'd weiñ nicht, wohin",
mischte sich der Strañenkehrer, der uns die ganze Zeit Øber interessiert
zugesehen hatte, belehrend ein.
Vor Schreck krampfte sich mir das Herz zusammen: Hillel fort! - Jetzt
war ich ganz allein auf der Welt. - - Die GegenstÄnde im Zimmer fingen vor
meinen Augen an zu flimmern.
"Und Mirjam?"
Meine Hand zitterte so stark, dañ ich ihr Gesicht lange nicht Ähnlich
zeichnen konnte.
"Ist Mirjam auch verschwunden?"
"Ja. Auch verschwunden. Spurlos."
Ich stÃhnte laut auf, lief im Zimmer hin und her, dañ die drei Soldaten
einander fragend anblickten.
Jaromir suchte mich zu beruhigen und bemØhte sich, mir noch etwas
anderes mitzuteilen, was er erfahren zu haben schien: er legte den Kopf auf
den Arm, wie jemand, der schlÄft.
Ich hielt mich an der Tischplatte: "Um Gottes Christi willen, Mirjam
ist gestorben?"
KopfschØtteln. Jaromir wiederholte die GebÄrde des Schlafens.
"War Mirjam krank gewesen?" Ich zeichnete eine Medizinflasche.
KopfschØtteln. Wieder legte Jaromir die Stirn auf den Arm. - - -
Das Zwielicht kam, eine Gasflamme nach der andern erlosch und noch
immer konnte ich nicht herausbringen, was die Geste bedeuten sollte.
Ich gab es auf. Dachte nach.
Das einzige, was mir zu tun blieb, war, in aller FrØhe auf das jØdische
Rathaus zu gehen, um dort Erkundigungen einzuziehen, wohin Hillel mit Mirjam
gereist sein kÃnne.
Ich muñte ihm nach. - - -
Wortlos sañ ich neben Jaromir. Stumm und taub wie er.
Als ich nach einer langen Zeit aufblickte, sah ich, dañ er mit einer
Schere an einer Silhouette herumschnitt.
Ich erkannte das Profil Rosinas. Er reichte mir das Blatt Øber den
Tisch herØber, legte die Hand auf die Augen und - weinte still vor sich hin.
- -
Dann sprang er plÃtzlich auf und taumelte ohne Gruñ zur TØr hinaus.
Der Archivar Schemajah Hillel sei eines Tages ohne Grund ausgeblieben
und nicht mehr wiedergekommen; seine Tochter habe er jedenfalls mitgenommen,
denn auch sie sei von niemand mehr gesehen worden seit jener Zeit, hatte man
mir auf dem jØdischen Rathaus gesagt. Das war alles, was ich erfahren
konnte.
Keine Spur, wohin sie sich gewandt haben mochten.
Auf der Bank hieñ es, mein Geld sei gerichtlich immer noch mit Beschlag
belegt, man erwarte aber tÄglich den Bescheid, es mir auszahlen zu dØrfen.
Also auch die Erbschaft Charouseks muñte noch den Amtsweg gehen, und
ich wartete doch mit brennender Ungeduld auf das Geld, um dann alles
aufzubieten, Hillels und Mirjams Spur zu suchen.
Ich hatte meine Edelsteine verkauft, die ich noch in der Tasche gehabt,
und mir zwei kleine, mÃblierte, aneinanderstoñende Dachkammern in der
Altschulgasse - die einzige Gasse, die von der Assanierung der Judenstadt
verschont geblieben, - gemietet.
Sonderbarer Zufall: es war dasselbe wohlbekannte Haus, von dem die Sage
ging, der Golem sei einst darin verschwunden.
Ich hatte mich bei den Bewohnern - zumeist kleine Kaufleute oder
Handwerker - erkundigt, was denn Wahres an dem GerØcht von dem "Zimmer ohne
Zugang" sei, und war ausgelacht worden. - Wie man einen derartigen Unsinn
denn glauben kÃnne!
Meine eigenen Erlebnisse, die sich darauf bezogen, hatten im GefÄngnis
die BlÄsse eines lÄngst verwehten Traumbildes angenommen und ich sah in
ihnen nur noch Symbole ohne Blut und Leben, - strich sie aus dem Buch meiner
Erinnerungen.
Die Worte Laponders, die ich zuweilen so klar in mir hÃrte, als sÄñe er
mir gegenØber wie damals in der Zelle und sprÄche zu mir, bestÄrkten mich
darin, dañ ich rein innerlich geschaut haben mØsse, was mir ehedem greifbare
Wirklichkeit geschienen.
War denn nicht alles vergangen und verschwunden, was ich einst besessen
hatte? Das Buch Ibbur, das phantastische Tarockspiel, Angelina und sogar
meine alten Freunde Zwakh, Vrieslander und Prokop! - - -
Es war Weihnachtsabend, und ich hatte mir einen kleinen Baum mit roten
Kerzen nach Hause gebracht. Ich wollte noch einmal jung sein und
Lichterglanz um mich haben und den Duft von Tannennadeln und brennendem
Wachs.
Ehe das Jahr noch zu Ende ging, war ich vielleicht schon unterwegs und
suchte in StÄdten und DÃrfern, oder wohin es mich innerlich ziehen wØrde,
nach Hillel und Mirjam.
Alle Ungeduld, alles Warten war allmÄhlich von mir gewichen und alle
Furcht, Mirjam kÃnne ermordet worden sein, und mit dem Herzen wuñte ich, ich
wØrde sie beide finden.
Es war ein bestÄndiges glØckliches LÄcheln in mir, und wenn ich meine
Hand auf etwas legte, kam mir's vor, als ginge ein Heilen von ihr aus. Die
Zufriedenheit eines Menschen, der nach langer Wanderung heimkehrt und die
TØrme seiner Vaterstadt von weitem blinken sieht, erfØllte mich auf ganz
sonderbare Weise.
Einmal war ich noch in dem kleinen Kaffeehaus gewesen, um Jaromir zum
Weihnachtsabend zu mir zu holen. - Er habe sich nie mehr blicken lassen,
erfuhr ich, und schon wollte ich betrØbt wieder gehen, da kam ein alter
TabulettkrÄmer herein und bot kleine, wertlose AntiquitÄten zum Kauf an.
Ich kramte in seinem Kasten unter all den UhranhÄngseln, kleinen
Kruzifixen, Kammnadeln und Broschen herum, da fiel mir ein Herz aus rotem
Stein an einem verschossenen Seidenbande in die Hand, und ich erkannte es
voll Erstaunen als das Andenken, das mir Angelina, als sie noch ein kleines
MÄdchen gewesen, einst beim Springbrunnen in ihrem Schloñ geschenkt hatte.
Und mit einem Schlag stand meine Jugendzeit vor mir, als sÄhe ich in
einen Guckkasten tief hinein in ein kindlich gemaltes Bild. -
Lange, lange stand ich erschØttert da und starrte auf das kleine, rote
Herz in meiner Hand. - - -
Ich sañ in der Dachkammer und lauschte dem Knistern der Tannennadeln,
wenn hie und da ein kleiner Zweig Øber den Wachskerzen zu glimmen begann.
"Vielleicht spielt gerade jetzt in dieser Stunde der alte Zwakh
irgendwo in der Welt seinen 'Marionettenweihnachtsabend'", malte ich mir
aus, - "und deklamiert mit geheimnisvoller Stimme die Strophe seines
Lieblingsdichters Oskar Wiener":
Wo ist das Herz aus rotem Stein?
Es hÄngt an einem Seidenbande.
O du, o gib das Herz nicht her;
Ich war ihm treu und hatt' es lieb,
Und diente sieben Jahre schwer
Um dieses Herz, und hatt' es lieb!"
EigentØmlich feierlich wurde mir plÃtzlich zumute.
Die Kerzen waren heruntergebrannt. Nur eine einzige flackerte noch.
Rauch ballte sich im Zimmer.
Als ob mich eine Hand zÃge, wandte ich mich plÃtzlich um und:
Da stand mein Ebenbild auf der Schwelle. Mein DoppelgÄnger. In einem
weiñen Mantel. Eine Krone auf dem Kopf.
Nur einen Augenblick.
Dann brachen Flammen durch das Holz der TØr, und eine Wolke
erstickenden heiñen Qualms schlug herein:
Feuersbrunst im Haus! Feuer! Feuer!
Ich reiñe das Fenster auf. Klettere auf das Dach hinaus.
Von weitem rast schon das gellende Klingeln der Feuerwehr heran.
Blitzende Helme und abgehackte Kommandorufe.
Dann das gespenstische, rhythmische, schlapfende Atmen der Pumpen, wie
die DÄmonen des Wassers sich ducken zum Sprung auf ihren Todfeind: das
Feuer.
Glas klirrt und rote Lohe schieñt aus allen Fenstern.
Matratzen werden hinuntergeworfen, die ganze Strañe liegt voll davon,
Menschen springen nach, werden verwundet weggetragen.
In mir aber jauchzt etwas auf in wilder jubelnder Ekstase; ich weiñ
nicht warum. Das Haar strÄubt sich mir.
Ich laufe auf den Schornstein zu, um nicht versengt zu werden, denn die
Flammen greifen nach mir.
Das Seil eines Rauchfangkehrers ist herumgewickelt.
Ich rolle es auf, schlinge es um Handgelenk und Bein, wie ich es als
Knabe beim Turnen gelernt habe, und lasse mich ruhig an der Fassade des
Hauses hinab. -
Komme an einem Fenster vorbei. Blicke hinein:
Drin ist alles blendend erleuchtet.
Und da sehe ich - - - da sehe ich - - - mein ganzer KÃrper wird ein
einziger hallender Freudenschrei:
"Hillel! Mirjam! Hillel!"
Ich will auf die GitterstÄbe losspringen.
Greife daneben. Verliere den Halt am Seil.
Einen Augenblick hÄnge ich, Kopf abwÄrts, die Beine gekreuzt, zwischen
Himmel und Erde.
Das Seil singt bei dem Ruck. Knirschend dehnen sich die Fasern.
Ich falle.
Mein Bewuñtsein erlischt.
Noch im Sturz greife ich nach dem Fenstersims, aber ich gleite ab. Kein
Halt:
der Stein ist glatt.
Glatt wie ein StØck Fett.
Schluñ
"- - - wie ein StØck fett!"
Das ist der Stein, der aussieht wie ein StØck Fett.
Die Worte gellen mir noch in den Ohren. Dann richte ich mich auf und
muñ mich besinnen, wo ich bin.
Ich liege im Bett und wohne im Hotel.
Ich heiñe doch gar nicht Pernath.
Habe ich das alles nur getrÄumt?
Nein! So trÄumt man nicht.
Ich schaue auf die Uhr: kaum eine Stunde habe ich geschlafen. Es ist
halb drei.
Und dort hÄngt der fremde Hut, den ich heute im Dom auf dem Hradschin
verwechselt habe, als ich beim Hochamt auf der Betbank sañ.
Steht ein Name darin?
Ich nehme ihn und lese in goldenen Buchstaben auf dem weiñen
Seidenfutter den fremden und doch so bekannten Namen:
ATHANASIUS PERNATH
Jetzt lÄñt es mir keine Ruhe mehr; ich ziehe mich hastig an und laufe
die Treppe hinunter.
"Portier! Aufmachen! Ich gehe noch eine Stunde spazieren."
"Wohin, bitt schÄn?"
"In die Judenstadt. In die Hahnpañgasse. Gibt's Øberhaupt eine Strañe,
die so heiñt?"
"Freilich, freilich" - der Portier lÄchelt malitiÃs - "aber in der
Judenstadt, ich mache aufmerksam: ist nicht mehr viel los. Alles neu gebaut,
bitte."
"Macht nichts. Wo liegt die Hahnpañgasse?"
Der dicke Finger des Portiers deutet auf die Karte: "Hier, bitte."
"Und die Schenke 'Zum Loisitschek'?"
"Hier, bitte."
"Geben Sie mir ein groñes StØck Papier."
"Hier, bitte."
Ich wickle Pernaths Hut hinein. MerkwØrdig: er ist fast neu, tadellos
sauber und doch so brØchig, als wÄre er uralt. -
Unterwegs Øberlege ich:
Alles, was dieser Athanasius Pernath erlebt hat, habe ich im Traum
miterlebt, in einer Nacht mitgesehen, mitgehÃrt, mitgefØhlt, als wÄre ich er
gewesen. Warum weiñ ich denn aber nicht, was er in dem Augenblick, als der
Strick riñ und er "Hillel, Hillel!" rief, hinter dem Gitterfenster erblickt
hat?
Er hat sich in diesem Augenblick von mir getrennt, begreife ich.
Ich muñ diesen Athanasius Pernath auffinden, und wenn ich drei Tage und
drei NÄchte herumlaufen sollte, nehme ich mir vor. - - -
Also das ist die Hahnpañgasse?
Nicht annÄhernd so habe ich sie im Traum gesehen! -
Lauter neue HÄuser.
Eine Minute spÄter sitze ich im CafÊ Loisitschek. Ein stilloses,
ziemlich sauberes Lokal.
Im Hintergrund allerdings eine Estrade mit HolzgelÄnder; eine gewisse
ähnlichkeit mit dem alten getrÄumten "Loisitschek" ist nicht zu leugnen.
"Befehlen, bitt' schÃn?", fragt die Kellnerin, ein dralles MÄdel, in
einen rotsamtenen Frack buchstÄblich hineingeknallt.
"Kognak, FrÄulein. - So, danke."
"- Hm. FrÄulein!"
"Bitte?"
"Wem gehÃrt das Kaffeehaus?"
"Dem Herrn Kommerzialrat Loisitschek. - Das ganze Haus gehÃrt ihm. Ein
sehr feiner reicher Herr."
- Aha, der Kerl mit den SchweinszÄhnen an der Uhrkette! erinnere ich
mich. -
Ich habe einen guten Einfall, der mich orientieren wird:
"FrÄulein!"
"Bitte?"
"Wann ist die steinerne BrØcke eingestØrzt?"
"Vor dreiunddreiñig Jahren."
"Hm. Vor dreiunddreiñig Jahren!" - ich Øberlege: der Gemmenschneider
Pernath muñ also jetzt fast neunzig sein.
"FrÄulein!"
"Bitte?"
"Ist hier niemand unter den GÄsten, der sich noch erinnern kann, wie
die alte Judenstadt von damals ausgesehen hat? Ich bin Schriftsteller und
interessiere mich dafØr."
Die Kellnerin denkt nach: "Von den GÄsten? Nein. - Aber warten S': der
Billardmarqueur, der dort mit einem Studenten Carambol spielt, - sehen Sie
ihn? Der mit der Hakennase, der Alte, - der hat immer hier gelebt und wird
Ihnen alles sagen. Soll ich ihn rufen, wenn er fertig ist?"
Ich folgte dem Blick des MÄdchens:
Ein schlanker, weiñhaariger, alter Mann lehnt drØben am Spiegel und
kreidet seine Queue. Ein verwØstetes, aber seltsam vornehmes Gesicht. Woran
erinnert er mich nur?
"FrÄulein, wie heiñt der Marqueur?"
Die Kellnerin stØtzt sich im Stehen mit dem Ellenbogen auf den Tisch,
leckt an einem Bleistift, schreibt in Windeseile ihren Vornamen unzÄhlige
Male auf die Marmorplatte und lÃscht ihn jedesmal mit nassem Finger rasch
wieder aus. Dazwischen wirft sie mir mehr oder minder sengende Glutblicke
zu; - je nachdem sie ihr gelingen. UnerlÄñlich ist natØrlich das
gleichzeitige Emporziehen der Augenbrauen, denn es erhÃht das MÄrchenhafte
des Blickes.
"FrÄulein, wie heiñt der Marqueur?", wiederhole ich meine Frage. Ich
sehe ihr an, sie hÄtte lieber gehÃrt: FrÄulein, warum tragen Sie nicht nur
einen Frack? oder etwas ähnliches, aber ich frage es nicht; mir geht mein
Traum zu sehr im Kopf herum.
"No, wie wird er denn heiñen," schmollt sie, "Ferri heiñt er halt.
Ferri AthenstÄdt."
"So so? Ferri AthenstÄdt! - Hm, - also wieder ein alter Bekannter."
"ErzÄhlen Sie mir doch recht, recht viel von ihm, FrÄulein," girre ich,
muñ mich aber sofort mit einem Kognak stÄrken, "Sie plaudern gar so herzig!"
(Ich ekle mich vor mir selber.)
Sie neigt sich geheimnisvoll dicht zu mir, damit mich ihre Haare im
Gesicht kitzeln, und flØstert:
"Der Ferri, der war Ihnen frØher ein ganz ein Geriebener. - Er soll von
uraltem Adel gewesen sein - es ist natØrlich nur so ein Gerede, weil er
keinen Bart nicht trÄgt - und furchtbar viel Geld g'habt habn. Eine
rothaarige JØdin, die schon von Jugend auf eine 'Person' war" - sie schrieb
wieder rasch ein paarmal ihren Namen auf - "hat ihn dann ganz ausgezogen. -
Punkto Geld mein' ich natØrlich. No, und wie er dann kein Geld nicht mehr
gehabt hat, ist sie weg und hat sich von einem hohen Herrn heiraten lassen:
von dem ..." - sie flØsterte mir einen Namen ins Ohr, den ich nicht
verstehe. "Der hohe Herr hat dann natØrlich auf alle Ehre verzichten mØssen
und sich von da an nur mehr Ritter von DÄmmerich nennen dØrfen. No ja. Aber
dañ sie frØher eine 'Person' g'wesen ist, hat er ihr halt doch nicht
wegwaschen kÃnnen. Ich sag immer -."
"Fritzi! Zahlen!" ruft jemand von der Estrade herab. -
Ich lasse meine Blicke durch das Lokal wandern, da hÃre ich plÃtzlich
ein leises metallisches Zirpen, wie von einer Grille, hinter mir.
Ich drehe mich neugierig um. Traue meinen Augen nicht:
Das Gesicht zur Wand gekehrt, alt wie Methusalem, eine Spieldose, so
klein wie eine Zigarettenschachtel, in zitternden SkeletthÄnden sitzt ganz
in sich zusammengesunken - der blinde, greise Nephtali Schaffranek in der
Ecke und leiert mit der winzigen Kurbel.
Ich trete zu ihm.
Im FlØsterton singt er konfus vor sich hin:
"Frau Pick,
Frau Hock.
Und rote, blaue Stern
die schmusen allerhand.
Von Messinung, an RÄucherl und Rohn."
"Wissen Sie, wie der alte Mann heiñt?" frage ich einen vorbeieilenden
Kellner.
"Nein, mein Herr, niemand kennt weder ihn noch seinen Namen. Er selbst
hat ihn vergessen. Er ist ganz allein auf der Welt. Bitte, er ist 110 Jahre
alt! Er kriegt bei uns jede Nacht einen sogenannten Gnadenkaffee."
Ich beugte mich Øber den Greis, - rufe ihm ein Wort ins Ohr:
"Schaffranek!"
Es durchfÄhrt ihn wie ein Blitz. Er murmelt etwas, streicht sich
sinnend Øber die Stirn.
"Verstehen Sie mich, Herr Schaffranek?"
Er nickt.
"Passen Sie mal gut auf! Ich mÃchte Sie etwas fragen, aus alter Zeit.
Wenn Sie mir alles gut beantworten, bekommen Sie den Gulden, den ich hier
auf den Tisch lege."
"Gulden", wiederholt der Greis und fÄngt sofort an, wie ein Rasender
auf seiner zirpenden Spieldose zu kurbeln.
Ich halte seine Hand fest: "Denken Sie einmal nach! - Haben Sie nicht
vor etwa 33 Jahren einen Gemmenschneider namens Pernath gekannt?"
"Hadrbolletz! Hosenschneider!" - lallt er asthmatisch auf und lacht
Øbers ganze Gesicht, in der Meinung, ich hÄtte ihm einen famosen Witz
erzÄhlt.
"Nein, nicht Hadrbolletz: - - Pernath!"
"Pereles?!" - er jubelt fÃrmlich.
"Nein, auch nicht Pereies. - Per-nath!"
"Pascheies?!" - er krÄht vor Freude. - -
Ich gebe enttÄuscht meinen Versuch auf.
"Sie wollten mich sprechen, mein Herr?", - der Marqueur Ferri
AthenstÄdt steht vor mir und verbeugt sich kØhl.
"Ja. Ganz richtig. - Wir kÃnnen dabei eine Partie Billard spielen."
"Spielen Sie um Geld, mein Herr? Ich gebe Ihnen 90 auf 100 vor."
"Also gut: um einen Gulden. Fangen Sie vielleicht an, Marqueur."
Seine Durchlaucht nimmt das Queue, zielt, gickst, macht ein Ärgerliches
Gesicht. Ich kenne das: er lÄñt mich bis 9 kommen, und dann macht er in
einer Serie "aus".
Mir wird immer kurioser zumute. Ich gehe direkt auf mein Ziel los:
"Entsinnen Sie sich, Herr Marqueur: vor langer Zeit, etwa in den
Jahren, als die steinerne BrØcke einstØrzte, in der damaligen Judenstadt
einen gewissen - Athanasius Pernath gekannt zu haben?"
Ein Mann in einer rotweiñgestreiften Leinwandjacke, mit Schielaugen und
kleinen goldenen Ohrringen, der auf einer Bank an der Wand sitzt und eine
Zeitung liest, fÄhrt auf, stiert mich an und bekreuzigt sich.
"Pernath? Pernath?" wiederholt der Marqueur und denkt angestrengt nach
- "Pernath? - War er nicht groñ, schlank? Braunes Haar, melierten
kurzgeschnittenen Spitzbart?"
"Ja. Ganz richtig."
"Etwa vierzig Jahre alt damals? Er sah aus wie --", Seine Durchlaucht
starrt mich plÃtzlich Øberrascht an. - "Sie sind ein Verwandter von ihm,
mein Herr?!"
Der SchielÄugige bekreuzigt sich.
"Ich? Ein Verwandter? Komische Idee. - Nein. Ich interessiere mich nur
fØr ihn. Wissen Sie noch mehr?", sage ich gelassen, fØhle aber, dañ mir
eiskalt im Herzen wird.
Ferri AthenstÄdt denkt wieder nach.
"Wenn ich nicht irre, galt er seinerzeit fØr verrØckt. - Einmal
behauptete er, er hieñe - warten Sie mal, - ja: Laponder! Und dann wieder
gab er sich fØr einen gewissen - Charousek aus."
"Kein Wort wahr!" fÄhrt der SchielÄugige dazwischen. "Den Charousek
hat's wirklich gegeben. Mein Vater hat doch mehrere 1000 fl von ihm geerbt."
"Wer ist dieser Mann?", fragte ich den Marqueur halblaut.
"Er ist FÄhrmann und heiñt Tschamrda. - Was den Pernath betrifft, so
erinnere ich mich nur, oder glaube es wenigstens - dañ er in spÄteren Jahren
eine sehr schÃne, dunkelhÄutige JØdin geheiratet hat."
"Mirjam!" sage ich mir und werde so aufgeregt, dañ mir die HÄnde
zittern und ich nicht mehr weiterspielen kann.
Der FÄhrmann bekreuzigt sich.
"Ja, was ist denn heute mit Ihnen los, Herr Tschamrda?", fragt der
Marqueur erstaunt.
"Der Pernath hat niemals nicht gelebt", schreit der SchielÄugige los.
"Ich glaub's nicht."
Ich schenke dem Mann sofort einen Kognak ein, damit er gesprÄchiger
wird.
"Es gibt ja wohl Leut', die sagen, der Pernath lebt noch immer", rØckt
der FÄhrmann endlich heraus, "er is, hÃr ich. Kammschneider und wohnt auf
dem Hradschin."
"Wo auf dem Hradschin?"
Der FÄhrmann bekreuzigt sich:
"Das ist es ja eben! Er wohnt, wo kein lebender Mensch wohnen kann: an
der Mauer zur letzten Latern."
"Kennen Sie sein Haus, Herr - Herr - Tschamrda?"
"Nicht um die Welt mÃcht ich dort hinaufgehen!", protestiert der
SchielÄugige. "WofØr halten Sie mich? Jesus, Maria und Josef!"
"Aber den Weg hinauf kÃnnten Sie mir doch von weitem zeigen, Herr
Tschamrda?"
"Das schon", brummte der FÄhrmann. "Wenn Sie warten wollen bis 6 Uhr
frØh; dann geh ich zur Moldau hinunter. Aber ich rat Ihnen ab! Sie stØrzen
in den Hirschgraben und brechen Hals und Knochen! Heilige Muttergottes!"
Wir gehen zusammen durch den Morgen; frischer Wind weht vom Flusse her.
Ich fØhle vor Erwartung kaum den Boden unter mir.
PlÃtzlich taucht das Haus in der Altschulgasse vor mir auf.
Jedes Fenster erkenne ich wieder: die geschweifte Dachrinne, das
Gitter, die fettig glÄnzenden Steinsimse - alles, alles!
"Wann ist dieses Haus abgebrannt?", frage ich den SchielÄugigen. Es
braust mir in den Ohren vor Spannung.
"Abgebrannt? Niemals nicht!"
"Doch! Ich weiñ es bestimmt."
"Nein."
"Aber ich weiñ es doch! Wollen Sie wetten?"
"Wieviel?"
"Einen Gulden."
"Gemacht!" - Und Tschamrda holt den Hausmeister heraus. "Ist dieses
Haus jemals abgebrannt?"
"I woher denn!" Der Mann lacht. -
Ich kann und kann es nicht glauben.
"Schon siebzig Jahr' wohn ich drin," beteuert der Hausmeister, "ich
mØñt's doch wahrhaftig wissen."
- - - Sonderbar, sonderbar! - - -
Der FÄhrmann rudert mich in seinem Kahn, der aus acht ungehobelten
Brettern besteht, mit komischen schiefen Zuckbewegungen Øber die Moldau. Die
gelben Wasser schÄumen gegen das Holz. Die DÄcher des Hradschins glitzern
rot in der Morgensonne. Ein unbeschreiblich feierliches GefØhl ergreift
Besitz von mir. Ein leise dÄmmerndes GefØhl wie aus einem frØheren Dasein,
als sei die Welt um mich her verzaubert - eine traumhafte Erkenntnis, als
lebte ich zuweilen an mehreren Orten zugleich.
Ich steige aus.
"Wieviel bin ich schuldig, Herr Tschamrda?"
"Einen Kreuzer. Wenn Sie mitg'holfen hÄtten rudern, - hÄtt's zwei
Kreuzer 'kost."
Denselben Weg, den ich heute nacht im Schlaf schon einmal gegangen,
wandere ich wieder empor: die kleine, einsame Schloñstiege. Mir klopft das
Herz und ich weiñ voraus: jetzt kommt der kahle Baum, dessen äste Øber die
Mauer herØbergreifen.
Nein: er ist mit weiñen BlØten besÄt.
Die Luft ist voll von sØñem Fliederhauch.
Zu meinen FØñen liegt die Stadt im ersten Licht wie eine Vision der
Verheiñung.
Kein Laut. Nur Duft und Glanz.
Mit geschlossenen Augen kÃnnte ich mich hinauffinden in die kleine,
kuriose Alchimistengasse, so vertraut ist mir plÃtzlich jeder Schritt.
Aber, wo heute nacht das Holzgitter vor dem weiñschimmemden Haus
gestanden hat, schlieñt jetzt ein prachtvolles, gebauchtes, vergoldetes
Gitter die Gasse ab.
Zwei EibenbÄume ragen aus blØhendem, niederem GestrÄuch und flankieren
das Eingangstor der Mauer, die hinter dem Gitter entlang lÄuft.
Ich strecke mich, um Øber das Strauchwerk hinØberzusehen, und bin
geblendet von neuer Pracht:
Die Gartenmauer ist ganz mit Mosaik bedeckt. TØrkisblau mit goldenen,
eigenartig gemuschelten Fresken, die den Kult des Ägyptischen Gottes Osiris
darstellen.
Das FlØgeltor ist der Gott selbst: ein Hermaphrodit aus zwei HÄlften,
die die TØre bilden, - die rechte weiblich, die linke mÄnnlich. - Er sitzt
auf einem kostbaren, flachen Thron aus Perlmutter - im Halbrelief - und sein
goldener Kopf ist der eines Hasen. Die Ohren sind in die HÃhe gestellt und
dicht aneinander, dañ sie aussehen wie die beiden Seiten eines
aufgeschlagenen Buches. -
Es riecht nach Tau, und Hyazinthenduft weht Øber die Mauer herØber. - -
-
Lange stehe ich wie versteinert da und staune. Mir wird, als trÄte eine
fremde Welt vor mich, und ein alter GÄrtner oder Diener mit silbernen
Schnallenschuhen, Jabot und sonderbar zugeschnittenem Rock kommt von links
hinter dem Gitter auf mich zu und fragt mich durch die StÄbe, was ich
wØnsche.
Ich reiche ihm stumm den eingewickelten Hut Athanasius Pernaths hinein.
Er nimmt ihn und geht durch das FlØgeltor.
Als es sich Ãffnet, sehe ich dahinter ein tempelartiges, marmornes Haus
und auf seinen Stufen:
ATHANASIUS PERNATH
und an ihn gelehnt:
MIRJAM,
und beide schauen hinab in die Stadt.
Einen Augenblick wendet sich Mirjam um, erblickt mich, lÄchelt und
flØstert Athanasius Pernath etwas zu.
Ich bin gebannt von ihrer SchÃnheit.
Sie ist so jung, wie ich sie heut nacht im Traum gesehen.
Athanasius Pernath dreht sich langsam zu mir, und mein Herz bleibt
stehen:
Mir ist, als sÄhe ich mich im Spiegel, so Ähnlich ist sein Gesicht dem
meinigen.
Dann fallen die FlØgel des Tores zu, und ich erkenne nur noch den
schimmernden Hermaphroditen.
Der alte Diener gibt mir meinen Hut und sagt - ich hÃre seine Stimme
wie aus den Tiefen der Erde -:
"Herr Athanasius Pernath lÄñt verbindlichst danken und bittet, ihn
nicht fØr ungastfreundlich zu halten, dañ er Sie nicht einlÄdt, in den
Garten zu kommen, aber es ist strenges Hausgesetz so von alters her.
Ihren Hut, soll ich ausrichten, habe er nicht aufgesetzt, da ihm die
Verwechslung sofort aufgefallen sei.
Er wolle nur hoffen, dañ der seinige Ihnen keine Kopfschmerzen
verursacht habe."